Masernimpfung: Besteht eine Impfpflicht und gibt es einen Impfzwang?

19.08.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice
Impfpass,international Masern: Impfungen sind Pflicht. © Bu - Anwalt-Suchservice
Das Wichtigste in Kürze

1. Impfpflicht: Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr müssen beim Eintritt in eine staatliche Betreuungs- bzw. Schuleinrichtung nachweisen, dass sie gegen Masern geimpft sind. Gleiches gilt auch für Personal in Kitas, Schulen, medizinischen Einrichtungen etc.

2. Kein Impfzwang: Aus der Impfpflicht folgt kein Zwang zur Masernimpfung. Es drohen allerdings bestimmte Konsequenzen, wenn kein Impfnachweis vorgelegt werden kann.

3. Bußgeld: Der fehlende Nachweis der Masernimpfung kann in bestimmten Fällen ein Bußgeld nach sich ziehen.

4. Zwangsgeld: Ein Zwangsgeld zur Erzwingung der Vorlage eines Masernimpfnachweises ist unzulässig, denn dies würde faktisch zu einem Impfzwang führen.
Im Jahr 2019 hat der Bundesrat das Masernschutzgesetz gebilligt und so den Weg für die lange umstrittene gesetzliche Masern-Impfpflicht frei gemacht. Was gilt nun konkret? Beinhaltet die Impfpflicht auch einen Impfzwang? Und gibt es Ausnahmen? Was tun, wenn man vom Gesundheitsamt einen Bußgeld- oder gar Zwangsgeldbescheid erhält?

Welche Impfpflicht gibt es gegen Masern?


Seit 1. März 2020 müssen alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr beim Eintritt in die Schule oder den Kindergarten die von der Ständigen Impfkommission empfohlenen Masernimpfungen nachweisen können. Auch Kinder, die von einer Tagespflegeperson betreut werden, müssen einen Impfnachweis haben. Eine Aufnahme in der Betreuungseinrichtung darf nicht stattfinden, wenn kein Impfnachweis vorliegt.

Für Kinder und Jugendliche, die zum Stichtag schon in einer Kita untergebracht waren oder zur Schule gingen, galt zunächst eine Übergangsfrist bis zum 31.7.2021 für den Nachweis einer Masernimpfung. Diese Frist wurde bis zum 31.7.2022 verlängert. Seit 1. August 2022 müssen auch diese Kinder nun die Impfung nachweisen können, um die jeweilige Einrichtung zu besuchen. Ohne Impfnachweis kann sich die Kita weigern, das Kind zu betreuen, bei schulpflichtigen Kindern sind Bußgelder bis 2.500 Euro möglich. Wichtig: Einen Impfzwang gibt es nicht.

Diese Pflicht zur Vorlage eines Masern-Impfnachweises betrifft auch Menschen, die in Gemeinschaftseinrichtungen oder medizinischen Einrichtungen wie Arztpraxen tätig sind. Beispiele sind Erzieher, Lehrer, Tagespflegepersonen und medizinisches Personal - soweit diese Personen nach 1970 geboren sind. Auch für Beschäftigte in Gesundheits- und Gemeinschaftseinrichtungen lief zum 31.7.2022 die Übergangsfrist ab.

Eine Impfpflicht gilt außerdem für Asylbewerber und Flüchtlinge. Diese müssen den Impfschutz vier Wochen nach ihrer Aufnahme in eine Gemeinschaftsunterkunft nachweisen.

Von der Pflicht zur Masernimpfung ausgenommen sind Personen, bei denen die Impfung medizinische Probleme auslösen kann, oder die bereits Masern gehabt haben und deshalb immun sind. Beides muss durch ärztliche Bescheinigungen nachgewiesen werden.

Wie hat das Bundesverfassungsgericht zur Masernimpfpflicht entschieden?


Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Masernimpflicht für Kitakinder verfassungskonform ist. Damit wurden die Verfassungsbeschwerden mehrerer Eltern abschlägig entschieden. Das Gericht gestand den Eltern durchaus zu, dass die Impfpflicht ein Eingriff in das Grundrecht auf elterliche Sorge aus Art. 6 Grundgesetz (GG) und in das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG sei. Aber: Der Eingriff sei in diesem Fall gerechtfertigt. Vorrangig sei hier der Schutz anderer Menschen vor einer Maserninfektion. Die Impfung vieler könne die wenigen schützen, die sich nicht impfen lassen könnten - und könne obendrein zur Ausrottung der Masern insgesamt beitragen.

Das Bundesverfassungsgericht betonte, dass auch der Staat eine Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG habe und für seine Bürger eine Risikovorsorge gegen Gesundheitsgefährdungen gewährleisten müsse. Masern seien äußerst ansteckend und das Risiko eines schweren Verlaufs sei hoch. Dadurch sei das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit bei Personen in Gefahr, die sich anstecken könnten. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass die Zahl der Ausbrüche und Infektionen ohne Impfpflicht steigen würde. Diese Annahme sei ausreichend untermauert.

Die Eltern hatten sich insbesondere gegen die Impfung gewandt, weil es sich um eine Mehrfachimpfung auch gegen Mumps, Röteln und Windpocken handelt. Aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts müssen die Eltern dies jedoch in Kauf nehmen. Es ändere nichts, dass das Infektionsrisiko und das Risiko schwerer Verläufe bei den anderen Krankheiten niedriger sei.
Im konkreten Beschluss ging es nicht um Schulkinder oder um Mitarbeiter von Einrichtungen. Allerdings dürften die Erwägungen des Gerichts im Zweifel auf diese übertragbar sein (BVerfG, Beschluss vom 21.7.2022, Az. 1 BvR 469/20).

Gibt es Ausnahmen von der Ausnahmen von der Masern-Impfpflicht?


Von der Masern-Impfpflicht ausgenommen sind Personen, die

- aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können,
- eine ärztliche Bescheinigung über eine Immunität gegen Masern vorlegen können,
- vor dem 1. März 2020 geboren sind und nachweisen können, dass sie vor diesem Datum gegen Masern geimpft wurden.

Folgt aus der Pflicht zur Masernimpfung auch ein Impfzwang?


Nein. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Entscheidungsgründen (Nr. 145) klar formuliert:

"Dabei wird das Gewicht des Eingriffs in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auch dadurch abgemildert, dass die angegriffenen Maßnahmen die Freiwilligkeit der Impfentscheidung der Eltern als solche nicht aufheben und diesen damit die Ausübung der Gesundheitssorge für ihre Kinder im Grundsatz belassen. Sie ordnen keine mit Zwang durchsetzbare Impfpflicht an (vgl. auch § 28 Abs. 1 Satz 3 IfSG). Vielmehr verbleibt den für die Ausübung der Gesundheitssorge zuständigen Eltern im Ergebnis ein relevanter Freiheitsraum (vgl. zum verbleibenden Freiheitsraum auch BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 27. April 2022 - 1 BvR 2649/21 -, Rn. 209, 221, 232)..."

Jetzt kommt die entscheidende Aussage in Sachen Impfzwang: "...Sorgeberechtigte Eltern können auf eine Schutzimpfung des Kindes verzichten. Dann müssen sie allerdings den Nachteil in Kauf nehmen, dass sie eine andere Form der Kinderbetreuung (bspw. in der nicht erlaubnispflichtigen Tagespflege) finden müssen."

Wie hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden?


Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im April 2021 zur Masernimpfpflicht entschieden. Dabei ging es um einen Fall aus Tschechien. Dort besteht - anders als bei uns - eine generelle Impfpflicht gegen insgesamt neun Krankheiten, einschließlich Diphterie, Tetanus, Keuchhusten, Kinderlähmung, Röteln, Masern und Mumps. Kitas können ungeimpfte Kinder abweisen, ihren Eltern kann die Zahlung eines Bußgelds auferlegt werden. Dagegen hatten mehrere Parteien vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt.

Das Gericht hat entschieden: Grundsätzlich dürfen EU-Länder eine Impfpflicht einführen. Hier gibt es einen großen Ermessensspielraum der einzelnen Staaten. Zwar stelle eine Impfung einen Eingriff in den Körper dar. Eine solche Regelung sei jedoch gerechtfertigt, weil der Staat eben auch für die Gesundheit seiner Bürger zu sorgen habe. Rechtlich zweifelhaft sei höchstens eine Impfung mit körperlichem Zwang, die es in Tschechien aber nicht gibt. Die fehlende Impfung verhindere dort nur den Kita-Besuch und könne zu einem Bußgeld führen. Insgesamt sei die Regelung angemessen. Sie diene dazu, Kinder vor ernsthaften gesundheitlichen Risiken zu schützen. Damit liege kein Verstoß gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens vor (Urteil vom 8.4.2021, Az. 47621/13 u.a.).

Warum sind Masern gefährlich?


Die Krankheit betrifft zwar vor allem Kinder und jüngere Menschen, aber auch ältere können sich anstecken. Gefährlich wird die Erkrankung besonders, wenn es zu Komplikationen kommt. Dies können zum Beispiel eine Mittelohrentzündung oder eine Lungenentzündung sein. Auch zu schwerem Durchfall kann es kommen, der für Dehydrierung sorgt und den Organismus zusätzlich schwächt.
In einem von tausend Fällen kommt es durch Masern zu einer Hirnhautentzündung, der sogenannten Masern-Enzephalitis. Diese kann noch Jahre nach der Masern-Erkrankung auftreten. Folge können schwere Gehirnschäden und Behinderungen sein, jeder fünfte Fall ist tödlich.

Warum lehnen Eltern die Masernimpfung teilweise ab?


Eltern, die die Masernimpfung ablehnen, befürchten Nebenwirkungen der Impfung. Teilweise wird auch die Ansicht vertreten, dass ein Kind stärkere Abwehrkräfte entwickelt, wenn es die Krankheit durchmacht. Mediziner sind jedoch der Ansicht, dass die Abwehrkräfte nicht stärker werden, wenn jemand eine Masernerkrankung durchmacht.

Wie erfolgt der Nachweis über die Masernimpfung?


Die Impfung kann durch den Impfausweis oder das gelbe Kinderuntersuchungsheft nachgewiesen werden. Bei bereits erlittener Krankheit ist auch ein ärztliches Attest möglich. Dieser Nachweis ist gegenüber dem Leiter der jeweiligen Einrichtung wie Schule oder Kita zu erbringen.

Bei einem Wechsel kann die zuvor besuchte Einrichtung der neuen bestätigen, dass ihr ein Impfnachweis vorgelegen hat. Dies ist dann ausreichend.

Die Nachweispflicht gilt auch für Mitarbeiter in den entsprechenden Einrichtungen.

Darf das Gesundheitsamt ein Zwangsgeld zum Nachweis der Masernimpfung androhen?


Ein Zwangsgeld unterscheidet sich von einem Bußgeld. Ein Bußgeld kann als Sanktion für eine Ordnungswidrigkeit verhängt werden, z.B. dafür, dass Eltern ihr Kind trotz mangelnder Masernimpfung in den Kindergarten schicken. Ein Zwangsgeld dient hingegen dazu, die Erfüllung einer bestimmten Handlung, hier also der Beibringung des Nachweises einer Masernimpfung, zu erzwingen.

Einige Gesundheitsämter verschicken an Eltern, die ihr Kind nicht gegen Masern impfen lassen, Bescheide, in denen sie bis zu einem bestimmten Zeitpunkt den Nachweis der Masernimpfung fordern. Für den Fall, dass dies nicht geschieht, wird ein Zwangsgeld angedroht; im ersten Bescheid oft 500 Euro. Dies kann auch mehrmals nacheinander geschehen, wobei je weiterem Bescheid das Zwangsgeld erhöht wird.

Dieses Vorgehen der Gesundheitsämter ist jedoch rechtlich umstritten. Nachdem mehrere Verwaltungsgerichte keine Bedenken gegen diese Praxis hatten, so zuletzt das VG Berlin, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Falle eines Schulkindes beschlossen, dass die Androhung eines Zwangsgeldes zur Erzwingung des Nachweises der Masernimpfung unzulässig sei (21.09.2023 – 20 CS 23.1432).

Eltern sollten sich unverzüglich an einen spezialisierten Anwalt wenden, wenn sie einen solchen Bescheid vom Gesundheitsamt erhalten. Einspruchsfristen sind unbedingt einzuhalten, um gegen den Bescheid vorgehen zu können.

Kein Nachweis der Masernimpfung: Wann droht ein Bußgeld?


Kinder, die nicht geimpft sind, können vom Besuch des Kindergartens bzw. der Kita ausgeschlossen werden. Eltern, die ihre Kinder ohne Impfung in die Kita oder Schule geben, handeln ordnungswidrig und müssen mit einem Bußgeld bis zu 2.500 Euro rechnen.

Schulpflichtige Kinder können vom Schulbesuch dagegen nicht ausgeschlossen werden. Allerdings ist die Schule zur Meldung an das Gesundheitsamt verpflichtet und das kann dann Bußgelder (keine Zwangsgelder, siehe oben) verhängen.

Bußgelder können übrigens auch gegen nicht geimpftes Personal in Gemeinschaftseinrichtungen, Gesundheitseinrichtungen und Asylbewerberunterkünften und gegen nicht geimpfte Bewohner solcher Unterkünfte verhängt werden. Personal, das nicht geimpft ist, darf in Kitas und anderen Gemeinschaftseinrichtungen nicht tätig werden.

Wer einen Bußgeldbescheid wegen mangelnden Nachweises der Masernimpfung erhält, der muss zur Wahrung seiner Rechte unbedingt fristgerecht Einspruch einlegen, am besten mit Hilfe eines spezialisierten Anwalts.

Praxistipp zur Masernimpfung


Haben Sie einen Bescheid über ein Zwangsgeld bzw. Bußgeld erhalten, oder verweigerte die Kita die Aufnahme Ihres Kindes, kann Ihnen ein Fachanwalt für Verwaltungsrecht mit Rat und Tat zur Seite stehen.

(Bu)


 Stephan Buch
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