Eigenbedarf – wann darf der Vermieter kündigen?
06.12.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
© Bu - Anwalt-Suchservice Vermieter können schnell in eine Situation kommen, in der sie ihre Immobilie selbst zum Wohnen brauchen. Denn: Auch bei einem Immobilieneigentümer ändern sich vielleicht die Lebensumstände. Nicht jeder, dem eine Wohnung oder ein Haus gehört, ist automatisch reich und finanziell sorgenfrei. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber die Möglichkeit der Eigenbedarfskündigung geschaffen. Sie ist einer der gesetzlich anerkannten Gründe, aus denen der Vermieter einen Mietvertrag kündigen darf. Eine Kündigung wegen Eigenbedarf ist nur unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Ist sie unzulässig, kann sie Schadensersatzforderungen des Mieters auslösen.
Ohne einen gesetzlich zulässigen Grund dürfen Vermieter ihren Mietern nicht kündigen. Der Eigenbedarf stellt einen solchen Grund dar. Nach § 573 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) liegt er grundsätzlich dann vor, wenn der Vermieter die Wohnung für sich selbst, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt. Die Eigenbedarfskündigung ist eine ordentliche Kündigung: Sie erfolgt mit der gesetzlichen Kündigungsfrist und erfordert keine Verletzung von vertraglichen Pflichten durch den Mieter.
Es reicht jedoch nicht aus, dass der Vermieter die Wohnung gerne selbst beziehen möchte. Er benötigt nämlich einen sogenannten Eigenbedarfsgrund. Dieser kann zum Beispiel darin bestehen, dass er selbst eine Familie gründet und mehr Platz braucht. Oder er vermietet eine Ein-Zimmer-Wohnung in einer anderen Stadt, und nun will eines seiner Kinder dort eine Ausbildung machen.
Außer dem Eigenbedarfsgrund muss der Vermieter auch einen Wohnbedarf haben, welcher der zu kündigenden Wohnung entspricht. Dabei ist deren Größe maßgeblich. Er kann keine Ein-Zimmer-Wohnung wegen Eigenbedarfs kündigen, weil er dort angeblich mit seiner Familie einziehen möchte. Er kann auch nicht den Mietvertrag über ein ganzes Einfamilienhaus kündigen, weil sein Kind dieses als Studentenbude benötigt. Dann entspräche der Wohnbedarf nicht der Wohnung, an der Eigenbedarf angemeldet wird und die Kündigung wäre unzulässig.
Der Vermieter darf unter anderem wegen Eigenbedarf kündigen, wenn er die Wohnung für seine Familienangehörigen benötigt. Gemeint sind damit nur nahe Verwandte wie Kinder oder Geschwister.
Ausnahmsweise können auch entferntere, wie etwa Nichten und Neffen, dazu gehören. Dies erfordert jedoch eine besonders enge Bindung zum Vermieter (Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.1.2010, Az. VIII ZR 159/09). In diesem Fall wollte die Vermieterin, eine Seniorin, ihre Nichte mehr in ihrer Nähe haben. Diese sollte ihre Tante pflegen und ihr den Haushalt führen. Das Gericht betrachtete die Eigenbedarfskündigung der nahe gelegenen vermieteten Wohnung der Seniorin als rechtmäßig.
Faustregel: Je weiter entfernt die Verwandtschaft, desto enger muss die persönliche Beziehung sein, damit man für diese Person Eigenbedarf anmelden darf.
Eine Eigenbedarfskündigung ist auch erlaubt, wenn der Vermieter die Wohnung für ”Angehörige seines Haushalts” benötigt. Dies sind zum Beispiel Hausangestellte oder Pflegekräfte, wenn diese normalerweise mit im Haushalt des Vermieters wohnen.
Der Bundesgerichtshof hat im Juli 2024 gegen eine weite Auslegung des Begriffs "Familienangehörige" entschieden. In dem Rechtsstreit ging es u.a. darum, ob auch Cousins Verwandte sind, für die Eigenbedarf geltend gemacht werden kann. Der BGH urteilte, dass Familienangehörige im Sinne des § 577a Abs. 1a mit den in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB genannten Familienangehörigen gleichzusetzen sind. Letztgenannte Vorschrift beschreibt, für welche Verwandten überhaupt eine Eigenbedarfskündigung erfolgen darf. Der BGH hat diesen Verwandtenkreis in seiner Entscheidung nun exakt definiert: Er umfasst alle Familienangehörigen, denen nach § § 383 ZPO und § 52 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen zusteht. Dies sind im Einzelnen:
- Verlobte, Ehegatten (auch geschiedene), eingetragene Lebenspartner (auch ehemalige),
- jeder, der mit der betreffenden Person in gerader Linie verwandt oder verschwägert ist (Kinder, Stiefkinder, Schwiegerkinder, Schwiegereltern, Enkel, Stiefenkel, Ehegatten des Enkels, Urenkel, Stiefurenkel, Ehegatte des Urenkels, Eltern, Großeltern, Urgroßeltern) oder
- in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist (Geschwister, Ehegatten der Geschwister, Nichten/Neffen, Geschwister der Ehegatten, Eltern/Großeltern der Stiefeltern, Tante/Onkel, Eltern/Großeltern der Schwiegereltern).
Ganz klar nicht dazu gehören demnach Cousins und Cousinen, Großneffen und Großnichten, Großtanten und Großonkel sowie Ehegatten von Onkeln, Tanten, Nichten und Neffen sowie den entsprechenden Verwandten des Ehegatten.
Als Grund nannte der BGH die bei näheren Verwandten meist bestehende persönliche Nähebeziehung. Im vorliegenden Fall war daher für die beiden Cousins als GbR-Gesellschafter keine Eigenbedafskündigung möglich (Urteil vom 10.7.2024, Az. VIII ZR 276/23).
Daraus müssen die genauen Gründe für die Kündigung hervorgehen. Dies ist nicht nur der Grund, aus dem der Vermieter Eigenbedarf geltend macht. Er muss auch erwähnen, welche Person einziehen soll. Der gekündigte Mieter muss genau nachvollziehen und kontrollieren können, ob ihm wegen eines berechtigten Eigenbedarfes gekündigt wird. Sonst könnte dieser Kündigungsgrund sehr leicht vorgeschoben werden.
Der Bundesgerichtshof hat 2015 entschieden, dass Mieter bei vorgetäuschtem Eigenbedarf Schadensersatz fordern können. Damals hatte ein Vermieter angegeben, die Mietwohnung für einen Hausmeister zu benötigen. Nach dem Auszug der Mieter zogen aber normale Mieter ein. Der frühere Mieter verlangte als Schadensersatz den Ersatz seiner Umzugskosten und den Ersatz der Mietdifferenz zur neuen Wohnung, außerdem den Ersatz der höheren Fahrtkosten von der neuen Wohnung zur Arbeit und der Prozesskosten des vorangegangenen Räumungsverfahrens. Insgesamt handelte es sich um rund 25.000 Euro. Der Mieter gewann den Prozess und erhielt Schadensersatz in dieser Höhe. (Urteil vom 10. Juni 2015, Az. VIII ZR 99/14).
Ein Berliner Vermieter hatte einem Mieter wegen Eigenbedarf gekündigt und die Wohnung dann einfach teurer vermietet. Das Landgericht Berlin II hat dem bisherigen Mieter einen Auskunftsanspruch über die Höhe der neuen Miete zugestanden - weil er möglicherweise einen Anspruch auf die vom Vermieter erzielte höhere Mietzahlung habe. Dies ist eine neue Argumentation: Bisher gestehen die Gerichte den bisherigen Mietern höchstens die Differenz zwischen ihrer eigenen alten und neuen Miete als Entschädigung zu. Würde man dem bisherigen Mieter einen Anspruch auf den vom Vermieter erzielten Mehrerlös mit dem neuen Mieter geben, ginge es womöglich um deutlich höhere Beträge. Als Rechtsgrundlage nannte das Gericht § 281 Abs. 1 BGB. Danach hat jemand, der eine vertraglich geschuldete Leistung (hier: die Vermietung der Wohnung) nicht mehr erbringen kann, weil dies unmöglich geworden ist, einen für diese Leistung erlangten Ersatz an den ursprünglichen Gläubiger (hier: den bisherigen Mieter) herauszugeben. Das Gericht hatte aber im vorliegenden Fall nur über den Auskunftsanspruch zu entscheiden. Ob ein solcher Entschädigungsanspruch also tatsächlich zugesprochen wird, bleibt abzuwarten (28.2.2024, Az. 66 S 178/22).
Mancher Käufer hat beim Kauf einer vermieteten Wohnung den Hintergedanken, dem Mieter wegen Eigenbedarfs zu kündigen, um dort selbst einzuziehen.
Wichtig zu wissen: Der Verkauf einer Wohnung ändert nichts am Mietvertrag. Der neue Eigentümer tritt per Gesetz automatisch als Vermieter in diesen ein.
Der neue Eigentümer darf zwar durchaus wegen Eigenbedarfs kündigen, aber nur im Rahmen des Gesetzes und des Mietvertrages. Wenn dieser etwa irgendwelche Kündigungseinschränkungen enthält, muss sich auch der neue Vermieter daran halten. Beispiel: Ein Mieter in Bremen hatte mit seinem Vermieter vereinbart, dass dieser ihm nur bei groben Pflichtverstößen kündigen durfte. Nach dem Verkauf der Wohnung kündigte der neue Vermieter das seit 60 Jahren bestehende Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Das Amtsgericht Bremen sah die Kündigung als unwirksam an, denn die alte vertragliche Absprache gelte weiter. Es liege kein „grober Pflichtverstoß” des Mieters vor (Urteil vom 13.11.2014, Az. 10 C 0131/14).
Oft werden Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt, um sie einzeln zu verkaufen. Hier muss der Käufer eine Kündigungssperrfrist beachten. Diese beträgt nach § 577a BGB drei Jahre, in manchen Gebieten mit Wohnungsmangel sogar zehn Jahre. Solche Gebiete werden jeweils von den Landesregierungen festgelegt. Erst nach Ablauf der Kündigungssperrfrist darf Eigenbedarf angemeldet werden. In Hamburg, München und Berlin bestehen zehnjährige Sperrfristen.
Ja. Wenn sich zum Beispiel die Tochter des Vermieters umentscheidet und statt in die vermietete Ein-Zimmer-Wohnung lieber mit ihren Freunden in eine WG ziehen will, ist der Grund für die Eigenbedarfskündigung entfallen. Dabei ist der Zeitpunkt entscheidend. Dem Bundesgerichtshof zufolge ist die Kündigung nur dann unwirksam, wenn der Eigenbedarfsgrund entfällt, bevor die Kündigungsfrist abgelaufen ist. Entfällt er erst nach Mietvertragsende, kann der Mieter keine Fortsetzung des Mietvertrages verlangen. Auch ein laufender Räumungsprozess ändert nichts. Im BGH-Fall war die Schwiegermutter des Vermieters, die in die Wohnung einziehen sollte, nach der Eigenbedarfskündigung verstorben (Urteil vom 9.11.2005, Az. VIII ZR 339/04).
Das Amtsgericht Hamburg-Bergedorf hat eine Vermieterin, die ihren Mieter nicht über den Wegfall des Eigenbedarfsgrundes informiert hatte, wegen Betruges durch Unterlassen verurteilt. Die Vermieterin muss eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 600 Euro zahlen, also insgesamt 54.000 Euro. Zusätzlich ordnete das Gericht die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 331.842,89 Euro an, denn die Vermieterin hatte die Wohnung verkauft und damit diesen Betrag als Nettogewinn nach Steuern erzielt. Der hohe Einziehungsbetrag ist bisher in entsprechenden Urteilen unüblich. Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass das Gericht eine Aufklärungspflicht der Vermieterin nicht nur bis zum Ende der Kündigungsfrist sah (wie etwa der Bundesgerichtshof im Zivilrecht), sondern bis zum tatsächlichen Auszug des Mieters - einem Zeitpunkt, bis zu dem ab Ende der Kündigungsfrist durchaus noch einige Zeit vergehen kann. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, das Landgericht Hamburg wird sich noch damit befassen (Urteil vom 29.5.2024, Az. 412 Ds 25/23).
Hat der Vermieter die Absicht, demnächst Eigenbedarf anzumelden, darf er keinen Mietvertrag mit gutgläubigen Mietern abschließen, die an ein längeres Mietverhältnis glauben. Dann ist die Eigenbedarfskündigung rechtsmissbräuchlich und unwirksam. Dieser Verdacht liegt bei einer Eigenbedarfskündigung nach kurzer Mietzeit nahe.
Beispiel: Ein Vermieter hatte wegen Eigenbedarfs den Mietern einer Zweizimmerwohnung nach zwei Jahren gekündigt. Einziehen sollte seine aus Australien zurückgekehrte Tochter. Nach dem Bundesgerichtshof muss man hier eine Gesamtbetrachtung aller Umstände durchführen und nicht nur nach den Angaben des Vermieters urteilen. Ergibt sich aus dem Gesamtbild der Eindruck, dass der Vermieter bei Abschluss des Mietvertrages noch nicht wegen Eigenbedarf kündigen wollte, ist die Kündigung auch nach nur zwei Jahren zulässig. Hier war dies der Fall (Urteil vom 4.2.2015, Az. VIII ZR 154/14).
In einem anderen Fall sah der BGH eine Eigenbedarfskündigung nach drei Jahren als wirksam an. Hier hatte der Vermieter sogar bei Vertragsschluss mündlich versichert, keinen Eigenbedarf geltend zu machen. Er hatte jedoch damals nicht wissen können, dass sein Enkel eine Familie gründen und dafür das Einfamilienhaus benötigen würde (Urteil vom 2.4.2013, Az. VIII ZR 233/12).
Nein. Eine Eigenbedarfskündigung ohne aktuellen Anlass oder konkret wohnbedürftige Person, ist nicht erlaubt. In einem Fall vor dem Bundesgerichtshof hatte ein Vermieter Eigenbedarf angemeldet, weil er eine Ein-Zimmer-Wohnung für seine pflegebedürftige Mutter brauchte, die noch im eigenen Einfamilienhaus lebte. Die Mieterin zog zwar aus, die Mutter zog jedoch nicht ein – weil sie dies schlicht nicht wollte. Die Mieterin klagte auf Schadensersatz. Und gewann: Der BGH erläuterte, dass nur dann ein Eigenbedarfsgrund besteht, wenn die Person, die einziehen soll, dies auch will (Beschluss vom 11.10.2016, Az. VIII ZR 300/15).
Eigentlich kann ein Unternehmen nicht wegen Eigenbedarf kündigen, da es keine Person ist, die in die Wohnung einziehen kann. Ausnahmen sind möglich, wenn die Wohnung für einen bestimmten Mitarbeiter benötigt wird (BGH, Az. VIII ZR 113/06, Urteil vom 23.5.2007).
Bei einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gilt: Bewirtschaftet die GbR nur ein einzelnes Haus, darf einem Mieter grundsätzlich wegen Eigenbedarfs gekündigt werden, wenn einer ihrer Gesellschafter die Wohnung selbst braucht. Dieser muss jedoch bereits zur Zeit des Mietvertragsabschlusses Gesellschafter gewesen sein (Az. VIII ZR 271/06, Urteil vom 27.6.2007).
Hinzu kommt: Seit 2013 gelten die drei- bis zehnjährigen Sperrfristen für eine Kündigung bei Umwandlung in Wohnungseigentum auch, wenn die Wohnung nach Mietvertragsabschluss an eine Personengesellschaft – wie eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) – verkauft wird. Diese Gesetzesänderung hat das sogenannte "Münchner Modell" unterbunden, mit dem sich einige Vermieter um die gesetzliche Sperrfrist bei der Umwandlung herummogelten: Erst kauft die GbR das Haus, dann kündigen die Gesellschafter wegen Eigenbedarfs alle Wohnungen, dann werden diese formell in Eigentumswohnungen umgewandelt und schließlich weiterverkauft. Der BGH hat 2017 erneut bestätigt, dass die Sperrfrist auch in solchen Fällen gilt (Urteil vom 21.3.2017, Az. VIII ZR 104/17).
Manchem Vermieter gehört ein ganzes Mehrfamilienhaus – vielleicht sogar mehrere. Steht darin zum Zeitpunkt einer Eigenbedarfskündigung zufällig eine andere Wohnung leer, hat der Vermieter die Pflicht, dem wegen Eigenbedarf gekündigten Mieter diese anzubieten. Allerdings ist die Anbietpflicht zeitlich begrenzt. Wenn die andere Wohnung zum Beispiel erst einen Monat nach dem Vertragsende des gekündigten Mieters frei wird, muss sie der Vermieter nicht mehr anbieten (BGH, Urteil vom 4.6.2008, Az. VIII ZR 292/07). Ein Verstoß gegen die Anbietpflicht kann Schadenersatzansprüche des Mieters zur Folge haben. Jedoch hat dieser keinen Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses (BGH, 14.12.2016, Az. VIII ZR 232/15).
Es kann vorkommen, dass eine Kündigung den Mieter unzumutbar hart trifft oder ihn sogar an Leib und Leben gefährdet – zum Beispiel, weil ihm ein Umzug gesundheitlich nicht zumutbar ist. Ein derartiger Härtefall kann nach § 574 BGB eine Eigenbedarfskündigung verhindern. Ein damit befasstes Gericht hat dann eine Abwägung der beiderseitigen Interessen vorzunehmen. In einem Fall vor dem Bundesgerichtshof ging es um ein Seniorenpaar. Der Mann litt unter beginnender Demenz und hätte sich nicht mehr an eine neue Wohnung gewöhnen können. Ein Umzug ins Altenpflegeheim hätte zu einer erzwungenen Trennung von seiner noch rüstigen Ehefrau geführt. Der Bundesgerichtshof sah die Kündigung als unwirksam an. Die gesundheitlichen Probleme des Mieters seien in die Abwägung nicht ausreichend einbezogen worden (Urteil vom 15.3.2017, Az. VIII ZR 270/15).
Der Bundesgerichtshof betonte in zwei Urteilen vom Mai 2019, dass bei Härtefällen eine gründliche Einzelfallabwägung stattzufinden habe. Hier würden die Gerichte der unteren Instanzen zu pauschal nach Fallgruppen entscheiden. Dabei komme es aber allein auf die Situation im Einzelfall an. Faktoren wie das Alter der Mieter, eine lange Mietdauer und die damit verbundene Verwurzelung im bisherigen Wohnumfeld könnten sich je nach Persönlichkeit und körperlicher sowie psychischer Verfassung des Mieters verschieden stark auswirken. Der BGH verwies beide Fälle an die Vorinstanzen zurück, um genauer zu prüfen, ob Härtefälle vorlagen (Urteile vom 22.5.2019, Az. VIII ZR 180/18, Az. VIII ZR 167/179.
Im Jahr 2015 sorgten Pressemeldungen für Aufregung, nach denen Gemeinden Mietverträge über gemeindeeigene Wohnungen wegen Eigenbedarf kündigen würden, um Flüchtlinge unterzubringen. Eine Recherche der Meldungen führt zu dem Ergebnis, dass es hier nur etwa zwei bis drei einzelne Fälle gegeben hat. Eine Gemeinde kann Eigenbedarf als juristische Person an sich gar nicht geltend machen – denn sie kann nicht als natürliche Person in Wohnräume einziehen.
Eine Gemeinde kann jedoch unabhängig vom Eigenbedarf als öffentlich-rechtliche Körperschaft ein berechtigtes Interesse an einer Kündigung haben, wenn sie die Wohnung für wichtige öffentliche Aufgaben benötigt (BGH, Urteil vom 9. Mai 2012, Az. VIII ZR 238/11). Rechtsgrundlage für die Kündigung wäre dann § 573 BGB. Hier ist es jedoch nicht so, dass die Wohnung für andere Gemeindezwecke benötigt wird - stattdessen findet nur ein Austausch von Bewohnern statt.
Mieter können gegen eine solche Kündigung vor einem Zivilgericht vorgehen. Sobald es andere Möglichkeiten der Unterbringung für die Flüchtlinge gibt – wie etwa eine leer stehende Jugendherberge – wird die sowieso schon zweifelhafte Kündigung scheitern. Und: Die Gemeinde muss in jedem Fall begründen können, warum sie diese ganz konkrete Wohnung braucht.
Grundsätzlich kann eine Eigenbedarfskündigung auch stattfinden, weil der Vermieter die Räume für sein Gewerbe braucht. Hier spricht man auch von einer Kündigung aus „Büro- oder Geschäftsbedarf“.
Es gibt zum Eigenbedarf viele Gerichtsurteile. Wenn es zum Streit mit dem Vermieter kommt, ist ein Fachanwalt für Mietrecht der richtige Ansprechpartner. Er kennt die verschiedensten Fallvarianten und kann im Einzelfall am besten beurteilen, ob eine Kündigung rechtmäßig ist.
Das Wichtigste in Kürze
1. Eigenbedarf: Gemäß § 573 BGB darf der Vermieter einem Mieter ordentlich kündigen, wenn er die Wohnung für sich selbst, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt. Die Kündigung muss genau begründet werden.
2. Begriff nähere Verwandte: Familienangehörige, für die ein Vermieter wegen Eigenbedarfs kündigen darf, sind alle Verwandten, denen in der Person des Vermieters nach § 383 ZPO und § 52 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen zusteht.
3. Rechtsschutz: Ist der Mieter der Ansicht, dass die Eigenbedarfskündigung des Vermieters nicht berechtigt ist, weil kein gesetzlicher Grund dafür vorliegt, kann er der Kündigung widersprechen und vor dem Amtsgericht dagegen klagen.
1. Eigenbedarf: Gemäß § 573 BGB darf der Vermieter einem Mieter ordentlich kündigen, wenn er die Wohnung für sich selbst, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt. Die Kündigung muss genau begründet werden.
2. Begriff nähere Verwandte: Familienangehörige, für die ein Vermieter wegen Eigenbedarfs kündigen darf, sind alle Verwandten, denen in der Person des Vermieters nach § 383 ZPO und § 52 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen zusteht.
3. Rechtsschutz: Ist der Mieter der Ansicht, dass die Eigenbedarfskündigung des Vermieters nicht berechtigt ist, weil kein gesetzlicher Grund dafür vorliegt, kann er der Kündigung widersprechen und vor dem Amtsgericht dagegen klagen.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Was ist eigentlich Eigenbedarf, wegen dem der Vermieter kündigen darf? Für welche Familienangehörigen darf der Vermieter wegen Eigenbedarfs kündigen? NEU: Exakte Definition des Begriffs "Familienangehörige" durch den BGH Was muss im Kündigungsschreiben einer Eigenbedarfskündigung stehen? Muss der Vermieter Schadensersatz zahlen, wenn er den Eigenbedarf nur vortäuscht? Update vom 6.12.2024: Hat der frühere Mieter einen Auskunftsanspruch über die Höhe der neuen Miete? Was gilt beim Kauf einer vermieteten Wohnung für die Eigenbedarfskündigung? Kann ein Grund für eine Eigenbedarfskündigung nachträglich wegfallen? Update vom 6.12.2024: Fehlende Information über weggefallenen Eigenbedarf: Strafbar als Betrug? Ist eine Eigenbedarfskündigung nach kurzer Mietzeit zulässig? Gibt es eine Eigenbedarfskündigung "auf Vorrat"? Kann auch eine Firma oder GbR wegen Eigenbedarfs kündigen? Muss der Vermieter dem Mieter eine andere, freie Wohnung anbieten? Wann verhindert ein Härtefall die Eigenbedarfskündigung? Darf eine Gemeinde Eigenbedarf für Flüchtlinge anmelden? Was gilt bei einer Eigenbedarfskündigung für Büroräume? Praxistipp zur Eigenbedarfskündigung Was ist eigentlich Eigenbedarf, wegen dem der Vermieter kündigen darf?
Ohne einen gesetzlich zulässigen Grund dürfen Vermieter ihren Mietern nicht kündigen. Der Eigenbedarf stellt einen solchen Grund dar. Nach § 573 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) liegt er grundsätzlich dann vor, wenn der Vermieter die Wohnung für sich selbst, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt. Die Eigenbedarfskündigung ist eine ordentliche Kündigung: Sie erfolgt mit der gesetzlichen Kündigungsfrist und erfordert keine Verletzung von vertraglichen Pflichten durch den Mieter.
Es reicht jedoch nicht aus, dass der Vermieter die Wohnung gerne selbst beziehen möchte. Er benötigt nämlich einen sogenannten Eigenbedarfsgrund. Dieser kann zum Beispiel darin bestehen, dass er selbst eine Familie gründet und mehr Platz braucht. Oder er vermietet eine Ein-Zimmer-Wohnung in einer anderen Stadt, und nun will eines seiner Kinder dort eine Ausbildung machen.
Außer dem Eigenbedarfsgrund muss der Vermieter auch einen Wohnbedarf haben, welcher der zu kündigenden Wohnung entspricht. Dabei ist deren Größe maßgeblich. Er kann keine Ein-Zimmer-Wohnung wegen Eigenbedarfs kündigen, weil er dort angeblich mit seiner Familie einziehen möchte. Er kann auch nicht den Mietvertrag über ein ganzes Einfamilienhaus kündigen, weil sein Kind dieses als Studentenbude benötigt. Dann entspräche der Wohnbedarf nicht der Wohnung, an der Eigenbedarf angemeldet wird und die Kündigung wäre unzulässig.
Für welche Familienangehörigen darf der Vermieter wegen Eigenbedarfs kündigen?
Der Vermieter darf unter anderem wegen Eigenbedarf kündigen, wenn er die Wohnung für seine Familienangehörigen benötigt. Gemeint sind damit nur nahe Verwandte wie Kinder oder Geschwister.
Ausnahmsweise können auch entferntere, wie etwa Nichten und Neffen, dazu gehören. Dies erfordert jedoch eine besonders enge Bindung zum Vermieter (Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.1.2010, Az. VIII ZR 159/09). In diesem Fall wollte die Vermieterin, eine Seniorin, ihre Nichte mehr in ihrer Nähe haben. Diese sollte ihre Tante pflegen und ihr den Haushalt führen. Das Gericht betrachtete die Eigenbedarfskündigung der nahe gelegenen vermieteten Wohnung der Seniorin als rechtmäßig.
Faustregel: Je weiter entfernt die Verwandtschaft, desto enger muss die persönliche Beziehung sein, damit man für diese Person Eigenbedarf anmelden darf.
Eine Eigenbedarfskündigung ist auch erlaubt, wenn der Vermieter die Wohnung für ”Angehörige seines Haushalts” benötigt. Dies sind zum Beispiel Hausangestellte oder Pflegekräfte, wenn diese normalerweise mit im Haushalt des Vermieters wohnen.
NEU: Exakte Definition des Begriffs "Familienangehörige" durch den BGH
Der Bundesgerichtshof hat im Juli 2024 gegen eine weite Auslegung des Begriffs "Familienangehörige" entschieden. In dem Rechtsstreit ging es u.a. darum, ob auch Cousins Verwandte sind, für die Eigenbedarf geltend gemacht werden kann. Der BGH urteilte, dass Familienangehörige im Sinne des § 577a Abs. 1a mit den in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB genannten Familienangehörigen gleichzusetzen sind. Letztgenannte Vorschrift beschreibt, für welche Verwandten überhaupt eine Eigenbedarfskündigung erfolgen darf. Der BGH hat diesen Verwandtenkreis in seiner Entscheidung nun exakt definiert: Er umfasst alle Familienangehörigen, denen nach § § 383 ZPO und § 52 StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen zusteht. Dies sind im Einzelnen:
- Verlobte, Ehegatten (auch geschiedene), eingetragene Lebenspartner (auch ehemalige),
- jeder, der mit der betreffenden Person in gerader Linie verwandt oder verschwägert ist (Kinder, Stiefkinder, Schwiegerkinder, Schwiegereltern, Enkel, Stiefenkel, Ehegatten des Enkels, Urenkel, Stiefurenkel, Ehegatte des Urenkels, Eltern, Großeltern, Urgroßeltern) oder
- in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist (Geschwister, Ehegatten der Geschwister, Nichten/Neffen, Geschwister der Ehegatten, Eltern/Großeltern der Stiefeltern, Tante/Onkel, Eltern/Großeltern der Schwiegereltern).
Ganz klar nicht dazu gehören demnach Cousins und Cousinen, Großneffen und Großnichten, Großtanten und Großonkel sowie Ehegatten von Onkeln, Tanten, Nichten und Neffen sowie den entsprechenden Verwandten des Ehegatten.
Als Grund nannte der BGH die bei näheren Verwandten meist bestehende persönliche Nähebeziehung. Im vorliegenden Fall war daher für die beiden Cousins als GbR-Gesellschafter keine Eigenbedafskündigung möglich (Urteil vom 10.7.2024, Az. VIII ZR 276/23).
Was muss im Kündigungsschreiben einer Eigenbedarfskündigung stehen?
Daraus müssen die genauen Gründe für die Kündigung hervorgehen. Dies ist nicht nur der Grund, aus dem der Vermieter Eigenbedarf geltend macht. Er muss auch erwähnen, welche Person einziehen soll. Der gekündigte Mieter muss genau nachvollziehen und kontrollieren können, ob ihm wegen eines berechtigten Eigenbedarfes gekündigt wird. Sonst könnte dieser Kündigungsgrund sehr leicht vorgeschoben werden.
Muss der Vermieter Schadensersatz zahlen, wenn er den Eigenbedarf nur vortäuscht?
Der Bundesgerichtshof hat 2015 entschieden, dass Mieter bei vorgetäuschtem Eigenbedarf Schadensersatz fordern können. Damals hatte ein Vermieter angegeben, die Mietwohnung für einen Hausmeister zu benötigen. Nach dem Auszug der Mieter zogen aber normale Mieter ein. Der frühere Mieter verlangte als Schadensersatz den Ersatz seiner Umzugskosten und den Ersatz der Mietdifferenz zur neuen Wohnung, außerdem den Ersatz der höheren Fahrtkosten von der neuen Wohnung zur Arbeit und der Prozesskosten des vorangegangenen Räumungsverfahrens. Insgesamt handelte es sich um rund 25.000 Euro. Der Mieter gewann den Prozess und erhielt Schadensersatz in dieser Höhe. (Urteil vom 10. Juni 2015, Az. VIII ZR 99/14).
Update vom 6.12.2024: Hat der frühere Mieter einen Auskunftsanspruch über die Höhe der neuen Miete?
Ein Berliner Vermieter hatte einem Mieter wegen Eigenbedarf gekündigt und die Wohnung dann einfach teurer vermietet. Das Landgericht Berlin II hat dem bisherigen Mieter einen Auskunftsanspruch über die Höhe der neuen Miete zugestanden - weil er möglicherweise einen Anspruch auf die vom Vermieter erzielte höhere Mietzahlung habe. Dies ist eine neue Argumentation: Bisher gestehen die Gerichte den bisherigen Mietern höchstens die Differenz zwischen ihrer eigenen alten und neuen Miete als Entschädigung zu. Würde man dem bisherigen Mieter einen Anspruch auf den vom Vermieter erzielten Mehrerlös mit dem neuen Mieter geben, ginge es womöglich um deutlich höhere Beträge. Als Rechtsgrundlage nannte das Gericht § 281 Abs. 1 BGB. Danach hat jemand, der eine vertraglich geschuldete Leistung (hier: die Vermietung der Wohnung) nicht mehr erbringen kann, weil dies unmöglich geworden ist, einen für diese Leistung erlangten Ersatz an den ursprünglichen Gläubiger (hier: den bisherigen Mieter) herauszugeben. Das Gericht hatte aber im vorliegenden Fall nur über den Auskunftsanspruch zu entscheiden. Ob ein solcher Entschädigungsanspruch also tatsächlich zugesprochen wird, bleibt abzuwarten (28.2.2024, Az. 66 S 178/22).
Was gilt beim Kauf einer vermieteten Wohnung für die Eigenbedarfskündigung?
Mancher Käufer hat beim Kauf einer vermieteten Wohnung den Hintergedanken, dem Mieter wegen Eigenbedarfs zu kündigen, um dort selbst einzuziehen.
Wichtig zu wissen: Der Verkauf einer Wohnung ändert nichts am Mietvertrag. Der neue Eigentümer tritt per Gesetz automatisch als Vermieter in diesen ein.
Der neue Eigentümer darf zwar durchaus wegen Eigenbedarfs kündigen, aber nur im Rahmen des Gesetzes und des Mietvertrages. Wenn dieser etwa irgendwelche Kündigungseinschränkungen enthält, muss sich auch der neue Vermieter daran halten. Beispiel: Ein Mieter in Bremen hatte mit seinem Vermieter vereinbart, dass dieser ihm nur bei groben Pflichtverstößen kündigen durfte. Nach dem Verkauf der Wohnung kündigte der neue Vermieter das seit 60 Jahren bestehende Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Das Amtsgericht Bremen sah die Kündigung als unwirksam an, denn die alte vertragliche Absprache gelte weiter. Es liege kein „grober Pflichtverstoß” des Mieters vor (Urteil vom 13.11.2014, Az. 10 C 0131/14).
Oft werden Mietwohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt, um sie einzeln zu verkaufen. Hier muss der Käufer eine Kündigungssperrfrist beachten. Diese beträgt nach § 577a BGB drei Jahre, in manchen Gebieten mit Wohnungsmangel sogar zehn Jahre. Solche Gebiete werden jeweils von den Landesregierungen festgelegt. Erst nach Ablauf der Kündigungssperrfrist darf Eigenbedarf angemeldet werden. In Hamburg, München und Berlin bestehen zehnjährige Sperrfristen.
Kann ein Grund für eine Eigenbedarfskündigung nachträglich wegfallen?
Ja. Wenn sich zum Beispiel die Tochter des Vermieters umentscheidet und statt in die vermietete Ein-Zimmer-Wohnung lieber mit ihren Freunden in eine WG ziehen will, ist der Grund für die Eigenbedarfskündigung entfallen. Dabei ist der Zeitpunkt entscheidend. Dem Bundesgerichtshof zufolge ist die Kündigung nur dann unwirksam, wenn der Eigenbedarfsgrund entfällt, bevor die Kündigungsfrist abgelaufen ist. Entfällt er erst nach Mietvertragsende, kann der Mieter keine Fortsetzung des Mietvertrages verlangen. Auch ein laufender Räumungsprozess ändert nichts. Im BGH-Fall war die Schwiegermutter des Vermieters, die in die Wohnung einziehen sollte, nach der Eigenbedarfskündigung verstorben (Urteil vom 9.11.2005, Az. VIII ZR 339/04).
Update vom 6.12.2024: Fehlende Information über weggefallenen Eigenbedarf: Strafbar als Betrug?
Das Amtsgericht Hamburg-Bergedorf hat eine Vermieterin, die ihren Mieter nicht über den Wegfall des Eigenbedarfsgrundes informiert hatte, wegen Betruges durch Unterlassen verurteilt. Die Vermieterin muss eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 600 Euro zahlen, also insgesamt 54.000 Euro. Zusätzlich ordnete das Gericht die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 331.842,89 Euro an, denn die Vermieterin hatte die Wohnung verkauft und damit diesen Betrag als Nettogewinn nach Steuern erzielt. Der hohe Einziehungsbetrag ist bisher in entsprechenden Urteilen unüblich. Eine weitere Besonderheit besteht darin, dass das Gericht eine Aufklärungspflicht der Vermieterin nicht nur bis zum Ende der Kündigungsfrist sah (wie etwa der Bundesgerichtshof im Zivilrecht), sondern bis zum tatsächlichen Auszug des Mieters - einem Zeitpunkt, bis zu dem ab Ende der Kündigungsfrist durchaus noch einige Zeit vergehen kann. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, das Landgericht Hamburg wird sich noch damit befassen (Urteil vom 29.5.2024, Az. 412 Ds 25/23).
Ist eine Eigenbedarfskündigung nach kurzer Mietzeit zulässig?
Hat der Vermieter die Absicht, demnächst Eigenbedarf anzumelden, darf er keinen Mietvertrag mit gutgläubigen Mietern abschließen, die an ein längeres Mietverhältnis glauben. Dann ist die Eigenbedarfskündigung rechtsmissbräuchlich und unwirksam. Dieser Verdacht liegt bei einer Eigenbedarfskündigung nach kurzer Mietzeit nahe.
Beispiel: Ein Vermieter hatte wegen Eigenbedarfs den Mietern einer Zweizimmerwohnung nach zwei Jahren gekündigt. Einziehen sollte seine aus Australien zurückgekehrte Tochter. Nach dem Bundesgerichtshof muss man hier eine Gesamtbetrachtung aller Umstände durchführen und nicht nur nach den Angaben des Vermieters urteilen. Ergibt sich aus dem Gesamtbild der Eindruck, dass der Vermieter bei Abschluss des Mietvertrages noch nicht wegen Eigenbedarf kündigen wollte, ist die Kündigung auch nach nur zwei Jahren zulässig. Hier war dies der Fall (Urteil vom 4.2.2015, Az. VIII ZR 154/14).
In einem anderen Fall sah der BGH eine Eigenbedarfskündigung nach drei Jahren als wirksam an. Hier hatte der Vermieter sogar bei Vertragsschluss mündlich versichert, keinen Eigenbedarf geltend zu machen. Er hatte jedoch damals nicht wissen können, dass sein Enkel eine Familie gründen und dafür das Einfamilienhaus benötigen würde (Urteil vom 2.4.2013, Az. VIII ZR 233/12).
Gibt es eine Eigenbedarfskündigung "auf Vorrat"?
Nein. Eine Eigenbedarfskündigung ohne aktuellen Anlass oder konkret wohnbedürftige Person, ist nicht erlaubt. In einem Fall vor dem Bundesgerichtshof hatte ein Vermieter Eigenbedarf angemeldet, weil er eine Ein-Zimmer-Wohnung für seine pflegebedürftige Mutter brauchte, die noch im eigenen Einfamilienhaus lebte. Die Mieterin zog zwar aus, die Mutter zog jedoch nicht ein – weil sie dies schlicht nicht wollte. Die Mieterin klagte auf Schadensersatz. Und gewann: Der BGH erläuterte, dass nur dann ein Eigenbedarfsgrund besteht, wenn die Person, die einziehen soll, dies auch will (Beschluss vom 11.10.2016, Az. VIII ZR 300/15).
Kann auch eine Firma oder GbR wegen Eigenbedarfs kündigen?
Eigentlich kann ein Unternehmen nicht wegen Eigenbedarf kündigen, da es keine Person ist, die in die Wohnung einziehen kann. Ausnahmen sind möglich, wenn die Wohnung für einen bestimmten Mitarbeiter benötigt wird (BGH, Az. VIII ZR 113/06, Urteil vom 23.5.2007).
Bei einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) gilt: Bewirtschaftet die GbR nur ein einzelnes Haus, darf einem Mieter grundsätzlich wegen Eigenbedarfs gekündigt werden, wenn einer ihrer Gesellschafter die Wohnung selbst braucht. Dieser muss jedoch bereits zur Zeit des Mietvertragsabschlusses Gesellschafter gewesen sein (Az. VIII ZR 271/06, Urteil vom 27.6.2007).
Hinzu kommt: Seit 2013 gelten die drei- bis zehnjährigen Sperrfristen für eine Kündigung bei Umwandlung in Wohnungseigentum auch, wenn die Wohnung nach Mietvertragsabschluss an eine Personengesellschaft – wie eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) – verkauft wird. Diese Gesetzesänderung hat das sogenannte "Münchner Modell" unterbunden, mit dem sich einige Vermieter um die gesetzliche Sperrfrist bei der Umwandlung herummogelten: Erst kauft die GbR das Haus, dann kündigen die Gesellschafter wegen Eigenbedarfs alle Wohnungen, dann werden diese formell in Eigentumswohnungen umgewandelt und schließlich weiterverkauft. Der BGH hat 2017 erneut bestätigt, dass die Sperrfrist auch in solchen Fällen gilt (Urteil vom 21.3.2017, Az. VIII ZR 104/17).
Muss der Vermieter dem Mieter eine andere, freie Wohnung anbieten?
Manchem Vermieter gehört ein ganzes Mehrfamilienhaus – vielleicht sogar mehrere. Steht darin zum Zeitpunkt einer Eigenbedarfskündigung zufällig eine andere Wohnung leer, hat der Vermieter die Pflicht, dem wegen Eigenbedarf gekündigten Mieter diese anzubieten. Allerdings ist die Anbietpflicht zeitlich begrenzt. Wenn die andere Wohnung zum Beispiel erst einen Monat nach dem Vertragsende des gekündigten Mieters frei wird, muss sie der Vermieter nicht mehr anbieten (BGH, Urteil vom 4.6.2008, Az. VIII ZR 292/07). Ein Verstoß gegen die Anbietpflicht kann Schadenersatzansprüche des Mieters zur Folge haben. Jedoch hat dieser keinen Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses (BGH, 14.12.2016, Az. VIII ZR 232/15).
Wann verhindert ein Härtefall die Eigenbedarfskündigung?
Es kann vorkommen, dass eine Kündigung den Mieter unzumutbar hart trifft oder ihn sogar an Leib und Leben gefährdet – zum Beispiel, weil ihm ein Umzug gesundheitlich nicht zumutbar ist. Ein derartiger Härtefall kann nach § 574 BGB eine Eigenbedarfskündigung verhindern. Ein damit befasstes Gericht hat dann eine Abwägung der beiderseitigen Interessen vorzunehmen. In einem Fall vor dem Bundesgerichtshof ging es um ein Seniorenpaar. Der Mann litt unter beginnender Demenz und hätte sich nicht mehr an eine neue Wohnung gewöhnen können. Ein Umzug ins Altenpflegeheim hätte zu einer erzwungenen Trennung von seiner noch rüstigen Ehefrau geführt. Der Bundesgerichtshof sah die Kündigung als unwirksam an. Die gesundheitlichen Probleme des Mieters seien in die Abwägung nicht ausreichend einbezogen worden (Urteil vom 15.3.2017, Az. VIII ZR 270/15).
Der Bundesgerichtshof betonte in zwei Urteilen vom Mai 2019, dass bei Härtefällen eine gründliche Einzelfallabwägung stattzufinden habe. Hier würden die Gerichte der unteren Instanzen zu pauschal nach Fallgruppen entscheiden. Dabei komme es aber allein auf die Situation im Einzelfall an. Faktoren wie das Alter der Mieter, eine lange Mietdauer und die damit verbundene Verwurzelung im bisherigen Wohnumfeld könnten sich je nach Persönlichkeit und körperlicher sowie psychischer Verfassung des Mieters verschieden stark auswirken. Der BGH verwies beide Fälle an die Vorinstanzen zurück, um genauer zu prüfen, ob Härtefälle vorlagen (Urteile vom 22.5.2019, Az. VIII ZR 180/18, Az. VIII ZR 167/179.
Darf eine Gemeinde Eigenbedarf für Flüchtlinge anmelden?
Im Jahr 2015 sorgten Pressemeldungen für Aufregung, nach denen Gemeinden Mietverträge über gemeindeeigene Wohnungen wegen Eigenbedarf kündigen würden, um Flüchtlinge unterzubringen. Eine Recherche der Meldungen führt zu dem Ergebnis, dass es hier nur etwa zwei bis drei einzelne Fälle gegeben hat. Eine Gemeinde kann Eigenbedarf als juristische Person an sich gar nicht geltend machen – denn sie kann nicht als natürliche Person in Wohnräume einziehen.
Eine Gemeinde kann jedoch unabhängig vom Eigenbedarf als öffentlich-rechtliche Körperschaft ein berechtigtes Interesse an einer Kündigung haben, wenn sie die Wohnung für wichtige öffentliche Aufgaben benötigt (BGH, Urteil vom 9. Mai 2012, Az. VIII ZR 238/11). Rechtsgrundlage für die Kündigung wäre dann § 573 BGB. Hier ist es jedoch nicht so, dass die Wohnung für andere Gemeindezwecke benötigt wird - stattdessen findet nur ein Austausch von Bewohnern statt.
Mieter können gegen eine solche Kündigung vor einem Zivilgericht vorgehen. Sobald es andere Möglichkeiten der Unterbringung für die Flüchtlinge gibt – wie etwa eine leer stehende Jugendherberge – wird die sowieso schon zweifelhafte Kündigung scheitern. Und: Die Gemeinde muss in jedem Fall begründen können, warum sie diese ganz konkrete Wohnung braucht.
Was gilt bei einer Eigenbedarfskündigung für Büroräume?
Grundsätzlich kann eine Eigenbedarfskündigung auch stattfinden, weil der Vermieter die Räume für sein Gewerbe braucht. Hier spricht man auch von einer Kündigung aus „Büro- oder Geschäftsbedarf“.
Praxistipp zur Eigenbedarfskündigung
Es gibt zum Eigenbedarf viele Gerichtsurteile. Wenn es zum Streit mit dem Vermieter kommt, ist ein Fachanwalt für Mietrecht der richtige Ansprechpartner. Er kennt die verschiedensten Fallvarianten und kann im Einzelfall am besten beurteilen, ob eine Kündigung rechtmäßig ist.
(Ma)