Arbeitsrecht: Wann ist eine verhaltensbedingte Kündigung zulässig?

02.09.2025, Redaktion Anwalt-Suchservice
verhaltensbedingt,Kündigung,fristlos,Abmahnung Eine verhaltensbedingte Kündigung setzt oft eine Abmahnung voraus. © Bu - Anwalt-Suchservice
Das Wichtigste in Kürze

1. Kündigungsgrund: Eine verhaltensbedingte Kündigung kann wegen der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten, aber auch eines Verhaltens, welches das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber oder das Betriebsklima empfindlich stört, gerechtfertigt sein.

2. Verhalten in der Freizeit: Nur ausnahmsweise, wenn das beanstandete Freizeitverhalten ernsthafte Zweifel an der Eignung oder Zuverlässigkeit des Arbeitnehmers rechtfertigt, kann eine Kündigung zulässig sein.

3. Verhältnismäßigkeit: Bei einer verhaltensbedingten Kündigung sind das Ausmaß der betrieblichen Störung gegen die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das bisherige Verhalten, das Alter und die Chancen des Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt gegeneinander abzuwägen.
In einem Betrieb gilt das Kündigungsschutzgesetz, wenn dieser im Durchschnitt mehr als zehn Beschäftigte hat. Dann darf der Arbeitgeber nur mit einem der im Kündigungsschutzgesetz genannten Gründe kündigen. Sonst ist die Kündigung unwirksam. Zu den zulässigen Kündigungsgründen gehört auch ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers, mit dem dieser den Arbeitsvertrag verletzt oder das Vertrauensverhältnis zum Chef erheblich stört. Das Verhalten des Arbeitnehmers muss von ihm selbst steuerbar sein. Es darf sich also nicht beispielsweise um einen Arbeits- oder Leistungsausfall infolge einer Erkrankung handeln.

Welches Verhalten führt zu einer verhaltensbedingten Kündigung?


Eine verhaltensbedingte Kündigung kann zunächst einmal wegen einer Verletzung einfacher arbeitsvertraglicher Pflichten erfolgen. Beispiele dafür sind wiederholtes Zuspätkommen, Arbeitsverweigerung einschließlich Krankfeiern oder Selbstbeurlaubens, schlechte Leistungen wegen Faulheit, private Telefonate am Arbeitsplatz, unerlaubte private Internetnutzung.

Wichtig: Die Pflichten eines Arbeitnehmers gehen über das hinaus, was ausdrücklich im Arbeitsvertrag steht. Beispiele für eine solche ungeschriebene Pflicht sind die Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber und die Pflicht zum sorgfältigen Umgang mit dessen Eigentum.

Deswegen können auch Verhaltensweisen ein Kündigungsgrund sein, durch die das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber oder das Betriebsklima empfindlich gestört werden. Anerkannte Kündigungsgründe sind zum Beispiel Beleidigungen des Chefs, der Kollegen oder Kunden, direkt oder gegenüber anderen Leuten, oder auch Beleidigungen und Verleumdungen des Arbeitgebers, der Kollegen oder des Betriebes in den sozialen Medien. Alkoholgenuss am Arbeitsplatz kann ebenso ein Kündigungsgrund sein wie ein körperlicher Angriff – zum Beispiel in betrunkenem Zustand auf einer Firmenfeier.

Auch Straftaten gegen den Betrieb oder den Arbeitgeber sind ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund. Dies schließt zum Beispiel Diebstähle ein, auch im Bagatellbereich, sowie Unterschlagungen.

Welche Voraussetzungen müssen für eine verhaltensbedingte Kündigung vorliegen?


Bei einer verhaltensbedingten Kündigung müssen Arbeitgeber mehrere Voraussetzungen beachten. Dazu gehört der oben erwähnte Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten. Zusätzlich muss die Kündigung verhältnismäßig sein. Es darf also kein anderes und milderes Mittel geben, um mit der Situation fertigzuwerden.

Eine Abmahnung kann ein solches Mittel darstellen. Daher setzt eine verhaltensbedingte Kündigung in der Regel eine vorherige Abmahnung voraus, welche nicht zu einer Änderung des Verhaltens des Arbeitnehmers geführt hat. Eine Abmahnung ist nur in besonders schwerwiegenden Fällen entbehrlich. Beispiel: Beim Diebstahl von Arbeitgeber-Eigentum ist meist keine Abmahnung notwendig.

Eine wirksame verhaltensbedingte Kündigung durch den Arbeitgeber erfordert nicht zuletzt auch eine Abwägung der Interessen beider Seiten, die zugunsten des Arbeitgebers ausgeht. Das bedeutet: Das Interesse des Arbeitgebers an der Kündigung muss größer sein als das Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes.

Was wird bei der Interessenabwägung berücksichtigt?


Hier ist entscheidend, wie sehr das Verhalten des Arbeitnehmers den betrieblichen Interessen schadet. Ist vielleicht der Ruf des Unternehmens in Gefahr oder der Betriebsablauf empfindlich gestört? Stört das Verhalten des Mitarbeiters ständig wichtige Arbeitsabläufe? Sind Kundenbeziehungen gefährdet oder drohen andere Mitarbeiter mit der Kündigung? Zugunsten des Arbeitnehmers müssen andererseits in der Regel die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, sein bisheriges Verhalten, sein Alter und seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigt werden.

Ist Zuspätkommen eine Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung?


Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz verhandelte den Fall einer Friseurin, die innerhalb von drei Monaten insgesamt neun Mal zu spät gekommen war. Dabei lagen ihre Verspätungen zwischen acht Minuten und einer Stunde. Sie war auch nach zwei Abmahnungen wiederholt um einige Minuten zu spät gekommen. Die Arbeitnehmerin hatte eingewandt, dass sie oft länger arbeiten müsse. Häufig würden kurz vor Feierabend noch Kunden angenommen. Das Gericht betrachtete hier zwar die außerordentliche, fristlose Kündigung als unwirksam. Allerdings war die gleichzeitig hilfsweise ausgesprochene befristete Kündigung rechtmäßig. Die fristlose Kündigung war aus Sicht des Gerichts unverhältnismäßig, da die Arbeitgeberin vorher etliche andere Fehlverhalten der Friseurin ohne Reaktion geduldet hatte (Urteil vom 13.1.2011, Az. 10 Sa 445/10).

Verhaltensbedingte Kündigung wegen Bagatelldiebstahl?


Pfandbons, Frikadellen, belegte Brötchen, übrig gebliebene Maultaschen – immer wieder genehmigen sich Arbeitnehmer Kleinigkeiten, die sie nicht für besonders wertvoll halten, die andernfalls vielleicht sogar entsorgt werden müssten – und dafür wird ihnen gekündigt. In einem Fall hatte eine Verkäuferin 62 Miniflaschen mit Alkohol und 2 angebrochene Rollen Küchenpapier mitgehen lassen. Zwar war die Ware schon abgeschrieben und zur Entsorgung vorgesehen. Das Bundesarbeitsgericht erklärte trotzdem die fristlose verhaltensbedingte Kündigung für wirksam (Urteil vom 11.12.2003, Az. 2 AZR 36/03).

Anders lief ein Fall vor dem Arbeitsgericht Frankfurt/M. Eine Verkäuferin hatte 120 Gramm Weintrauben genascht, ohne diese zu bezahlen. Ihre Kündigung wurde wegen einer falschen Interessenabwägung abgelehnt. Die Frau hatte 17 Jahre lang ohne jede Beanstandung in diesem Betrieb gearbeitet, war bereits 56 Jahre alt und hatte zwei Kinder zu ernähren (Urteil vom 5.7.2005, Az. 18 Ca 1687/05). Unter diesen Umständen könne der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht wegen ein paar Trauben beenden, meinte das Gericht.

Ist eine verhaltensbedingte Kündigung wegen Arbeitszeitbetrugs zulässig?


Falsches Ein- oder Ausstempeln wird als Arbeitszeitbetrug angesehen. Auch dieser ist ein anerkannter Grund für eine verhaltensbedingte Kündigung. Eine vorherige Abmahnung ist jedoch meist erforderlich. Ein Fall vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf betraf einen Fahrkartenkontrolleur, der sich zu früh ausgestempelt hatte, um früher Feierabend zu machen. Auch hatte er Kollegen unter Druck gesetzt, darüber falsche Angaben zu machen. Es handelte sich nur um einen einzigen Vorfall. Der Arbeitgeber kündigte ohne Abmahnung. Hier erklärte das Gericht die Kündigung für unwirksam (Urteil vom 1.7.2013, Az. 9 Sa 205/13).

Ist eine verhaltensbedingte Kündigung wegen langsamer Arbeitsweise zulässig?


Eine Kündigung wegen schlechter Leistung (Low Performance) ist grundsätzlich möglich, aber schwer nachzuweisen. Der Arbeitgeber muss beweisen, dass der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Leistung nicht erbringt und dies nicht auf fehlende Fähigkeiten, sondern auf mangelnden Willen zurückzuführen ist. Es muss eine erhebliche Abweichung von der durchschnittlichen Leistung vergleichbarer Kollegen vorliegen, und der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer die Chance zur Besserung gegeben haben. Die Beweisführung ist für den Arbeitgeber in solchen Fällen oft schwierig.

Welche Rolle spielt ein Mitverschulden des Arbeitgebers für die Kündigung?


Wenn das Fehlverhalten des Arbeitnehmers durch ein Mitverschulden des Arbeitgebers begünstigt oder sogar provoziert wurde, kann dies die verhaltensbedingte Kündigung unwirksam machen. Beispielsweise, wenn ein Arbeitgeber bewusst die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften vernachlässigt, z.B. nicht zur Verfügung gestellte Arbeitsschutzkleidung, und infolge ein Unfall eintritt, kann er den Arbeitnehmer nicht ohne weiteres dafür kündigen. Das Gericht prüft in solchen Fällen im Rahmen der Interessenabwägung, inwiefern der Arbeitgeber selbst zur Situation beigetragen hat.

Ist eine verhaltensbedingte Kündigung auch wegen Freizeitaktivitäten zulässig?


Grundsätzlich nein. Denn: Es geht den Chef grundsätzlich nichts an, wie ein Arbeitnehmer seine Freizeit verbringt. Hier gilt eine strikte Trennung von beruflicher und privater Sphäre.

Ausnahme: Wenn das beanstandete Freizeitverhalten zu ernsthaften Zweifeln an der Eignung oder Zuverlässigkeit des Arbeitnehmers führt, kann eine Kündigung im Einzelfall zulässig sein. Dabei kommt es maßgeblich auf dessen Stellung und die Tätigkeit im Unternehmen an. Besondere Regeln gelten bei sogenannten Tendenzbetrieben, wie zum Beispiel politischen Parteien oder kirchlichen Institutionen.

2019 hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen zum Freizeitverhalten entschieden. Ein VW-Arbeitnehmer hatte im Mallorca-Urlaub in einer Diskothek eine der Reichskriegsflagge ähnelnde Flagge ausgebreitet und "Ausländer raus" gegrölt. Daraufhin kündigte ihm der VW-Konzern fristlos, hilfsweise fristgerecht, aus personen- und verhaltensbedingten Gründen. Das Unternehmen berief sich auf seine Rolle in der NS-Zeit sowie auf seine Beschäftigten aus über hundert Nationen. Auch seien andere VW-Mitarbeiter nicht mehr willens, mit dem Gekündigten zusammenzuarbeiten.

Hier gab das Gericht jedoch der Kündigungsschutzklage des VW-Mitarbeiters statt. Dessen Verhalten sei rein außerdienstlich gewesen. Er habe keine arbeitsvertraglichen Nebenpflichten verletzt. Der VW-Konzern sei auch kein öffentlicher Arbeitgeber und habe keine politische Tendenz. Die fristlose und die fristgerechte Kündigung seien daher unwirksam (Urteil vom 21.3.2019, Az. 13 Sa 371/18).

Anders hätte das Gericht wohl geurteilt, wenn ein Vorstandsmitglied ein solches Freizeitverhalten an den Tag gelegt hätte. Auch ein Bezug zur beruflichen Tätigkeit, etwa das Posten von rassistischen Inhalten zusammen mit Fotos des Urhebers in Dienstkleidung, kann die fristlose Kündigung rechtfertigen.

Zusammenfassung: Die wichtiges Punkte zur verhaltensbedingten Kündigung:



1. Eine verhaltensbedingte Kündigung kann wegen Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten wie Zuspätkommens erfolgen.

2. Es gibt auch sogenannte Nebenpflichten, die nicht ausdrücklich im Arbeitsvertrag stehen, etwa die Loyalitätspflicht. Auch ihre Verletzung kann ein Kündigungsgrund sein.

3. Zur Kündigung können auch andere Verhaltensweisen führen, die das Vertrauensverhältnis oder das Betriebsklima stören, etwa Beleidigungen gegen Chef oder Kollegen oder Straftaten gegen den Arbeitgeber.

4. Eine verhaltensbedingte Kündigung muss immer verhältnismäßig sein.

5. In vielen Fällen muss einer verhaltensbedingten Kündigung eine erfolglose Abmahnung vorausgehen. Diese ist nur in besonders erheblichen Fällen entbehrlich.

6. Eine weitere Voraussetzung ist eine Interessenabwägung zwischen den Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die zu Gunsten des Arbeitgebers ausfällt.

7. Auch Bagatelldiebstähle können eine Kündigung rechtfertigen. Besondere Umstände wie eine sehr lange Betriebszugehörigkeit können dem entgegenstehen.

Praxistipp zur verhaltensbedingten Kündigung


Wenn Sie als Arbeitnehmer eine Abmahnung wegen Ihres Verhaltens im Betrieb erhalten, sollten Sie diese nicht auf die leichte Schulter nehmen. Damit wird nämlich oft eine verhaltensbedingte Kündigung vorbereitet. Aber: Auch nach einer Kündigung ist noch nicht alles verloren. Arbeitnehmer können innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen. Ein Fachanwalt für Arbeitsrecht kann Ihnen dabei helfen, Ihre Klage richtig zu begründen.

(Wk)


 Günter Warkowski
Anwalt-Suchservice
Juristische Redaktion
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