Befreiung vom Schulunterricht aus religiösen Gründen möglich?
Befreiung vom Schwimmunterricht
Die Klage muslimischer Eltern auf Befreiung ihrer Tochter vom koedukativen Schwimmunterricht an der örtlichen Realschule wurde vom Verwaltungsgericht Düsseldorf (Aktenzeichen 18 K 301/08) abgewiesen. Nach Ansicht der Richter bestünden vielfältige Bekleidungsmöglichkeiten, um den schützenswerten religiösen Belangen der Schülerin Rechnung zu tragen. Werde von diesen Möglichen Gebrauch gemacht, sei ein Eingriff in die Religionsfreiheit, falls er überhaupt noch festzustellen sei, jedenfalls auf ein Minimum reduziert, sodass in der Abwägung die Befolgung des staatlichen Bildungsauftrages Vorrang genieße.
In diesem Sinne entschied auch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (Aktenzeichen 19 B 1362/08) im Fall eines muslimischen Mädchens, dessen Eltern der Auffassung sind, ihre Tochter müsse vom Schwimmunterricht an der Grundschule befreit werden, das die strenge Auslegung des Korans dies gebiete. Das Gericht führte seine Entscheidung dahingehend aus, dass es inzwischen nichts Ungewöhnliches mehr sei, dass muslimische Frauen und Mädchen beim Schwimmen einen sog. Burkini trügen. Das gelte sowohl in islamisch geprägten Ländern als auch in Deutschland. Auch im Schwimmunterricht in der Grundschule sei den Mädchen das Tragen einer derartigen Schwimmbekleidung grundsätzlich zumutbar. Es sei geeignet, einen hier im Einzelfall auftretenden Glaubenskonflikt ohne Trennung der Geschlechter und ohne Befreiung zu bewältigen. Es sei auch nicht erkennbar, dass dies bei der Tochter der Antragsteller ausnahmsweise anders sei. Insbesondere bestehe bei ihr nicht etwa die Gefahr, wegen des Schwimmanzugs von Mitschülern gehänselt zu werden. Geschehe dies gleichwohl, sei es selbstverständlich auch im Schwimmunterricht die Pflicht der Lehrkräfte, auf diese Mitschüler mit dem Ziel pädagogisch einzuwirken, dem Mädchen verständnisvoll, tolerant und respektvoll zu begegnen, so die Richter.
Befreiung von einer Klassenfahrt
Ein Vater, der mit seiner Familie Mitglied der Freien Christengemeinde in Bremerhaven ist, hatte vergeblich beantragt, seine Kinder hiervon zu befreien, weil während der Klassenfahrt deren christliche Betreuung durch ihn in Form von gemeinsamen Gebeten und Bibellesungen nicht gewährleistet sei und die Unterbringung der Kinder außerhalb des Elternhauses in die grundrechtlich geschützte christlich geprägte Erziehung der Kinder eingreife. Das an ihn gerichtete Angebot der Schule, die Kinder abends vom 35 km von Bremerhaven entfernt gelegenen Ziel der Klassenfahrt abzuholen und sie morgens wieder zurück zu bringen, hat der Vater abgelehnt. Das Oberverwaltungsgericht Bremerhaven lehnte eine entsprechende Klage des Vaters ab. Eine Befreiung von schulischen Pflichtveranstaltungen wegen befürchteter Beeinträchtigungen religiöser Erziehungsvorstellungen habe die Ausnahme zu bleiben. Zwar seien der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag auf der einen und das religiöse Erziehungsrecht bzw. die Glaubensfreiheit auf der anderen Seite gleichrangig. Das bedeute, dass der Staat bei Ausgestaltung des Unterrichts Neutralität und Toleranz in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht zu wahren habe. Gleichzeitig habe die Schule die Aufgabe, allen Schülerinnen und Schülern ihren Fähigkeiten entsprechende Bildungsmöglichkeiten zu gewährleisten und einen Grundstein für ihre selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu legen. Dieser staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag würde praktisch leerlaufen, müsste sich die Schule mit Unterrichtsgestaltungen begnügen, die von sämtlichen Glaubensstandpunkten aus akzeptabel erscheinen und deshalb vom Konsens aller Beteiligten abhängig wären. In einer religiös vielgestaltigen Gesellschaft, in der die Schule eine wichtige Integrationsfunktion wahrnehme, sei dies nicht möglich. Eine nur im Ausnahmefall zulässige Befreiung von einer verpflichtenden Schulveranstaltung setze zunächst voraus, dass sich schon dem Befreiungsantrag der behauptete Glaubens- und Gewissenskonflikt objektiv nachvollziehbar entnehmen lasse. Sei ein Konflikt zwischen der Glaubens- und Gewissensfreiheit einerseits und dem staatlichen Erziehungsauftrag andererseits dargelegt, müsse zunächst nach einem Kompromiss gesucht werden, der den Konflikt entschärfe, ohne den staatlichen Bildungsauftrag zu gefährden. Das Kompromissangebot der Schule, das es dem Vater ermöglicht hätte, die Kinder am Abend religiös zu unterweisen, sei geeignet gewesen, den im Grundsatz bestehenden Konflikt zu entschärfen. Da die Kläger dieses annehmbare Kompromissangebot ausgeschlagen hätten, bedürfe es einer weitergehenden Abwägung der widerstreitenden Rechtspositionen nicht mehr, so die Bremerhavener Richter.