Für die Verwendung qualifizierter Zusätze sieht Absatz 1 S. 2 besondere Voraussetzungen vor. Dieses Verlangen ist berufsrechtlich und wettbewerbsrechtlich notwendig. Denn wer einen Zusatz verwendet muss auch die Voraussetzungen dafür nachweisen können. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen führt dazu, dass ein Verstoß gegen § 43b BRAO und § 5 UWG (Irreführung) ausgeschlossen ist, weil dann die Werbung des Anwalts wahrheitsgemäß ist.
Unter einem qualifizierten Zusatz ist jede Bezeichnung zu verstehen, die über die normale Angabe eines Fachgebiets hinausgeht. So etwa die Bezeichnung als „ Experte“, „Spezialist“ oder „ Fachberater“. Dabei ist es hier egal, ob der Zusatz von einem Rechtsanwalt selber geführt oder ihm die Führung von einem Dritten „verliehen“ wird oder er – zum Beispiel gegen Entgelt – die Befugnis erhält, eine Bezeichnung eines Dritten zu führen.
Dabei müssen immer beide Elemente des Satzes 2 vorliegen, nämlich die besonderen theoretischen Kenntnisse und die praktischen Erfahrungen. Verwendet der Rechtsanwalt die Bezeichnung selber, so muss er beide Voraussetzungen erfüllen. Wird dabei die Bezeichnung von einem Dritten verliehen, so muss sich dieser von beiden Voraussetzungen überzeugen. Es kann nicht in das Ermessen des Anwalts gestellt werden, die praktischen Erfahrungen separat nachzuweisen. Gerade bei der Verleihung durch einen Dritten, muss auf einen Blick klar werden, dass beide Voraussetzungen eingehalten wurden.
Für die
besonderen Kenntnisse kann auf die Anforderungen nach Satz 1 verwiesen werden.
14 Im Mittelpunkt stehen hier allerdings die theoretischen Kenntnisse. Diese können wiederum durch Ausbildung, Fortbildung etc. nachgewiesen werden.
Fraglich ist, was unter einer Tätigkeit in erheblichem Umfang zu verstehen ist. Orientieren kann man sich sicherlich an den Fachanwaltsfällen, die für ein Gebiet erfüllt sein müssen. Da der qualifizierende Zusatz aber noch keine Fachanwaltsbezeichnung ist, kann die Grenze bei der Hälfte der Fälle für die jeweilige Fachanwaltschaft gezogen werden. Wobei hier im Gegensatz zur Fachanwaltschaft auch der Nachweis durch weniger umfangreichere Mandate vorgenommen werden kann.
Umstritten ist weiterhin, unter welchen Voraussetzungen sich ein Rechtsanwalt als
Spezialist etc. bezeichnen darf. Denn die Spezialisten-Entscheidung des BVerfG
15 hat einen Ausnahmefall zu Recht entschieden, aber die genauen Kriterien offen gelassen. Dies hat wiederum zu einigen Gerichtsentscheidungen
16 OLG Stuttgart, NJW 2008, 1326; OLG Nürnberg, NJW 2007, 1984; LG Kiel, NJW 2006, 2496 m. zust. Anm. Huff, EWiR § 43b BRAO 1/07, 13; LG Dortmund, BRAK-Mitt. 2006, 44; LG Regensburg, NJW-RR 2004, 1044; LG Offenburg, BRAK-Mitt. 2007, 182.
und Stimmen in der Literatur
17 geführt. Remmertz
18 führt zu Recht an, dass sowohl bei Absatz 1 S. 2 wie auch in Bezug auf Absatz 2 des § 7 BORA strengste Voraussetzungen an den Spezialisten zu stellen sind, die sogar noch über die Anforderungen des Fachanwalts hinausgehen müssen (zur Verwechselungsgefahr mit dem Fachanwalt bei der Spezialisten-Benennung s. unten).
Zwei Entscheidungen des BGH, einmal des I. Zivilsenats
19 BGH, WRP 2015, 340 m. Anm. Huff.
im Jahr 2014 und dann des Anwaltssenat im Jahr 2016
20 BGH, WRP 2017, 316 m. Anm. Huff.
haben auch immer noch keine Klarheit gebracht.
21 S. dazu die Besprechungen der Entscheidung BGH, WRP 2017, 316 m. Anm. Huff durch Scharmer, NJW 2017, 671; Quaas, BRAK-Mitt. 2017, 8 (der wohl als einziger die Entscheidung des Anwaltssenats, dem er lange angehört hat, verteidigt); Offermann-Burckart, BRAK-Mitt. 2017, 10; Deckenbrock, ZAP 2017, 1099; Engelke, AnwBl. 2017, 276.
Beide Senate widersprechen sich offen, wollten aber wohl den Großen Senat nicht anrufen.
22 Die Diskrepanz versucht Quaas, BRAK-Mitt. 2017, 8 zu erklären.
Der I. Zivilsenat hat entschieden, dass ein Rechtsanwalt, der die Voraussetzungen für einen Fachanwalt erfüllt, sich auch Spezialist nennen kann, der Anwaltssenat lehnt dies in seiner Entscheidung im Ergebnis ab und lässt Spezialistenbezeichnungen auf Teilgebieten zu, wenn überragenden Kenntnisse vorliegen, lehnt aber die Doppelbezeichnung als Spezialist auf einem Fachanwaltsgebiet ab.
Außerhalb des Gebiets einer Fachanwaltschaft darf man sich als Spezialist bezeichnen, wenn man besondere theoretische und praktische Kenntnisse nachweisen kann. Diese müssen auch zum Zeitpunkt der Verwendung, anders als beim Fachanwalt, bei dem eine Fortbildung (§ 15 FAO) nach dem Erwerb ausreichend ist, auch vorhanden sein, der Spezialist muss also auf seinem Gebiet auch weiterhin tätig sein, will er sich so nennen.
23 So ist der BGH, WRP 2017, 316 Rz. 14 ff. m. Anm. Huff wohl zu verstehen.
Für besondere Aufmerksamkeit hat das
„Dekra-Verfahren“ gesorgt. Die Dekra Certification GmbH und das „Deutschen Anwaltszentrum“, eine Einrichtung zweier junger Assistenten der Freien Universität Berlin, wandten sich im Oktober 2008 mit einem Werbeschreiben für eine „Dekra Zertifizierung für Juristen“ an eine Vielzahl von Rechtsanwälten, um diese für eine Teilnahme an einem Lehrgang und einem Test zu gewinnen. Nach deren Bestehen sollte der Rechtsanwalt befugt sein, ein Zertifikat zu verwenden, das sich aus dem Logo der Dekra, einem Paragrafen und der Formulierung „Zertifiziert im Arbeitsrecht gültig bis 11/2009“ zusammensetzt. Das LG Köln
24 hat diese Werbung auf Antrag zweier Fachanwälte unter dem Gesichtspunkt des § 5 UWG als wettbewerbswidrig angesehen. In der mündlichen Verhandlung vor dem OLG Köln (6 U 38/09) haben die Dekra und das DAZ die geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben. Die Kosten des Verfahrens wurden ihnen auferlegt.
Dem vorausgegangen war eine intensive rechtliche Diskussion. Der 6. Zivilsenat des OLG Köln vertrat die Auffassung, dass die Verwendung des Dekra-Zertifikats einen qualifizierenden Zusatz im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 2 BORA sehe, ohne dass geprüft werde, ob praktische Erfahrungen vorlägen. Durch das Schreiben der Dekra und des Deutschen Anwaltszentrums werde eine Anstiftung zu dieser dann verbotenen Werbung geleistet.
Insgesamt ist die Untersagung der Werbung zutreffend. Denn mit einem
„Zertifikat“ darf nur werben, wer tatsächlich besondere theoretische und praktische Erfahrungen besitzt. Denn der kundige – wenn auch z.T. flüchtige – Verbraucher geht davon aus, dass derjenige, der mit besonderer Sachkunde wirbt, diese tatsächlich auch besitzt. Und dazu gehören nicht nur theoretische sondern auch praktische Kenntnisse.
25 Ausführlich dazu Huff, JuraCon Jahrbuch 2009/2010, S. 104 ff.
Auch die Bezeichnung als
„Prädikatsanwalt“ ist nicht erlaubt, auch wenn man ein Prädikatsexamen, eine bestimmte Zulassungsdauer und einen Fachanwaltstitel nachweisen kann. Zwar kann man zweifeln, ob die Bezeichnung einen Verstoß gegen Absatz 1 S. 2 darstellt. Aber das Verbot der Bezeichnung durch das OLG Nürnberg
26 OLG Nürnberg, Urt. v. 13.7.2009 – 3 U 525/09.
ist zu Recht erfolgt. Denn nach der hier vertretenen Auffassung setzt ein Qualifikationshinweis immer praktische und theoretische Kenntnisse voraus. Und diesen Anforderungen wird alleine das Abstellen auf die Examensnote, eine allgemeine Dauer der anwaltlichen Tätigkeit von fünf Jahren und der Erwerb eines Fachanwaltstitels nicht gerecht.
27 S. auch Huff, JuraCon Handbuch 2009/2010, S. 104 (108 f.).
Es wird vielmehr der Eindruck erweckt, als gebe es eine darüber hinaus reichende Qualifikation, was gerade nicht der Fall ist. Die Bezeichnung als Prädikatsanwalt stellt dabei eine irreführende Werbung (§ 3 UWG) dar, die auch ohne Rückgriff auf § 7 Abs. 1 S. 2 BORA zu untersagen ist.
Anders sieht es bei der Bezeichung als
„Vorsorgeanwalt“ aus. Diese Bezeichnung, mit der sich Rechtsanwälte bezeichnen, die sich umfangreich mit den Fragen der Vorsorge z.B. bei Krankheit etc. befassen, ist erlaubt, weil sie weder gegen §§ 43b BRAO noch gegen § 7 BORA verstößt, wie der AGH NRW im zweiten Anlauf zurecht festgestellt hat.
28 AGH NRW, Urt. v. 7.9.2012 – 2 AGH 29/11, NJW 2013, 318 (entgegen AGH NRW, Urt. v. 7.1.2011 – 2 AGH 36-38/10), s. dazu Kleine-Cosack, NJW 2013, 272.
Auch die Bezeichnung „
zertifizierter Testamentsvollstrecker“ darf nur dann geführt werden, wenn sowohl die theoretischen wie praktischen Kenntnisse vorliegen.
29 So jetzt klar BGH, Urt. v. 9.6.2011 – I ZR 113/10 – „Zertifizierter Testamentsvollstrecker“.
Da diese Voraussetzung bei der Verleihung der Bezeichnung vorliegen muss, ist die Verwendung nicht gestattet, wenn praktische Erfahrungen nicht nachweisbar vor bzw. bei der Verleihung gegeben sind. So ist damit die Bezeichnung „zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)“ nicht erlaubt, weil praktische Erfahrungen nicht vermittelt oder geprüft werden, sondern nur eine Zulassung als Anwalt vorliegen muss. Die Rechtsprechung des BGH gilt damit für alle „Zertifikate“. Sie dürfen nur verwendet werden, wenn wirklich theoretische und praktische Erfahrungen zusammenkommen.
30 S. dazu ausführlich Huff, in: AGT e.V. (Hrsg.), Tagungsband 2. Deutscher Testamentsvollstreckertag, Bonn, 2010, S. 37 ff.
Mit einer Zertifizierung nach der ISO-Norm 9001 darf geworben werden, da es sich um eine andere Form der Zertifizierung als oben dargestellt handelt. Hier werden Kanzleiabläufe überprüft und dies weiß der Verbraucher auch.
31 Unzutreffend daher OLG Hamm, Urt. v. 31.1.2012 – 4 U 100/11, NJW-RR 2012, 734.