Darf der Chef Sonderzahlungen einfach kürzen oder streichen?

18.09.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
Gratifikation,Bonus,Sonderzahlung,betriebliche Übung Können sich Arbeitnehmer auf regelmäßige Sonderzahlungen immer verlassen? © - freepik
Das Wichtigste in Kürze

1. Anspruch: Arbeitnehmer haben nur dann einen Anspruch auf eine Sonderzahlung, wenn sie vereinbart ist, z. B. im Arbeitsvertrag, in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung.

2. Betriebliche Übung: Zahlt der Arbeitgeber eine bestimmte Sonderzahlung, z.B. das Weihnachtsgeld, in gleicher Höhe mehrere Jahre hintereinander ohne Vorbehalt, entsteht daraus ebenfalls ein Anspruch des Arbeitnehmers in der Zukunft.

3. Freiwilligkeit: Ist eine Sonderzahlung, z.B. das Urlaubsgeld, nicht vertraglich geregelt und gibt es auch keine diesbezügliche betriebliche Übung, so ist die Zahlung durch den Arbeitgeber freiwillig. Der Arbeitnehmer hat dann keinen Anspruch darauf.
Zusätzliche Zahlungen zum Gehalt sind selbstverständlich jedem Arbeitnehmer sehr willkommen. Die entscheidenden Fragen sind daher, ob ein Anspruch darauf besteht, oder der Chef nur freiwillig zahlen kann und ob die Sonderzahlung gekürzt oder ganz gestrichen werden kann.

Was ist ein Bonus und was eine Gratifikation?


Der Unterschied zwischen einem Bonus und einer Gratifikation liegt hauptsächlich im Verwendungszweck und der Regelmäßigkeit der Zahlungen:

Bonus
Ein Bonus wird in der Regel als Belohnung für bestimmte Leistungen oder Ziele gezahlt, z. B. das Erreichen von Umsatzzielen oder besonderen Projekterfolgen. Es handelt sich häufig um eine einmalige, leistungsabhängige Sonderzahlung, die nicht regelmäßig gezahlt wird.

Gratifikation
Eine Gratifikation ist eine freiwillige oder vertraglich vereinbarte Sonderzahlung des Arbeitgebers, die aus bestimmten Anlässen wie Weihnachten (Weihnachtsgeld) oder Urlaub (Urlaubsgeld) gezahlt wird. Sie wird oft regelmäßig in bestimmten Zeitabständen oder zu besonderen Anlässen gezahlt und kann unabhängig von der individuellen Leistung des Mitarbeiters sein.

Kurz gesagt: Ein Bonus belohnt individuelle Leistungen, während eine Gratifikation in der Regel an besondere Anlässe oder Jahreszeiten gebunden ist.

Wann habe ich Anspruch auf eine Sonderzahlung?


Eine Prämie für gute Leistungen, ein Weinachtsgeld oder Urlaubsgeld, kann vom Chef einfach freiwillig gezahlt werden. Einen Rechtsanspruch darauf haben Arbeitnehmer aber nur dann, wenn es eine wirksame Vereinbarung gibt. Diese kann im Arbeitsvertrag niedergelegt sein. Sie kann aber auch in einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung getroffen werden. Grundsätzlich wäre sogar eine mündliche Vereinbarung wirksam - sie ist nur schwer zu beweisen.

Auch eine sogenannte betriebliche Übung - also ein längere Zeit gewohnheitsmäßig durchgeführtes Vorgehen im Betrieb - kann zu einem Anspruch auf den Bonus bzw. eine Gratifikation führen. Ebenso kann ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf Basis des Gleichbehandlungsgrundsatzes haben, weil andere, vergleichbare Mitarbeiter eine Sonderzahlung erhalten, er selbst aber ohne ersichtlichen Grund nicht.

Wann ist eine betriebliche Übung Anspruchgrundlage einer Sonderzahlungen?


Arbeitnehmer können auch aufgrund einer sogenannten betrieblichen Übung Anspruch auf eine Sonderzahlung haben. Dabei handelt es sich um eine Art Gewohnheitsrecht. Man spricht von einer betrieblichen Übung, wenn die Gratifikation in gleicher Höhe mehrere Jahre lang in Folge ohne Vorbehalt ausgezahlt wurde. Die Arbeitsgerichte gehen meist davon aus, dass drei Jahre für das Entstehen einer solchen betrieblichen Übung ausreichen. Der Arbeitgeber kann eine Gratifikation, die er allein aufgrund einer betrieblichen Übung zahlt, nicht einfach einseitig wieder einstellen. Auch dadurch entsteht nämlich ein Rechtsanspruch (Arbeitsgericht Bonn, Az. 5 Sa 604/10).

Kann der Arbeitgeber das Weihnachtsgeld per Brief abschaffen?


Manchmal wird in einem Betrieb jahrelang ohne Vorbehalt eine Gratifikation gezahlt - zum Beispiel Weihnachtsgeld. Irgendwann erhalten die Arbeitnehmer mit der entsprechenden Gehaltsabrechnung ein Schreiben, in dem die Zahlung unter den Vorbehalt gestellt wird, dass es dem Betrieb finanziell gut geht.
Zu einem solchen Fall hat das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz entschieden. Dem Urteil zufolge kann der Arbeitgeber die Extrazahlung nicht einfach per Brief zurücknehmen, wenn er zuvor über drei Jahre lang die Gratifikation ohne brieflichen Vorbehalt gezahlt hat, also bereits eine betrieblichen Übung hinsichtlich der Sonderzahlung bestanden hat. (Urteil vom 7.4.2011, Az. 5 Sa 604/10).

Allerdings kann eine solche Einschränkung per Brief wirksam sein, wenn sie von Anfang an gemacht wird. So lehnte das Arbeitsgericht Köln einen Anspruch der Betriebsrentner eines Unternehmens auf ein Weihnachtsgeld und eine Marzipantorte ab. Der Arbeitgeber habe diese Vergünstigungen von Anfang an brieflich unter Vorbehalt gestellt und nur für das jeweilige Jahr zugesagt. Auch hatten nie alle Rentner diesen Bonus erhalten (Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 24.11.2016, Az. 11 Ca 3589/16).

Wann kann der Arbeitgeber eine Sonderzahlung widerrufen?


Ist die Zahlung einer bestimmten Gratifikation arbeitsvertraglich geregelt, kann der Arbeitgeber sie nicht einfach beliebig widerrufen. Auch dann nicht, wenn es dem Unternehmen schlecht geht. Allerdings verbinden viele Arbeitgeber die Zusage im Vertrag daher mit einem Vorbehalt, dem zufolge die Zusage von Bonus oder Gratifikation freiwillig ist. Gerne verwenden sie dabei die Floskel "freiwillig und jederzeit widerruflich". Aber: Ist dies rechtswirksam?

Tatsächlich haben die Arbeitsgerichte entschieden, dass diverse von Arbeitgebern genutzte Klauseln nicht wirksam sind. Dazu gehört auch die Floskel "freiwillig und jederzeit widerruflich". Denn: Ist etwas freiwillig, kann gar nicht erst ein Rechtsanspruch darauf entstehen. Ein Widerruf setzt aber voraus, dass ein Anspruch besteht, der widerrufen werden kann. Mit dieser Begründung aus dem Reich der Logik hat das Bundesarbeitsgericht die Formulierung als unwirksam angesehen (14.9.2011, Az. 10 AZR 526/10).

Seit 2013 gelten generell Klauseln im Arbeitsvertrag als unwirksam, die auf der einen Seite Beschäftigten eine Gratifikation zusichern und diese andererseits wieder als freiwillig bezeichnen. Denn: Man kann nicht jemandem einen Rechtsanspruch auf etwas einräumen und gleichzeitig erklären, dass man sich an seine eigene Zusage nicht zu halten braucht (Urteil vom 20. Februar 2013, Az. 10 AZR 177/12).
Wichtig zu wissen: Dies gilt nur für Regelungen im Arbeitsvertrag – nicht für Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge.

Ist ein Bonusversprechen per Brief verbindlich?


Es kommt vor, dass Arbeitgeber im Arbeitsvertrag lediglich allgemein die Zahlung eines Bonus versprechen, unter Berücksichtigung der Leistungen des Arbeitnehmers und der Lage des Unternehmens. Die eigentliche Bonuszusage findet dann sozusagen für den Einzelfall in einem unverbindlichen Schreiben statt. Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts kann das Unternehmen in diesem Fall den Bonus in Anbetracht schlechter Wirtschaftslage kürzen (Urteil vom 12.10.2011, 10 AZR 198/11).

Muss ich meine Sonderzahlung nach einer Kündigung zurückzahlen?


Ein Arbeitgeber kann eine gewährte Gratifikation nicht ohne Weiteres zurückfordern, wenn der Arbeitnehmer wenig später kündigt oder ihm gekündigt wird. Allerdings kann eine Rückzahlung im Kündigungsfall im Arbeitsvertrag vereinbart werden. Auch dabei ist nicht jede Klausel wirksam. Rechtlich zweifelhaft sind insbesondere Vereinbarungen, mit denen eine Rückzahlungspflicht für eine rein arbeitgeberseitige Kündigung festgelegt wird, an der der Beschäftigte keine Schuld trägt.

Praxistipp zu Sonderzahlungen


Zwar können Arbeitgeber unter Umständen die Zahlung einer alljährlichen Gratifikation auch wieder einstellen. Sie müssen dabei jedoch rechtliche Vorgaben beachten, bei denen oft Fehler vorkommen. Ein Fachanwalt für Arbeitsrecht kann die Rechtslage im individuellen Fall für Sie prüfen.

(Bu)


 Stephan Buch
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