Corona: Sammelklage von Skifahrern gegen Verantwortliche in Ischgl?

09.04.2020, Redaktion Anwalt-Suchservice
Skifahrer,Skihang Coronavirus: Ein österreichischer Verbraucherverband bereitet eine Klage vor. © Rh - Anwalt-Suchservice

Ein Skiurlaub in Tirol war 2020 für viele Menschen der Beginn einer Corona-Infektion. Von ihnen wurden viele weitere infiziert. In Österreich beginnt nun die rechtliche Aufarbeitung - unter Beteiligung deutscher Gäste.

In Tirol - insbesondere in Ischgl und im Paznauntal - haben sich besonders viele Menschen mit dem Coronavirus angesteckt. Menschenmengen in Anstellschlangen vor Skiliften oder auf engem Raum in Gondelbahnen, abendliches Feiern in den beliebten Après-Ski-Bars, alles trug zur Verbreitung der Infektion bei. Von Tirol aus trugen die ausländischen Gäste ihre Infektion mit nach Hause und sorgten dort für die Weiterverbreitung. Zu spät wurde vielen klar, dass sie andere anstecken konnten. Zum Teil wird sogar darüber gesprochen, dass Ischgl einer der Haupt-Verbreitungsherde für das Coronavirus in Europa war. Mittlerweile machen Verbraucherschützer den Verantwortlichen in Österreich - Hoteliers, Skiliftbetreibern, Fremdenverkehrsfunktionären und Politikern - den Vorwurf, dass diese zu spät reagiert hätten. So seien trotz bekannter Verdachtsfälle Lokale offen geblieben und der allgemeine Betrieb fortgesetzt worden. Ein Verbraucherschutzverband strebt eine Sammelklage an, um Schadensersatzansprüche durchzusetzen. Anfang April 2020 hatten sich bereits 2.700 Skiurlauber für ein rechtliches Vorgehen registrieren lassen - darunter 2.300 Deutsche.

Was genau wird den Verantwortlichen vorgeworfen?


Die Vorwürfe beziehen sich darauf, dass die Verantwortlichen keine Maßnahmen eingeleitet haben, obwohl Mitarbeiter im Tourismusbetrieb - etwa in den Lokalen, in denen abends auf engstem Raum ausschweifend gefeiert wurde - bereits Krankheitssymptome zeigten. Als Patientin Null gilt aus Sicht der österreichischen Gesundheitsbehörden mittlerweile eine Schweizerin, die in einer Après-Ski-Bar gearbeitet hatte und am 5. Februar in Ischgl erkrankt war, aber erst einen Monat später positiv getestet wurde. Ein deutscher Barkeeper war am 7. März positiv getestet worden, am 9. März wurden offenbar 15 Infektionen bei Gästen dieses Lokals bekannt, abends wurde die Bar geschlossen. Auch weitere Après-Ski-Bars wurden geschlossen, während jedoch Restaurants und andere Gaststätten offen bleiben. Am 13. März wurde über Ischgl und weitere Orte eine Quarantäne verhängt. Es dauerte Tage, bis die Urlauber abgereist waren, viele zogen in andere Tiroler Orte um.
In Island galt Ischgl nach der Rückkehr einer zu großen Teilen infizierten Reisegruppe bereits ab 5. März als Hochrisikogebiet. Für Kritik in Österreich sorgten anfangs verharmlosende Äußerungen von Behörden. Und obendrein äußerte ein Nationalratsabgeordneter, der zugleich Obmann des Seilbahnverbandes ist, in einer SMS an einen Wirt in Ischgl noch am 9. März, dass vielleicht nach einer Woche bis zehn Tagen "Gras über die Sache gewachsen" sein könne.

Welche Schritte sind nun beabsichtigt?


Der Verbraucherschutzverein VSV will eine sogenannte Sammelklage gegen die Verantwortlichen anstrengen. Dabei ist zunächst nicht klar definiert, wer diese sind. In Frage kommen zum Beispiel Behördenvertreter, Skiliftbetreiber sowie Inhaber von Après-Ski-Bars und Hotels. Geltend gemacht werden könnten unter anderem Schadensersatzansprüche wegen Verdienstausfällen.

Der VSV beginnt zunächst mit einem strafrechtlichen Vorgehen. Der Verband hat den zeitlichen Ablauf der Ereignisse recherchiert und als sogenannte Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck eingereicht. Diese enthält die Vorwürfe der fahrlässigen und vorsätzlichen Gemeingefährdung, einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verbreitung meldepflichtiger Krankheiten sowie des Amtsmissbrauchs.

Falls die Staatsanwaltschaft daraufhin ein Ermittlungsverfahren einleitet, sollen sich die Skiurlauber, die sich beim Verband gemeldet haben, als sogenannte Privatbeteiligte dem Verfahren anschließen. In Deutschland könnte man hier von Nebenklägern sprechen. Der Verband will dadurch erreichen, dass die Verjährung von zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen gehemmt wird. Außerdem soll so noch mehr Akteneinsicht ermöglicht werden und Geschädigte sollen dem Verfahren als Zeugen zur Verfügung stehen.

Im Anschluss an ein Strafverfahren, bei dem eine entsprechende Aufklärung des Sachverhalts erfolgt, optimalerweise mit Verurteilungen, könnte dann ein Zivilgerichtsverfahren mit einer Klage auf Schadensersatz folgen.

Wie funktioniert eine Sammelklage in Österreich?


Die aus den USA bekannte Sammelklage, bei der eine Anwaltskanzlei für eine Vielzahl von Verbrauchern ein Urteil erstreitet, gibt es in dieser Form in Europa nicht. In Österreich treten die Betroffenen ihre Forderungen einem einzelnen Kläger ab, etwa einem der Geschädigten oder auch einem Verbraucherschutzverband. Nur dieser zieht dann vor Gericht und verteilt nach erfolgreichem Prozess den erstrittenen Betrag unter den Betroffenen. Besondere Prozesskostenfinanzierer zahlen die Prozesskosten und bekommen dafür einen Anteil vom erstrittenen Betrag. Für die vielen einzelnen Verbraucher entfällt das Klagerisiko, sie müssen sich jedoch mit einem Anteil vom erstrittenen Betrag zufriedengeben und bekommen nicht ihren vollen Schaden ersetzt.

Wäre auch in Deutschland so eine Klage möglich?


In Deutschland gibt es seit dem 1. November 2018 die sogenannte Musterfeststellungsklage. Bei ihr treten ebenfalls nicht die Verbraucher selbst als Kläger auf. Ein Verband – wie eine Verbraucherschutzorganisation – macht die Rechte der Verbraucher geltend. Vor Gericht wird dann festgestellt, ob grundsätzlich ein Anspruch besteht, oder nicht. Die einzelnen Verbraucher müssen dann trotzdem noch in ihren jeweiligen konkreten Fällen den eigentlichen Zahlungsanspruch mit einer eigenen Klage geltend machen. Dabei haben sie es allerdings leichter, da schon feststeht, dass die Voraussetzungen für ihren Anspruch erfüllt sind. Geregelt ist dies in § 606 der Zivilprozessordnung (ZPO). Die bisher bekannteste Musterfeststellungsklage richtet sich gegen Volkswagen.

Wie ist der Stand des Tiroler Verfahrens?


Bis 31. März 2020 hatte die Staatsanwaltschaft Innsbruck noch kein Ermittlungsverfahren eröffnet. Sie hatte jedoch die Polizei mit der Erstellung eines Berichts über die Vorkommnisse beauftragt, aus dem sich ergeben soll, wer zu welchem Zeitpunkt welchen Wissensstand hatte. Anfang April lag dieser Bericht noch nicht vor.

UPDATE 6. Juni 2020: Anfang Mai 2020 hat das Tiroler Landeskriminalamt seinen 1.000-seitigen Zwischenbericht vorgelegt. Darin werden zeitliche Abläufe geklärt, es sind jedoch noch Fragen offen geblieben. Nach Pressemeldungen von Anfang Juni hat nun die Staatsanwaltschaft Innsbruck größere Mengen von Daten und Unterlagen sichergestellt. So wurden bei der Landessanitätsdirektion in Innsbruck sowie den Bezirkshauptmannschaften in Landeck und Imst mit Hilfe der Polizei Daten wie etwa medizinische Unterlagen beschlagnahmt. Es wird nun ermittelt gegen unbekannt wegen des Verdachts der Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten.

Sammelklage in Tirol: Wie können sich deutsche Skifahrer beteiligen?


Auf der Homepage des Verbraucherschutzverbandes VSV können Corona-Betroffene Urlauber ein Formular ausfüllen, um sich kostenlos als Interessierte zu registrieren und sich für einen Newsletter anmelden, der sie auf dem Laufenden hält.

https://www.verbraucherschutzverein.at/Corona-Virus-Tirol/

Der Aufruf des Verbandes, sich zu melden, richtet sich an Personen, die ab 5. März 2020 in den Ski-Gebieten Ischgl, Paznauntal, St. Anton am Arlberg, Sölden oder Zillertal Urlaub gemacht haben und kurz darauf feststellen mussten, mit dem Corona-Virus infiziert zu sein.

Corona-Klage: Welche Erfolgschancen bestehen?


Der österreichische VSV ist ein relativ neuer und relativ kleiner Verbraucherschutzverband. Auch er wird sicher zunächst einen spezialisierten Prozessfinanzierer finden müssen, der die Prozesskosten für eine Klage vorstreckt.

Wenn zunächst auf den Ausgang eines Strafverfahrens gewartet werden soll, dessen Ausgang noch unsicher ist, wird bis zum Ende eines darauffolgenden Zivilverfahrens noch viel Zeit vergehen. Die Erfolgsaussichten sind schwer abzuschätzen und hängen von der Beweislage ab. Inwieweit zögerliches Handeln bereits ein Straftatbestand ist, ist schwer zu beurteilen. In vielen Ländern wurde die Corona-Pandemie zunächst nicht ernst genommen - wobei oft wirtschaftliche Gründe eine Rolle gespielt haben dürften. Es kommt hier sehr darauf an, ob den tatsächlichen Entscheidungsträgern ein Fehlverhalten nachzuweisen ist.

Praxistipp


Wer sich über die Erfolgsaussichten einer Schadensersatzklage beraten lassen möchte, sollte sich an einem im Zivilrecht erfahrenen Rechtsanwalt wenden. Dieser kann am besten abschätzen, inwieweit im konkreten Fall Ansprüche geltend gemacht werden können.

(Wk)


 Günter Warkowski
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