Darf der alte Arbeitgeber den neuen vor einem Bewerber warnen?
12.10.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice
© - freepik Nicht jeder Arbeitnehmer ist in seinem Lebenslauf ehrlich. Und für ein Arbeitszeugnis gelten strenge Regeln, bei denen Arbeitgeber schnell gegen Gesetze oder die gängige Rechtsprechung verstoßen können. Für manchen Chef liegt es da nahe, sich direkt und informell über Bewerber auszutauschen. So können vielleicht auch negative Eindrücke mitgeteilt werden, die man in einem Zeugnis nicht niederschreiben kann. Das Problem ist nur: Auch hier gibt es Grenzen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer schränkt eine beliebige Datenweitergabe - egal auf welchem Weg - nämlich deutlich ein.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Es wird aus dem umfassenden Persönlichkeitsschutz des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (freie Entfaltung der Persönlichkeit) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (Menschenwürde) abgeleitet. Viele Gerichtsurteile haben es weiter konkretisiert. Heute wird es gewohnheitsrechtlich anerkannt.
Man unterteilt es oft in sechs Persönlichkeitsrechte:
- das Recht der persönlichen Ehre,
- das Recht am eigenen Bild,
- das Recht am eigenen Namen,
- das Recht am gesprochenen Wort,
- das Recht am geschriebenen Wort,
- das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Arbeitgeber müssen im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht für ihre Arbeitnehmer auch deren allgemeines Persönlichkeitsrecht wahren. Dazu gehört zum Beispiel der Schutz von Arbeitnehmern vor Diskriminierung und Mobbing, aber genauso auch der Schutz der persönlichen Daten der Arbeitnehmer.
§ 75 Betriebsverfassungsgesetz betont, dass Arbeitgeber die freie Entfaltung der Persönlichkeit ihrer Beschäftigten schützen müssen - auch hier ist das Persönlichkeitsrecht gemeint.
Aber: Ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht durch den Arbeitgeber kann berechtigt sein, wenn dessen eigene, schutzwürdige Interessen überwiegen.
Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz musste sich mit dem folgenden Fall befassen:
Eine Arbeitnehmerin bewarb sich neu. Ihr früherer Chef rief jedoch ihren neuen Arbeitgeber an ihrem ersten Tag an und gab diesem nachteilige Informationen über sie. So erklärte er, dass die Frau bei ihm unwahre Angaben im Lebenslauf gemacht habe, um sich eine Anstellung zu erschleichen. Sie habe fälschlicherweise behauptet, zum Zeitpunkt ihrer Bewerbung noch bei einer Behörde angestellt zu sein, obwohl dieses Arbeitsverhältnis schon beendet gewesen sei. Unter anderem behauptete er auch, dass sie mehrfach unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben sei. Mit seinen Informationen wolle er ihren künftigen Arbeitgeber und dessen Kunden vor dieser Arbeitnehmerin schützen.
Die Arbeitnehmerin klagte auf Unterlassung. Die ehrenrührigen Äußerungen entsprächen nicht der Wahrheit. Auch sei ihr Ex-Chef nicht berechtigt, solche Informationen (noch dazu unaufgefordert) zu verbreiten.
Das Landesarbeitsgericht bestätigte das Urteil des Arbeitsgerichts: Der Bewerberin stand ein Unterlassungsanspruch zu. Ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht sei durch die Warnung verletzt worden.
Das Persönlichkeitsrecht schütze Arbeitnehmer auch vor einer Weitergabe persönlicher Daten. Dies schließe Daten ein, die der Arbeitgeber auf erlaubte Weise erhalten habe. Erlaubt sei eine Datenweitergabe nur nach einer Interessenabwägung: Der Arbeitgeber müsse abwägen, ob sein Interesse an der Weitergabe von Daten wirklich schwerer wiege, als das der Arbeitnehmerin an der Nichtweitergabe.
Generell dürften überhaupt nur solche Daten weitergegeben werden, die die Leistung und das Verhalten von Beschäftigten während des Arbeitsverhältnisses beträfen. Der beim Vorarbeitgeber eingereichte Lebenslauf habe damit nichts zu tun.
Das Gericht prüfte auch die anderen Vorwürfe im Einzelnen und stellte fest, dass die Frau in keinem Fall aus niedrigen Motiven gehandelt oder irgendwelche Schäden bei Arbeitgebern oder Kunden verursacht habe. Ihr unentschuldigtes Fehlen habe keine Abmahnung zur Folge gehabt und sei damit wohl auch vom alten Arbeitgeber nicht als schwerwiegend eingestuft worden. Damit habe der alte Arbeitgeber kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an der Weitergabe dieser Informationen oder an einer Warnung des neuen Chefs.
Das Gericht habe stattdessen den Eindruck, dass der Grund für die Weitergabe der Informationen hier eher der Streit mit der Arbeitnehmerin über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses gewesen sei. Dies würde schon durch die Zeitabläufe nahe liegen. Ein unaufgeforderter Anruf beim neuen Chef am ersten Arbeitstag spreche dafür, dass der alte Chef ihr absichtlich habe schaden wollen. Daran bestünde jedoch kein schutzwürdiges Interesse.
Das Gericht gestand der Arbeitnehmerin daher den Unterlassungsanspruch zu (Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 5.7.2022, Az. 6 Sa 54/22).
Als Fazit lässt sich sagen: Arbeitgeber dürfen durchaus Auskünfte über Arbeitnehmer an deren neue Chefs weitergeben, auch ohne Zustimmung der Mitarbeiter. Aber: Diese Auskünfte müssen Leistung und Verhalten während des Arbeitsverhältnisses betreffen. Geht es um Verfehlungen, müssen diese so schwerwiegend sein, dass die Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer gerechtfertigt ist. Dies ist nicht gleich bei jeder kleineren Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten der Fall. Eine Interessenabwägung ist dafür unverzichtbar. Warnt der alte Chef den neuen vor einem Bewerber, um sich für Streitigkeiten zu "revanchieren", muss er damit rechnen, vor Gericht zu verlieren.
Vermuten Sie, dass Ihre Persönlichkeitsrechte durch einen Arbeitgeber verletzt worden sind? Ein auf das Arbeitsrecht spezialisierter Anwalt kann Sie dazu beraten.
Informationen über Bewerber beziehen Arbeitgeber meist aus deren Bewerbung und dem letzten Arbeitszeugnis. Inwiefern dürfen unzufriedene Chefs potenzielle neue Arbeitgeber vor Bewerbern warnen?
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Was ist unter dem Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer zu verstehen? Alter Arbeitgeber warnt neuen Chef vor Bewerberin: Fall vor Gericht Welche Informationen dürfen Arbeitgeber weitergeben? Welche Verfehlungen gelten als schwer wiegend genug? Praxistipp zur Warnung vor Bewerbern Was ist unter dem Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer zu verstehen?
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Es wird aus dem umfassenden Persönlichkeitsschutz des Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (freie Entfaltung der Persönlichkeit) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (Menschenwürde) abgeleitet. Viele Gerichtsurteile haben es weiter konkretisiert. Heute wird es gewohnheitsrechtlich anerkannt.
Man unterteilt es oft in sechs Persönlichkeitsrechte:
- das Recht der persönlichen Ehre,
- das Recht am eigenen Bild,
- das Recht am eigenen Namen,
- das Recht am gesprochenen Wort,
- das Recht am geschriebenen Wort,
- das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Arbeitgeber müssen im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht für ihre Arbeitnehmer auch deren allgemeines Persönlichkeitsrecht wahren. Dazu gehört zum Beispiel der Schutz von Arbeitnehmern vor Diskriminierung und Mobbing, aber genauso auch der Schutz der persönlichen Daten der Arbeitnehmer.
§ 75 Betriebsverfassungsgesetz betont, dass Arbeitgeber die freie Entfaltung der Persönlichkeit ihrer Beschäftigten schützen müssen - auch hier ist das Persönlichkeitsrecht gemeint.
Aber: Ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht durch den Arbeitgeber kann berechtigt sein, wenn dessen eigene, schutzwürdige Interessen überwiegen.
Alter Arbeitgeber warnt neuen Chef vor Bewerberin: Fall vor Gericht
Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz musste sich mit dem folgenden Fall befassen:
Eine Arbeitnehmerin bewarb sich neu. Ihr früherer Chef rief jedoch ihren neuen Arbeitgeber an ihrem ersten Tag an und gab diesem nachteilige Informationen über sie. So erklärte er, dass die Frau bei ihm unwahre Angaben im Lebenslauf gemacht habe, um sich eine Anstellung zu erschleichen. Sie habe fälschlicherweise behauptet, zum Zeitpunkt ihrer Bewerbung noch bei einer Behörde angestellt zu sein, obwohl dieses Arbeitsverhältnis schon beendet gewesen sei. Unter anderem behauptete er auch, dass sie mehrfach unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben sei. Mit seinen Informationen wolle er ihren künftigen Arbeitgeber und dessen Kunden vor dieser Arbeitnehmerin schützen.
Die Arbeitnehmerin klagte auf Unterlassung. Die ehrenrührigen Äußerungen entsprächen nicht der Wahrheit. Auch sei ihr Ex-Chef nicht berechtigt, solche Informationen (noch dazu unaufgefordert) zu verbreiten.
Welche Informationen dürfen Arbeitgeber weitergeben?
Das Landesarbeitsgericht bestätigte das Urteil des Arbeitsgerichts: Der Bewerberin stand ein Unterlassungsanspruch zu. Ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht sei durch die Warnung verletzt worden.
Das Persönlichkeitsrecht schütze Arbeitnehmer auch vor einer Weitergabe persönlicher Daten. Dies schließe Daten ein, die der Arbeitgeber auf erlaubte Weise erhalten habe. Erlaubt sei eine Datenweitergabe nur nach einer Interessenabwägung: Der Arbeitgeber müsse abwägen, ob sein Interesse an der Weitergabe von Daten wirklich schwerer wiege, als das der Arbeitnehmerin an der Nichtweitergabe.
Generell dürften überhaupt nur solche Daten weitergegeben werden, die die Leistung und das Verhalten von Beschäftigten während des Arbeitsverhältnisses beträfen. Der beim Vorarbeitgeber eingereichte Lebenslauf habe damit nichts zu tun.
Welche Verfehlungen gelten als schwer wiegend genug?
Das Gericht prüfte auch die anderen Vorwürfe im Einzelnen und stellte fest, dass die Frau in keinem Fall aus niedrigen Motiven gehandelt oder irgendwelche Schäden bei Arbeitgebern oder Kunden verursacht habe. Ihr unentschuldigtes Fehlen habe keine Abmahnung zur Folge gehabt und sei damit wohl auch vom alten Arbeitgeber nicht als schwerwiegend eingestuft worden. Damit habe der alte Arbeitgeber kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an der Weitergabe dieser Informationen oder an einer Warnung des neuen Chefs.
Das Gericht habe stattdessen den Eindruck, dass der Grund für die Weitergabe der Informationen hier eher der Streit mit der Arbeitnehmerin über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses gewesen sei. Dies würde schon durch die Zeitabläufe nahe liegen. Ein unaufgeforderter Anruf beim neuen Chef am ersten Arbeitstag spreche dafür, dass der alte Chef ihr absichtlich habe schaden wollen. Daran bestünde jedoch kein schutzwürdiges Interesse.
Das Gericht gestand der Arbeitnehmerin daher den Unterlassungsanspruch zu (Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 5.7.2022, Az. 6 Sa 54/22).
Praxistipp zur Warnung vor Bewerbern
Als Fazit lässt sich sagen: Arbeitgeber dürfen durchaus Auskünfte über Arbeitnehmer an deren neue Chefs weitergeben, auch ohne Zustimmung der Mitarbeiter. Aber: Diese Auskünfte müssen Leistung und Verhalten während des Arbeitsverhältnisses betreffen. Geht es um Verfehlungen, müssen diese so schwerwiegend sein, dass die Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Arbeitnehmer gerechtfertigt ist. Dies ist nicht gleich bei jeder kleineren Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten der Fall. Eine Interessenabwägung ist dafür unverzichtbar. Warnt der alte Chef den neuen vor einem Bewerber, um sich für Streitigkeiten zu "revanchieren", muss er damit rechnen, vor Gericht zu verlieren.
Vermuten Sie, dass Ihre Persönlichkeitsrechte durch einen Arbeitgeber verletzt worden sind? Ein auf das Arbeitsrecht spezialisierter Anwalt kann Sie dazu beraten.
(Ma)