§ 7 BORA - Benennung von Teilbereichen der Berufstätigkeit

04.11.2020, Rechtsanwalt Martin W. Huff

Kommentierung von Rechtsanwalt Martin W. Huff, Köln
in Gaier/Wolf/Göcken - Anwaltliches Berufsrecht - 3. Auflage 2020
Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verlags Otto Schmidt.

Zitierempfehlung:
Huff in Gaier/Wolf/Göcken - Anwaltliches Berufsrecht - 3. Aufl. § 7 BORA Rz. ...


Text der Vorschrift:

(1) Unabhängig von Fachanwaltsbezeichnungen darf Teilbereiche der Berufstätigkeit nur benennen, wer seinen Angaben entsprechende Kenntnisse nachweisen kann, die in der Ausbildung, durch Berufstätigkeit, Veröffentlichungen oder in sonstiger Weise erworben wurden. Wer qualifizierende Zusätze verwendet, muss zusätzlich über entsprechende theoretische Kenntnisse verfügen und auf dem benannten Gebiet in erheblichem Umfang tätig gewesen sein.

(2) Benennungen nach Absatz 1 sind unzulässig, soweit sie die Gefahr einer Verwechslung mit Fachanwaltschaften begründen oder sonst irreführend sind.

(3) Die vorstehenden Regelungen gelten für Berufsausübungsgemeinschaften nach § 9 entsprechend.

Kommentierung:

1
§ 7 BORA hat ebenso wie § 6 BORA eine bewegte Geschichte hinter sich. Immer wieder geändert spiegelt die Vorschrift die Wandlung wider, die mit besonderen Angaben über den Inhalt der Tätigkeit des Rechtsanwalts verbunden ist. 1 Insbesondere die früher enthaltene Beschränkung von Zusatzangaben auf „Interessen- und Tätigkeitsschwerpunkte“ sorgte vielfach für Unverständnis. Zudem verstand der Verbraucher als der Kunde der Anwaltschaft die „Qualifikationsleiter“ nicht. Und was zum Beispiel ein „Interessenschwerpunkt“ mehr aussagen sollte, als dass man Interesse an einem Rechtsgebiet hat und damit ohne sachlichen Gehalt ist, konnte eigentlich niemand erklären. 2
2
Für die heutige Fassung des § 7 BORA von besonderer Bedeutung ist die so genannte „Spezialisten“-Entscheidung des BVerfG. 3 In ihr stellte das BVerfG in einem bewusst angestrengten Musterverfahren fest, dass sich ein bundesweit anerkannter Rechtsanwalt auf dem Gebiet des Verkehrsrechts, der sowohl umfangreiche theoretische Kenntnisse als auch praktische Erfahrungen nachweisen konnte, sich als „Spezialist“ bezeichnen darf. Konsequenz der Entscheidung und der sich daran anschließenden Sitzung der Satzungsversammlung, insbesondere am 21.2.2005, war dann die Verabschiedung einer neuen Fassung des § 7 BORA. Der von der Satzungsversammlung verabschiedete § 7 Abs. 3 BORA sah noch eine Fortbildungsverpflichtung vor, wenn man Teilbereiche benannte. Das Bundesjustizministerium hatte gegen diese Formulierung Bedenken, weil diese Pflicht sich nicht mit der Ermächtigungsgrundlage des § 59b BRAO in Einklang bringen lasse und beanstandete diese Formulierung. Nach einer Diskussion um die Frage, wer was abändern und verkünden durfte, 4 wurde die jetzt geltende Fassung verkündet und trat am 1.3.2006 in Kraft. 5

A. Zweck der Norm

3
Die jetzt geltende Fassung der Vorschrift versucht, für die verschiedenen von Rechtsanwälten verwendeten Spezialisierungshinweise (oder besser besondere Tätigkeitshinweise) den Rahmen abzustecken. Dabei wird unterschieden zwischen den einfachen (Abs. 1 Satz 1) und den „qualifizierenden“ Hinweisen (Abs. 1 Satz 2) durch Rechtsanwälte und der Verwendung von Fachanwaltsbezeichnungen. Absatz 2 bezeichnet dann eigentlich eine Selbstverständlichkeit des allgemeinen Wettbewerbsrechts, 6 nämlich dass eine Werbung nicht irreführend sein darf. Oder anders formuliert: Es geht um das Interesse der Rechtssuchenden an einer zutreffenden Information über die Tätigkeit des Anwalts und die Vermeidung von Irreführungen. 7 Und zu Recht erweitert Absatz 3 den Anwendungsbereich auf Berufsausübungsgemeinschaften nach § 9 BORA.
4
Im Ergebnis kann man trefflich darüber diskutieren, ob § 7 BORA einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhält. Denn mit guten Argumenten kann man die Auffassung vertreten, dass § 7 BORA schlichtweg überflüssig ist, 8 weil das gleiche Ergebnis – nämlich der Verwendung wahrheitsgemäßer Angaben durch einen Rechtsanwalt – auch dann erreichen lässt, wenn man zum wettbewerbsrechtlichen Instrumentarium (§§ 3–5 UWG) greift. § 7 BORA beschreibt mit anderen Worten noch einmal eine schon durch andere – allgemein geltende – Vorschriften geregelte Verhaltensvorschrift. Daraus aber den Schluss zu ziehen, dass diese Vorschrift verfassungswidrig ist, geht zu weit. Insgesamt ist § 7 BORA noch verfassungsgemäß. 9 Er beschreibt konkreter als es das Wettbewerbsrecht es kann, wie man zulässige Hinweise auf die Gebiete der anwaltlichen Tätigkeit geben kann. Dafür besteht durchaus ein praktisches Bedürfnis.

B. Kommentierung

I. Benennung von Teilbereichen (§ 7 Abs. 1 S. 1 BORA)

5
Grundsätzlich darf ein Rechtsanwalt Teilbereiche seiner Tätigkeit nur benennen, wenn er entsprechende Kenntnisse nachweisen kann. Was unter einem Teilbereich zu verstehen ist, beschreibt die Vorschrift nicht. Im Sinne des Art. 12 GG ist der Begriff sehr weit auszulegen. 10 Ausgangspunkt ist hier das Recht insgesamt, also der „Gesamtbereich“ des Rechts. Er kann sowohl ganze Rechtsgebiete (Strafrecht, Zivilrecht) als auch kleine Bereiche (Unterhaltsrecht, Kündigungsschutzrecht etc.) gewählt werden. Erlaubt sind aber nicht nur konkrete rechtliche Bezeichnungen, sondern auch allgemeine Aussagen, wie die „Beratung in allen Erbfragen“ oder „Forderungsmanagement“. 11 Entscheidend ist dabei, dass für den Rechtssuchenden ein Informationswert mit der Bezeichnung verbunden ist. 12
6
Einen Teilbereich darf allerdings nur benennen, wer entsprechende Kenntnisse nachweisen kann, die er auf bestimmte Weise erworben hat. Zwar nennt Absatz 1 S. 1 einige – gleich zu besprechende – Beispiele, jedoch wird diese Aufzählung durch die Formulierung „in sonstiger Weise“ ergänzt und erweitert. Fasst man dies zusammen, so geht es darum, dass der Rechtsanwalt, der einen Teilbereich bezeichnet, tatsächlich besondere Kenntnisse hat.
7
Kenntnisse können „in der Ausbildung“ erworben worden sein. Dies bedeutet nicht, dass es eine spezielle Ausbildung in dem betreffenden Gebiet gewesen sein muss. Sondern es reicht auch aus, wenn dies im Studium (z.B. Seminare etc.), in der Referendarzeit, durch die Teilnahme an Fortbildungen etc. geschieht. Ein Mastertitel reicht auf jeden Fall aus. Auch wann diese „Ausbildung“ absolviert wurde, ist dabei unerheblich. Der Zeitpunkt der Ausbildung kann nur dann einmal eine Rolle spielen, wenn sich das Recht nach der Ausbildung völlig verändert hat. Hier können sich dann eventuell Zweifel ergeben.
8
Auch der Begriff der „Berufstätigkeit“ ist weit zu sehen. Es muss sich dabei um keine anwaltliche Berufstätigkeit handeln. So ist es denkbar aus der Tätigkeit als Wohnungseigentumsverwalter besondere Kenntnisse auf dem Gebiet des WEG erworben oder als Mitarbeiter einer Agentur für Arbeit berufliche Erfahrungen im Recht der Arbeitsförderung zu haben.
9
Auch Veröffentlichungen sollen dem Nachweis besonderer Fachkenntnisse dienen können. Zwar erwirbt man durch Veröffentlichungen keine Kenntnisse, sondern gibt diese nur weiter. Gemeint ist aber, dass derjenige, der zu juristischen Themen veröffentlicht, sich in der Regel besonders mit den Rechtsfragen auseinandergesetzt und damit ausreichende Kenntnisse erworben hat. Dabei ist das Medium, in dem veröffentlicht wurde, nicht entscheidend. Denn ein juristisch qualifizierter Beitrag kann auch in einem Verbandsorgan oder in einer Tageszeitung erscheinen, hinter der manche Veröffentlichung in einer „Fachzeitschrift“ zurückbleibt. Es ist vielmehr auf den Inhalt abzustellen, der transportiert wird. Und der muss sich inhaltlich mit dem betroffenen Gebiet befassen. Dabei wird man den Begriff der Veröffentlichung weit fassen müssen, auch Beiträge im Internet gehören dazu (s. z. B. Beiträge auf der Seite www.lto.de).
10
Als Auffangtatbestand benennt Absatz 1 S. 1 auch Nachweise „in sonstiger Weise“. Nach den drei vorher genannten Gebieten kann man darunter etwa Projektarbeiten, Forschungstätigkeiten, die zu keiner Veröffentlichung geführt haben oder ähnliches verstehen.
11
Der Nachweis der Kenntnisse nach Absatz 1 S. 1 muss der Anwalt dann erbringen, wenn im Streit steht, ob er zu Recht einen Teilbereich benennt. Dies kann sowohl gegenüber der Rechtsanwaltskammer im Rahmen der Berufsaufsicht oder aber in einem möglichen Wettbewerbsverfahren geschehen. Wenn es um Berufserfahrungen geht, darf der Rechtsanwalt gegenüber der Rechtsanwaltskammer auch konkrete Verfahren benennen, weil die Rechtsanwaltskammer (Vorstand, Geschäftsführung, Mitarbeiter) eine eigene Verschwiegenheitspflicht hat, im Wettbewerbsprozess ist dies schwieriger, weil hier eventuell die Verschwiegenheits
Verschwiegenheitspflicht
pflicht betroffen sein kann. 13 Aber es wäre durchaus erlaubt, entschiedene Verfahren anhand der Aktenzeichen der Gerichtsverfahren zu benennen.

II. Verwendung qualifizierender Zusätze (§ 7 Abs. 1 S. 2 BORA)

12
Für die Verwendung qualifizierter Zusätze sieht Absatz 1 S. 2 besondere Voraussetzungen vor. Dieses Verlangen ist berufsrechtlich und wettbewerbsrechtlich notwendig. Denn wer einen Zusatz verwendet muss auch die Voraussetzungen dafür nachweisen können. Die Erfüllung dieser Voraussetzungen führt dazu, dass ein Verstoß gegen § 43b BRAO und § 5 UWG (Irreführung) ausgeschlossen ist, weil dann die Werbung des Anwalts wahrheitsgemäß ist.
13
Unter einem qualifizierten Zusatz ist jede Bezeichnung zu verstehen, die über die normale Angabe eines Fachgebiets hinausgeht. So etwa die Bezeichnung als „ Experte“, „Spezialist“ oder „ Fachberater“. Dabei ist es hier egal, ob der Zusatz von einem Rechtsanwalt selber geführt oder ihm die Führung von einem Dritten „verliehen“ wird oder er – zum Beispiel gegen Entgelt – die Befugnis erhält, eine Bezeichnung eines Dritten zu führen.
14
Dabei müssen immer beide Elemente des Satzes 2 vorliegen, nämlich die besonderen theoretischen Kenntnisse und die praktischen Erfahrungen. Verwendet der Rechtsanwalt die Bezeichnung selber, so muss er beide Voraussetzungen erfüllen. Wird dabei die Bezeichnung von einem Dritten verliehen, so muss sich dieser von beiden Voraussetzungen überzeugen. Es kann nicht in das Ermessen des Anwalts gestellt werden, die praktischen Erfahrungen separat nachzuweisen. Gerade bei der Verleihung durch einen Dritten, muss auf einen Blick klar werden, dass beide Voraussetzungen eingehalten wurden.
15
Für die besonderen Kenntnisse kann auf die Anforderungen nach Satz 1 verwiesen werden. 14 Im Mittelpunkt stehen hier allerdings die theoretischen Kenntnisse. Diese können wiederum durch Ausbildung, Fortbildung etc. nachgewiesen werden.
16
Fraglich ist, was unter einer Tätigkeit in erheblichem Umfang zu verstehen ist. Orientieren kann man sich sicherlich an den Fachanwaltsfällen, die für ein Gebiet erfüllt sein müssen. Da der qualifizierende Zusatz aber noch keine Fachanwaltsbezeichnung ist, kann die Grenze bei der Hälfte der Fälle für die jeweilige Fachanwaltschaft gezogen werden. Wobei hier im Gegensatz zur Fachanwaltschaft auch der Nachweis durch weniger umfangreichere Mandate vorgenommen werden kann.
17
Umstritten ist weiterhin, unter welchen Voraussetzungen sich ein Rechtsanwalt als Spezialist etc. bezeichnen darf. Denn die Spezialisten-Entscheidung des BVerfG 15 hat einen Ausnahmefall zu Recht entschieden, aber die genauen Kriterien offen gelassen. Dies hat wiederum zu einigen Gerichtsentscheidungen 16 und Stimmen in der Literatur 17 geführt. Remmertz18 führt zu Recht an, dass sowohl bei Absatz 1 S. 2 wie auch in Bezug auf Absatz 2 des § 7 BORA strengste Voraussetzungen an den Spezialisten zu stellen sind, die sogar noch über die Anforderungen des Fachanwalts hinausgehen müssen (zur Verwechselungsgefahr mit dem Fachanwalt bei der Spezialisten-Benennung s. unten).
Zwei Entscheidungen des BGH, einmal des I. Zivilsenats 19 im Jahr 2014 und dann des Anwaltssenat im Jahr 2016 20 haben auch immer noch keine Klarheit gebracht. 21 Beide Senate widersprechen sich offen, wollten aber wohl den Großen Senat nicht anrufen. 22 Der I. Zivilsenat hat entschieden, dass ein Rechtsanwalt, der die Voraussetzungen für einen Fachanwalt erfüllt, sich auch Spezialist nennen kann, der Anwaltssenat lehnt dies in seiner Entscheidung im Ergebnis ab und lässt Spezialistenbezeichnungen auf Teilgebieten zu, wenn überragenden Kenntnisse vorliegen, lehnt aber die Doppelbezeichnung als Spezialist auf einem Fachanwaltsgebiet ab.
Außerhalb des Gebiets einer Fachanwaltschaft darf man sich als Spezialist bezeichnen, wenn man besondere theoretische und praktische Kenntnisse nachweisen kann. Diese müssen auch zum Zeitpunkt der Verwendung, anders als beim Fachanwalt, bei dem eine Fortbildung (§ 15 FAO) nach dem Erwerb ausreichend ist, auch vorhanden sein, der Spezialist muss also auf seinem Gebiet auch weiterhin tätig sein, will er sich so nennen. 23
18
Für besondere Aufmerksamkeit hat das „Dekra-Verfahren“ gesorgt. Die Dekra Certification GmbH und das „Deutschen Anwaltszentrum“, eine Einrichtung zweier junger Assistenten der Freien Universität Berlin, wandten sich im Oktober 2008 mit einem Werbeschreiben für eine „Dekra Zertifizierung für Juristen“ an eine Vielzahl von Rechtsanwälten, um diese für eine Teilnahme an einem Lehrgang und einem Test zu gewinnen. Nach deren Bestehen sollte der Rechtsanwalt befugt sein, ein Zertifikat zu verwenden, das sich aus dem Logo der Dekra, einem Paragrafen und der Formulierung „Zertifiziert im Arbeitsrecht gültig bis 11/2009“ zusammensetzt. Das LG Köln 24 hat diese Werbung auf Antrag zweier Fachanwälte unter dem Gesichtspunkt des § 5 UWG als wettbewerbswidrig angesehen. In der mündlichen Verhandlung vor dem OLG Köln (6 U 38/09) haben die Dekra und das DAZ die geforderte strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben. Die Kosten des Verfahrens wurden ihnen auferlegt.
19
Dem vorausgegangen war eine intensive rechtliche Diskussion. Der 6. Zivilsenat des OLG Köln vertrat die Auffassung, dass die Verwendung des Dekra-Zertifikats einen qualifizierenden Zusatz im Sinne des § 7 Abs. 1 S. 2 BORA sehe, ohne dass geprüft werde, ob praktische Erfahrungen vorlägen. Durch das Schreiben der Dekra und des Deutschen Anwaltszentrums werde eine Anstiftung zu dieser dann verbotenen Werbung geleistet.
20
Insgesamt ist die Untersagung der Werbung zutreffend. Denn mit einem „Zertifikat“ darf nur werben, wer tatsächlich besondere theoretische und praktische Erfahrungen besitzt. Denn der kundige – wenn auch z.T. flüchtige – Verbraucher geht davon aus, dass derjenige, der mit besonderer Sachkunde wirbt, diese tatsächlich auch besitzt. Und dazu gehören nicht nur theoretische sondern auch praktische Kenntnisse. 25
21
Auch die Bezeichnung als „Prädikatsanwalt“ ist nicht erlaubt, auch wenn man ein Prädikatsexamen, eine bestimmte Zulassungsdauer und einen Fachanwaltstitel nachweisen kann. Zwar kann man zweifeln, ob die Bezeichnung einen Verstoß gegen Absatz 1 S. 2 darstellt. Aber das Verbot der Bezeichnung durch das OLG Nürnberg 26 ist zu Recht erfolgt. Denn nach der hier vertretenen Auffassung setzt ein Qualifikationshinweis immer praktische und theoretische Kenntnisse voraus. Und diesen Anforderungen wird alleine das Abstellen auf die Examensnote, eine allgemeine Dauer der anwaltlichen Tätigkeit von fünf Jahren und der Erwerb eines Fachanwaltstitels nicht gerecht. 27 Es wird vielmehr der Eindruck erweckt, als gebe es eine darüber hinaus reichende Qualifikation, was gerade nicht der Fall ist. Die Bezeichnung als Prädikatsanwalt stellt dabei eine irreführende Werbung (§ 3 UWG) dar, die auch ohne Rückgriff auf § 7 Abs. 1 S. 2 BORA zu untersagen ist.
21a
Anders sieht es bei der Bezeichung als „Vorsorgeanwalt“ aus. Diese Bezeichnung, mit der sich Rechtsanwälte bezeichnen, die sich umfangreich mit den Fragen der Vorsorge z.B. bei Krankheit etc. befassen, ist erlaubt, weil sie weder gegen §§ 43b BRAO noch gegen § 7 BORA verstößt, wie der AGH NRW im zweiten Anlauf zurecht festgestellt hat. 28
22
Auch die Bezeichnung „ zertifizierter Testamentsvollstrecker“ darf nur dann geführt werden, wenn sowohl die theoretischen wie praktischen Kenntnisse vorliegen. 29 Da diese Voraussetzung bei der Verleihung der Bezeichnung vorliegen muss, ist die Verwendung nicht gestattet, wenn praktische Erfahrungen nicht nachweisbar vor bzw. bei der Verleihung gegeben sind. So ist damit die Bezeichnung „zertifizierter Testamentsvollstrecker (AGT)“ nicht erlaubt, weil praktische Erfahrungen nicht vermittelt oder geprüft werden, sondern nur eine Zulassung als Anwalt vorliegen muss. Die Rechtsprechung des BGH gilt damit für alle „Zertifikate“. Sie dürfen nur verwendet werden, wenn wirklich theoretische und praktische Erfahrungen zusammenkommen. 30
22a
Mit einer Zertifizierung nach der ISO-Norm 9001 darf geworben werden, da es sich um eine andere Form der Zertifizierung als oben dargestellt handelt. Hier werden Kanzleiabläufe überprüft und dies weiß der Verbraucher auch. 31

III. Verwechselungsgefahr und Irreführungsverbot (§ 7 Abs. 2 BORA)

23
Die Vorschrift gebietet dem Rechtsanwalt keine Bezeichnungen zu verwenden, die beim Rechtssuchenden eine Verwechselung mit dem Fachanwalt herbeiführen kann. Allerdings muss die Zuordnung der Fachanwaltsbezeichnungen zu dem Berufsträger, der die Bezeichnung führt, klar sein, also am besten beim einzelnen Kollegen stehen. Nur die allgemeine Angabe der Fachanwaltsbezeichnungen ohne eine Zuordnung führt in die Irre. 32 Zudem muss die geführte Fachanwaltsbezeichnung konkret benannt werden, sich als „Fachanwalt“ zu benennen ist irreführend. Insgesamt sind unterschiedliche Fallkonstellationen denkbar.
24
Umstritten ist die Einordnung der Bezeichnung als „ Rechtsanwalt für …“, wenn diese Bezeichnung auf einem Gebiet verwendet wird, auf dem es eine Fachanwaltschaft gibt. Entgegen der kaum begründeten Ansicht des AGH Schleswig-Holstein 33 sind solche Bezeichnungen zulässig und verstoßen nicht gegen Abs. 2. 34 Denn der Verbraucher wird hier nicht irregeführt, insbesondere wird nicht der Eindruck des Spezialisten etc. erweckt. Die Bezeichnung darf also verwandt werden.
Das Gleiche gilt auch für die Bezeichnung „Kanzlei für …“ in einem Fachanwaltsgebiet. Zu Recht hatte schon vor der jetzigen Fassung des § 7 der BGH 35 gegen die Verwendung dieser Bezeichnung mit dem Zusatz „Arbeitsrecht“ keine Bedenken.
25
Unzutreffend ist daher auch die in einem obiter dictum vom BVerfG geäußerte Auffassung, 36 dass die Verwendung der Bezeichnung „Rechtsanwälte und Steuerberatung“ stelle eine Verwechselungsgefahr mit dem Fachanwalt für Steuerrecht dar. Vielmehr darf diese Bezeichnung verwendet werden. 37 Auch die Bezeichnung als „Steuerbüro“ sieht der BGH jetzt zu Recht als zulässig an und sieht keine Verwechselungsgefahr. 38
26
Eine Verwechslungsgefahr bzw. eine Irreführungsgefahr besteht hier nur dann, wenn eine besondere – sprachliche – Nähe zur Fachanwaltschaft vorliegt. So dann, wenn in der Bezeichnung des Anwalts die Bezeichnung „ Fach“ verwendet wird. 39 Unzulässig sind natürlich auch Fantasie-Fachanwaltsbezeichungen, wie der „Fachanwalt für Markenrecht“, 40 der „Fachanwalt für Domainrecht“ 41 oder der „Fachanwalt für Bauproduktrecht“ oder aber neuen Zusammensetzungen. 42
Werben darf aber ein Rechtsanwalt, der aus welchen Gründen auch immer eine Fachanwaltsbezeichnung nicht mehr führt, mit dem Hinweis auf die früher einmal bestehende Fachanwaltsbezeichnung, etwa mit dem Hinweis „vormals Fachanwalt für …“ oder „Fachanwalt für xxx von xxx bis xxxx.“. Denn es handelt sich, wie bei dem „Notar a.D.“, um eine wahre Tatsachenbehauptung.
27
Eine Irreführungsgefahr kann sich auch dann ergeben, wenn ein „Zertifikat“ angeboten wird, dessen inhaltliche Ausrichtung aus einem Fachanwaltsgebiet (auch eines Teilgebiets) stammt. Im so genannten Dekra-Verfahren 43 begründete das vorgesehene und dann aufgrund der wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzung 44 zunächst gestoppte Zertifikat mit dem Text „Zertifiziert im Arbeitsrecht“ eine Irreführung und auch eine Verwechselungsgefahr. Denn der Rechtsverkehr geht von einer besonderen Qualifikation auf dem Gebiet des Arbeitsrechts aus, die sogar über der Qualifikation des Fachanwalts liegen kann.
28
Eine Verwechslungsgefahr besteht auch bei „geprüfter Teilnehmer“, wenn nicht ausdrücklich auf den theoretischen Charakter verwiesen wird. Denn ob die „Prüfung“ ausreicht, entscheidet die Rechtsanwaltskammer bei der Prüfung des Antrags auf Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung. Zulässig ist daher nur die – wenig werbeträchtige – Aussage etwa in dem Stil: „Geprüfter Absolvent des Spezialisierungslehrgangs Baurecht der Deutschen Anwaltsakademie 2002“. Hier wird auch das zeitliche Element festgeschrieben. Es darf auch nicht der Eindruck erweckt werden, als wäre ein vierter Fachanwaltstitel möglich. 45
29
Aber auch andere Formen der besonderen Herausstellung müssen anhand einer Irreführungs- und Verwechslungsgefahr geprüft werden. Allerdings kommt es hier auf die genaue Formulierung an. Geht es zum Beispiel ausdrücklich nur um die Fortbildung, auf die auch so hingewiesen wird und wird nicht der Eindruck der besonderen Sachkunde auf dem gesamten Gebiet erweckt, so liegt kein Verstoß gegen Absatz 1 S. 2 vor. Dies gilt etwa für das „Fortbildungssiegel“ des Deutschen Anwaltsinstitut 46 und das „ BRAK-Fortbildungs-Zertifikat“. Bei beiden „Titeln“ kann der Verbraucher im Übrigen im Internet die Grundlagen für die Verleihung nachlesen, die Irreführungsgefahr kann damit durchaus gebannt werden. Noch sicherer wäre es, wenn die Organisationen den Internetauftritt noch deutlicher – am besten im Logo – hervorheben würden.
30
Bei der Benennung als „Spezialist“ ist zu unterscheiden. Wird die Bezeichnung genau mit der Bezeichnung einer Fachanwaltschaft verwendet, so liegt darin ein Verstoß gegen Absatz 2. Denn die Bezeichnung Fachanwalt ist durch die Fachanwaltsordnung besonders geschützt. Nur wer in einer bestimmten Zeit eine bestimmte Anzahl von Fällen bearbeitet und vorher die theoretischen Kenntnisse erworben hat, darf die Bezeichnung führen und darf diese nur dann weiter führen, wenn er seiner Fortbildungspflicht nach § 15 FAO nachkommt. Diese Voraussetzungen werden von der zuständigen Rechtsanwaltskammer überprüft und überwacht. Der Rechtssuchende darf also, wenn ein Rechtsanwalt die Fachanwaltsbezeichnung führt, davon ausgehen, dass die Voraussetzungen objektiv kontrolliert vorliegen. Zu Recht wurde daher der „Spezialist für Familienrecht“ eines Kollegen, der kein Fachanwalt war, als berufsrechtswidrig angesehen 47 , auch wenn der I. Zivilsenat des BGH diese Entscheidung wieder aufgehoben hat 48 und der Anwaltssenat – s. oben Rz. 17 – eine andere Auffassung vertritt.
31
Bei einem selbsternannten Spezialisten ist dies alles nicht der Fall. Niemand überprüft die Verwendung des Begriffes, es geht hier um eine reine Selbsteinschätzung. Im Streitfall muss der Anwalt die Voraussetzungen für sein „Spezialistentum“ nachweisen. Im Sinne des Rechtsuchenden ist dies nicht. Daher ist die Verwendung der Bezeichnung im Gebiet einer Fachanwaltschaft irreführend. 49
32
Das oben Gesagte gilt auch für Teilgebiete, für die es eine Fachanwaltschaft gibt. So ist die Bezeichnung „Spezialist für Unterhaltsrecht“ unzulässig. Der Rechtssuchende kann nicht mehr unterscheiden, was die Unterschiede zwischen dem Fachanwalt für Familienrecht und dem Spezialisten für Unterhaltsrecht sind. Ungenommen ist es dabei jedem Rechtsanwalt zusätzlich zu der Bezeichnung als Fachanwalt auch noch bestimmte Rechtsgebiete zu beschreiben und damit das was die Fachanwaltschaft umfasst, anschaulich zu machen. Vertretbar ist allerdings die Auffassung, dass ein Fachanwalt eines Gebiets sich zusätzlich als Spezialist für ein Teilgebiet bezeichnen kann, wenn er tatsächlich hier besondere theoretische und praktische Kenntnisse nachweisen kann, also etwa der Fachanwalt für Arbeitsrecht als „Spezialist für Kündigungsschutzrecht“.
33
Anders sieht dies nur aus, wenn es auf dem benannten Rechtsgebiet keine Fachanwaltsbezeichnung gibt. Hier liegt es an der Satzungsversammlung Klarheit zu schaffen. Solange es aber Gebiete gibt, in denen es keine Fachanwaltschaft gibt, kann es auch keine Verwechslungs- und Irreführungsgefahr geben. Zulässig ist somit zur Zeit etwa der „Spezialist für Reiserecht“. Erst dann, wenn eine Fachanwaltschaft beschlossen wird, greift der Schutz des Absatzes 2 ein.

IV. Geltung für Berufsausübungsgemeinschaften (§ 7 Abs. 3 BORA)

34
Zu Recht erstreckt Absatz 3 die Geltung der Absätze 1 und 2 auch auf alle Formen der beruflichen Zusammenarbeit. 50
1
S. am ausführlichsten dazu Hartung/ v. Lewinski, § 7 Rz. 1 ff.
2
S. zur Geschichte ausführlich Römermann, BeckOK BORA Stand 1.12.2018, § 7 Rz. 1–43.
3
BVerfG, NJW 2004, 2656 – dazu Offermann-Burckart, NJW 2004, 2617, Quaas/ Sieben, BRAK-Mitt. 2004, 198.
4
Römermann, AnwBl. 2005, 636.
5
S. auch Offermann-Burckart, BRAK-Mitt. 2006, 154.
6
S. dazu Rz. 10 ff.
7
So auch Köhler/Bornkamm/ Köhler, UWG, 37. Aufl. 2019, § 3a UWG Rz. 1.171.
8
So deutlich Kleine-Cosack, § 7 BORA Rz. 1.
9
So auch Köhler/Bornkamm/ Köhler, UWG, 37. Aufl. 2019, § 3a UWG Rz. 1.172.
10
So auch Köhler/Bornkamm/ Köhler, UWG, 37. Aufl. 2019, § 3a UWG Rz. 1.172.
11
So schon vor der Neufassung des § 7 BORA OLG Düsseldorf, MDR 2000, 607.
12
So zu Recht Feuerich/Weyland/ Träger, § 43b Rz. 12, § 7 Rz. 12.
13
So zu allgemein Hartung/ v. Lewinski, § 7 Rz. 42.
14
Rz. 6.
15
BVerfG, NJW 2004, 2656.
16
OLG Stuttgart, NJW 2008, 1326; OLG Nürnberg, NJW 2007, 1984; LG Kiel, NJW 2006, 2496 m. zust. Anm. Huff, EWiR § 43b BRAO 1/07, 13; LG Dortmund, BRAK-Mitt. 2006, 44; LG Regensburg, NJW-RR 2004, 1044; LG Offenburg, BRAK-Mitt. 2007, 182.
17
Remmertz, NJW 2008, 266.
18
Remmertz, NJW 2008, 266.
19
BGH, WRP 2015, 340 m. Anm. Huff.
20
BGH, WRP 2017, 316 m. Anm. Huff.
21
S. dazu die Besprechungen der Entscheidung BGH, WRP 2017, 316 m. Anm. Huff durch Scharmer, NJW 2017, 671; Quaas, BRAK-Mitt. 2017, 8 (der wohl als einziger die Entscheidung des Anwaltssenats, dem er lange angehört hat, verteidigt); Offermann-Burckart, BRAK-Mitt. 2017, 10; Deckenbrock, ZAP 2017, 1099; Engelke, AnwBl. 2017, 276.
22
Die Diskrepanz versucht Quaas, BRAK-Mitt. 2017, 8 zu erklären.
23
So ist der BGH, WRP 2017, 316 Rz. 14 ff. m. Anm. Huff wohl zu verstehen.
24
BRAK-Mitt. 2009, 91.
25
Ausführlich dazu Huff, JuraCon Jahrbuch 2009/2010, S. 104 ff.
26
OLG Nürnberg, Urt. v. 13.7.2009 – 3 U 525/09.
27
S. auch Huff, JuraCon Handbuch 2009/2010, S. 104 (108 f.).
28
AGH NRW, Urt. v. 7.9.2012 – 2 AGH 29/11, NJW 2013, 318 (entgegen AGH NRW, Urt. v. 7.1.2011 – 2 AGH 36-38/10), s. dazu Kleine-Cosack, NJW 2013, 272.
29
So jetzt klar BGH, Urt. v. 9.6.2011 – I ZR 113/10 – „Zertifizierter Testamentsvollstrecker“.
30
S. dazu ausführlich Huff, in: AGT e.V. (Hrsg.), Tagungsband 2. Deutscher Testamentsvollstreckertag, Bonn, 2010, S. 37 ff.
31
Unzutreffend daher OLG Hamm, Urt. v. 31.1.2012 – 4 U 100/11, NJW-RR 2012, 734.
32
So auch zu Recht das OLG Köln, Urt. v. 4.4.2012 – 6 W 23/12, BRAK-Mitt. 2012, 132.
33
AGH Schleswig-Holstein, BRAK-Mitt. 2009, 133 m. ablehnender Bespr. Huff, BRAK-Mitt. 2009, 134.
34
So ausdrücklich Huff, BRAK-Mitt. 2009, 134.
35
BGH, BRAK-Mitt. 2001, 139. S. auch BVerfG, NJW 2001, 1926.
36
BVerfG, BRAK-Mitt. 2006, 172 m. kritischer Besprechung Huff, BRAK-Mitt. 2006, 173.
37
S. dazu AGH NRW, Urt. v. 5.11.2010 – 2 AGH 30/09 gegen BVerfG, BRAK-Mitt. 2006, 172; auch allgemein Kleine-Cosack, AnwBl. 2005, 275.
38
BGH, Urt. v. 18.10.2012 – I ZR 137/11.
39
S. dazu Huff, BRAK-Mitt. 2009, 134.
40
LG Frankfurt a.M., Urt. v. 13.1.2010 – 2-06 O 521/09, MMR 2010, 336.
41
LG Frankfurt a.M., Urt. v. 8.3.2012 – 2-03 O 437/11, NJW-RR 2012, 1395.
42
AnwG Köln, GRUR-RR 2018, 263 – „Fachanwalt im Marken-, Wettbewerbs- und Urheberrecht“.
43
S. dazu Huff, BRAK-Mitt. 2009, 165.
44
S. dazu Rz. 18.
45
S. dazu AnwG Köln, NJW-RR 2016, 1462.
46
Das DAI hat nach Diskussionen im Dekra-Verfahren auf den Begriff „Zertifikat“ verzichtet.
47
OLG Karlsruhe, Urt. v. 1.3.2013 – 4 U 120/12.
48
BGH, WRP 2015, 340 m. Anm. Huff – das zurück verwiesene Verfahren ist wohl immer noch nicht abgeschlossen.
49
Unklar und verwirrend KG, Urt. v. 27.1.2012 – 5 U 191/10, dass die Bezeichnung „Experten-Kanzlei Scheidung“ erlaubt.
50
Hartung/ v. Lewinski, § 7 Rz. 91.