Überhängende Äste, Laub und Nadeln - Welche Rechte hat der Nachbar?

27.06.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice
Sträucher,Bäume,Zaun,Überwuchs,Überhang Pflanzen an der Grundstücksgrenze sorgen oft für Streit © Ma - Anwalt-Suchservice

Pflanzen und Sträucher lösen oft Streit unter Nachbarn aus. Der eine mag einen Naturgarten, der andere englischen Rasen. Oft geht es dabei um überhängende Sträucher und Pflanzen an der Grundstücksgrenze.

Fast jeder mag Pflanzen. An Grundstücksgrenze und Gartenzaun führen sie allerdings oft zum Streit unter Nachbarn. Denn: Diese empfinden Überwuchs oft als Beeinträchtigung ihres Grundstücks. Welche Rechte stehen den von überhängenden Ästen, herabfallendem Laub, Nadeln bzw. Zapfen oder von Verschattung betroffenen Nachbarn zu?

Was versteht man unter dem Nachbarrecht?


Die Verhältnisse von Grundstücksnachbarn untereinander sind in einem Rechtsbereich namens Nachbarrecht geregelt. Viele Regelungen findet man im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Auch spielen Vorschriften aus dem Baurecht eine Rolle. Diese findet man in den Landesbauordnungen der Bundesländer. Zudem haben einige Bundesländer besondere Nachbarrechtsgesetze, die Angelegenheiten rund um Grundstücksgrenzen regeln.

Was sind mögliche Streitpunkte?


Streit gibt es oft unter Nachbarn, wenn Pflanzen über die Grundstücksgrenze wachsen – ganz besonders bei schwer zu beseitigendem Grün mit sich ausbreitendem Wurzelwerk oder garstigen Dornen. Mancher Nachbar nimmt bereits Anstoß an zu nah an der Grenze wuchernden Unkräutern, da diese bei Wind gerne ihre Samen im peinlich geordneten Nachbargarten verbreiten.

Welche Vorgaben macht der Bebauungsplan zur Bepflanzung?


Grundstückseigentümer müssen die Vorgaben der Bebauungspläne der Gemeinden beachten. Im Bebauungsplan kann nicht nur geregelt werden, ob es sich um ein Wohn-, Gewerbe-, oder Mischgebiet handelt, wie die Häuser in einer Straße ausgerichtet sein müssen und wie sie in verschiedener Hinsicht aussehen müssen. Zusätzlich kann der Bebauungsplan nämlich auch Einzelheiten zur Bepflanzung vorgeben – zum Beispiel, dass auf dem nicht überbaubaren Bereich des Grundstücks ganz bestimmte Bäume und Sträucher gepflanzt werden müssen, wo ein Gartenhaus stehen darf oder dass Vorgärten begrünt sein müssen. Manchmal werden sogar Pflanzlisten beigefügt, also Auflistungen der in diesem Gebiet erlaubten Pflanzenarten.

Wo sind die Pflanzabstände zur Grundstücksgrenze vorgeschrieben?


Nachbarschaftsgesetze oder Landesbauordnungen legen in den meisten Bundesländern genau fest, in welchem Abstand zur Grundstücksgrenze man Pflanzen, insbesondere Sträucher und Hecken, pflanzen darf.
Es gibt jedoch viele unterschiedliche Regeln je nach Bundesland. Beispiel Bayern: Dort müssen gemäß Artikel 47 AGBGB (Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch) Bäume, Sträucher oder Hecken mit einer Mindestentfernung von 0,50 Metern oder, falls sie über 2 Meter hoch sind, von 2 Metern zur Grenze des Grundstücks geplanzt werden. In anderen Bundesländern hängt der Grenzabstand noch stärker von der Art der Pflanze ab, so kann es zum Beispiel unterschiedliche Vorgaben für große Laubbäume und Obstbäume geben.

Was gilt für den Überhang und Überwuchs von Bäumen und Sträuchern?


Der Eigentümer eines Baumes ist grundsätzlich dafür verantwortlich, dass Äste nicht über das Grundstück wachsen. Dies gehört zur ordnungsgemäßen Bewirtschaftung seines Grundstücks.
Wird ein Nachbar durch überhängende Äste beeinträchtigt, hat dieser nach § 910 BGB (Bürgerlichen Gesetzbuch) ein sogenanntes Selbsthilferecht. Er darf also über die Grenze wachsende Äste und Wurzeln von Sträuchern und Bäumen abschneiden – aber nur unter der Voraussetzung, dass diese tatsächlich die Nutzung seines Grundstücks beeinträchtigen. Siehe dazu die nächste Frage.

Außerdem darf der Nachbar auch nicht ohne Vorwarnung nach Belieben zur Tat schreiten. Die Ausübung seines Selbsthilferechts setzt voraus, dass er dem Besitzer der Pflanzen zuvor eine angemessene Frist gesetzt hat, damit dieser das Problem selbst beseitigen kann.

Der Nachbar kann außerdem vom Besitzer des betreffenden Baumes oder Strauches schlicht die Beseitigung der überhängenden Äste verlangen (nicht die der Pflanze). Dies ergibt sich aus § 1004 BGB. Wiederum muss dazu die Nutzung seines Grundstückes durch den Überhang beeinträchtigt sein.

Wann liegt eine Beeinträchtigung durch Äste und Zweige vor?


Ein Nachbar kann regelmäßig nur dann Rechtsansprüche gegen einen Grundstückseigentümer geltend machen, wenn die Nutzbarkeit seines Grundstücks durch fremde Äste oder Wurzeln tatsächlich beeinträchtigt wird. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn sich der Rasen nicht mehr mähen lässt, weil er zu sehr von Wurzelwerk durchzogen ist. Oder, wenn Gehwegplatten durch Wurzeln angehoben oder Abflussrohre zerstört werden. Oder auch, wenn sich Efeu in altem Mauerwerk verankert und dieses dadurch beschädigt. Es muss also schon eine erhebliche Beeinträchtigung vorliegen und nicht nur reines Missfallen. Es reicht also nicht aus, dass sich der Nachbar an ein paar überhängenden Ranken oder Zweigen stört. Eine Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks kann auch in herabfallendem Laub, Nadeln, Zapfen und Schattenwurf bestehen. Dies ist immer eine Frage des Einzelfalls.

Beispiel: Efeu aus Nachbars Garten


Nach dem Landgericht München I darf ein Grundstückseigentümer die Entfernung von Efeu fordern, der über die Grundstücksgrenze gewachsen ist und auf der Rückseite einer Garage Schäden am bereits älteren Mauerwerk verursacht hat. In diesem Fall war dadurch Feuchtigkeit in die Garage eingedrungen. Der Efeubesitzer musste hier auch dulden, dass der Nachbar sein Grundstück betrat und dort ein Baugerüst aufstellte, um die beschädigte Mauer zu reparieren (Landgericht München I, Urteil vom 14.09.2006, Az. 30 S 6244/06).

Beispiel: ausladende Zweige einer Schwarzkiefer


Im Juni 2021 hat der Bundesgerichtshof (BGH) das Recht des Nachbarn zur Selbsthilfe im Falle einer ausladenden Schwarzkiefer bestätigt. Und zwar auch dann, wenn der Baum durch den Rückschnitt eingehen könnte oder in seiner Standsicherheit gefährdet werden könnte (Az. V ZR 234/19). In diesem Fall ragte die breite Krone des Baumes seit mindestens zwei Jahrzehnten erheblich in den Garten des Nachbarn. Dieser gab an, die Nadeln und Zapfen monatlich entsorgen zu müssen. Nachdem er die Eigentümer der Kiefer erfolglos zum Rückschnitt aufgefordert hatte, hat er vor vier Jahren selbst zur Astschere gegriffen und einen Rückschnitt durchgeführt. Daraufhin verklagte ihn der Eigentümer der Kiefer, der um die Standsicherheit des Baumes fürchtete. In den beiden ersten Instanzen war die Klage erfolgreich, jedoch nicht mehr vor dem BGH. Allerdings wies der Bundesgerichtshof darauf hin, dass in solchen Fällen eine örtliche Baumschutz-Verordnung dem (weiteren) Rückschnitt entgegenstehen kann, weil der Baum durch diese möglicherweise geschützt ist.

Laub, Zweige, Blüten, Zapfen - Unerwünschtes vom Nachbarn


Immer wieder entsteht Streit um die Dinge, die nun einmal von Bäumen herabfallen - welke Blätter, Nadeln, Blütenreste, Zapfen, dürre Zweige. Die Rechte des Nachbarn
hängen dabei sehr vom Ausmaß der Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks ab. Dabei stellen die Gerichte sehr auf den Einzelfall ab.

So gestand der Bundesgerichtshof einem Grundstückseigentümer zu, den Rückschnitt von überhängenden Ästen einer Douglasie zu verlangen. Diese stand nah der Grundstücksgrenze auf dem Grundstück seines Nachbarn. Die Äste des Baumes hingen auf das Nachbargrundstück hinüber und ließen Nadeln und Zapfen in erheblicher Menge fallen. Aus Sicht des Bundesgerichtshofes bestand daher ein Anspruch nach § 1004 BGB. Die Nutzung des Grundstücks sei durch die herabfallenden Äste, Zapfen und Nadeln beeinträchtigt. Es spiele keine Rolle, ob dies ortsüblich sei. Der Fall liege hier anders, als bei einem Baum, der ohne Überhang auf dem Nachbargrundstück stehen würde (Urteil vom 14.6.2019, Az. V ZR 102/18).

Das Landgericht Saarbrücken hat vor Jahren im Fall einer Birke einen Anspruch auf Rückschnitt abgelehnt. Die herüberhängenden Zweige würden zwar Laub und Blüten fallen lassen. Jedoch sei diese Beeinträchtigung geringfügig und vom Nachbarn hinzunehmen. Wer sich für ein Wohnen in einer Gegend mit großen Gärten und vielen Bäumen entscheide, müsse mit vermehrten Einwirkungen der Natur rechnen. Daher habe der Nachbar pflanzliche Immissionen zumindest dann hinzunehmen, wenn diese sein Grundstück nur geringfügig beeinträchtigten (Urteil vom 5.6.1986, Az. 2 S 185/84).

Wichtig: Der Nachbar ist nicht dazu berechtigt, eigenmächtig einen Rückschnitt vorzunehmen. Er muss seinem Nachbarn zuerst eine angemessene Frist setzen, um selbst tätig zu werden. Eigenmächtigkeiten können Schadensersatzansprüche auslösen. Dies gilt besonders, wenn Pflanzen durch den Rückschnitt so geschädigt werden, dass sie eingehen.

Was gilt für den Flug von Unkrautsamen?


Manchmal wird auch der "Hinüberflug von Unkrautsamen" zum Zankapfel. Gerichtsurteile sind dazu allerdings nicht bekannt. Es dürfte schwierig sein, hier einen Abwehranspruch nach § 1004 BGB durchzusetzen. Denn: Erstens ist nirgendwo definiert, was "Unkraut" ist und zweitens ist wie dargestellt eine erhebliche Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks nötig. Daran dürfte ein Anspruch meist scheitern. Ohnehin kann der Flug von Pflanzensamen zwischen Gartengrundstücken auch ortsüblich sein und damit vom Nachbarn hingenommen werden müssen.

Praxistipp zum Überwuchs vom Nachbargrundstück


Bevor man in einem solchen Fall mit rechtlichen Erwägungen kommt, hilft unter Nachbarn häufig ein Gespräch bei Grillwurst und Bier. Rechtliche Schritte zerstören ein gutnachbarliches Verhältnis sehr schnell und nachhaltig. Manchmal kann eine Mediation eine Lösung sein. Geht es dann doch nicht anders, berät Sie ein auf das Zivilrecht spezialisierter Rechtsanwalt zum besten Vorgehen.

(Bu)


 Stephan Buch
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