Welches Erbrecht gilt für in einem EU-Mitgliedsstaat lebende Deutsche?
07.11.2023, Redaktion Anwalt-Suchservice
© Bu - Anwalt-Suchservice Viele - auch ältere - Deutsche leben dauerhaft oder teilweise im EU-Ausland. Beliebt sind insbesondere Italien, Spanien, Frankreich und Portugal. Wenn sie ihr Testament aufsetzen, nehmen sie meist an, dass selbstverständlich das gewohnte deutsche Recht dafür gilt oder aber, dass sie nach Belieben eigene Regelungen treffen können. Viele der in Deutschland gewohnten Regeln gelten jedoch im Ausland nicht. Die europäische Erbrechtsverordnung vom 17. August 2015 sollte klare Verhältnisse schaffen, schafft aber auch ein neues Problem.
Die Europäische Erbrechtsverordnung wurde eingeführt, um die Rechtslage bei internationalen Erbfällen innerhalb der EU stark zu vereinfachen. Dazu muss man wissen: Das Erbrecht in den verschiedenen Staaten der EU weist deutliche Unterschiede auf. Bei grenzüberschreitenden Erbfällen ist dies ein erhebliches Problem. Und diese kommen oft vor: Jedes Jahr gibt es in der EU etwa 450.000 Erbfälle mit internationalem Bezug.
Ein gutes Beispiel dafür sind deutsche Senioren, die in Spanien leben. Die EU-Erbrechtsverordnung gilt für Erbfälle seit dem 17. August 2015. Sie gilt direkt in allen EU-Staaten, mit Ausnahme von Großbritannien, Dänemark und Irland. Daher war eine Umsetzung in nationales Recht nicht erforderlich. Die Erbrechtsverordnung hatte jedoch einige Neuerungen zur Folge, für die auch nationale Gesetze geändert werden mussten.
Vor Einführung der EU-Erbrechtsverordnung besagte das deutsche Recht, dass sich die "Rechtsnachfolge von Todes wegen" nach dem Recht des Staates richtete, dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes als Staatsbürger angehörte.
Lebte also zum Beispiel ein deutscher Staatsangehöriger in Frankreich und starb auch dort, war für seine Erbschaftsangelegenheiten deutsches Recht maßgeblich. Dies galt auch, wenn er zusätzlich ein Haus in Österreich hatte – zumindest aus deutscher Sicht. Die anderen EU-Staaten hatten allerdings zum Teil abweichende Vorschriften. So konnte es vorkommen, dass für das Geldvermögen des Erblassers deutsches Recht anwendbar war, für das Haus aber das Recht des Landes, in dem dieses stand.
In solchen Fällen musste die Erbschaft nach zwei verschiedenen Rechtssystemen mit unterschiedlichen Regelungen behandelt werden. Damit entstand für viele Erben und Angehörige ein ungeheurer Aufwand, um ihre erbrechtlichen Verhältnisse zu klären und ihre Erbschaft in Anspruch zu nehmen.
Mit der Europäischen Erbrechtsverordnung hat die EU in diesem Punkt klare Verhältnisse geschaffen. Das heißt: Jetzt gilt für einen Erbfall immer das Recht des Staates, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Wenn also ein deutscher Rentner überwiegend in Spanien gelebt hat, gilt für seinen Erbfall spanisches Recht. Und zwar entweder für das von ihm erstellte Testament, oder, falls keines gemacht wurde oder dieses unwirksam ist, für die dann geltende gesetzliche Erbfolge.
Bei der Anwendung der EU-Erbrechtsverordnung gibt es allerdings ein Problem: Sie definiert nicht genau, was der "gewöhnliche Aufenthalt" eigentlich ist. Es ist davon auszugehen, dass damit der Ort gemeint ist, an dem sich ein Mensch überwiegend aufhält, an dem er den überwiegenden Teil des Jahres verbringt und die meisten sozialen Kontakte hat. Beispiel: Ein deutscher Staatsbürger hält sich sieben Monate im Jahr in Italien auf und fünf in Deutschland. Dann geht man in der Regel von einem gewöhnlichen Aufenthalt in Italien aus. Dies wird ähnlich aussehen bei einem deutschen Rentner, der aus Kostengründen in einem Pflegeheim in Polen oder Ungarn lebt. Verbringt aber jemand die eine Hälfte des Jahres in einem Land und die andere Hälfte im anderen und hat in beiden Ländern Freunde und Verwandte, wird die Zuordnung problematisch.
Seit Einführung der Erbrechtsverordnung gilt für Deutsche, die sich überwiegend im Ausland, also zum Beispiel in Portugal, Spanien oder Italien aufhalten, das jeweilige ausländische Erbrecht. Das bedeutet: Für einen Rechtsstreit um das Erbe ist ein ausländisches Gericht zuständig. Dabei kommt ausländisches Erbrecht zur Anwendung. Viele nach deutschen Regeln erstellte Testamente sind wertlos, weil es im jeweiligen Land ganz andere Vorschriften gibt.
Beispiel: In Deutschland ist es üblich, dass Ehepartner ein gemeinschaftliches Testament erstellen, um sich gegenseitig abzusichern. Eine beliebte Variante ist das Berliner Testament, bei dem sich die Ehegatten gegenseitig als Alleinerben einsetzen und ihre Kinder Nacherben des Letztversterbenden werden.
Es gibt jedoch viele Länder, in denen gemeinschaftliche Testamente grundsätzlich unzulässig und unwirksam sind. Dazu gehören bei Deutschen beliebte Länder wie Frankreich, Spanien, Italien und Portugal. Dort gibt es auch nicht die rechtlichen Konstruktionen "Vorerbe" und "Nacherbe". Setzt man also zum Beispiel ein Berliner Testament auf, geht die gesamte Regelung des deutschen Erblassers ins Leere. Stattdessen gilt die ausländische, gesetzliche Erbfolge. Dann bekommt meist jemand das Geld, der gar nicht bedacht werden sollte.
Die gesetzliche Erbfolge (Gegensatz: gewillte Erbfolge = Testament) nach dem Recht des jeweiligen Staates führt in der Regel zu ganz anderen Ergebnissen, als vom dort lebenden deutschen Erblasser beabsichtigt. Hat dieser kein Testament gemacht, so gilt die gesetzliche Erbfolge des EU-Landes, in dem er überwiegend gelebt hat. Und die weicht häufig stark von den deutschen Erbregelungen ab. So ist in vielen Ländern zum Beispiel das Ehegattenerbrecht nicht so stark ausgeprägt wie bei uns. In Spanien etwa erben die Kinder, der Ehegatte bekommt nur einen Nießbrauch (ein Nutzungsrecht) am Nachlass und auch dies womöglich nur anteilig.
Auch die Frage des Pflichtteils ist in vielen Ländern ganz anders geregelt als in Deutschland. Während in Deutschland der Pflichtteilsberechtigte einen reinen Zahlungsanspruch gegen den Erben hat, wird er in Frankreich vollwertiger Teil der Erbengemeinschaft. Er darf bei dieser also mitreden und haftet auch für Nachlassverbindlichkeiten. So kann ein Erbe unerwartet schnell hoch verschuldet sein.
Das Kammergericht Berlin verhandelte den Fall eines Berliners, der mit 72 Jahren und sechs Jahre vor seinem Tod eine Lagerhalle mit Wohnung in Polen gemietet hatte. In Berlin unterhielt er nur noch einen Zweitwohnsitz. Für seine Tätigkeit im Baugewerbe pendelte der Mann ständig über die Grenze nach Deutschland. Das Gericht ging hier trotz polnischem Erstwohnsitz von einem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland aus. Immerhin hatte der Mann seine gesamten sozialen Kontakte und seine ganze Familie in Deutschland gehabt. In Polen hatte er nicht am örtlichen Leben teilgenommen. Kontakte hatte er dort nur zu Hilfskräften und dem Ortspfarrer gepflegt. Seine Arztbesuche fanden nur in Deutschland statt. Er erzielte auch alle seine Einnahmen in Deutschland und hatte hier auch alle Bankkonten. Nach Polen war er nur wegen der billigeren Miete umgezogen. Das Kammergericht betonte: Allein ein Wohnsitz in einem Land heißt nicht zwingend, dass man dort auch seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat (Beschluss vom 26.4.2016, Az. 1 AR 8/16).
Gelten für ein Testament plötzlich ausländische Regeln, die dem Verfasser und Erblasser gar nicht bekannt waren, ist dies ein großes Problem. Dies ist jedoch lösbar. Der Erblasser hat nämlich die Möglichkeit, im Testament eine Rechtswahl treffen. Er muss dazu nur auf formwirksame Weise festlegen, dass auf das Testament und den Erbfall deutsches Recht angewendet werden soll. Dabei sind unbedingt die Formvorschriften für ein Testament zu beachten: Die Festlegung muss komplett handschriftlich verfasst, unterschrieben und mit Ort und Datum versehen sein. Vereinfacht gesagt sind beim Testament die Formvorschriften des Aufenthaltslandes maßgeblich oder auch die des Landes, dessen Staatsbürger der Erblasser ist (Art. 27 EU-ErbVO).
Die EU-Erbrechtsverordnung hat das Nachlasszeugnis eingeführt. Dieses Dokument dokumentiert ähnlich dem in Deutschland bekannten Erbschein bei grenzüberschreitenden Erbfällen den Erbanspruch. Es enthält auch alle relevanten Informationen über den Inhaber des Nachlasszeugnisses und den Erblasser, ggf. auch die Erbquoten und die Anordnung einer Testamentsvollstreckung. Beantragen muss man das Nachlasszeugnis beim Gericht oder der jeweils zuständigen Behörde an dem Ort, an dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Bei deutschen inländischen Erbfällen ohne grenzüberschreitenden Bezug wird weiter der Erbschein genutzt.
Beantragen können das europäische Nachlasszeugnis Erben, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter, jedoch nicht Nachlassgläubiger, die Ansprüche gegen den Nachlass geltend machen wollen.
Das europäische Nachlasszeugnis bekommt der Antragsteller nicht im Original ausgehändigt. Er erhält stattdessen eine beglaubigte Abschrift. Diese ist nur sechs Monate lang wirksam. Danach muss man das Nachlasszeugnis verlängern oder ein neues beantragen.
Insoweit kommt es darauf an, welches Erbrecht gilt, wo der Erblasser also seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. War das in Deutschland, so können mit dem Nachlasszeugnis keine einzelnen Gegenstände vererbt werden, da nach deutschem Recht nur der Nachlass als Ganzes vererbt wird. An diesem Nachlass werden dann Erbquoten festgesetzt. Gilt für ein europäisches Nachlasszeugnis das deutsche Erbrecht, können darin keine einzelnen Erbschaftsgegenstände erwähnt werden. So entschied das Oberlandesgericht Nürnberg, dass ein Grundstück in Tschechien auch aus rein informatorischen Gründen nicht im Nachlasszeugnis erwähnt werden durfte (Beschluss vom 5.4.2017, Az. 15 W 299/17).
Im deutschen Recht gibt es jedoch die Möglichkeit, im Testament oder getrennt davon ein sogenanntes Vermächtnis anzuordnen. Damit lassen sich dann auch einzelne Gegenstände (Auto, Münzsammlung) an eine bestimmte Person vergeben. Der Vermächtnisnehmer ist jedoch kein Erbe. Er hat einen Herausgabeanspruch gegen den oder die Erben. Auch dies ist eine Besonderheit des deutschen Rechts, die im Ausland nicht selbstverständlich ist.
Leben Sie überwiegend im EU-Ausland, also z.B. in Frankreich, Italien, Spanien oder Portugal? Dann empfiehlt es sich, Ihr Testament zu überprüfen und gegebenenfalls eine Regelung zur Wahl des Erbrechts, das für Ihr Testament gelten soll, aufzunehmen. Gibt es kein Testament, oder ist es unwirksam, gilt das jeweilige ausländische gesetzliche Erbrecht und es kann zu nicht gewollten Ergebnissen kommen. Zur Frage, wie sie als im EU-Ausland lebender Deutscher Ihre Erbfolge am besten regeln, kann Sie ein Fachanwalt für Erbrecht fachgerecht beraten.
Das Wichtigste in Kürze
1. EU-Erbrechtsverordnung: Für deutsche Erblasser, die beim Erbfall in einem EU-Mitgliedsstaat lebten, gilt seit 2015 die Europäische Erbrechtsverordnung. Im Erbfall gilt seit dem immer das Recht des EU-Staates, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
2. Möglichkeit zur Rechtswahl: Der im EU-Ausland lebende Erblasser kann im Testament eine Rechtswahl treffen. Er muss dazu formwirksam festlegen, dass auf sein Testament das von ihm gewünschte Recht, also z.B. das deutsche Erbrecht, angewendet werden soll.
3. Europäisches Nachlasszeugnis: Die EU-Erbrechtsverordnung hat das europäische Nachlasszeugnis eingeführt. Dieses dokumentiert bei grenzüberschreitenden Erbfällen den Erbanspruch. Es wird beim Gericht oder der jeweils zuständigen Behörde an dem Ort, an dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte, beantragt.
1. EU-Erbrechtsverordnung: Für deutsche Erblasser, die beim Erbfall in einem EU-Mitgliedsstaat lebten, gilt seit 2015 die Europäische Erbrechtsverordnung. Im Erbfall gilt seit dem immer das Recht des EU-Staates, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
2. Möglichkeit zur Rechtswahl: Der im EU-Ausland lebende Erblasser kann im Testament eine Rechtswahl treffen. Er muss dazu formwirksam festlegen, dass auf sein Testament das von ihm gewünschte Recht, also z.B. das deutsche Erbrecht, angewendet werden soll.
3. Europäisches Nachlasszeugnis: Die EU-Erbrechtsverordnung hat das europäische Nachlasszeugnis eingeführt. Dieses dokumentiert bei grenzüberschreitenden Erbfällen den Erbanspruch. Es wird beim Gericht oder der jeweils zuständigen Behörde an dem Ort, an dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte, beantragt.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Was ist die EU-Erbrechtsverordnung und für wen gilt sie? Welches Recht wird auf einen Erbfall in einem EU-Ausland angewendet? Was meint der Begriff "gewöhnlicher Aufenthalt" des Erblassers? Welches Erbrecht gilt für einen im EU-Ausland lebenden deutschen Erblasser? Womit ist beim gesetzlichen Erbrecht im EU-Ausland zu rechnen? Gerichtsurteil zum gewöhnlichen Aufenthalt eines Grenzpendlers Wie kann ich die EU-Erbrechtsverordnung umgehen? Was ist das europäische Nachlasszeugnis? Wer kann das europäische Nachlasszeugnis beantragen? Wie lange gilt das europäische Nachlasszeugnis? Können mit einem europäischen Nachlasszeugnis einzelne Gegenstände vererbt werden? Praxistipp für Erblasser mit Wohnsitz im EU-Ausland Was ist die EU-Erbrechtsverordnung und für wen gilt sie?
Die Europäische Erbrechtsverordnung wurde eingeführt, um die Rechtslage bei internationalen Erbfällen innerhalb der EU stark zu vereinfachen. Dazu muss man wissen: Das Erbrecht in den verschiedenen Staaten der EU weist deutliche Unterschiede auf. Bei grenzüberschreitenden Erbfällen ist dies ein erhebliches Problem. Und diese kommen oft vor: Jedes Jahr gibt es in der EU etwa 450.000 Erbfälle mit internationalem Bezug.
Ein gutes Beispiel dafür sind deutsche Senioren, die in Spanien leben. Die EU-Erbrechtsverordnung gilt für Erbfälle seit dem 17. August 2015. Sie gilt direkt in allen EU-Staaten, mit Ausnahme von Großbritannien, Dänemark und Irland. Daher war eine Umsetzung in nationales Recht nicht erforderlich. Die Erbrechtsverordnung hatte jedoch einige Neuerungen zur Folge, für die auch nationale Gesetze geändert werden mussten.
Welches Recht wird auf einen Erbfall in einem EU-Ausland angewendet?
Vor Einführung der EU-Erbrechtsverordnung besagte das deutsche Recht, dass sich die "Rechtsnachfolge von Todes wegen" nach dem Recht des Staates richtete, dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes als Staatsbürger angehörte.
Lebte also zum Beispiel ein deutscher Staatsangehöriger in Frankreich und starb auch dort, war für seine Erbschaftsangelegenheiten deutsches Recht maßgeblich. Dies galt auch, wenn er zusätzlich ein Haus in Österreich hatte – zumindest aus deutscher Sicht. Die anderen EU-Staaten hatten allerdings zum Teil abweichende Vorschriften. So konnte es vorkommen, dass für das Geldvermögen des Erblassers deutsches Recht anwendbar war, für das Haus aber das Recht des Landes, in dem dieses stand.
In solchen Fällen musste die Erbschaft nach zwei verschiedenen Rechtssystemen mit unterschiedlichen Regelungen behandelt werden. Damit entstand für viele Erben und Angehörige ein ungeheurer Aufwand, um ihre erbrechtlichen Verhältnisse zu klären und ihre Erbschaft in Anspruch zu nehmen.
Mit der Europäischen Erbrechtsverordnung hat die EU in diesem Punkt klare Verhältnisse geschaffen. Das heißt: Jetzt gilt für einen Erbfall immer das Recht des Staates, in dem der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Wenn also ein deutscher Rentner überwiegend in Spanien gelebt hat, gilt für seinen Erbfall spanisches Recht. Und zwar entweder für das von ihm erstellte Testament, oder, falls keines gemacht wurde oder dieses unwirksam ist, für die dann geltende gesetzliche Erbfolge.
Was meint der Begriff "gewöhnlicher Aufenthalt" des Erblassers?
Bei der Anwendung der EU-Erbrechtsverordnung gibt es allerdings ein Problem: Sie definiert nicht genau, was der "gewöhnliche Aufenthalt" eigentlich ist. Es ist davon auszugehen, dass damit der Ort gemeint ist, an dem sich ein Mensch überwiegend aufhält, an dem er den überwiegenden Teil des Jahres verbringt und die meisten sozialen Kontakte hat. Beispiel: Ein deutscher Staatsbürger hält sich sieben Monate im Jahr in Italien auf und fünf in Deutschland. Dann geht man in der Regel von einem gewöhnlichen Aufenthalt in Italien aus. Dies wird ähnlich aussehen bei einem deutschen Rentner, der aus Kostengründen in einem Pflegeheim in Polen oder Ungarn lebt. Verbringt aber jemand die eine Hälfte des Jahres in einem Land und die andere Hälfte im anderen und hat in beiden Ländern Freunde und Verwandte, wird die Zuordnung problematisch.
Welches Erbrecht gilt für einen im EU-Ausland lebenden deutschen Erblasser?
Seit Einführung der Erbrechtsverordnung gilt für Deutsche, die sich überwiegend im Ausland, also zum Beispiel in Portugal, Spanien oder Italien aufhalten, das jeweilige ausländische Erbrecht. Das bedeutet: Für einen Rechtsstreit um das Erbe ist ein ausländisches Gericht zuständig. Dabei kommt ausländisches Erbrecht zur Anwendung. Viele nach deutschen Regeln erstellte Testamente sind wertlos, weil es im jeweiligen Land ganz andere Vorschriften gibt.
Beispiel: In Deutschland ist es üblich, dass Ehepartner ein gemeinschaftliches Testament erstellen, um sich gegenseitig abzusichern. Eine beliebte Variante ist das Berliner Testament, bei dem sich die Ehegatten gegenseitig als Alleinerben einsetzen und ihre Kinder Nacherben des Letztversterbenden werden.
Es gibt jedoch viele Länder, in denen gemeinschaftliche Testamente grundsätzlich unzulässig und unwirksam sind. Dazu gehören bei Deutschen beliebte Länder wie Frankreich, Spanien, Italien und Portugal. Dort gibt es auch nicht die rechtlichen Konstruktionen "Vorerbe" und "Nacherbe". Setzt man also zum Beispiel ein Berliner Testament auf, geht die gesamte Regelung des deutschen Erblassers ins Leere. Stattdessen gilt die ausländische, gesetzliche Erbfolge. Dann bekommt meist jemand das Geld, der gar nicht bedacht werden sollte.
Womit ist beim gesetzlichen Erbrecht im EU-Ausland zu rechnen?
Die gesetzliche Erbfolge (Gegensatz: gewillte Erbfolge = Testament) nach dem Recht des jeweiligen Staates führt in der Regel zu ganz anderen Ergebnissen, als vom dort lebenden deutschen Erblasser beabsichtigt. Hat dieser kein Testament gemacht, so gilt die gesetzliche Erbfolge des EU-Landes, in dem er überwiegend gelebt hat. Und die weicht häufig stark von den deutschen Erbregelungen ab. So ist in vielen Ländern zum Beispiel das Ehegattenerbrecht nicht so stark ausgeprägt wie bei uns. In Spanien etwa erben die Kinder, der Ehegatte bekommt nur einen Nießbrauch (ein Nutzungsrecht) am Nachlass und auch dies womöglich nur anteilig.
Auch die Frage des Pflichtteils ist in vielen Ländern ganz anders geregelt als in Deutschland. Während in Deutschland der Pflichtteilsberechtigte einen reinen Zahlungsanspruch gegen den Erben hat, wird er in Frankreich vollwertiger Teil der Erbengemeinschaft. Er darf bei dieser also mitreden und haftet auch für Nachlassverbindlichkeiten. So kann ein Erbe unerwartet schnell hoch verschuldet sein.
Gerichtsurteil zum gewöhnlichen Aufenthalt eines Grenzpendlers
Das Kammergericht Berlin verhandelte den Fall eines Berliners, der mit 72 Jahren und sechs Jahre vor seinem Tod eine Lagerhalle mit Wohnung in Polen gemietet hatte. In Berlin unterhielt er nur noch einen Zweitwohnsitz. Für seine Tätigkeit im Baugewerbe pendelte der Mann ständig über die Grenze nach Deutschland. Das Gericht ging hier trotz polnischem Erstwohnsitz von einem gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland aus. Immerhin hatte der Mann seine gesamten sozialen Kontakte und seine ganze Familie in Deutschland gehabt. In Polen hatte er nicht am örtlichen Leben teilgenommen. Kontakte hatte er dort nur zu Hilfskräften und dem Ortspfarrer gepflegt. Seine Arztbesuche fanden nur in Deutschland statt. Er erzielte auch alle seine Einnahmen in Deutschland und hatte hier auch alle Bankkonten. Nach Polen war er nur wegen der billigeren Miete umgezogen. Das Kammergericht betonte: Allein ein Wohnsitz in einem Land heißt nicht zwingend, dass man dort auch seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat (Beschluss vom 26.4.2016, Az. 1 AR 8/16).
Wie kann ich die EU-Erbrechtsverordnung umgehen?
Gelten für ein Testament plötzlich ausländische Regeln, die dem Verfasser und Erblasser gar nicht bekannt waren, ist dies ein großes Problem. Dies ist jedoch lösbar. Der Erblasser hat nämlich die Möglichkeit, im Testament eine Rechtswahl treffen. Er muss dazu nur auf formwirksame Weise festlegen, dass auf das Testament und den Erbfall deutsches Recht angewendet werden soll. Dabei sind unbedingt die Formvorschriften für ein Testament zu beachten: Die Festlegung muss komplett handschriftlich verfasst, unterschrieben und mit Ort und Datum versehen sein. Vereinfacht gesagt sind beim Testament die Formvorschriften des Aufenthaltslandes maßgeblich oder auch die des Landes, dessen Staatsbürger der Erblasser ist (Art. 27 EU-ErbVO).
Was ist das europäische Nachlasszeugnis?
Die EU-Erbrechtsverordnung hat das Nachlasszeugnis eingeführt. Dieses Dokument dokumentiert ähnlich dem in Deutschland bekannten Erbschein bei grenzüberschreitenden Erbfällen den Erbanspruch. Es enthält auch alle relevanten Informationen über den Inhaber des Nachlasszeugnisses und den Erblasser, ggf. auch die Erbquoten und die Anordnung einer Testamentsvollstreckung. Beantragen muss man das Nachlasszeugnis beim Gericht oder der jeweils zuständigen Behörde an dem Ort, an dem der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Bei deutschen inländischen Erbfällen ohne grenzüberschreitenden Bezug wird weiter der Erbschein genutzt.
Wer kann das europäische Nachlasszeugnis beantragen?
Beantragen können das europäische Nachlasszeugnis Erben, Vermächtnisnehmer, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter, jedoch nicht Nachlassgläubiger, die Ansprüche gegen den Nachlass geltend machen wollen.
Wie lange gilt das europäische Nachlasszeugnis?
Das europäische Nachlasszeugnis bekommt der Antragsteller nicht im Original ausgehändigt. Er erhält stattdessen eine beglaubigte Abschrift. Diese ist nur sechs Monate lang wirksam. Danach muss man das Nachlasszeugnis verlängern oder ein neues beantragen.
Können mit einem europäischen Nachlasszeugnis einzelne Gegenstände vererbt werden?
Insoweit kommt es darauf an, welches Erbrecht gilt, wo der Erblasser also seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. War das in Deutschland, so können mit dem Nachlasszeugnis keine einzelnen Gegenstände vererbt werden, da nach deutschem Recht nur der Nachlass als Ganzes vererbt wird. An diesem Nachlass werden dann Erbquoten festgesetzt. Gilt für ein europäisches Nachlasszeugnis das deutsche Erbrecht, können darin keine einzelnen Erbschaftsgegenstände erwähnt werden. So entschied das Oberlandesgericht Nürnberg, dass ein Grundstück in Tschechien auch aus rein informatorischen Gründen nicht im Nachlasszeugnis erwähnt werden durfte (Beschluss vom 5.4.2017, Az. 15 W 299/17).
Im deutschen Recht gibt es jedoch die Möglichkeit, im Testament oder getrennt davon ein sogenanntes Vermächtnis anzuordnen. Damit lassen sich dann auch einzelne Gegenstände (Auto, Münzsammlung) an eine bestimmte Person vergeben. Der Vermächtnisnehmer ist jedoch kein Erbe. Er hat einen Herausgabeanspruch gegen den oder die Erben. Auch dies ist eine Besonderheit des deutschen Rechts, die im Ausland nicht selbstverständlich ist.
Praxistipp für Erblasser mit Wohnsitz im EU-Ausland
Leben Sie überwiegend im EU-Ausland, also z.B. in Frankreich, Italien, Spanien oder Portugal? Dann empfiehlt es sich, Ihr Testament zu überprüfen und gegebenenfalls eine Regelung zur Wahl des Erbrechts, das für Ihr Testament gelten soll, aufzunehmen. Gibt es kein Testament, oder ist es unwirksam, gilt das jeweilige ausländische gesetzliche Erbrecht und es kann zu nicht gewollten Ergebnissen kommen. Zur Frage, wie sie als im EU-Ausland lebender Deutscher Ihre Erbfolge am besten regeln, kann Sie ein Fachanwalt für Erbrecht fachgerecht beraten.
(Bu)