Arbeitgeber pleite – was gilt für Kündigungen in der Insolvenz?
04.08.2020, Redaktion Anwalt-Suchservice
© Bu - Anwalt-Suchservice Die Coronakrise bringt viele Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten. In welchem Ausmaß es tatsächlich zu Insolvenzen kommen wird, ist noch unklar. Manches Unternehmen wird jedoch die Situation nicht überstehen.
Arbeitnehmer stellen sich einige Fragen: Reicht die Insolvenz allein als Kündigungsgrund? Gelten die gleichen Voraussetzungen für eine Kündigung, wie sonst auch? Welche Rolle spielt eigentlich der Insolvenzverwalter? Tatsächlich gibt es bei einer Kündigung während des Insolvenzverfahrens einige Besonderheiten. Vielleicht gibt es aber für das Arbeitsverhältnis auch noch Hoffnung. Denn: Eine Insolvenz muss weder für den Betrieb, noch für das Arbeitsverhältnis das Ende bedeuten. In vielen Fällen kann eine Lösung gefunden werden.
Bleibt der Arbeitslohn aus, sollten sich betroffene Arbeitnehmer erst einmal höflich bei der Lohnbuchhaltung oder dem Vorgesetzten nach dem Grund erkundigen. Gerüchte über eine bevorstehende Insolvenz entstehen schnell, müssen aber nicht der Wahrheit entsprechen. Hier gilt zunächst: Ruhe bewahren.
Kann das Problem nicht geklärt werden, sollte der Rückstand an Lohn - oder auch variablen Gehaltsteilen - schriftlich angemahnt werden. Hilft auch dies nicht, ist dann im nächsten Schritt eine Klage vor dem Arbeitsgericht möglich. Achtung: Manche Arbeitsverträge enthalten Ausschlussfristen, nach denen Ansprüche nur innerhalb einer kurzen Frist geltend gemacht werden können.
Von einer Arbeitsverweigerung ist zunächst abzuraten. Erst, wenn der Zahlungsrückstand zwei volle Monatsgehälter erreicht hat, wird Arbeitnehmern ein Zurückbehaltungsrecht für ihre Arbeitsleistung zugestanden. Übrigens zahlt die Agentur für Arbeit in diesem Fall Arbeitslosengeld als sogenannte "Gleichwohlgewährung", trotz weiter bestehendem Arbeitsverhältnis. Vor einer Arbeitsverweigerung sollte jedoch anwaltlicher Rat eingeholt werden, um eine Kündigung aus eben diesem Grund zu vermeiden.
Problematischer wird es jedoch, wenn das Unternehmen tatsächlich zahlungsunfähig ist und ein Insolvenzverfahren eingeleitet wird. Bleiben aus diesem Grund die Lohnzahlungen aus, sollten Arbeitnehmer bei der Arbeitsagentur Insolvenzgeld beantragen. Dieses gibt es für die letzten drei Monate vor Insolvenzeröffnung. Nur: Wie geht es jetzt mit dem Arbeitsverhältnis weiter?
Von einer Insolvenz ist die Rede, wenn ein Unternehmen zahlungsunfähig ist oder ihm zumindest die Zahlungsunfähigkeit droht. Diese wird durch eine Überschuldung verursacht. In Deutschland kommt es - auch ohne Corona - durchschnittlich zu 25.000 bis 30.000 Unternehmensinsolvenzen pro Jahr.
Unter bestimmten Voraussetzungen muss ein Unternehmen laut Gesetz die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragen. Beispielsweise dann, wenn Zahlungsunfähigkeit droht, der Betrieb also seine Rechnungen nicht mehr bezahlen kann. Wird der Antrag zu spät gestellt, weil noch Rettungsversuche laufen, droht den Verantwortlichen im Unternehmen ein Strafverfahren. Einen Insolvenzantrag kann jedoch durchaus auch ein Gläubiger stellen, zum Beispiel ein unbezahlter Lieferant.
Die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens trifft das Insolvenzgericht. Wird es eröffnet, bestellt das Gericht einen Insolvenzverwalter. Dieser hat dafür zu sorgen, dass die Gläubiger des Unternehmens soweit möglich befriedigt werden. In allen wichtigen Fragen des Unternehmens hat nun der Insolvenzverwalter das Sagen.
Ein Insolvenzverfahren kann mit der Stilllegung des Betriebes enden, muss es aber nicht. Auch eine Sanierung oder ein Verkauf des Unternehmens sind möglich. Auch für Verbraucher gibt es ein Insolvenzverfahren. Die Regeln für eine Privatinsolvenz unterscheiden sich jedoch deutlich von denen für eine Unternehmensinsolvenz.
Natürlich kann die beabsichtigte Stilllegung eines Betriebes ein Grund für eine betriebsbedingte Kündigung sein. Aber: Das Insolvenzverfahren allein stellt noch keinen ausreichenden Kündigungsgrund dar. Dies hat das Bundesarbeitsgericht bestätigt (Urteil vom 29.9.2005, Az. 8 AZR 647/04). In diesem Fall war einem Arbeitnehmer während des Insolvenzverfahrens gekündigt worden, obwohl bereits ein Angebot von einem anderen Unternehmen vorlag, welches den Betrieb übernehmen und weiterführen wollte. Das Bundesarbeitsgericht sah die Kündigung als unwirksam an.
Auch Auftragsmangel kann eine betriebsbedingte Kündigung begründen. Aber: Zuvor muss der Betrieb alle Möglichkeiten der Arbeitszeitreduzierung ausgeschöpft haben – zum Beispiel Kurzarbeit. Es ist nicht zulässig, einem Arbeitnehmer wegen Auftragsmangel zu kündigen, während der Rest schon Kurzarbeit schiebt. Auch dies hat das Bundesarbeitsgericht entschieden (Urteil vom 23.02.2012, Az. 2 AZR 548/10).
Häufig wird bereits vor der Entscheidung über den Insolvenzantrag ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt. Man unterscheidet hier zwischen einem „schwachen“ und einem „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter. Ein „schwacher“ Insolvenzverwalter ist nur mit begrenzten Befugnissen ausgestattet. Ein „starker“ dagegen hat die Befugnisse des Arbeitgebers und kann daher auch Einstellungen oder Kündigungen vornehmen.
Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens spielt diese Unterscheidung keine Rolle mehr. Der Insolvenzverwalter allein darf jetzt über das Vermögen des Betriebes verfügen und Kündigungen oder Einstellungen durchführen.
Der Betriebsrat und der Insolvenzverwalter können sich auf einen Interessenausgleich einigen und gemeinsam eine Liste von Arbeitnehmern aufstellen, denen betriebsbedingt gekündigt wird. Wenn sich der Betriebsrat auf eine solche Vereinbarung einlässt, kann man die sogenannte Sozialauswahl bei der Kündigung gerichtlich nur noch sehr eingeschränkt überprüfen lassen (§ 125 Abs. 1 Insolvenzordnung).
Grundsätzlich gelten die gesetzlichen Regeln zum Kündigungsschutz weiter. Das bedeutet: Hat der Betrieb mehr als zehn vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer, gilt das Kündigungsschutzgesetz. Dessen Regeln muss auch der Insolvenzverwalter einhalten.
Arbeitnehmern, die seit mindestens sechs Monaten im Betrieb arbeiten, kann nach dem Kündigungsschutzgesetz nur unter bestimmten Voraussetzungen gekündigt werden. Dazu gehört bei einer betriebsbedingten Kündigung eine nachvollziehbare Sozialauswahl: Zuerst ist dem zu kündigen, der dies von Alter und Lebensumständen her am besten verkraftet und der die besten Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat.
Für eine Kündigung wegen Fehlverhaltens ist in der Regel eine vorherige erfolglose Abmahnung nötig. Generell ist für jede Kündigung die Schriftform vorgeschrieben.
Gibt es im Unternehmen einen Betriebsrat, ist dieser vor jeder Kündigung anzuhören. Er hat in einigen Fällen sogar ein Widerspruchsrecht (§ 102 Betriebsverfassungsgesetz).
Besonderheiten in der Insolvenz: Das Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters hat Vorrang vor einem im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag vereinbarten Ausschluss der Kündigung in bestimmten Fällen oder einer vereinbarten festen Dauer des Arbeitsvertrages. Dann darf der Insolvenzverwalter also trotzdem kündigen.
Der Insolvenzverwalter muss eine besondere Kündigungsfrist einhalten. Diese beträgt grundsätzlich längstens drei Monate zum Monatsende (§ 113 Insolvenzordnung). Daran ändert auch eine längere Kündigungsfrist aus dem Arbeits- oder Tarifvertrag nichts.
Massenentlassungen muss der Insolvenzverwalter bei der Agentur für Arbeit anzeigen. Sonst sind die entsprechenden Kündigungen unwirksam. Eine Massenentlassung liegt vor, wenn innerhalb von 30 Tagen ein bestimmter Prozentsatz aller Arbeitnehmer die Kündigung bekommt. Beispiel: In einem Betrieb mit 60 bis 499 Arbeitnehmern zehn Prozent oder mehr als 25 Arbeitnehmer.
Im Falle der Stilllegung des Betriebes darf den Arbeitnehmern gekündigt werden (BAG, Urteil vom 18.1.2001, Az. 2 AZR 514/99). Dazu muss der Insolvenzverwalter einen entsprechenden Beschluss fassen und diesen konsequent umsetzen.
Was nicht geht: Der Insolvenzverwalter darf nicht nach verkündeter Stilllegung Mitarbeiter entlassen und trotzdem noch über einen Betriebsverkauf verhandeln (LAG Köln, Urteil vom 22.3.2011, Az. 12 Sa 886/10).
Auch ein Insolvenzverwalter kann Änderungskündigungen durchführen, um zum Beispiel die Personalausgaben zu verringern. Bevor es ans Kündigen geht, sollte aber ein ausführlicher Sanierungsplan vorliegen, aus dem hervorgeht, dass der Betrieb tatsächlich durch niedrigere Löhne gerettet werden kann. Ansonsten können Änderungskündigungen unwirksam sein (BAG, Urteil vom 26.6.2008, Az. 2 AZR 139/07).
Hier bietet sich eine Kündigungsschutzklage an. Diese muss man innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung beim Arbeitsgericht einreichen (§ 4 Kündigungsschutzgesetz). Aber Vorsicht: Im laufenden Insolvenzverfahren muss in aller Regel nicht der Arbeitgeber verklagt werden, sondern der Insolvenzverwalter (BAG, Urteil vom 21.11.2013, Az. 6 AZR 979/11).
Lohnansprüche aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung sind sogenannte Insolvenzforderungen. Diese werden nicht einfach bezahlt, sondern müssen beim Insolvenzverwalter zur Insolvenztabelle angemeldet werden. Ist irgendwann nach Abschluss des Insolvenzverfahrens noch Geld übrig, wird es nach einer Quote unter allen Tabellen-Gläubigern verteilt. Da winkt in der Regel kein großer Geldsegen.
Anders behandelt werden Lohnforderungen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen. Man nennt sie auch Masseforderungen, weil sie bevorrechtigt aus der Insolvenzmasse bezahlt werden müssen. Der Insolvenzverwalter muss also in voller Höhe bezahlen.
Aber: Dieses Vorrecht fällt weg, sobald der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht meldet, dass Massearmut vorliegt. Das bedeutet: Es ist zu wenig Insolvenzmasse übrig, um alle Masseforderungen zu begleichen.
In diesem Fall wird vom Insolvenzverwalter erwartet, dass er entsprechend handelt und Arbeitnehmern, die er nicht mehr bezahlen kann, dann auch kündigt. Dies muss er zum nächstmöglichen Termin tun (mit dreimonatiger Frist). Andernfalls entstehen neue Lohnforderungen, die wieder als bevorrechtigte Masseverbindlichkeiten gelten.
Bevorrechtigt zu bezahlende Masseverbindlichkeiten entstehen auch nach Erklärung der Massearmut noch:
- Wenn der Insolvenzverwalter tatsächlich Arbeitsleistungen von Arbeitnehmern in Anspruch nimmt (also nicht nur der Arbeitsvertrag weiter läuft),
- wenn der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Massearmut nicht rechtzeitig oder nicht wirksam kündigt. Dies betrifft alle Lohnansprüche, die nach dem frühestmöglichen Termin entstehen, zu dem der Insolvenzverwalter hätte kündigen können - also drei Monate nach Erklärung der Massearmut. Wenn also nach diesem Zeitpunkt noch Arbeitsverhältnisse laufen – auch von freigestellten Arbeitnehmern – müssen auch Arbeitslöhne bezahlt werden.
Vor dem Bundesarbeitsgericht war 2018 eine Drogerie-Verkäuferin erfolgreich. Sie klagte einen fünfstelligen Betrag ein, weil der Insolvenzverwalter ihr nicht rechtzeitig wirksam gekündigt hatte (Urteil vom 22.2.2018, Az. 6 AZR 868/16). Die maßgebliche gesetzliche Regelung ist § 209 Abs. 2 der Insolvenzordnung.
Auch in der Insolvenz können Arbeitnehmer sich gegen eine Kündigung zur Wehr setzen und deren Unwirksamkeit geltend machen. Ebenso sind erfolgreiche Klagen gegen den Insolvenzverwalter auf Lohnansprüche möglich. Allerdings ist eine Beratung durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht dringend zu empfehlen.
Die Folgen der Coronakrise bekommt die Wirtschaft deutlich zu spüren. Aber auch im "Normalbetrieb" gehen Unternehmen pleite. Was müssen Arbeitnehmer zur Kündigung in der Insolvenz wissen?
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Der Chef zahlt nicht - was tun? Was ist überhaupt eine Insolvenz? Ist die Insolvenz ein Kündigungsgrund? Welche Rolle spielt der Insolvenzverwalter? Welchen Kündigungsschutz habe ich in der Insolvenz? Welche Regeln gelten bei einer Betriebsstilllegung? Wann sind Änderungskündigungen erlaubt? Was kann ich als Arbeitnehmer gegen die Kündigung tun? Was passiert mit meinen Lohnansprüchen? Praxistipp Arbeitnehmer stellen sich einige Fragen: Reicht die Insolvenz allein als Kündigungsgrund? Gelten die gleichen Voraussetzungen für eine Kündigung, wie sonst auch? Welche Rolle spielt eigentlich der Insolvenzverwalter? Tatsächlich gibt es bei einer Kündigung während des Insolvenzverfahrens einige Besonderheiten. Vielleicht gibt es aber für das Arbeitsverhältnis auch noch Hoffnung. Denn: Eine Insolvenz muss weder für den Betrieb, noch für das Arbeitsverhältnis das Ende bedeuten. In vielen Fällen kann eine Lösung gefunden werden.
Der Chef zahlt nicht - was tun?
Bleibt der Arbeitslohn aus, sollten sich betroffene Arbeitnehmer erst einmal höflich bei der Lohnbuchhaltung oder dem Vorgesetzten nach dem Grund erkundigen. Gerüchte über eine bevorstehende Insolvenz entstehen schnell, müssen aber nicht der Wahrheit entsprechen. Hier gilt zunächst: Ruhe bewahren.
Kann das Problem nicht geklärt werden, sollte der Rückstand an Lohn - oder auch variablen Gehaltsteilen - schriftlich angemahnt werden. Hilft auch dies nicht, ist dann im nächsten Schritt eine Klage vor dem Arbeitsgericht möglich. Achtung: Manche Arbeitsverträge enthalten Ausschlussfristen, nach denen Ansprüche nur innerhalb einer kurzen Frist geltend gemacht werden können.
Von einer Arbeitsverweigerung ist zunächst abzuraten. Erst, wenn der Zahlungsrückstand zwei volle Monatsgehälter erreicht hat, wird Arbeitnehmern ein Zurückbehaltungsrecht für ihre Arbeitsleistung zugestanden. Übrigens zahlt die Agentur für Arbeit in diesem Fall Arbeitslosengeld als sogenannte "Gleichwohlgewährung", trotz weiter bestehendem Arbeitsverhältnis. Vor einer Arbeitsverweigerung sollte jedoch anwaltlicher Rat eingeholt werden, um eine Kündigung aus eben diesem Grund zu vermeiden.
Problematischer wird es jedoch, wenn das Unternehmen tatsächlich zahlungsunfähig ist und ein Insolvenzverfahren eingeleitet wird. Bleiben aus diesem Grund die Lohnzahlungen aus, sollten Arbeitnehmer bei der Arbeitsagentur Insolvenzgeld beantragen. Dieses gibt es für die letzten drei Monate vor Insolvenzeröffnung. Nur: Wie geht es jetzt mit dem Arbeitsverhältnis weiter?
Was ist überhaupt eine Insolvenz?
Von einer Insolvenz ist die Rede, wenn ein Unternehmen zahlungsunfähig ist oder ihm zumindest die Zahlungsunfähigkeit droht. Diese wird durch eine Überschuldung verursacht. In Deutschland kommt es - auch ohne Corona - durchschnittlich zu 25.000 bis 30.000 Unternehmensinsolvenzen pro Jahr.
Unter bestimmten Voraussetzungen muss ein Unternehmen laut Gesetz die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragen. Beispielsweise dann, wenn Zahlungsunfähigkeit droht, der Betrieb also seine Rechnungen nicht mehr bezahlen kann. Wird der Antrag zu spät gestellt, weil noch Rettungsversuche laufen, droht den Verantwortlichen im Unternehmen ein Strafverfahren. Einen Insolvenzantrag kann jedoch durchaus auch ein Gläubiger stellen, zum Beispiel ein unbezahlter Lieferant.
Die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens trifft das Insolvenzgericht. Wird es eröffnet, bestellt das Gericht einen Insolvenzverwalter. Dieser hat dafür zu sorgen, dass die Gläubiger des Unternehmens soweit möglich befriedigt werden. In allen wichtigen Fragen des Unternehmens hat nun der Insolvenzverwalter das Sagen.
Ein Insolvenzverfahren kann mit der Stilllegung des Betriebes enden, muss es aber nicht. Auch eine Sanierung oder ein Verkauf des Unternehmens sind möglich. Auch für Verbraucher gibt es ein Insolvenzverfahren. Die Regeln für eine Privatinsolvenz unterscheiden sich jedoch deutlich von denen für eine Unternehmensinsolvenz.
Ist die Insolvenz ein Kündigungsgrund?
Natürlich kann die beabsichtigte Stilllegung eines Betriebes ein Grund für eine betriebsbedingte Kündigung sein. Aber: Das Insolvenzverfahren allein stellt noch keinen ausreichenden Kündigungsgrund dar. Dies hat das Bundesarbeitsgericht bestätigt (Urteil vom 29.9.2005, Az. 8 AZR 647/04). In diesem Fall war einem Arbeitnehmer während des Insolvenzverfahrens gekündigt worden, obwohl bereits ein Angebot von einem anderen Unternehmen vorlag, welches den Betrieb übernehmen und weiterführen wollte. Das Bundesarbeitsgericht sah die Kündigung als unwirksam an.
Auch Auftragsmangel kann eine betriebsbedingte Kündigung begründen. Aber: Zuvor muss der Betrieb alle Möglichkeiten der Arbeitszeitreduzierung ausgeschöpft haben – zum Beispiel Kurzarbeit. Es ist nicht zulässig, einem Arbeitnehmer wegen Auftragsmangel zu kündigen, während der Rest schon Kurzarbeit schiebt. Auch dies hat das Bundesarbeitsgericht entschieden (Urteil vom 23.02.2012, Az. 2 AZR 548/10).
Welche Rolle spielt der Insolvenzverwalter?
Häufig wird bereits vor der Entscheidung über den Insolvenzantrag ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt. Man unterscheidet hier zwischen einem „schwachen“ und einem „starken“ vorläufigen Insolvenzverwalter. Ein „schwacher“ Insolvenzverwalter ist nur mit begrenzten Befugnissen ausgestattet. Ein „starker“ dagegen hat die Befugnisse des Arbeitgebers und kann daher auch Einstellungen oder Kündigungen vornehmen.
Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens spielt diese Unterscheidung keine Rolle mehr. Der Insolvenzverwalter allein darf jetzt über das Vermögen des Betriebes verfügen und Kündigungen oder Einstellungen durchführen.
Der Betriebsrat und der Insolvenzverwalter können sich auf einen Interessenausgleich einigen und gemeinsam eine Liste von Arbeitnehmern aufstellen, denen betriebsbedingt gekündigt wird. Wenn sich der Betriebsrat auf eine solche Vereinbarung einlässt, kann man die sogenannte Sozialauswahl bei der Kündigung gerichtlich nur noch sehr eingeschränkt überprüfen lassen (§ 125 Abs. 1 Insolvenzordnung).
Welchen Kündigungsschutz habe ich in der Insolvenz?
Grundsätzlich gelten die gesetzlichen Regeln zum Kündigungsschutz weiter. Das bedeutet: Hat der Betrieb mehr als zehn vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer, gilt das Kündigungsschutzgesetz. Dessen Regeln muss auch der Insolvenzverwalter einhalten.
Arbeitnehmern, die seit mindestens sechs Monaten im Betrieb arbeiten, kann nach dem Kündigungsschutzgesetz nur unter bestimmten Voraussetzungen gekündigt werden. Dazu gehört bei einer betriebsbedingten Kündigung eine nachvollziehbare Sozialauswahl: Zuerst ist dem zu kündigen, der dies von Alter und Lebensumständen her am besten verkraftet und der die besten Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat.
Für eine Kündigung wegen Fehlverhaltens ist in der Regel eine vorherige erfolglose Abmahnung nötig. Generell ist für jede Kündigung die Schriftform vorgeschrieben.
Gibt es im Unternehmen einen Betriebsrat, ist dieser vor jeder Kündigung anzuhören. Er hat in einigen Fällen sogar ein Widerspruchsrecht (§ 102 Betriebsverfassungsgesetz).
Besonderheiten in der Insolvenz: Das Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters hat Vorrang vor einem im Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag vereinbarten Ausschluss der Kündigung in bestimmten Fällen oder einer vereinbarten festen Dauer des Arbeitsvertrages. Dann darf der Insolvenzverwalter also trotzdem kündigen.
Der Insolvenzverwalter muss eine besondere Kündigungsfrist einhalten. Diese beträgt grundsätzlich längstens drei Monate zum Monatsende (§ 113 Insolvenzordnung). Daran ändert auch eine längere Kündigungsfrist aus dem Arbeits- oder Tarifvertrag nichts.
Massenentlassungen muss der Insolvenzverwalter bei der Agentur für Arbeit anzeigen. Sonst sind die entsprechenden Kündigungen unwirksam. Eine Massenentlassung liegt vor, wenn innerhalb von 30 Tagen ein bestimmter Prozentsatz aller Arbeitnehmer die Kündigung bekommt. Beispiel: In einem Betrieb mit 60 bis 499 Arbeitnehmern zehn Prozent oder mehr als 25 Arbeitnehmer.
Welche Regeln gelten bei einer Betriebsstilllegung?
Im Falle der Stilllegung des Betriebes darf den Arbeitnehmern gekündigt werden (BAG, Urteil vom 18.1.2001, Az. 2 AZR 514/99). Dazu muss der Insolvenzverwalter einen entsprechenden Beschluss fassen und diesen konsequent umsetzen.
Was nicht geht: Der Insolvenzverwalter darf nicht nach verkündeter Stilllegung Mitarbeiter entlassen und trotzdem noch über einen Betriebsverkauf verhandeln (LAG Köln, Urteil vom 22.3.2011, Az. 12 Sa 886/10).
Wann sind Änderungskündigungen erlaubt?
Auch ein Insolvenzverwalter kann Änderungskündigungen durchführen, um zum Beispiel die Personalausgaben zu verringern. Bevor es ans Kündigen geht, sollte aber ein ausführlicher Sanierungsplan vorliegen, aus dem hervorgeht, dass der Betrieb tatsächlich durch niedrigere Löhne gerettet werden kann. Ansonsten können Änderungskündigungen unwirksam sein (BAG, Urteil vom 26.6.2008, Az. 2 AZR 139/07).
Was kann ich als Arbeitnehmer gegen die Kündigung tun?
Hier bietet sich eine Kündigungsschutzklage an. Diese muss man innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung beim Arbeitsgericht einreichen (§ 4 Kündigungsschutzgesetz). Aber Vorsicht: Im laufenden Insolvenzverfahren muss in aller Regel nicht der Arbeitgeber verklagt werden, sondern der Insolvenzverwalter (BAG, Urteil vom 21.11.2013, Az. 6 AZR 979/11).
Was passiert mit meinen Lohnansprüchen?
Lohnansprüche aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung sind sogenannte Insolvenzforderungen. Diese werden nicht einfach bezahlt, sondern müssen beim Insolvenzverwalter zur Insolvenztabelle angemeldet werden. Ist irgendwann nach Abschluss des Insolvenzverfahrens noch Geld übrig, wird es nach einer Quote unter allen Tabellen-Gläubigern verteilt. Da winkt in der Regel kein großer Geldsegen.
Anders behandelt werden Lohnforderungen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen. Man nennt sie auch Masseforderungen, weil sie bevorrechtigt aus der Insolvenzmasse bezahlt werden müssen. Der Insolvenzverwalter muss also in voller Höhe bezahlen.
Aber: Dieses Vorrecht fällt weg, sobald der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht meldet, dass Massearmut vorliegt. Das bedeutet: Es ist zu wenig Insolvenzmasse übrig, um alle Masseforderungen zu begleichen.
In diesem Fall wird vom Insolvenzverwalter erwartet, dass er entsprechend handelt und Arbeitnehmern, die er nicht mehr bezahlen kann, dann auch kündigt. Dies muss er zum nächstmöglichen Termin tun (mit dreimonatiger Frist). Andernfalls entstehen neue Lohnforderungen, die wieder als bevorrechtigte Masseverbindlichkeiten gelten.
Bevorrechtigt zu bezahlende Masseverbindlichkeiten entstehen auch nach Erklärung der Massearmut noch:
- Wenn der Insolvenzverwalter tatsächlich Arbeitsleistungen von Arbeitnehmern in Anspruch nimmt (also nicht nur der Arbeitsvertrag weiter läuft),
- wenn der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Massearmut nicht rechtzeitig oder nicht wirksam kündigt. Dies betrifft alle Lohnansprüche, die nach dem frühestmöglichen Termin entstehen, zu dem der Insolvenzverwalter hätte kündigen können - also drei Monate nach Erklärung der Massearmut. Wenn also nach diesem Zeitpunkt noch Arbeitsverhältnisse laufen – auch von freigestellten Arbeitnehmern – müssen auch Arbeitslöhne bezahlt werden.
Vor dem Bundesarbeitsgericht war 2018 eine Drogerie-Verkäuferin erfolgreich. Sie klagte einen fünfstelligen Betrag ein, weil der Insolvenzverwalter ihr nicht rechtzeitig wirksam gekündigt hatte (Urteil vom 22.2.2018, Az. 6 AZR 868/16). Die maßgebliche gesetzliche Regelung ist § 209 Abs. 2 der Insolvenzordnung.
Praxistipp
Auch in der Insolvenz können Arbeitnehmer sich gegen eine Kündigung zur Wehr setzen und deren Unwirksamkeit geltend machen. Ebenso sind erfolgreiche Klagen gegen den Insolvenzverwalter auf Lohnansprüche möglich. Allerdings ist eine Beratung durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht dringend zu empfehlen.
(Bu)