Überhängende Äste, Laub und Nadeln - welche Rechte hat der Nachbar?
29.09.2025, Redaktion Anwalt-Suchservice

Pflanzen und Sträucher lösen oft Streit unter Nachbarn aus. Mancher mag einen Naturgarten, der andere englischen Rasen. Dabei geht es oft um überhängende Sträucher und Pflanzen an der Grundstücksgrenze.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Was versteht man unter dem Nachbarrecht? Was sind mögliche Streitpunkte? Welche Vorgaben macht der Bebauungsplan zur Bepflanzung? Wo sind die Pflanzabstände zur Grundstücksgrenze geregelt? Was gilt für den Überhang und Überwuchs von Bäumen und Sträuchern? Wann liegt eine Beeinträchtigung durch Äste und Zweige vor? Beispiel: Efeu aus Nachbars Garten Beispiel: ausladende Zweige einer Schwarzkiefer Laub, Zweige, Blüten, Zapfen – Unerwünschtes vom Nachbarn Was gilt für den Flug von Unkrautsamen? Praxistipp zum Überwuchs vom Nachbargrundstück Was versteht man unter dem Nachbarrecht?
Der Rechtsbereich namens Nachbarrecht regelt die Verhältnisse von Grundstücksnachbarn untereinander. Viele dieser Regelungen findet man im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Auch spielen Vorschriften aus dem Baurecht eine Rolle. Diese stehen in den Landesbauordnungen der Bundesländer. Einige Bundesländer haben zusätzlich besondere Nachbarrechtsgesetze, die Angelegenheiten rund um die Grundstücksgrenzen regeln.
Was sind mögliche Streitpunkte?
Streit unter Nachbarn entsteht oft, wenn Pflanzen über die Grundstücksgrenze wachsen – ganz besonders bei schwer zu beseitigendem Grün mit sich ausbreitendem Wurzelwerk oder garstigen Dornen. Einige Nachbarn nehmen bereits Anstoß an zu nah an der Grenze wuchernden Unkräutern, da diese bei Wind gerne ihre Samen im peinlich geordneten Nachbargarten verbreiten.
Welche Vorgaben macht der Bebauungsplan zur Bepflanzung?
Grundstückseigentümer müssen die Bebauungspläne der Gemeinden beachten. In einem Bebauungsplan kann nicht nur geregelt werden, ob es sich um ein Wohn-, Gewerbe- oder Mischgebiet handelt, wie die Häuser in einer Straße ausgerichtet sein müssen und wie sie in verschiedener Hinsicht aussehen müssen. Ein Bebauungsplan kann durchaus auch Einzelheiten zur Bepflanzung vorgeben. So kann er regeln, dass auf dem nicht überbaubaren Bereich des Grundstücks ganz bestimmte Bäume und Sträucher gepflanzt werden müssen, wo ein Gartenhaus stehen darf oder dass Vorgärten begrünt sein müssen. Manche Gemeinden fügen sogar Pflanzlisten hinzu, also Auflistungen der in diesem Gebiet erlaubten Pflanzenarten.
Wo sind die Pflanzabstände zur Grundstücksgrenze geregelt?
In den meisten Bundesländern legen Nachbarschaftsgesetze oder Landesbauordnungen genau fest, in welchem Abstand zur Grundstücksgrenze man Pflanzen, insbesondere Sträucher und Hecken, pflanzen darf.
Allerdings gibt es viele unterschiedliche Regeln je nach Bundesland. Beispiel Bayern: Dort müssen nach Artikel 47 AGBGB (Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch) Bäume, Sträucher oder Hecken mit einer Mindestentfernung von 0,50 Metern oder, falls sie über 2 Meter hoch sind, von 2 Metern zur Grenze des Grundstücks gepflanzt werden. In anderen Bundesländern ist der Grenzabstand noch stärker von der Art der Pflanzen abhängig. So sind beispielsweise unterschiedliche Vorgaben für große Laubbäume und Obstbäume möglich.
Was gilt für den Überhang und Überwuchs von Bäumen und Sträuchern?
Grundsätzlich ist der Eigentümer eines Baumes dafür verantwortlich, dass Äste nicht über das Grundstück wachsen. Dies gehört zur ordnungsgemäßen Bewirtschaftung seines Grundstücks. Wenn ein Nachbar durch überhängende Äste beeinträchtigt wird, hat dieser nach § 910 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) ein sogenanntes Selbsthilferecht. Er darf also über die Grenze wachsende Äste und Wurzeln von Sträuchern und Bäumen abschneiden. Die Voraussetzung dafür ist jedoch, dass diese tatsächlich die Nutzung seines Grundstücks beeinträchtigen. Siehe dazu die nächste Frage.
Auch darf der Nachbar nicht ohne Vorwarnung nach Belieben zur Tat schreiten. Er muss vor der Ausübung seines Selbsthilferechts dem Besitzer der Pflanzen eine angemessene Frist setzen, damit dieser das Problem selbst beseitigen kann.
Außerdem darf der Nachbar vom Besitzer des betreffenden Baumes oder Strauches schlicht die Beseitigung der überhängenden Äste verlangen (nicht die der Pflanze). Dies ergibt sich aus § 1004 BGB. Auch hier muss die Nutzung seines Grundstücks durch den Überhang tatsächlich beeinträchtigt sein.
Wann liegt eine Beeinträchtigung durch Äste und Zweige vor?
In der Regel kann ein Nachbar nur dann Rechtsansprüche gegen einen Grundstückseigentümer geltend machen, wenn die Nutzbarkeit seines Grundstücks durch fremde Äste oder Wurzeln wirklich beeinträchtigt wird. Eine solche Beeinträchtigung kann zum Beispiel darin bestehen, dass sich der Rasen nicht mehr mähen lässt, weil er zu sehr von Wurzelwerk durchzogen ist. Oder, dass Gehwegplatten durch Wurzeln angehoben oder Abflussrohre zerstört werden. Eine Beeinträchtigung kann auch darin bestehen, dass sich Efeu in altem Mauerwerk verankert und dieses beschädigt. Es muss also eine erhebliche Beeinträchtigung vorliegen und nicht nur reines Missfallen. Es reicht nicht aus, dass sich der Nachbar an ein paar überhängenden Ranken oder Zweigen stört. Eine Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks kann auch in herabfallendem Laub, Nadeln, Zapfen und Schattenwurf bestehen. Dies hängt immer vom Einzelfall ab.
Beispiel: Efeu aus Nachbars Garten
Dem Landgericht München I zufolge darf ein Grundstückseigentümer die Entfernung von Efeu verlangen, der über die Grundstücksgrenze gewachsen ist und auf der Rückseite einer Garage Schäden am bereits älteren Mauerwerk verursacht hat. Hier war dadurch Feuchtigkeit in die Garage eingedrungen. Der Efeubesitzer musste dulden, dass der Nachbar sein Grundstück betrat und dort ein Baugerüst aufstellte, um die beschädigte Mauer zu reparieren (Urteil vom 14.9.2006, Az. 30 S 6244/06).
Beispiel: ausladende Zweige einer Schwarzkiefer
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Juni 2021 das Recht des Nachbarn zur Selbsthilfe im Falle einer ausladenden Schwarzkiefer bestätigt. Und zwar auch dann, wenn der Baum durch den Rückschnitt eingehen könnte oder in seiner Standsicherheit gefährdet werden könnte (Az. V ZR 234/19). Hier ragte die breite Krone des Baumes seit mindestens zwei Jahrzehnten erheblich in den Garten des Nachbarn hinein. Dieser gab an, die Nadeln und Zapfen jeden Monat entsorgen zu müssen. Nachdem er die Eigentümer der Kiefer erfolglos zum Rückschnitt aufgefordert hatte, griff er selbst zur Astschere und schnitt die überhängenden Zweige ab. Daraufhin verklagte ihn der Eigentümer der Kiefer, der um die Standsicherheit des Baumes fürchtete. Die Klage war in den ersten beiden Instanzen erfolgreich, jedoch nicht vor dem BGH. Dieser wies allerdings darauf hin, dass in solchen Fällen eine örtliche Baumschutz-Verordnung dem Rückschnitt entgegenstehen kann, weil der Baum durch diese möglicherweise geschützt ist.
Laub, Zweige, Blüten, Zapfen – Unerwünschtes vom Nachbarn
Streit entsteht immer wieder um die Dinge, die nun einmal von Bäumen herabfallen – welke Blätter, Nadeln, Blütenreste, Zapfen und dürre Zweige. Dabei hängen die Rechte des Nachbarn sehr vom Ausmaß der Beeinträchtigung seines Grundstücks ab. Hier stellen die Gerichte sehr auf den Einzelfall ab.
Zum Beispiel gestand der Bundesgerichtshof einem Grundstückseigentümer zu, den Rückschnitt von überhängenden Ästen einer Douglasie zu fordern. Der Baum stand nah der Grundstücksgrenze auf dem Grundstück seines Nachbarn. Die Äste des Baumes hingen auf das Nachbargrundstück hinüber und ließen Nadeln und Zapfen in erheblicher Menge fallen. Dem Bundesgerichtshof zufolge bestand hier ein Anspruch nach § 1004 BGB. Die Nutzung des Grundstücks sei durch die herabfallenden Äste, Zapfen und Nadeln beeinträchtigt. Ob dies ortsüblich sei, sei unwichtig. Hier liege der Fall anders als bei einem Baum, der ohne Überhang auf dem Nachbargrundstück stehen würde (Urteil vom 14.6.2019, Az. V ZR 102/18).
Vor Jahren hat das Landgericht Saarbrücken im Fall einer Birke einen Anspruch auf Rückschnitt abgelehnt. Deren herüberhängende Zweige würden zwar Laub und Blüten fallen lassen. Diese Beeinträchtigung sei jedoch geringfügig und vom Nachbarn hinzunehmen. Wer sich für ein Wohnen in einer Gegend mit großen Gärten und vielen Bäumen entscheide, müsse sich auf verstärkte Einwirkungen der Natur einstellen. Der Nachbar müsse daher pflanzliche Immissionen zumindest dann hinnehmen, wenn diese sein Grundstück nur geringfügig beeinträchtigten (Urteil vom 5.6.1986, Az. 2 S 185/84).
Wichtig: Der Nachbar ist nicht dazu berechtigt, sofort eigenmächtig einen Rückschnitt durchzuführen. Er muss seinem Nachbarn zuerst eine angemessene Frist setzen, um dies selbst zu erledigen. Eigenmächtigkeiten können Schadensersatzansprüche auslösen. Dies gilt ganz besonders, wenn Pflanzen durch den Rückschnitt so geschädigt werden, dass sie eingehen.
Was gilt für den Flug von Unkrautsamen?
Zum Zankapfel wird gerne auch der "Hinüberflug von Unkrautsamen". Dazu sind jedoch noch keine Gerichtsurteile bekannt. Es dürfte schwierig sein, hier einen Abwehranspruch nach § 1004 BGB durchzusetzen. Denn: Erstens ist nirgendwo definiert, was "Unkraut" ist. Zweitens ist eine erhebliche Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks nötig. Daran dürfte ein Anspruch meist scheitern. Ohnehin kann der Flug von Pflanzensamen zwischen Gartengrundstücken auch ortsüblich sein. Dann muss der Nachbar dies hinnehmen.
Immerhin hat das Amtsgericht München am 13.3.2020 entschieden, dass man das Nachbargrundstück nicht einfach betreten darf, um dort Unkraut zu jäten, das man als störend empfindet. Ausnahmen kann es wiederum geben, wenn durch das Unkraut eine erhebliche Beeinträchtigung des eigenen Grundstücks vorliegt (Az. 131 C 17805/19). Hier ist jedoch Vorsicht geboten: Wer ein fremdes Grundstück ohne Erlaubnis betritt, macht sich schnell wegen Hausfriedensbruchs strafbar.
Praxistipp zum Überwuchs vom Nachbargrundstück
Bevor man in einem solchen Fall mit rechtlichen Erwägungen beginnt, hilft unter Nachbarn oft ein Gespräch bei Grillwurst und Bier. Rechtliche Schritte zerstören ein gutnachbarliches Verhältnis sehr schnell und nachhaltig. Oft kann eine Mediation eine Lösung sein. Wenn es dann doch nicht anders geht, berät Sie ein auf das Zivilrecht spezialisierter Rechtsanwalt zum besten Vorgehen.
(Bu)