Darf ein Straftäter mit seinen KfZ-Navidaten geortet werden?
11.08.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice
© - freepik Moderne Autos sind exzessive Datensammler. Das Thema Datenschutz hat hier bisher kaum Bedeutung, kann doch sowieso niemand kontrollieren oder überprüfen, welche Daten gesammelt und an den Hersteller übermittelt werden. Dies sind durchaus auch persönliche Daten - etwa zur Nutzung des KfZ und zum persönlichen Fahrstil. So lässt sich feststellen, wie viele verschiedene Fahrer das Auto wann benutzen, welchen Fahrstil die einzelnen haben, wie lange und wie oft sie telefonieren etc. Ein Test des ADAC brachte zum Beispiel zu Tage, dass eines der untersuchten Fahrzeuge regelmäßig seine letzten 100 Abstellpositionen weitermeldete, sowie auch Verbindungspunkte, an denen in andere Verkehrsmittel umgestiegen wurde. Die Autofahrer haben auf diese Daten keinerlei Zugriff. Auch GPS-Daten werden von Datenschützern skeptisch beäugt, denn: Das Auto bzw. der eingebaute Navi registriert, wohin die Fahrt geht und wann sie stattfindet - und übermittelt diese Informationen. Was ist nun zum Beispiel, wenn die Polizei darauf zugreifen möchte, um Beweise gegen den Fahrer zu sammeln?
Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte sich mit einem Fall um die Verwendung von Navigationsdaten eines PKW zu befassen. Ein flüchtiger Angeklagter hatte einen Bekannten, der einen Mercedes fuhr. Der Bekannte stand im Verdacht, dem Angeklagten bei seiner Flucht geholfen zu haben. Damit hätte er sich nach § 120 StGB strafbar gemacht. Zur Freude der Staatsanwaltschaft war der Mercedes nun mit dem "Mercedes-me-connect"-Dienst ausgestattet. Dabei übermittelt das Fahrzeug mit Hilfe einer fest verbauten SIM-Karte eine Fülle von Daten an die Server des Herstellers, darunter auch GPS-Standortdaten oder Daten über die Belegung des Beifahrersitzes. Die Standortdaten dienen dabei der Nutzung des eingebauten Navigationsgerätes. Und viele Daten werden - nach Überzeugung der Ermittlungsbehörden - auch dann übertragen, wenn der Fahrer den Dienst "Mercedes-me-Connect" gar nicht nutzen will.
Die Staatsanwaltschaft beantragte nun unter Berufung auf den recht neuen § 100k der Strafprozessordnung (StPO), die Mercedes Benz AG zur Herausgabe der in Echtzeit aufgezeichneten Standortdaten dieses Fahrzeuges zu verurteilen. Diesem Antrag wurde vom Ermittlungsrichter stattgegeben. Mercedes legte dagegen Beschwerde vor dem OLG Frankfurt ein.
Das Gericht entschied: Mercedes muss alle GPS-Standortdaten des Fahrzeugs herausgeben, die auf den Servern gespeichert sind, einschließlich der Daten über Fahrtzeiten, in denen das Navigationsgerät nicht genutzt wurde (Beschluss vom 20.7.2021, Az. 3 Ws 369/21).
§ 100k STPO betrifft die "Erhebung von Nutzungsdaten bei Telemediendiensten" zum Zweck der Strafverfolgung. Eingeführt wurde die Regelung im Dezember 2021. Danach können die Ermittlungsbehörden die Herausgabe von Nutzerdaten verlangen, wenn der Betreffende im Verdacht steht, eine Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung, insbesondere eine in § 100a Absatz 2 genannte Straftat, begangen zu haben. Dort sind eine Reihe von Straftaten aufgeführt, von Geldfälschung über Bandendiebstahl bis zum Mord, aber auch Steuerstraftaten.
Was unter Nutzerdaten zu verstehen ist, ergibt sich laut der Regelung aus § 2 Abs. 2 Nr. 3 des Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetzes (TTDSG). Demnach sind dies:
Die personenbezogenen Daten eines Nutzers, deren Verarbeitung erforderlich ist, um die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und abzurechnen; dazu gehören insbesondere
- Merkmale zur Identifikation des Nutzers,
- Angaben über Beginn und Ende sowie Umfang der jeweiligen Nutzung und
- Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemedien.
Das OLG Frankfurt sah hier den Dienst "Mercedes-me-Connect" als Telemediendienst im Sinne der Vorschrift an. Die GPS-Standortdaten seien für die Inanspruchnahme des Navigationsdienstes und der Standortbestimmung des “Mercedes-me-connect-Systems" erforderlich.
Allerdings könnte man sich auch auf den Standpunkt stellen, dass diese Vorschrift gerade keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Herausgabe von Standortdaten ist.
Die Regelung ermöglicht die Herausgabe von Nutzerdaten im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 3 TTDSG. Damit sind nur die Daten gemeint, die erforderlich sind, "um die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und abzurechnen". Aber: Gehören dazu wirklich auch die GPS-Standortdaten? Und: Was bedeutet "Inanspruchnahme"?
Natürlich kann kein Navi ohne Standortdaten funktionieren. Man könnte "Inanspruchnahme" aber auch so verstehen, dass damit die eher formalen Daten gemeint sind, die es dem Nutzer ermöglichen, den Dienst in Anspruch zu nehmen.
Dies zeigt sich auch an den im Gesetz genannten Beispielen "Merkmale zur Identifikation des Nutzers, Angaben über Beginn und Ende sowie Umfang der jeweiligen Nutzung und Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemedien". Hier geht es um den formalen Rahmen, aber nicht inhaltliche Daten, die mit der Nutzung selbst zu tun haben, und auch nicht pauschal um alle Daten, die das System sammelt.
GPS-Standortdaten sind auch nicht zur Abrechnung des Dienstes erforderlich. Eine Abrechnung in Abhängigkeit von zurückgelegten Fahrtstrecken findet ja nicht statt.
Würde man unter den zur Inanspruchnahme des Dienstes erforderlichen Daten alle Daten verstehen, die das Fahrzeug übermittelt, könnte dies auch Daten über den Puls des Fahrers, Einschätzungen zu dessen Übermüdung, seiner Fahrtüchtigkeit etc. umfassen. Denn: Auch solche Daten sammelt so manches Fahrzeug. Und nur sie ermöglichen die Funktion "Müdigkeitswarnung". Wären aber pauschal alle Daten gemeint, die das System sammelt, hätte man die Einschränkung auf für die Inanspruchnahme des Dienstes erforderliche Daten nicht gebraucht.
Das Gericht ermöglicht hier im Grunde den Zugriff auf alle Daten, die von Fahrzeugsystemen gesammelt und an den Hersteller übermittelt werden. Die weite Auslegung des Begriffs der Nutzerdaten könnte womöglich sogar die Inhalte einer Kommunikation über die Freisprechanlage betreffen und deren Auswertung durch Ermittlungsbehörden ermöglichen. Dies wäre sicherlich in deren Sinne, würde aber die Regelungen in §§ 100a und 100b der Strafprozessordnung unterlaufen, die genau festlegen, wann eine Telefonüberwachung erfolgen darf und wann nicht.
Tatsächlich könnte sich das Auto also zum wichtigsten Belastungszeugen im Strafverfahren entwickeln - wenn die Argumentation dieses ersten OLG-Urteils zu diesem Thema von anderen Gerichten aufgenommen wird.
Allerdings könnte man hier auch einen Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in Betracht ziehen, das sich aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz ergibt.
Die Entscheidung des OLG Frankfurt erlaubt einen umfassenden Zugriff von Ermittlungsbehörden auf Standortdaten von Auto-Navigationsgeräten. Ob sich diese Rechtsprechung fortsetzt, bleibt abzuwarten. Wenn gegen Sie ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, ist ein Fachanwalt für Strafrecht der beste Ansprechpartner. Dieser kann Akteneinsicht nehmen, die gegen Sie erhobenen Vorwürfe prüfen und auch die vorhandenen Beweismittel einer Prüfung auf Rechtmäßigkeit unterziehen.
Autos können immer mehr - sie sammeln und übermitteln aber auch immer mehr Daten. Strafverfolgungsbehörden wollen diese gerne nutzen. Zu Recht? Ein Gericht hat sich nun mit dieser Frage befasst.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Prozess um Navidaten: Was war passiert? Was besagt § 100k StPO? Sind die Standortdaten wirklich von der Regelung umfasst? Was sind die möglichen Folgen der Entscheidung zu GPS-Standortdaten? Praxistipp Prozess um Navidaten: Was war passiert?
Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte sich mit einem Fall um die Verwendung von Navigationsdaten eines PKW zu befassen. Ein flüchtiger Angeklagter hatte einen Bekannten, der einen Mercedes fuhr. Der Bekannte stand im Verdacht, dem Angeklagten bei seiner Flucht geholfen zu haben. Damit hätte er sich nach § 120 StGB strafbar gemacht. Zur Freude der Staatsanwaltschaft war der Mercedes nun mit dem "Mercedes-me-connect"-Dienst ausgestattet. Dabei übermittelt das Fahrzeug mit Hilfe einer fest verbauten SIM-Karte eine Fülle von Daten an die Server des Herstellers, darunter auch GPS-Standortdaten oder Daten über die Belegung des Beifahrersitzes. Die Standortdaten dienen dabei der Nutzung des eingebauten Navigationsgerätes. Und viele Daten werden - nach Überzeugung der Ermittlungsbehörden - auch dann übertragen, wenn der Fahrer den Dienst "Mercedes-me-Connect" gar nicht nutzen will.
Die Staatsanwaltschaft beantragte nun unter Berufung auf den recht neuen § 100k der Strafprozessordnung (StPO), die Mercedes Benz AG zur Herausgabe der in Echtzeit aufgezeichneten Standortdaten dieses Fahrzeuges zu verurteilen. Diesem Antrag wurde vom Ermittlungsrichter stattgegeben. Mercedes legte dagegen Beschwerde vor dem OLG Frankfurt ein.
Das Gericht entschied: Mercedes muss alle GPS-Standortdaten des Fahrzeugs herausgeben, die auf den Servern gespeichert sind, einschließlich der Daten über Fahrtzeiten, in denen das Navigationsgerät nicht genutzt wurde (Beschluss vom 20.7.2021, Az. 3 Ws 369/21).
Was besagt § 100k StPO?
§ 100k STPO betrifft die "Erhebung von Nutzungsdaten bei Telemediendiensten" zum Zweck der Strafverfolgung. Eingeführt wurde die Regelung im Dezember 2021. Danach können die Ermittlungsbehörden die Herausgabe von Nutzerdaten verlangen, wenn der Betreffende im Verdacht steht, eine Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung, insbesondere eine in § 100a Absatz 2 genannte Straftat, begangen zu haben. Dort sind eine Reihe von Straftaten aufgeführt, von Geldfälschung über Bandendiebstahl bis zum Mord, aber auch Steuerstraftaten.
Was unter Nutzerdaten zu verstehen ist, ergibt sich laut der Regelung aus § 2 Abs. 2 Nr. 3 des Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetzes (TTDSG). Demnach sind dies:
Die personenbezogenen Daten eines Nutzers, deren Verarbeitung erforderlich ist, um die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und abzurechnen; dazu gehören insbesondere
- Merkmale zur Identifikation des Nutzers,
- Angaben über Beginn und Ende sowie Umfang der jeweiligen Nutzung und
- Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemedien.
Das OLG Frankfurt sah hier den Dienst "Mercedes-me-Connect" als Telemediendienst im Sinne der Vorschrift an. Die GPS-Standortdaten seien für die Inanspruchnahme des Navigationsdienstes und der Standortbestimmung des “Mercedes-me-connect-Systems" erforderlich.
Sind die Standortdaten wirklich von der Regelung umfasst?
Allerdings könnte man sich auch auf den Standpunkt stellen, dass diese Vorschrift gerade keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Herausgabe von Standortdaten ist.
Die Regelung ermöglicht die Herausgabe von Nutzerdaten im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 3 TTDSG. Damit sind nur die Daten gemeint, die erforderlich sind, "um die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und abzurechnen". Aber: Gehören dazu wirklich auch die GPS-Standortdaten? Und: Was bedeutet "Inanspruchnahme"?
Natürlich kann kein Navi ohne Standortdaten funktionieren. Man könnte "Inanspruchnahme" aber auch so verstehen, dass damit die eher formalen Daten gemeint sind, die es dem Nutzer ermöglichen, den Dienst in Anspruch zu nehmen.
Dies zeigt sich auch an den im Gesetz genannten Beispielen "Merkmale zur Identifikation des Nutzers, Angaben über Beginn und Ende sowie Umfang der jeweiligen Nutzung und Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemedien". Hier geht es um den formalen Rahmen, aber nicht inhaltliche Daten, die mit der Nutzung selbst zu tun haben, und auch nicht pauschal um alle Daten, die das System sammelt.
GPS-Standortdaten sind auch nicht zur Abrechnung des Dienstes erforderlich. Eine Abrechnung in Abhängigkeit von zurückgelegten Fahrtstrecken findet ja nicht statt.
Würde man unter den zur Inanspruchnahme des Dienstes erforderlichen Daten alle Daten verstehen, die das Fahrzeug übermittelt, könnte dies auch Daten über den Puls des Fahrers, Einschätzungen zu dessen Übermüdung, seiner Fahrtüchtigkeit etc. umfassen. Denn: Auch solche Daten sammelt so manches Fahrzeug. Und nur sie ermöglichen die Funktion "Müdigkeitswarnung". Wären aber pauschal alle Daten gemeint, die das System sammelt, hätte man die Einschränkung auf für die Inanspruchnahme des Dienstes erforderliche Daten nicht gebraucht.
Was sind die möglichen Folgen der Entscheidung zu GPS-Standortdaten?
Das Gericht ermöglicht hier im Grunde den Zugriff auf alle Daten, die von Fahrzeugsystemen gesammelt und an den Hersteller übermittelt werden. Die weite Auslegung des Begriffs der Nutzerdaten könnte womöglich sogar die Inhalte einer Kommunikation über die Freisprechanlage betreffen und deren Auswertung durch Ermittlungsbehörden ermöglichen. Dies wäre sicherlich in deren Sinne, würde aber die Regelungen in §§ 100a und 100b der Strafprozessordnung unterlaufen, die genau festlegen, wann eine Telefonüberwachung erfolgen darf und wann nicht.
Tatsächlich könnte sich das Auto also zum wichtigsten Belastungszeugen im Strafverfahren entwickeln - wenn die Argumentation dieses ersten OLG-Urteils zu diesem Thema von anderen Gerichten aufgenommen wird.
Allerdings könnte man hier auch einen Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung in Betracht ziehen, das sich aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz ergibt.
Praxistipp
Die Entscheidung des OLG Frankfurt erlaubt einen umfassenden Zugriff von Ermittlungsbehörden auf Standortdaten von Auto-Navigationsgeräten. Ob sich diese Rechtsprechung fortsetzt, bleibt abzuwarten. Wenn gegen Sie ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, ist ein Fachanwalt für Strafrecht der beste Ansprechpartner. Dieser kann Akteneinsicht nehmen, die gegen Sie erhobenen Vorwürfe prüfen und auch die vorhandenen Beweismittel einer Prüfung auf Rechtmäßigkeit unterziehen.
(Wk)