Fehler bei Geschwindigkeitsmessungen: Womit kann man argumentieren?
16.08.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
© - freepik Auch "Blitzer" arbeiten nicht immer genau. In manchen Fällen lässt auch die Bedienung durch die Polizeibeamten zu wünschen übrig. Vor Gericht wird oft über die Verwendbarkeit von Messergebnissen gestritten. Die Ergebnisse bestimmter Geräte werden überhaupt nicht mehr anerkannt.
Für eine Geschwindigkeitskontrolle gibt es verschiedene Verfahren: Radargeräte, Lasermessgeräte, Lichtschranken, Messgeräte mit Induktionsschleifen in der Straße, Videonachfahrsysteme. Ein Beispiel ist die Lasermessung durch das Gerät PoliScan Speed: Das Gerät sendet Laser-Impulse aus, die vom Fahrzeug zurück zum Messgerät reflektiert werden. Auf diese Weise misst man die Entfernung zwischen beiden. Dabei erfasst das Gerät verschiedene Karosseriepunkte etliche Male pro Sekunde und erstellt ein Bewegungsprofil des Autos. Aus der Änderung der Entfernung wird die Geschwindigkeit berechnet. Auch bei herkömmlichen Radargeräten reflektiert das Auto die Radarstrahlen; diese werden wieder vom Gerät registriert, das dann die Geschwindigkeit ermittelt.
Bei jedem Gerätetyp kann es zu unterschiedlichen Fehlern kommen. Zum Beispiel funktionieren in die Straße eingelassene Induktionsschleifen nur dann einwandfrei, wenn der Straßenbelag in Ordnung ist. Radarmessungen sind häufig nicht zu gebrauchen, wenn eine Schlange von Autos mit geringem Abstand hintereinander fährt. Wichtig für eine exakte Messung ist auch der Winkel, in dem der Polizist die Radarpistole hält. Reflexe von Sonnenlicht können das Ergebnis verfälschen.
Immer beliebter werden Lasermessgeräte. Diese gibt es als Geräte auf einem Dreibeinstativ oder fest installiert in einer Säule. Auch bei ihnen spielt der Messwinkel eine große Rolle für das Ergebnis. Zu Messfehlern kann es auch durch Gegenstände kommen, die sich zwischen dem Messobjekt und dem Messgerät befinden – etwa andere Fahrzeuge, Bäume, Gegenstände am Fahrbahnrand.
Wer einen Bußgeldbescheid mittels derartiger Argumente anfechten will, muss innerhalb der im Bescheid genannten Frist Einspruch einlegen. Dann entscheidet letztendlich ein Gericht. Die Erfolgschancen kann ein im Verkehrsrecht versierter Anwalt am besten beurteilen.
Auch Geschwindigkeitsmessgeräte müssen regelmäßig geeicht werden. Allerdings können durchaus Daten von nicht geeichten Geräten Grundlage eines Bußgeldbescheids sein. Dann gelten jedoch höhere Toleranzen als die sonst üblichen 3 km/h (unter 100 km/h Geschwindigkeit) und 3 % (bei über 100 km/h). Dies muss im Zweifelsfall gerichtlich geklärt werden.
Das Lasermessgerät Poliscan Speed ist besonders umstritten. Hier werden die Messergebnisse seit Jahren angezweifelt, weil die Herstellerfirma keinerlei Informationen über die genaue Funktionsweise des Geräts herausgibt – aus patentrechtlichen Gründen. Gerichtliche Sachverständige können daher kaum beurteilen, ob die Ergebnisse stimmen. So manches Amtsgericht hat hier schon "im Zweifel für den Angeklagten" entschieden, so zum Beispiel das Amtsgericht Emmendingen (Urteil vom 26.02.2014, Az. 5 OWi 530 Js 24840/12). Auch mit einer seit 2013 verwendbaren neuen Auswertungssoftware des Herstellers waren dem Sachverständigen zufolge viele Messungen kaum nachvollziehbar. So habe die Software bei einem Test in Frankfurt am Main 21 Prozent der Messungen als fehlerhaft annulliert. Es sei unklar, nach welchen Kriterien dies erfolgt sei. Andere Hersteller stellen geeichte Daten zur Verfügung, um die Genauigkeit ihrer Geräte überprüfbar zu machen.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf wiederum lehnt die Ansicht der kritischen Amtsrichter und ihrer Sachverständigen vehement ab. Das OLG verweist darauf, dass das Gerät von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zugelassen sei. Damit handle es sich hier um ein sogenanntes standardisiertes Messverfahren, dessen Ergebnisse die Gerichte ohne weitere Diskussion anzuerkennen hätten. Der Zweck der amtlichen Zulassung solcher Geräte bestehe gerade darin, dass nicht über jede einzelne Messung vor Gericht mit Hilfe von Sachverständigen gestritten werden müsse. Aber: Betroffene könnten trotzdem konkrete Zweifel an einer Messung vor Gericht vorbringen und mit Beweisanträgen untermauern (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.07.2014, Az. IV-1 RBs 50/14). Ähnliche Urteile fällten das OLG Schleswig (Beschluss vom 31.10.2013, Az. 1 Ss OWi 141/13) und das OLG Köln (Beschluss vom 30.10.2012, Az. III-1 RBs 277/12).
Wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass ein Gerät nicht richtig bedient wurde – etwa entsprechend der Richtlinien des Herstellers – kann der Bußgeldbescheid angreifbar sein. Allerdings haben auch Behörden Richtlinien für solche Messungen erlassen. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat sich mit einem Fall beschäftigt, bei dem es um die "Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums Baden-Württemberg für die Verkehrssicherheitsarbeit der Polizei" ging. Dieses Regelwerk besagt zum Beispiel, dass in Baden-Württemberg Geschwindigkeitsmessungen grundsätzlich im Abstand von 150 m zu den jeweiligen beschränkenden Verkehrsschildern stattfinden sollen. An Gefahrstellen darf davon abgewichen werden.
Aus dem Beschluss (OLG Stuttgart, 04.07.2011, Az. 4 Ss 261/11) ergibt sich:
- Ein Verstoß der Beamten gegen solche Richtlinien kann auch ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot sein. Damit wäre er zu Gunsten des Betroffenen zu würdigen.
- Die 150 Meter beziehen sich auf die Strecke in Fahrtrichtung des Betroffenen ab dem Schild, welches den Beginn einer Geschwindigkeitsbegrenzung anzeigt. Dazu gehören auch Ortseingangschilder beim Hineinfahren in den Ort.
2020 hat das Bundesverfassungsgericht geblitzten Autofahrern das Recht eingeräumt, auch die Rohmessdaten des verwendeten Messgerätes zu prüfen. Im verhandelten Fall waren diese nicht Teil der Ermittlungsakte gewesen. Das Gericht schloss sich der Ansicht des Betroffenen an, dass dessen Recht auf ein faires Verfahren verletzt worden sei. Einsicht ins Messprotokoll, das Messergebnis, den Eichschein und die Bedienungsanleitung des eingesetzten Messgerätes war dem Autofahrer gewährt worden. Hier hatte das Oberlandesgericht Bamberg erfolglos damit argumentiert, dass es sich um ein standardisiertes Messverfahren handle.
Das Bundesverfassungsgericht betonte, dass bei der Vielzahl von Bußgeldbescheiden zwar nicht jedes Mal "anlasslos die technische Richtigkeit einer Messung jeweils neu überprüft werden muss". Aber: Grundsätzlich dürften Betroffene auch Informationen außerhalb ihrer Akte prüfen. Seien konkrete Anhaltspunkte für ein fehlerhaftes Messergebnis vorhanden, müssten die Gerichte gegebenenfalls einen Sachverständigen hinzuziehen, um entscheiden zu können, ob ein Tempoverstoß vorliege (Urteil vom 15.12.2020, Az. 2 BvR 1616/18).
Das Problem: Viele Blitzer speichern ihre Rohmessdaten gar nicht - zum Beispiel das Gerät Poliscan SM1. Das Gerät Traffistar S350 durfte nach einem Urteil des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes von 2019 zeitweise nicht mehr eingesetzt werden - bis zu einem Software-Update.
Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin müssen Behörden nach Tempoverstößen alle zumutbaren Methoden nutzen, um den tatsächlichen Fahrer des Fahrzeugs festzustellen. Dazu gehört auch die Google-Bildersuche. In dem Fall ging es um eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 30 km/h innerorts. Der Fahrer konnte anhand des Blitzerfotos nicht ermittelt werden. Der Geschäftsführer der Firma, der das Auto gehörte, verweigerte Angaben zum Fahrer. Daraufhin bekam die Firma eine Fahrtenbuchauflage. Das Unternehmen klagte dagegen mit dem Argument, dass nicht alle zumutbaren Methoden zur Ermittlung des Fahrers ausgenutzt worden seien. Das Gericht schloss sich diesem Argument an. Die Behörde habe die Pflicht, alle zumutbaren und möglichen Maßnahmen durchzuführen, um den Fahrer zu ermitteln. Dies hätte zum Beispiel durch eine einfache Google Suche mit einer Kombination von Namen und Foto des vermutlichen Fahrers geschehen können. Der Verwaltungsrichter probierte dies auch selbst gleich aus und identifizierte den Geschäftsführer der Firma als Fahrer. Ob dieser nun also sehr glücklich über den gewonnenen Prozess und die zurückgezogene Fahrtenbuchauflage ist, ist fraglich. Das Urteil zeigt, dass es nicht ausreicht, bei Unklarheiten über den Fahrer einfach den Halter des Fahrzeugs zu befragen und dessen Antwort hinzunehmen. Bevor Sanktionen verhängt werden, sind weitere Ermittlungen notwendig - ggf. mit Hilfe von Suchmaschinen (Urteil vom 26.6.2024, Az. 34 K 11/23). Dieses Verfahren bietet sich insbesondere an, wenn Autokennzeichen und Halter bekannt sind, das Gesicht des Fahrers aber nur teilweise zu erkennen ist. Wer sich sicher ist, nicht gefahren zu sein, kann fehlende Ermittlungen nutzen, um Sanktionen anzugreifen. Allerdings um den Preis, dass der identifizierte echte Fahrer dann meist ein Familienmitglied sein wird.
Achtung: Wer bei Nacht und Nebel ein Geschwindigkeitsmessgerät mit brennbarem Material vollstopft und anzündet, begeht eine strafbare Sachbeschädigung. Hier ist mit Alarmanlagen zu rechnen, die das Gerät mit der nächsten Polizeidienststelle verbinden ... (OLG Braunschweig, Az. 1 Ss 6/13).
Wer einen Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung bekommt und den Verdacht hat, dies könnte auf einer fehlerhaften Geschwindigkeitsmessung beruhen, sollte sich an einen Anwalt mit Schwerpunkt Verkehrsrecht wenden. Dieser kann Akteneinsicht nehmen und die Beweislage prüfen. So lässt sich beurteilen, wie die Chancen stehen, den Bußgeldbescheid erfolgreich anzufechten.
Das Wichtigste in Kürze
Messfehler Bei den unterschiedlichen Verfahren zur Geschwindigkeitsmessung im Straßenverkehr gibt es zahlreiche Fehlerquellen, die zu einer fehlerhaften Messung führen können.
Faires Verfahren Dem geblitzten Autofahrer ist auf Verlangen Einsicht in das Messprotokoll, das Messergebnis, den Eichschein und die Bedienungsanleitung des eingesetzten Messgerätes zu geben.
Rohmessdaten Im Jahr 2020 hat das Bundesverfassungsgericht geblitzten Autofahrern zudem das Recht eingeräumt, auch die Rohmessdaten des verwendeten Messgerätes zu prüfen, die nicht Teil der Ermittlungsakte sind.
Messfehler Bei den unterschiedlichen Verfahren zur Geschwindigkeitsmessung im Straßenverkehr gibt es zahlreiche Fehlerquellen, die zu einer fehlerhaften Messung führen können.
Faires Verfahren Dem geblitzten Autofahrer ist auf Verlangen Einsicht in das Messprotokoll, das Messergebnis, den Eichschein und die Bedienungsanleitung des eingesetzten Messgerätes zu geben.
Rohmessdaten Im Jahr 2020 hat das Bundesverfassungsgericht geblitzten Autofahrern zudem das Recht eingeräumt, auch die Rohmessdaten des verwendeten Messgerätes zu prüfen, die nicht Teil der Ermittlungsakte sind.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Wie wird die Geschwindigkeit gemessen? Welche Fehler können bei einer Messung auftreten? Sind nur geeichte "Blitzer" verwendbar? Sonderfall: Jahrelanger Streit über Poliscan Was sagt das OLG Düsseldorf zu Poliscan? Gab es einen Verstoß gegen Messrichtlinien? Bundesverfassungsgericht: Auch Rohmessdaten dürfen geprüft werden Update vom 16.8.2024: Müssen Behörden Fahrerfotos googeln? Ist ein Angriff auf einen Blitzer strafbar? Praxistipp zu Fehlern beim Blitzen Wie wird die Geschwindigkeit gemessen?
Für eine Geschwindigkeitskontrolle gibt es verschiedene Verfahren: Radargeräte, Lasermessgeräte, Lichtschranken, Messgeräte mit Induktionsschleifen in der Straße, Videonachfahrsysteme. Ein Beispiel ist die Lasermessung durch das Gerät PoliScan Speed: Das Gerät sendet Laser-Impulse aus, die vom Fahrzeug zurück zum Messgerät reflektiert werden. Auf diese Weise misst man die Entfernung zwischen beiden. Dabei erfasst das Gerät verschiedene Karosseriepunkte etliche Male pro Sekunde und erstellt ein Bewegungsprofil des Autos. Aus der Änderung der Entfernung wird die Geschwindigkeit berechnet. Auch bei herkömmlichen Radargeräten reflektiert das Auto die Radarstrahlen; diese werden wieder vom Gerät registriert, das dann die Geschwindigkeit ermittelt.
Welche Fehler können bei einer Messung auftreten?
Bei jedem Gerätetyp kann es zu unterschiedlichen Fehlern kommen. Zum Beispiel funktionieren in die Straße eingelassene Induktionsschleifen nur dann einwandfrei, wenn der Straßenbelag in Ordnung ist. Radarmessungen sind häufig nicht zu gebrauchen, wenn eine Schlange von Autos mit geringem Abstand hintereinander fährt. Wichtig für eine exakte Messung ist auch der Winkel, in dem der Polizist die Radarpistole hält. Reflexe von Sonnenlicht können das Ergebnis verfälschen.
Immer beliebter werden Lasermessgeräte. Diese gibt es als Geräte auf einem Dreibeinstativ oder fest installiert in einer Säule. Auch bei ihnen spielt der Messwinkel eine große Rolle für das Ergebnis. Zu Messfehlern kann es auch durch Gegenstände kommen, die sich zwischen dem Messobjekt und dem Messgerät befinden – etwa andere Fahrzeuge, Bäume, Gegenstände am Fahrbahnrand.
Wer einen Bußgeldbescheid mittels derartiger Argumente anfechten will, muss innerhalb der im Bescheid genannten Frist Einspruch einlegen. Dann entscheidet letztendlich ein Gericht. Die Erfolgschancen kann ein im Verkehrsrecht versierter Anwalt am besten beurteilen.
Sind nur geeichte "Blitzer" verwendbar?
Auch Geschwindigkeitsmessgeräte müssen regelmäßig geeicht werden. Allerdings können durchaus Daten von nicht geeichten Geräten Grundlage eines Bußgeldbescheids sein. Dann gelten jedoch höhere Toleranzen als die sonst üblichen 3 km/h (unter 100 km/h Geschwindigkeit) und 3 % (bei über 100 km/h). Dies muss im Zweifelsfall gerichtlich geklärt werden.
Sonderfall: Jahrelanger Streit über Poliscan
Das Lasermessgerät Poliscan Speed ist besonders umstritten. Hier werden die Messergebnisse seit Jahren angezweifelt, weil die Herstellerfirma keinerlei Informationen über die genaue Funktionsweise des Geräts herausgibt – aus patentrechtlichen Gründen. Gerichtliche Sachverständige können daher kaum beurteilen, ob die Ergebnisse stimmen. So manches Amtsgericht hat hier schon "im Zweifel für den Angeklagten" entschieden, so zum Beispiel das Amtsgericht Emmendingen (Urteil vom 26.02.2014, Az. 5 OWi 530 Js 24840/12). Auch mit einer seit 2013 verwendbaren neuen Auswertungssoftware des Herstellers waren dem Sachverständigen zufolge viele Messungen kaum nachvollziehbar. So habe die Software bei einem Test in Frankfurt am Main 21 Prozent der Messungen als fehlerhaft annulliert. Es sei unklar, nach welchen Kriterien dies erfolgt sei. Andere Hersteller stellen geeichte Daten zur Verfügung, um die Genauigkeit ihrer Geräte überprüfbar zu machen.
Was sagt das OLG Düsseldorf zu Poliscan?
Das Oberlandesgericht Düsseldorf wiederum lehnt die Ansicht der kritischen Amtsrichter und ihrer Sachverständigen vehement ab. Das OLG verweist darauf, dass das Gerät von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zugelassen sei. Damit handle es sich hier um ein sogenanntes standardisiertes Messverfahren, dessen Ergebnisse die Gerichte ohne weitere Diskussion anzuerkennen hätten. Der Zweck der amtlichen Zulassung solcher Geräte bestehe gerade darin, dass nicht über jede einzelne Messung vor Gericht mit Hilfe von Sachverständigen gestritten werden müsse. Aber: Betroffene könnten trotzdem konkrete Zweifel an einer Messung vor Gericht vorbringen und mit Beweisanträgen untermauern (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.07.2014, Az. IV-1 RBs 50/14). Ähnliche Urteile fällten das OLG Schleswig (Beschluss vom 31.10.2013, Az. 1 Ss OWi 141/13) und das OLG Köln (Beschluss vom 30.10.2012, Az. III-1 RBs 277/12).
Gab es einen Verstoß gegen Messrichtlinien?
Wenn es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass ein Gerät nicht richtig bedient wurde – etwa entsprechend der Richtlinien des Herstellers – kann der Bußgeldbescheid angreifbar sein. Allerdings haben auch Behörden Richtlinien für solche Messungen erlassen. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat sich mit einem Fall beschäftigt, bei dem es um die "Verwaltungsvorschrift des Innenministeriums Baden-Württemberg für die Verkehrssicherheitsarbeit der Polizei" ging. Dieses Regelwerk besagt zum Beispiel, dass in Baden-Württemberg Geschwindigkeitsmessungen grundsätzlich im Abstand von 150 m zu den jeweiligen beschränkenden Verkehrsschildern stattfinden sollen. An Gefahrstellen darf davon abgewichen werden.
Aus dem Beschluss (OLG Stuttgart, 04.07.2011, Az. 4 Ss 261/11) ergibt sich:
- Ein Verstoß der Beamten gegen solche Richtlinien kann auch ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot sein. Damit wäre er zu Gunsten des Betroffenen zu würdigen.
- Die 150 Meter beziehen sich auf die Strecke in Fahrtrichtung des Betroffenen ab dem Schild, welches den Beginn einer Geschwindigkeitsbegrenzung anzeigt. Dazu gehören auch Ortseingangschilder beim Hineinfahren in den Ort.
Bundesverfassungsgericht: Auch Rohmessdaten dürfen geprüft werden
2020 hat das Bundesverfassungsgericht geblitzten Autofahrern das Recht eingeräumt, auch die Rohmessdaten des verwendeten Messgerätes zu prüfen. Im verhandelten Fall waren diese nicht Teil der Ermittlungsakte gewesen. Das Gericht schloss sich der Ansicht des Betroffenen an, dass dessen Recht auf ein faires Verfahren verletzt worden sei. Einsicht ins Messprotokoll, das Messergebnis, den Eichschein und die Bedienungsanleitung des eingesetzten Messgerätes war dem Autofahrer gewährt worden. Hier hatte das Oberlandesgericht Bamberg erfolglos damit argumentiert, dass es sich um ein standardisiertes Messverfahren handle.
Das Bundesverfassungsgericht betonte, dass bei der Vielzahl von Bußgeldbescheiden zwar nicht jedes Mal "anlasslos die technische Richtigkeit einer Messung jeweils neu überprüft werden muss". Aber: Grundsätzlich dürften Betroffene auch Informationen außerhalb ihrer Akte prüfen. Seien konkrete Anhaltspunkte für ein fehlerhaftes Messergebnis vorhanden, müssten die Gerichte gegebenenfalls einen Sachverständigen hinzuziehen, um entscheiden zu können, ob ein Tempoverstoß vorliege (Urteil vom 15.12.2020, Az. 2 BvR 1616/18).
Das Problem: Viele Blitzer speichern ihre Rohmessdaten gar nicht - zum Beispiel das Gerät Poliscan SM1. Das Gerät Traffistar S350 durfte nach einem Urteil des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes von 2019 zeitweise nicht mehr eingesetzt werden - bis zu einem Software-Update.
Update vom 16.8.2024: Müssen Behörden Fahrerfotos googeln?
Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin müssen Behörden nach Tempoverstößen alle zumutbaren Methoden nutzen, um den tatsächlichen Fahrer des Fahrzeugs festzustellen. Dazu gehört auch die Google-Bildersuche. In dem Fall ging es um eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 30 km/h innerorts. Der Fahrer konnte anhand des Blitzerfotos nicht ermittelt werden. Der Geschäftsführer der Firma, der das Auto gehörte, verweigerte Angaben zum Fahrer. Daraufhin bekam die Firma eine Fahrtenbuchauflage. Das Unternehmen klagte dagegen mit dem Argument, dass nicht alle zumutbaren Methoden zur Ermittlung des Fahrers ausgenutzt worden seien. Das Gericht schloss sich diesem Argument an. Die Behörde habe die Pflicht, alle zumutbaren und möglichen Maßnahmen durchzuführen, um den Fahrer zu ermitteln. Dies hätte zum Beispiel durch eine einfache Google Suche mit einer Kombination von Namen und Foto des vermutlichen Fahrers geschehen können. Der Verwaltungsrichter probierte dies auch selbst gleich aus und identifizierte den Geschäftsführer der Firma als Fahrer. Ob dieser nun also sehr glücklich über den gewonnenen Prozess und die zurückgezogene Fahrtenbuchauflage ist, ist fraglich. Das Urteil zeigt, dass es nicht ausreicht, bei Unklarheiten über den Fahrer einfach den Halter des Fahrzeugs zu befragen und dessen Antwort hinzunehmen. Bevor Sanktionen verhängt werden, sind weitere Ermittlungen notwendig - ggf. mit Hilfe von Suchmaschinen (Urteil vom 26.6.2024, Az. 34 K 11/23). Dieses Verfahren bietet sich insbesondere an, wenn Autokennzeichen und Halter bekannt sind, das Gesicht des Fahrers aber nur teilweise zu erkennen ist. Wer sich sicher ist, nicht gefahren zu sein, kann fehlende Ermittlungen nutzen, um Sanktionen anzugreifen. Allerdings um den Preis, dass der identifizierte echte Fahrer dann meist ein Familienmitglied sein wird.
Ist ein Angriff auf einen Blitzer strafbar?
Achtung: Wer bei Nacht und Nebel ein Geschwindigkeitsmessgerät mit brennbarem Material vollstopft und anzündet, begeht eine strafbare Sachbeschädigung. Hier ist mit Alarmanlagen zu rechnen, die das Gerät mit der nächsten Polizeidienststelle verbinden ... (OLG Braunschweig, Az. 1 Ss 6/13).
Praxistipp zu Fehlern beim Blitzen
Wer einen Bußgeldbescheid wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung bekommt und den Verdacht hat, dies könnte auf einer fehlerhaften Geschwindigkeitsmessung beruhen, sollte sich an einen Anwalt mit Schwerpunkt Verkehrsrecht wenden. Dieser kann Akteneinsicht nehmen und die Beweislage prüfen. So lässt sich beurteilen, wie die Chancen stehen, den Bußgeldbescheid erfolgreich anzufechten.
(Bu)