Wie funktioniert die Begnadigung von Straftätern?

14.08.2023, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Das Wichtigste in Kürze

1. Antragstellung: Ein Häftling oder jede andere Person, z.B. ein beauftragter Anwalt, kann einen Antrag auf Begnadigung bei einem beliebigen Amt einreichen, das den Antrag dann als Eilsache an die zuständige Behörde weiterleiten muss. Der Antrag sollte alle relevanten Informationen und die Gründe für die Begnadigung enthalten.

2. Prüfung, Empfehlung, Entscheidung: Der Antrag wird von der dafür zuständigen Behörde geprüft. Diese kann eine Empfehlung für oder gegen die Begnadigung aussprechen. Die endgültige Entscheidung über die Begnadigung trifft bei Verurteilungen auf Bundesebene der Bundespräsident, bei solchen auf Landesebene der Ministerpräsident oder die Landesregierung.

3. Widerruf: Es ist möglich, dass eine Begnadigung von der zuständigen Behörde widerrufen wird. Dieser Verwaltungsakt ist gerichtlich überprüfbar, dem Begnadigten stehen als Rechtsmittel gegen den Widerruf zu.
Auch in Deutschland gibt es die Begnadigung von Straftätern. Diese ist grundsätzlich nach einer rechtskräftigen Verurteilung möglich. Dabei kann es zu einer Abmilderung oder Aufhebung der verhängten Strafe kommen.

Warum gibt es die Begnadigung?


Die Begnadigung von Straftätern hat eine lange Tradition. Immerhin gibt es Fälle, in denen die Mittel der Strafjustiz nicht ausreichen, um ein Ergebnis zu erzielen, das man als "gerecht" bezeichnen würde. Dies ist besonders dann der Fall, wenn sich persönliche Verhältnisse des Verurteilten nachträglich ändern, sodass eine Härte entsteht, die das Gericht nicht beabsichtigt hatte (Beispiel: todkrankes Kind nimmt Medikamente nur vom verurteilten Elternteil an). Auch Reue und das Verhalten des Straftäters im Vollzug werden bei Gnadengesuchen berücksichtigt, obwohl sie nicht unbedingt ausschlaggebend sind. Übrigens muss man die Begnadigung von der Amnestie unterscheiden, bei der einem bestimmten Teil oder allen Straftätern ihre restliche Haftstrafe erlassen wird.

Worauf beruht eine Begnadigung?


Es gibt keinen Rechtsanspruch auf eine Begnadigung. Vielmehr liegt diese im Ermessen der Stelle, die die Begnadigung ausspricht. Diese Stelle steht gewissermaßen über dem Gesetz. Allerdings gibt es gesetzliche Regelungen dazu: So regeln einige Bundesländer die Begnadigung in sogenannten Gnadenordnungen. Dazu gehören die Hamburgische Gnadenordnung, die Bayerische Gnadenordnung (BayGno) oder die Sächsische Gnadenordnung. In deren Vorschriften ist geregelt, für welche Strafen eine Begnadigung ausgesprochen werden kann, wer auf Landesebene dafür zuständig ist und wie eine Begnadigung abläuft.

In der Regel gilt: Es gibt für einen Begnadigungsantrag weder eine Frist, noch eine vorgeschriebene Form. Er kann von jedem eingereicht werden. Wenn er bei einer unzuständigen Behörde eingeht, hat diese ihn an die zuständige Stelle weiterzuleiten – und zwar als Eilsache. Häufig sorgt auch der Strafverteidiger des Betroffenen dafür, dass ein Gnadengesuch eingereicht wird.

Welche Straftäter können begnadigt werden?


Nach der Hamburgischen Gnadenordnung ist eine Begnadigung von Personen möglich, die rechtswidrig verurteilt wurden zu

- Freiheits- oder Geldstrafen,
- Verwarnungen mit Strafvorbehalt,
- Maßnahmen nach § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB (z. B. Einziehung des Autos als Tatwerkzeug),
- Folgen einer Jugendstraftat nach § 5 JGG,
- Nebenstrafen und Nebenfolgen (z. B. Fahrverbot),
- Geldbußen wegen Ordnungswidrigkeiten sowie Ordnungsmittel,
- Maßnahmen wegen berufsrechtlicher Verfehlungen von Rechtsanwälten und Steuerberatern.

Wer ist dazu berechtigt, Straftäter zu begnadigen?


Dies richtet sich danach, welches Gericht den Täter in erster Instanz verurteilt hat. Wenn die Verurteilung auf Bundesebene stattfand, ist nach Artikel 60 Absatz 2 des Grundgesetzes der Bundespräsident für die Begnadigung zuständig. Er kann diese Befugnis aber auf andere Behörden übertragen. Um eine Verurteilung auf Bundesebene handelt es sich, wenn die Oberlandesgerichte einen Täter auf Anklageerhebung des Generalbundesanwalts hin verurteilen. Dies kommt zum Beispiel in Staatsschutzverfahren vor und bei Anklagen wegen Völkermord oder Kriegsverbrechen. In den meisten Fällen werden allerdings wohl eher Gnadengesuche von Bundesbeamten eingereicht, gegen die Disziplinarentscheidungen ergangen sind. Auch dafür ist der Bundespräsident zuständig.

Bei einer Verurteilung auf Landesebene ist für das Gnadengesuch abhängig von der Landesverfassung entweder der Ministerpräsident oder die Regierung des Bundeslandes zuständig. In der Praxis wird das Gnadengesuch jedoch meist von der sogenannten Gnadenstelle bearbeitet, einer Behörde des Landesjustizministeriums.

Was muss der Bundespräsident bei einer Begnadigung beachten?


Wenn der Bundespräsident über ein Gnadengesuch entscheidet, ist er in seiner Entscheidung vollkommen frei. Öffentliche Aufmerksamkeit erregen besonders Fälle, in denen der Bundespräsident seine Entscheidung nach einem persönlichen Gespräch mit dem Betroffenen trifft.
Unterschiedliche Bundespräsidenten haben unter anderem die ehemaligen RAF-Terroristen Verena Becker, Angelika Speitel und Bernd Rössner nach Verbüßung langjähriger Haftstrafen begnadigt. Bundespräsident Köhler lehnte 2007 eine Begnadigung für Christian Klar ab. Dieser wurde 2008 auf Bewährung entlassen.

2022/23: Klage gegen den Bundespräsidenten wegen Geheimhaltung von Begnadigungen


In der Regel wird die Öffentlichkeit weder über Gnadengesuche, noch über die Entscheidungen des Bundespräsidenten informiert und auch Presseanfragen dazu werden häufig nicht beantwortet. Das Online-Portal "Frag den Staat" hat den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier verklagt, weil diese (traditionelle) Praxis deren Ansicht nach gegen das Presse-Auskunftsrecht verstößt. Das Verwaltungsgericht Berlin hat die Klage abgewiesen: Die Ausübung des Begnadigungsrechts sei kein Verwaltungshandeln. Daher sei der Bundespräsident nicht als auskunftspflichtige Stelle bzw. Behörde im Sinne des Presserechts anzusehen. "Das Begnadigungsrecht unterliege als Gestaltungsmacht besonderer Art weder der gerichtlichen Überprüfung noch sei es dem Bundespräsidenten als Verwaltungstätigkeit zugewiesen" (Urteil vom 14.10.2022, Az. VG 27 K 285/21). "Frag den Staat" hat Berufung beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingereicht.

Was, wenn der Straftäter gar keine Begnadigung will?


Es soll aber auch Fälle geben, in denen es ein Straftäter vorzieht, weiter seine Freiheitsstrafe abzusitzen, anstatt wieder in Freiheit zu kommen. Dann stellt sich die Frage, ob eine Begnadigung rechtlich angegriffen werden kann. Dazu hat das Bundesverfassungsgericht 1969 entschieden, dass Gnadenentscheidungen nicht angefochten werden können. Denn: Sie seien kein normales Rechtsmittel wie Berufung oder Revision.

Kann eine Begnadigung auch widerrufen werden?


Ja, das ist möglich. Ein solcher Widerruf ist dann jedoch einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich. So hat das Bundesverfassungsgericht 1971 entschieden. Damals hatte das Justizministerium Baden-Württemberg zunächst die 61 Tage Restfreiheitsstrafe eines Verurteilten im Gnadenwege zur Bewährung ausgesetzt. Später hatte das Ministerium seine Entscheidung widerrufen, weil der Mann nicht arbeite und keinen Unterhalt zahle. Die gerichtliche Überprüfung führte dazu, dass die Begnadigung wiederhergestellt wurde (Az. 2 BvR 520/70). Dazu erklärte das Gericht: Wenn der Staat einem Verurteilten die Freiheit schenke, müsse dieser sich darauf grundsätzlich auch verlassen können. Deswegen müsse der Widerruf einer Begnadigung gerichtlich überprüfbar sein.

Praxistipp zur Begnadigung von Straftätern


Ob im Einzelfall Chancen auf eine Begnadigung bestehen, kann nur im Rahmen einer fachkundigen Beratung geklärt werden. Dafür ist ein Fachanwalt für Strafrecht der beste Ansprechpartner.

(Ma)


 Ulf Matzen
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