Arbeitsrecht: Wann ist eine verhaltensbedingte Kündigung zulässig?

28.05.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
verhaltensbedingt,Kündigung,fristlos,Abmahnung Eine verhaltensbedingte Kündigung setzt oft eine Abmahnung voraus. © Bu - Anwalt-Suchservice
Das Wichtigste in Kürze

1. Kündigungsgrund: Eine verhaltensbedingte Kündigung kann wegen der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten, aber auch eines Verhaltens, welches das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber oder das Betriebsklima empfindlich stört, gerechtfertigt sein.

2. Verhalten in der Freizeit: Grundsätzlich gilt die strikte Trennung von beruflicher und privater Sphäre. Wie ein Arbeitnehmer seine Freizeit verbringt, geht den Arbeitgeber nichts an. Rechtfertigt das beanstandete Freizeitverhalten allerdings ernsthafte Zweifel an der Eignung oder Zuverlässigkeit des Arbeitnehmers, so kann eine Kündigung ausnahmsweise zulässig sein.

3. Verhältnismäßigkeit: Eine verhaltensbedingte Kündigung muss verhältnismäßig sein. Abzuwägen sind das Ausmaß der betrieblichen Störung gegen die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das bisherige Verhalten, das Alter und die Chancen des Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt. Zudem ist in Regel eine vorherige Abmahnung erforderlich.
Wenn in einem Betrieb das Kündigungsschutzgesetz gilt, also der Betrieb im Durchschnitt mehr als zehn Beschäftigte hat, darf der Arbeitgeber nur mit einem der im Kündigungsschutzgesetz genannten Gründe kündigen. Ansonsten ist die Kündigung unwirksam. Unter den zulässigen Kündigungsgründen ist auch ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers, mit dem dieser den Arbeitsvertrag verletzt oder das Vertrauensverhältnis zum Chef empfindlich stört. Das Verhalten des Arbeitnehmers muss von ihm selbst steuerbar sein. Es darf sich also nicht zum Beispiel um einen Arbeits- oder Leistungsausfall durch eine Erkrankung handeln.

Welche Verhaltensweisen führen zu einer verhaltensbedingten Kündigung?


Zu einer verhaltensbedingten Kündigung kann es zunächst einmal durch eine Verletzung einfacher arbeitsvertraglicher Pflichten kommen. Beispiele dafür sind wiederholtes Zu-Spät-Kommen, Arbeitsverweigerung einschließlich Krankfeiern oder Sich-Selbst-Beurlauben, schlechte Leistungen infolge von Faulheit, private Telefonate am Arbeitsplatz, unerlaubte private Internetnutzung.

Wichtig zu wissen: Die Pflichten eines Arbeitnehmers gehen über das hinaus, was ausdrücklich im Arbeitsvertrag steht. Da gibt es zum Beispiel die Loyalitätspflicht gegenüber dem Arbeitgeber und die Pflicht zum sorgfältigen Umgang mit dessen Eigentum.

Daher können auch Verhaltensweisen ein Kündigungsgrund sein, die das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber oder das Betriebsklima empfindlich stören. Anerkannte Kündigungsgründe sind zum Beispiel Beleidigungen des Chefs, der Kollegen oder Kunden direkt oder gegenüber anderen Leuten oder auch Beleidigungen und Verleumdungen des Arbeitgebers, der Kollegen oder des Betriebes in den sozialen Medien. Ein Kündigungsgrund kann auch Alkoholgenuss am Arbeitsplatz sein, ebenso ein körperlicher Angriff – zum Beispiel in betrunkenem Zustand auf einer Firmenfeier.

Straftaten gegen den Betrieb oder den Arbeitgeber sind immer ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund. Dazu gehören auch Diebstähle – selbst im Bagatellbereich – und Unterschlagungen.

Ist eine verhaltensbedingte Kündigung auch wegen Freizeitaktivitäten zulässig?


Grundsätzlich nein. Wie ein Arbeitnehmer seine Freizeit verbringt, geht den Arbeitgeber grundsätzlich nichts an. Es gilt die strikte Trennung von beruflicher und privater Sphäre.
Ausnahme: Rechtfertigt das beanstandete Freizeitverhalten ernsthafte Zweifel an der Eignung oder Zuverlässigkeit des Arbeitnehmers, so kann eine Kündigung im Einzelfall zulässig sein. Insoweit kommt es maßgeblich auf dessen Stellung und die Tätigkeit im Unternehmen an, oder ob der Arbeitgeber ein sogenannter Tendenzbetrieb ist, z.B. eine politische Partei.

Dies Diskussion, ob Fehlverhalten in der Freizeit ein Kündigungsgrund ist, kam zuletzt (= Mai 2024) wieder auf, als auf Sylt einige betrunkene Party-Gäste zu einem bekannten Song "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" grölten. Sofort nach Bekanntwerden wurde einigen von ihnen seitens ihrer Arbeitgeber gekündigt. Ob dies zulässig ist, werden möglicherweise die Arbeitsgerichte entscheiden müssen.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen hat im Jahr 2019 zu einem vergleichbaren Verhalten in der Freizeit geurteilt. Ein VW-Arbeitnehmer hatte im Mallorca-Urlaub in einer Diskothek eine der Reichskriegsflagge ähnelnde Flagge ausgebreitet und "Ausländer raus" gegrölt. Der VW-Konzern kündigte ihm daraufhin fristlos, hilfsweise fristgerecht aus personen- und verhaltensbedingten Gründen. Das Unternehmen berief sich auf seine Rolle in der NS-Zeit sowie seine Beschäftigten aus über hundert Nationen. Zudem seien andere VW-Mitarbeiter nicht mehr Willens, mit dem Gekündigten zusammenzuarbeiten.
Das Gericht gab der Kündigungsschutzklage des gekündigten VW-Mitarbeiter statt, da es sich um rein außerdienstliches Verhalten gehandelt habe. Arbeitsvertragliche Nebenpflichten seien deshalb von ihm nicht verletzt worden. Der VW-Konzern sei auch kein öffentlicher Arbeitgeber und habe auch keine politische Tendenz. Die fristlose, aber auch die fristgerechte Kündigung seien daher unwirksam. (Urteil v. 21. März 2019, Az.: 13 Sa 371/18)

Anders hätte das Gericht wohl geurteilt, wenn ein Vorstandsmitglied ein solche Freizeitverhalten an den Tag gelegt hätte.

Welche Voraussetzungen müssen für eine verhaltensbedingte Kündigung vorliegen?


Arbeitgeber müssen bei einer verhaltensbedingten Kündigung mehrere Voraussetzungen beachten. Dazu gehört einerseits der oben erwähnte Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflichten. Andererseits muss die Kündigung auch verhältnismäßig sein. Das heißt: Es darf kein anderes und milderes Mittel geben, um mit der Situation fertig zu werden.

Eine Abmahnung kann ein solches Mittel sein. Daher ist eine vorherige erfolglose Abmahnung, die nicht zu einer Änderung des Verhaltens des Arbeitnehmers geführt hat, in der Regel die Voraussetzung für eine verhaltensbedingte Kündigung. Nur in besonders schwerwiegenden Fällen ist eine Abmahnung entbehrlich. So wird sie zum Beispiel beim Diebstahl von Arbeitgeber-Eigentum nur ausnahmsweise verlangt.

Nicht zuletzt ist für eine wirksame verhaltensbedingte Kündigung durch den Arbeitgeber auch eine Abwägung der Interessen beider Seiten erforderlich, die zugunsten des Arbeitgebers ausgeht: Dessen Interesse an der Kündigung muss größer sein, als das Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes.

Was wird bei der Interessenabwägung berücksichtigt?


Dabei kommt es darauf an, wie sehr das Verhalten des Arbeitnehmers den betrieblichen Interessen schadet. Ist vielleicht der Ruf des Unternehmens in Gefahr oder der Betriebsablauf empfindlich gestört, oder stört das Verhalten des Mitarbeiters ständig wichtige Arbeitsabläufe? Sind Kundenbeziehungen gefährdet oder drohen andere Mitarbeiter mit der Kündigung? Zugunsten des Arbeitnehmers sind auf der anderen Seite in der Regel die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, sein bisheriges Verhalten, sein Alter und seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen.

Beispiel: Ständiges zu-Spät-Kommen


Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz befasste sich mit dem Fall einer Friseurin, die innerhalb von drei Monaten insgesamt neun Mal zu spät gekommen war. Ihre Verspätungen lagen dabei zwischen acht Minuten und einer Stunde. Auch nach zwei Abmahnungen war sie weiterhin wiederholt um einige Minuten zu spät gekommen. Die Arbeitnehmerin hatte eingewandt, dass sie oft länger arbeiten müsse. Oft würden kurz vor Feierabend noch Kunden angenommen. Das Gericht sah in diesem Fall zwar die außerordentliche, fristlose Kündigung als unwirksam an. Eine gleichzeitig hilfsweise ausgesprochene befristete Kündigung war jedoch rechtmäßig.
Die fristlose Kündigung war aus Sicht des Gerichts unverhältnismäßig, weil die Arbeitgeberin vorher etliche andere Fehlverhalten der Friseurin ohne Reaktion hingenommen hatte (Urteil vom 13.1.2011, Az. 10 Sa 445/10).

Verhaltensbedingte Kündigung wegen Bagatelldiebstahl?


Pfandbons, Frikadellen, belegte Brötchen, übrig gebliebene Maultaschen – es kommt immer wieder vor, dass sich Arbeitnehmer Kleinigkeiten genehmigen, die sie nicht für besonders wertvoll halten, die andernfalls vielleicht sogar entsorgt werden müssten – und dafür wird ihnen gekündigt. In einem Fall hatte eine Verkäuferin 62 Miniflaschen mit Alkohol und 2 angebrochene Rollen Küchenpapier mitgehen lassen. Die Ware war bereits abgeschrieben und zur Entsorgung vorgesehen. Trotzdem erklärte das Bundesarbeitsgericht die fristlose verhaltensbedingte Kündigung für wirksam (Urteil vom 11.12.2003, Az. 2 AZR 36/03).

Anders ging ein Fall vor dem Arbeitsgericht Frankfurt/M. aus. Dabei ging es um eine Verkäuferin, die 120 Gramm Weintrauben genascht hatte, ohne diese zu bezahlen. Ihre Kündigung wurde wegen einer falschen Interessenabwägung abgelehnt. Die Frau hatte nämlich 17 Jahre lang ohne jede Beanstandung in diesem Betrieb gearbeitet, war bereits 56 Jahre alt und hatte zwei Kinder zu ernähren (Urteil vom 5.7.2005, Az. 18 Ca 1687/05). Unter diesen Umständen könne das Arbeitsverhältnis nicht wegen ein paar Trauben beendet werden, meinte das Gericht.

Urteil: Verhaltensbedingte Kündigung wegen Arbeitszeitbetrug


Falsches Ein- oder Ausstempeln gilt als Arbeitszeitbetrug. Auch dieser rechtfertigt eine verhaltensbedingte Kündigung. In der Regel ist eine vorherige Abmahnung notwendig. In einem Fall vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf ging es um einen Fahrkartenkontrolleur, der sich zu früh ausgestempelt hatte, um früher Feierabend zu machen. Auch hatte er Kollegen unter Druck gesetzt, falsche Angaben darüber zu machen. Es handelte sich nur um einen einzigen Vorfall. Der Arbeitgeber kündigte ohne Abmahnung. Daher erklärte das Gericht die Kündigung für unwirksam (Urteil vom 1.7.2013, Az. 9 Sa 205/13)

Praxistipp zur verhaltensbedingten Kündigung


Erhalten Sie als Arbeitnehmer eine Abmahnung wegen Ihres Verhaltens im Betrieb, sollten Sie diese nicht auf die leichte Schulter nehmen. Oft wird damit nämlich eine verhaltensbedingte Kündigung vorbereitet. Aber: Auch nach einer Kündigung ist noch nicht alles verloren. Innerhalb von drei Wochen können Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen. Ein Fachanwalt für Arbeitsrecht kann Ihnen dabei helfen, die Klage richtig zu begründen.

(Wk)


 Günter Warkowski
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