Warnstreik, Flugverspätung und Flugausfall: Das ist Ihr gutes Recht!
11.06.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
© Bu - Anwalt-Suchservice Im März 2023 gab es Warnstreiks an mehreren deutschen Flughäfen. Anlass waren die zum Stocken gekommenen Tarifverhandlungen. Besonders betroffen waren am 13.3.2023 die Flughäfen Hamburg, Hannover und der Hauptstadtflughafen Berlin-Brandenburg BER. Auch für Bremen gab es einen Streikaufruf. Allein in Berlin ging es um 276.000 Fluggäste, in Hamburg fielen alle Starts aus. Auf anderen Flughäfen sorgte das Flugchaos für Verspätungen. Welche Rechte haben Flugpassagiere bei einer Flugannullierung oder Flugverspätung - nicht nur bei Streiks?
Die Europäische Verordnung über Fluggastrechte räumt seit 2004 Flugreisenden bei Nichtbeförderung, Annullierung des Fluges oder großen Verspätungen Ansprüche ein, die direkt gegen die Fluggesellschaft geltend gemacht werden können. Dies hat nichts mit den Ansprüchen bei Reisemängeln nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch zu tun. Passagiere können nach der EU-Verordnung also viel einfacher ihre Rechte geltend machen, ohne erst Ansprüche gegen einen Reiseveranstalter anzumelden.
Die Europäische Verordnung gilt für Pauschalreisen genauso wie für einzeln gebuchte Flüge. Bei ihr kommt es nicht darauf an, ob die Fluggesellschaft an dem Problem schuld ist. Wird der Flug abgesagt oder verspätet er sich erheblich, können Reisende nach Verspätungsdauer und Flugstrecke gestaffelte Ausgleichszahlungen verlangen. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen die Fluggesellschaft nicht zahlen muss. Dies kann auch bei einem überraschenden Warnstreik der Fall sein.
Die Regelung gilt für Flüge,
- die in der EU angetreten werden oder
- die eine Fluggesellschaft mit Sitz in der EU (oder Island, Norwegen oder der Schweiz) durchführt und die ein EU-Land als Ziel haben.
Sie ist nicht anwendbar auf Flüge aus Drittländern mit in Drittländern registrierten Airlines. Ebenfalls nicht auf Flüge, die kostenlos sind oder die zu einem vergünstigten Tarif angeboten werden, der der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung steht. Hiermit sind allerdings nicht die Kundenbindungsprogramme der Fluggesellschaften oder der Reiseveranstalter gemeint.
Ansprüche wegen einer Flugannullierung oder Flugverspätung können Flugpassagiere nur dann geltend machen, wenn sie mindestens 45 Minuten vor dem geplanten Abflug am Gate waren – oder zu der Zeit, die die Fluggesellschaft oder das Reiseunternehmen ihnen vorher schriftlich (auch elektronisch) mitgeteilt hat.
Von einer Flugverspätung betroffene Flugpassagiere können zunächst einmal sogenannte Unterstützungs- und Betreuungsleistungen der Fluggesellschaft direkt am Flughafen in Anspruch nehmen. Dies sind zum Beispiel kostenfreie Mahlzeiten und Erfrischungen in einem angemessenen Verhältnis zur Wartezeit. Ein luxuriöses Fünf-Gänge-Menü ist damit jedoch nicht gemeint: Meist händigen die Airlines ihren Fluggästen dann Gutscheine für Snacks oder Mahlzeiten im nächsten Flughafenrestaurant oder -Imbiss aus.
Sitzen Sie zum Beispiel bei einem Streik am Flughafen fest und hören nichts von diesen Leistungen? Dann fragen Sie beim Personal nach. Übrigens muss Ihnen die Fluggesellschaft auch zwei kostenlose Anrufe oder den Versand von zwei Telefaxen oder E-Mails ermöglichen, damit Sie Ihre Familie, Arbeitgeber oder Geschäftspartner über den Flugausfall informieren können.
Die genannten Leistungen muss Ihnen die Fluggesellschaft immer gewähren, wenn sie absehen kann, dass sich der Abflug gegenüber der planmäßigen Abflugzeit wie folgt verspäten wird:
- bei allen Flügen über eine Entfernung bis zu 1.500 km um zwei
Stunden oder mehr oder
- bei allen Flügen innerhalb der EU über eine Entfernung von mehr
als 1.500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen
1.500 km und 3.500 km um drei Stunden oder mehr oder
- bei allen nicht unter die ersten beiden Punkte fallenden Flügen um vier Stunden oder mehr.
Wenn zu erwarten ist, dass ein Flugpassagier wegen einer Abflugverspätung erst am Tag nach seiner planmäßigen Ankunft am Reiseziel ankommt, hat ihn die Fluggesellschaft in einem Hotel unterzubringen und einen kostenlosen Transfer zwischen Flughafen und Hotel zu organisieren, zum Beispiel per Taxi.
Verspätet sich ein Flug um mindestens fünf Stunden, können die Flugpassagiere wählen zwischen:
- einer Erstattung der Ticketkosten für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte sowie für bereits zurückgelegte (wenn der Reiseplan durch die Verspätung sinnlos geworden ist), ggf. plus Rückflug zum ersten Abflugort,
- einer schnellstmöglichen anderweitigen Beförderung zum endgültigen Reiseziel,
- einer anderweitigen Beförderung zum endgültigen Reiseziel zu einem späteren Zeitpunkt, soweit Plätze vorhanden.
Wenn Fluggäste ihr endgültiges Ziel mit über drei Stunden Verspätung erreichen, können sie eine finanzielle Entschädigung fordern. Dieser Anspruch beruht ursprünglich nicht direkt auf der EU-Verordnung, sondern auf zwei Urteilen des Europäischen Gerichtshofes (23. Oktober 2012, Az. C-581/10 und C-629/10). Die Höhe hängt von der Flugentfernung ab und entspricht der Entschädigung bei Flugannullierungen:
- 250 Euro bei allen Flügen über eine Entfernung bis 1.500 km,
- 400 Euro bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung
von mehr als 1.500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung
zwischen 1.500 km und 3.500 km,
- 600 Euro bei allen anderen Flügen.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich mit der Frage befasst, ob eine Entschädigung wegen Flugverspätung auch dann fällig wird, wenn man als Flugpassagier davon vorher erfährt und gar nicht erst zur Abfertigung am Flughafen erscheint. Dies war in zwei Fällen passiert: Zwei Passagiere hatten Flüge von Düsseldorf nach Mallorca gebucht. Beide hatten vorher erfahren, dass ihre Flüge über drei Stunden Verspätung haben würden. Beide befürchteten, dass sie ihre Geschäftstermine am Zielort deshalb nicht pünktlich wahrnehmen könnten. Der erste Flugreisende verzichtete ganz auf den Flug und blieb zu Hause, während der andere selbst einen Ersatzflug buchte, der ihn mit weniger als drei Stunden Verspätung ans Reiseziel brachte. Die Fluggäste verlangten eine Entschädigung für die Flugverspätung. Da die Fluggesellschaft nicht zahlte, kam es zum Prozess.
Der EuGH entschied, dass beiden keine Entschädigung zustand. Sinn der Entschädigung sei es, den Schaden auszugleichen, den Fluggäste durch den Zeitverlust und die verspätungsbedingten Unannehmlichkeiten erlitten. Wenn man aber gar nicht erst den Weg zum Flughafen antrete oder schon von zu Hause aus einen anderen Flug buche, komme es gar nicht zu einem Zeitverlust. Da kein Schaden vorliege, bestünde auch kein Anspruch auf eine Entschädigung. Anders als bei einem abgesagten Flug hätten Passagiere verspäteter Flüge immer noch die Pflicht, sich zumindest zur Abfertigung einzufinden (Urteil vom 25.1.2024, Az. C-474/22).
Wenn - zum Beispiel wegen eines Streiks - ein geplanter Flug abgesagt wird, dürfen die Fluggäste zwischen einer Erstattung des Ticketpreises und einer anderweitigen Beförderung zum frühestmöglichen Zeitpunkt wählen. Zusätzlich können sie auch wieder die Betreuungsleistungen am Flughafen beanspruchen, also Mahlzeiten und Erfrischungen in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit.
Ebenso muss ihnen die Airline auch bei der Flugannullierung zwei kostenlose Telefongespräche, E-Mails oder Telefaxe ermöglichen. Ist eine anderweitige Beförderung erst am nächsten Tag möglich, muss die Fluggesellschaft eine Übernachtung im Hotel und den Transfer zwischen Hotel und Flughafen bezahlen.
Bei einem Flugausfall haben die Fluggäste außerdem einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen. Deren Höhe entspricht der bei Verspätungen (siehe oben).
Keine Ausgleichszahlung muss die Fluggesellschaft leisten, wenn sie den Fluggast mindestens zwei Wochen zuvor über die Annullierung informiert. Dies gilt auch, wenn der Passagier die Information in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor dem geplanten Abflug bekommt und ihm gleichzeitig ein Ersatzflug angeboten wird, welcher nicht mehr als zwei Stunden vor dem geplanten Flug abhebt und spätestens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit das Reiseziel erreicht.
Die Fluggesellschaft kann sogar noch weniger als sieben Tage vor dem Flug den Start absagen, ohne Entschädigung zahlen zu müssen. Dazu muss sie einen Ersatzflug anbieten, der nicht mehr als eine Stunde vor dem planmäßigen Abflug abhebt und nicht später als zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunft ankommt.
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Fluggäste nach einer Flugannullierung frei ihren Termin für den Ersatzflug wählen dürfen. Dieser muss also nicht sofort oder "in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang" zum annullierten Flug gebucht werden, wie von einigen Fluglinien bisher verlangt. Es darf auch kein zusätzliches Entgelt verlangt werden, wenn der Ersatzflug erst später in Anspruch genommen wird. Voraussetzung ist allerdings, dass freie Plätze vorhanden sind. In dem Verfahren ging es um Flüge, die in Folge der Corona-Pandemie gestrichen worden waren. Die Fluggäste wollten ihr Recht auf kostenlose Beförderung zu einem späteren Zeitpunkt dann erst drei bis sechs Monate später ausüben (Urteil vom 27.6.2023, Az. X ZR 50/22).
In einem Fall dürfen jedoch die Fluggesellschaften Ausgleichszahlungen bei Verspätungen oder Annullierungen verweigern: Wenn diese auf außergewöhnlichen Umständen beruhen, für die die Airline nichts kann. Die Beweislast dafür trägt die Fluggesellschaft.
Wenn sich zum Beispiel ein Flug von Deutschland nach Menorca verspätet, weil in Griechenland das Radar der Flugleitstelle ausgefallen ist, handelt es sich nach dem Bundesgerichtshof um einen außergewöhnlichen Umstand (Urteil vom 12.6.2014, Az. X ZR 104/13). Dies gilt auch für Generalstreiks im Urlaubsland, Stürme oder Naturkatastrophen.
Keine außergewöhnlichen Umstände sind technische Mängel am Flugzeug. Auch technische Probleme durch eine Kollision mit Vögeln fallen nicht darunter (Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 4.5.2017, Az. C-315/15). Dann müsste die Fluggesellschaft also Entschädigung leisten.
Verspätet sich ein Flug, weil auf dem vorherigen Flug der gleichen Maschine ein Passagier massiv randaliert hat, liegt ein außergewöhnlicher Umstand vor. Allerdings nur, wenn die Fluggesellschaft alles ihr Mögliche getan hat, um eine Verspätung der Passagiere des nächsten Fluges dieser Maschine zu vermeiden. Dazu reicht es nicht aus, die Fluggäste einfach auf den nächsten regulären Flug zu verweisen. Notfalls muss auch auf die Flüge anderer Gesellschaften zurückgegriffen werden (Urteil vom 11.6.2020, Az. C-74/19).
Der Europäische Gerichtshof hat im Mai 2024 entschieden, dass Personalmanghel am Flughafen ein außergewöhnlicher Umstand sein kann, der dazu führt, dass die Fluggesellschaft keine Entschädigung zahlen muss. Im Fall ging es um einen Flug mit TAS von Köln-Bonn nach Kos im Jahr 2021. Wegen Personalmangel in der Gepäckverladung von Köln-Bonn kam es zu einer Verspätung von vier Stunden. Verschiedene Fluggäste tratren ihre entsprechenden Ansprüche an ein Unternehmen ab, dass versuchte, die Entschädigung einzuklagen.
Der EuGH betonte, dass ein außergewöhnlicher Umstand vorliege, wenn das Vorkommnis erstens weder seiner Natur noch seiner Ursache nach Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der Fluggesellschaft sei und zweitens von ihr nicht tatsächlich beherrschbar sei. Dies könne grundsätzlich auch bei einem Personalmangel in der Gepäckverladung der Fall sein. Allerdings müsse die Fluggesellschaft für eine Befreiung von Ausgleichszahlungen nachweisen, dass sich dieser Umstand auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären und auch, dass sie gegen dessen Folgen alle der Situation angemessenen Vorbeugungsmaßnahmen ergriffen habe (Urteil vom 16.5.2024, Az. C-405/23).
Ein Streik kann als außergewöhnlicher Umstand gelten, der eine Entschädigung verhindert. Dies ist der Fall, wenn der Streik für die Fluggesellschaft nicht vorhersehbar war und die Folgen auch nicht durch geeignete Maßnahmen wie Ersatzpersonal abgewendet werden konnten (Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.8.2012, Az. X ZR 138/11). Zusätzlich verlangen die Gerichte oft von der Fluggesellschaft den Nachweis, dass diese alle ihr möglichen Maßnahmen durchgeführt hat, um eine Verspätung zu vermeiden (AG Frankfurt a. M., Az. 32 C 2371/12).
Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, muss die Fluggesellschaft bei Flugausfällen oder Verspätungen durch einen Streik Entschädigung zahlen. Warnstreiks finden manchmal sehr kurzfristig statt und sind nicht rechtzeitig vorhersehbar. Von vielen Streiks weiß jedoch die Fluggesellschaft vorher. Und oft kann sie nicht nachweisen, dass sie alles Erdenkliche getan hat, um Verspätungen zu verhindern. In vielen Fällen bestehen daher bei Streiks Chancen auf eine Entschädigung.
2016 machten massenhafte kurzfristige Krankmeldungen von Mitarbeitern einer Fluggesellschaft Schlagzeilen. Diese berief sich auf einen außergewöhnlichen Umstand – man ging davon aus, dass es sich um einen wilden Streik handelte. Normalerweise gelten Erkrankungen des Personals nicht als außergewöhnlicher Umstand (Landgericht Darmstadt, Az. 7 S 122/10). Bei nicht angekündigten Arbeitskampfmaßnahmen verhält sich dies jedoch oft anders. Hier kam es durch die Flugverspätungen zu einer Klagewelle, in der die Passagiere zum Teil erfolgreich waren, zum Teil nicht (etwa AG Hannover, Urteil vom 9.2.2017, Az. 509 C 12714/16).
Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) befasste sich damit. Die Richter betrachteten eine Massenerkrankung nicht als außergewöhnlichen Umstand, wenn sie eine Reaktion auf die Ankündigung einer betrieblichen Umstrukturierung sei. Dann handle es sich um die Folge einer unternehmerischen Entscheidung der Airline und das Problem beruhe nicht auf äußeren Umständen, die außerhalb der Kontrolle der Fluggesellschaft lägen. Kommt es also nach Umstrukturierungen aus Protest zu wilden Streiks, darf die Fluggesellschaft nicht die Entschädigungszahlungen verweigern (EuGH, Urteil vom 17.4.2018, Az. C-195/17).
Kann ein Flugzeug nicht starten, weil ein Zulieferer der Fluggesellschaft im Winter nicht genug Enteisungsmittel bestellt hat, ist dies kein außergewöhnlicher Umstand. Die Fluggesellschaft muss eine Entschädigung für den Flugausfall zahlen. Dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zufolge müssen Luftfahrtunternehmen dafür sorgen, dass für ihre Flugzeuge die nötigen Betriebsstoffe bereitstehen. Dazu gehört im Winter auch Enteisungsmittel - auch, wenn dessen Beschaffung Sache eines Zulieferers ist (Urteil vom 19.11.2013, Az. 2 U 3/13).
Verzögert sich die Landung, weil der Zielflughafen (hier Atlanta / USA) nur mit großer Verzögerung eine Landeerlaubnis erteilt, können Fluggäste keine Ausgleichszahlungen fordern (BGH, Az. X ZR 115/12).
Verspätet sich ein Flug, weil die Maschine am Vortag vom Blitz getroffen wurde und noch repariert werden muss, ist eine Ausgleichszahlung fällig. Ein Blitzschlag zählt zwar durchaus als außergewöhnlicher Umstand. Wenn aber ein Tag dazwischen liegt, muss die Airline ein Ersatzflugzeug organisieren (AG Königs Wusterhausen, Urteil vom 17.2.2016, Az. 4 C 1942/15).
Gemäß der EU-Verordnung müssen die Fluggesellschaften ihre Passagiere über deren Rechte informieren. An der Abfertigung muss ein gut lesbarer Hinweis angebracht sein, der besagt, dass Passagiere, denen die Beförderung verweigert wird, deren Flug annulliert wird oder deren Flug sich um mindestens zwei Stunden verspätet, am Abfertigungsschalter oder am Gate schriftliche Auskunft über ihre Rechte verlangen können. Dies gilt insbesondere für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen. In diesen Fällen müssen die Airlines jedem betroffenen Fluggast einen schriftlichen Hinweis auf die Leistungen übergeben. Blinde oder sehbehinderte Fluggäste müssen sie in anderer geeigneter Form informieren.
Wenn ein Flugpassagier wegen einer Verspätung einen Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung nach der Fluggastrechteverordnung gegen seine Fluggesellschaft geltend gemacht hat, kann er nicht noch zusätzlich aus dem gleichen Grund einen Anspruch auf Minderung des Reisepreises gegen seinen Reiseveranstalter nach dem deutschen Reisevertragsrecht einklagen (Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.9.2014, Az. X ZR 126/13).
Ein Ehepaar wollte von Miami über Madrid nach Düsseldorf fliegen und hatte für alle Flüge von Anfang an Bordkarten erhalten. Der Abflug in Miami verzögerte sich um eine Zeitspanne, für die es noch keine Entschädigung gibt. Aber: Durch die verspätete Ankunft in Madrid konnten die Kläger nicht rechtzeitig das weit entfernte Terminal für ihren Anschlussflug erreichen. Daher kamen sie in Düsseldorf mit einem anderen Flug mit siebeneinhalb Stunden Verspätung an. Nach dem Gericht kommt es hier nur auf die Ankunft am Reiseziel an. Ein Anspruch auf die Entschädigung besteht also auch, wenn man wegen einer Verspätung des ersten Fluges den pünktlichen Anschlussflug verpasst (Urteil vom 17.9.2013, Az. X ZR 123/10).
Für Fluggäste gibt es seit November 2013 bei Problemen mit Fluggesellschaften die Schlichtungsstelle für Flugverkehr. Dort finden sich neutrale Schlichter. Diese hören sich die beteiligten Parteien an und unterbreiten ihnen dann einen Schlichtungsvorschlag. Einigen sich beide Seiten darauf, gilt der Vorschlag als angenommen. Einigen sie sich nicht, können die Fluggäste den Rechtsweg einschlagen. Für die Fluggäste ist das Schlichtungsverfahren kostenfrei. Zuständig ist die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (söp e.V.), https://soep-online.de.
Bei größeren Verspätungen und Flugannullierungen durch Streiks am Flughafen und andere Ursachen können sich Fluggäste zwecks Entschädigung direkt an die Fluggesellschaft wenden. Beweise sind wichtig, daher sollte man das Ticket aufheben. Manche Fluggesellschaften zahlen die Entschädigung ohne weitere Umstände. Allerdings kann man den Fall auch einem der im Internet werbenden Dienstleister übergeben. Diese kaufen zum Teil die Forderung gegen die Fluggesellschaft auf, zahlen den Fluggast aus und machen den Anspruch ihrerseits geltend. Manche vertreten jedoch auch die Rechte des Passagiers gegenüber der Fluggesellschaft. Bei Erfolg zahlt der Fluggast einen Teil der Entschädigung als Gebühr. Natürlich können Fluggäste auch einen Rechtsanwalt mit Tätigkeitsschwerpunkt Reiserecht mit dem Fall beauftragen. Dies ist besonders bei komplizierteren Fällen zu empfehlen, wenn eine Standardlösung ausscheidet und Fachkenntnisse erforderlich sind.
Das Wichtigste in Kürze
1. Entschädigung: Bei Verspätungen von mehr als drei Stunden oder Flugausfällen haben Passagiere in der EU Anspruch auf finanzielle Entschädigung. Dies gilt nicht, wenn die Verspätung bzw. der Ausfall ist auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen ist.
2. Betreuungsleistungen: Bei erheblichen Verspätungen oder Ausfällen müssen Airlines Essen, Getränke und gegebenenfalls Unterkunft bereitstellen.
3. Umbuchung oder Erstattung: Im Falle eines ausgefallenen Fluges oder einer Verspätung von über fünf Stunden können Fluggäste zwischen der Erstattung des Ticketpreises oder einer alternativen Beförderung zum Zielort wählen.
4. Flugannullierung: Die Fluggesellschaft muss keinen Ausgleich zahlen, wenn sie mindestens zwei Wochen vor dem Flug über die Annullierung informiert. Fluggäste dürfen nach einer Flugannullierung ihren Termin für den Ersatzflug frei wählen, wenn für den anvisierten Flug freie Plätze vorhanden sind.
1. Entschädigung: Bei Verspätungen von mehr als drei Stunden oder Flugausfällen haben Passagiere in der EU Anspruch auf finanzielle Entschädigung. Dies gilt nicht, wenn die Verspätung bzw. der Ausfall ist auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen ist.
2. Betreuungsleistungen: Bei erheblichen Verspätungen oder Ausfällen müssen Airlines Essen, Getränke und gegebenenfalls Unterkunft bereitstellen.
3. Umbuchung oder Erstattung: Im Falle eines ausgefallenen Fluges oder einer Verspätung von über fünf Stunden können Fluggäste zwischen der Erstattung des Ticketpreises oder einer alternativen Beförderung zum Zielort wählen.
4. Flugannullierung: Die Fluggesellschaft muss keinen Ausgleich zahlen, wenn sie mindestens zwei Wochen vor dem Flug über die Annullierung informiert. Fluggäste dürfen nach einer Flugannullierung ihren Termin für den Ersatzflug frei wählen, wenn für den anvisierten Flug freie Plätze vorhanden sind.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Was ist die EU-Verordnung für Fluggastrechte? Für welche Flüge gilt die EU-Verordnung? Welche Rechte haben Fluggäste bei Flugverspätungen? Wann muss die Fluggesellschaft ein Hotel bezahlen? Flugverspätung: Was, wenn das Warten zu lange dauert? Wann gibt es einen finanziellen Ausgleich? Was gilt, wenn ich einen verspäteten Flug nicht antrete? Streik am Flughafen: Welche Rechte haben Flugpassagiere bei Flugannullierungen? Flugannullierung: Wie lange vorher darf die Fluggesellschaft den Flug absagen? Nach Flugannullierung dürfen Fluggäste Ersatztermin frei wählen Wann es kein Geld gibt: außergewöhnliche Umstände Update vom 11.6.2024: Ist Personalmangel ein außergewöhnlicher Umstand? Ist ein Streik oder Warnstreik des eigenen Personals ein außergewöhnlicher Umstand? Flugausfall durch "wilden Streik" Weitere Beispiele: Außergewöhnlicher Umstand? Wie muss die Fluggesellschaft die Passagiere informieren? Schließt die Entschädigung weitere Ansprüche der Fluggäste aus? Was gilt bei verpassten Anschlussflügen? Was ist die Schlichtungsstelle für Flugverkehr? Praxistipp zu Flugverspätungen und Flugausfall Was ist die EU-Verordnung für Fluggastrechte?
Die Europäische Verordnung über Fluggastrechte räumt seit 2004 Flugreisenden bei Nichtbeförderung, Annullierung des Fluges oder großen Verspätungen Ansprüche ein, die direkt gegen die Fluggesellschaft geltend gemacht werden können. Dies hat nichts mit den Ansprüchen bei Reisemängeln nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch zu tun. Passagiere können nach der EU-Verordnung also viel einfacher ihre Rechte geltend machen, ohne erst Ansprüche gegen einen Reiseveranstalter anzumelden.
Die Europäische Verordnung gilt für Pauschalreisen genauso wie für einzeln gebuchte Flüge. Bei ihr kommt es nicht darauf an, ob die Fluggesellschaft an dem Problem schuld ist. Wird der Flug abgesagt oder verspätet er sich erheblich, können Reisende nach Verspätungsdauer und Flugstrecke gestaffelte Ausgleichszahlungen verlangen. Es gibt jedoch auch Fälle, in denen die Fluggesellschaft nicht zahlen muss. Dies kann auch bei einem überraschenden Warnstreik der Fall sein.
Für welche Flüge gilt die EU-Verordnung?
Die Regelung gilt für Flüge,
- die in der EU angetreten werden oder
- die eine Fluggesellschaft mit Sitz in der EU (oder Island, Norwegen oder der Schweiz) durchführt und die ein EU-Land als Ziel haben.
Sie ist nicht anwendbar auf Flüge aus Drittländern mit in Drittländern registrierten Airlines. Ebenfalls nicht auf Flüge, die kostenlos sind oder die zu einem vergünstigten Tarif angeboten werden, der der Öffentlichkeit nicht zur Verfügung steht. Hiermit sind allerdings nicht die Kundenbindungsprogramme der Fluggesellschaften oder der Reiseveranstalter gemeint.
Ansprüche wegen einer Flugannullierung oder Flugverspätung können Flugpassagiere nur dann geltend machen, wenn sie mindestens 45 Minuten vor dem geplanten Abflug am Gate waren – oder zu der Zeit, die die Fluggesellschaft oder das Reiseunternehmen ihnen vorher schriftlich (auch elektronisch) mitgeteilt hat.
Welche Rechte haben Fluggäste bei Flugverspätungen?
Von einer Flugverspätung betroffene Flugpassagiere können zunächst einmal sogenannte Unterstützungs- und Betreuungsleistungen der Fluggesellschaft direkt am Flughafen in Anspruch nehmen. Dies sind zum Beispiel kostenfreie Mahlzeiten und Erfrischungen in einem angemessenen Verhältnis zur Wartezeit. Ein luxuriöses Fünf-Gänge-Menü ist damit jedoch nicht gemeint: Meist händigen die Airlines ihren Fluggästen dann Gutscheine für Snacks oder Mahlzeiten im nächsten Flughafenrestaurant oder -Imbiss aus.
Sitzen Sie zum Beispiel bei einem Streik am Flughafen fest und hören nichts von diesen Leistungen? Dann fragen Sie beim Personal nach. Übrigens muss Ihnen die Fluggesellschaft auch zwei kostenlose Anrufe oder den Versand von zwei Telefaxen oder E-Mails ermöglichen, damit Sie Ihre Familie, Arbeitgeber oder Geschäftspartner über den Flugausfall informieren können.
Die genannten Leistungen muss Ihnen die Fluggesellschaft immer gewähren, wenn sie absehen kann, dass sich der Abflug gegenüber der planmäßigen Abflugzeit wie folgt verspäten wird:
- bei allen Flügen über eine Entfernung bis zu 1.500 km um zwei
Stunden oder mehr oder
- bei allen Flügen innerhalb der EU über eine Entfernung von mehr
als 1.500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen
1.500 km und 3.500 km um drei Stunden oder mehr oder
- bei allen nicht unter die ersten beiden Punkte fallenden Flügen um vier Stunden oder mehr.
Wann muss die Fluggesellschaft ein Hotel bezahlen?
Wenn zu erwarten ist, dass ein Flugpassagier wegen einer Abflugverspätung erst am Tag nach seiner planmäßigen Ankunft am Reiseziel ankommt, hat ihn die Fluggesellschaft in einem Hotel unterzubringen und einen kostenlosen Transfer zwischen Flughafen und Hotel zu organisieren, zum Beispiel per Taxi.
Flugverspätung: Was, wenn das Warten zu lange dauert?
Verspätet sich ein Flug um mindestens fünf Stunden, können die Flugpassagiere wählen zwischen:
- einer Erstattung der Ticketkosten für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte sowie für bereits zurückgelegte (wenn der Reiseplan durch die Verspätung sinnlos geworden ist), ggf. plus Rückflug zum ersten Abflugort,
- einer schnellstmöglichen anderweitigen Beförderung zum endgültigen Reiseziel,
- einer anderweitigen Beförderung zum endgültigen Reiseziel zu einem späteren Zeitpunkt, soweit Plätze vorhanden.
Wann gibt es einen finanziellen Ausgleich?
Wenn Fluggäste ihr endgültiges Ziel mit über drei Stunden Verspätung erreichen, können sie eine finanzielle Entschädigung fordern. Dieser Anspruch beruht ursprünglich nicht direkt auf der EU-Verordnung, sondern auf zwei Urteilen des Europäischen Gerichtshofes (23. Oktober 2012, Az. C-581/10 und C-629/10). Die Höhe hängt von der Flugentfernung ab und entspricht der Entschädigung bei Flugannullierungen:
- 250 Euro bei allen Flügen über eine Entfernung bis 1.500 km,
- 400 Euro bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung
von mehr als 1.500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung
zwischen 1.500 km und 3.500 km,
- 600 Euro bei allen anderen Flügen.
Was gilt, wenn ich einen verspäteten Flug nicht antrete?
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich mit der Frage befasst, ob eine Entschädigung wegen Flugverspätung auch dann fällig wird, wenn man als Flugpassagier davon vorher erfährt und gar nicht erst zur Abfertigung am Flughafen erscheint. Dies war in zwei Fällen passiert: Zwei Passagiere hatten Flüge von Düsseldorf nach Mallorca gebucht. Beide hatten vorher erfahren, dass ihre Flüge über drei Stunden Verspätung haben würden. Beide befürchteten, dass sie ihre Geschäftstermine am Zielort deshalb nicht pünktlich wahrnehmen könnten. Der erste Flugreisende verzichtete ganz auf den Flug und blieb zu Hause, während der andere selbst einen Ersatzflug buchte, der ihn mit weniger als drei Stunden Verspätung ans Reiseziel brachte. Die Fluggäste verlangten eine Entschädigung für die Flugverspätung. Da die Fluggesellschaft nicht zahlte, kam es zum Prozess.
Der EuGH entschied, dass beiden keine Entschädigung zustand. Sinn der Entschädigung sei es, den Schaden auszugleichen, den Fluggäste durch den Zeitverlust und die verspätungsbedingten Unannehmlichkeiten erlitten. Wenn man aber gar nicht erst den Weg zum Flughafen antrete oder schon von zu Hause aus einen anderen Flug buche, komme es gar nicht zu einem Zeitverlust. Da kein Schaden vorliege, bestünde auch kein Anspruch auf eine Entschädigung. Anders als bei einem abgesagten Flug hätten Passagiere verspäteter Flüge immer noch die Pflicht, sich zumindest zur Abfertigung einzufinden (Urteil vom 25.1.2024, Az. C-474/22).
Streik am Flughafen: Welche Rechte haben Flugpassagiere bei Flugannullierungen?
Wenn - zum Beispiel wegen eines Streiks - ein geplanter Flug abgesagt wird, dürfen die Fluggäste zwischen einer Erstattung des Ticketpreises und einer anderweitigen Beförderung zum frühestmöglichen Zeitpunkt wählen. Zusätzlich können sie auch wieder die Betreuungsleistungen am Flughafen beanspruchen, also Mahlzeiten und Erfrischungen in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit.
Ebenso muss ihnen die Airline auch bei der Flugannullierung zwei kostenlose Telefongespräche, E-Mails oder Telefaxe ermöglichen. Ist eine anderweitige Beförderung erst am nächsten Tag möglich, muss die Fluggesellschaft eine Übernachtung im Hotel und den Transfer zwischen Hotel und Flughafen bezahlen.
Bei einem Flugausfall haben die Fluggäste außerdem einen Anspruch auf Ausgleichszahlungen. Deren Höhe entspricht der bei Verspätungen (siehe oben).
Flugannullierung: Wie lange vorher darf die Fluggesellschaft den Flug absagen?
Keine Ausgleichszahlung muss die Fluggesellschaft leisten, wenn sie den Fluggast mindestens zwei Wochen zuvor über die Annullierung informiert. Dies gilt auch, wenn der Passagier die Information in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor dem geplanten Abflug bekommt und ihm gleichzeitig ein Ersatzflug angeboten wird, welcher nicht mehr als zwei Stunden vor dem geplanten Flug abhebt und spätestens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit das Reiseziel erreicht.
Die Fluggesellschaft kann sogar noch weniger als sieben Tage vor dem Flug den Start absagen, ohne Entschädigung zahlen zu müssen. Dazu muss sie einen Ersatzflug anbieten, der nicht mehr als eine Stunde vor dem planmäßigen Abflug abhebt und nicht später als zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunft ankommt.
Nach Flugannullierung dürfen Fluggäste Ersatztermin frei wählen
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass Fluggäste nach einer Flugannullierung frei ihren Termin für den Ersatzflug wählen dürfen. Dieser muss also nicht sofort oder "in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang" zum annullierten Flug gebucht werden, wie von einigen Fluglinien bisher verlangt. Es darf auch kein zusätzliches Entgelt verlangt werden, wenn der Ersatzflug erst später in Anspruch genommen wird. Voraussetzung ist allerdings, dass freie Plätze vorhanden sind. In dem Verfahren ging es um Flüge, die in Folge der Corona-Pandemie gestrichen worden waren. Die Fluggäste wollten ihr Recht auf kostenlose Beförderung zu einem späteren Zeitpunkt dann erst drei bis sechs Monate später ausüben (Urteil vom 27.6.2023, Az. X ZR 50/22).
Wann es kein Geld gibt: außergewöhnliche Umstände
In einem Fall dürfen jedoch die Fluggesellschaften Ausgleichszahlungen bei Verspätungen oder Annullierungen verweigern: Wenn diese auf außergewöhnlichen Umständen beruhen, für die die Airline nichts kann. Die Beweislast dafür trägt die Fluggesellschaft.
Wenn sich zum Beispiel ein Flug von Deutschland nach Menorca verspätet, weil in Griechenland das Radar der Flugleitstelle ausgefallen ist, handelt es sich nach dem Bundesgerichtshof um einen außergewöhnlichen Umstand (Urteil vom 12.6.2014, Az. X ZR 104/13). Dies gilt auch für Generalstreiks im Urlaubsland, Stürme oder Naturkatastrophen.
Keine außergewöhnlichen Umstände sind technische Mängel am Flugzeug. Auch technische Probleme durch eine Kollision mit Vögeln fallen nicht darunter (Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 4.5.2017, Az. C-315/15). Dann müsste die Fluggesellschaft also Entschädigung leisten.
Verspätet sich ein Flug, weil auf dem vorherigen Flug der gleichen Maschine ein Passagier massiv randaliert hat, liegt ein außergewöhnlicher Umstand vor. Allerdings nur, wenn die Fluggesellschaft alles ihr Mögliche getan hat, um eine Verspätung der Passagiere des nächsten Fluges dieser Maschine zu vermeiden. Dazu reicht es nicht aus, die Fluggäste einfach auf den nächsten regulären Flug zu verweisen. Notfalls muss auch auf die Flüge anderer Gesellschaften zurückgegriffen werden (Urteil vom 11.6.2020, Az. C-74/19).
Update vom 11.6.2024: Ist Personalmangel ein außergewöhnlicher Umstand?
Der Europäische Gerichtshof hat im Mai 2024 entschieden, dass Personalmanghel am Flughafen ein außergewöhnlicher Umstand sein kann, der dazu führt, dass die Fluggesellschaft keine Entschädigung zahlen muss. Im Fall ging es um einen Flug mit TAS von Köln-Bonn nach Kos im Jahr 2021. Wegen Personalmangel in der Gepäckverladung von Köln-Bonn kam es zu einer Verspätung von vier Stunden. Verschiedene Fluggäste tratren ihre entsprechenden Ansprüche an ein Unternehmen ab, dass versuchte, die Entschädigung einzuklagen.
Der EuGH betonte, dass ein außergewöhnlicher Umstand vorliege, wenn das Vorkommnis erstens weder seiner Natur noch seiner Ursache nach Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit der Fluggesellschaft sei und zweitens von ihr nicht tatsächlich beherrschbar sei. Dies könne grundsätzlich auch bei einem Personalmangel in der Gepäckverladung der Fall sein. Allerdings müsse die Fluggesellschaft für eine Befreiung von Ausgleichszahlungen nachweisen, dass sich dieser Umstand auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären und auch, dass sie gegen dessen Folgen alle der Situation angemessenen Vorbeugungsmaßnahmen ergriffen habe (Urteil vom 16.5.2024, Az. C-405/23).
Ist ein Streik oder Warnstreik des eigenen Personals ein außergewöhnlicher Umstand?
Ein Streik kann als außergewöhnlicher Umstand gelten, der eine Entschädigung verhindert. Dies ist der Fall, wenn der Streik für die Fluggesellschaft nicht vorhersehbar war und die Folgen auch nicht durch geeignete Maßnahmen wie Ersatzpersonal abgewendet werden konnten (Bundesgerichtshof, Urteil vom 21.8.2012, Az. X ZR 138/11). Zusätzlich verlangen die Gerichte oft von der Fluggesellschaft den Nachweis, dass diese alle ihr möglichen Maßnahmen durchgeführt hat, um eine Verspätung zu vermeiden (AG Frankfurt a. M., Az. 32 C 2371/12).
Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, muss die Fluggesellschaft bei Flugausfällen oder Verspätungen durch einen Streik Entschädigung zahlen. Warnstreiks finden manchmal sehr kurzfristig statt und sind nicht rechtzeitig vorhersehbar. Von vielen Streiks weiß jedoch die Fluggesellschaft vorher. Und oft kann sie nicht nachweisen, dass sie alles Erdenkliche getan hat, um Verspätungen zu verhindern. In vielen Fällen bestehen daher bei Streiks Chancen auf eine Entschädigung.
Flugausfall durch "wilden Streik"
2016 machten massenhafte kurzfristige Krankmeldungen von Mitarbeitern einer Fluggesellschaft Schlagzeilen. Diese berief sich auf einen außergewöhnlichen Umstand – man ging davon aus, dass es sich um einen wilden Streik handelte. Normalerweise gelten Erkrankungen des Personals nicht als außergewöhnlicher Umstand (Landgericht Darmstadt, Az. 7 S 122/10). Bei nicht angekündigten Arbeitskampfmaßnahmen verhält sich dies jedoch oft anders. Hier kam es durch die Flugverspätungen zu einer Klagewelle, in der die Passagiere zum Teil erfolgreich waren, zum Teil nicht (etwa AG Hannover, Urteil vom 9.2.2017, Az. 509 C 12714/16).
Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) befasste sich damit. Die Richter betrachteten eine Massenerkrankung nicht als außergewöhnlichen Umstand, wenn sie eine Reaktion auf die Ankündigung einer betrieblichen Umstrukturierung sei. Dann handle es sich um die Folge einer unternehmerischen Entscheidung der Airline und das Problem beruhe nicht auf äußeren Umständen, die außerhalb der Kontrolle der Fluggesellschaft lägen. Kommt es also nach Umstrukturierungen aus Protest zu wilden Streiks, darf die Fluggesellschaft nicht die Entschädigungszahlungen verweigern (EuGH, Urteil vom 17.4.2018, Az. C-195/17).
Weitere Beispiele: Außergewöhnlicher Umstand?
Kann ein Flugzeug nicht starten, weil ein Zulieferer der Fluggesellschaft im Winter nicht genug Enteisungsmittel bestellt hat, ist dies kein außergewöhnlicher Umstand. Die Fluggesellschaft muss eine Entschädigung für den Flugausfall zahlen. Dem Brandenburgischen Oberlandesgericht zufolge müssen Luftfahrtunternehmen dafür sorgen, dass für ihre Flugzeuge die nötigen Betriebsstoffe bereitstehen. Dazu gehört im Winter auch Enteisungsmittel - auch, wenn dessen Beschaffung Sache eines Zulieferers ist (Urteil vom 19.11.2013, Az. 2 U 3/13).
Verzögert sich die Landung, weil der Zielflughafen (hier Atlanta / USA) nur mit großer Verzögerung eine Landeerlaubnis erteilt, können Fluggäste keine Ausgleichszahlungen fordern (BGH, Az. X ZR 115/12).
Verspätet sich ein Flug, weil die Maschine am Vortag vom Blitz getroffen wurde und noch repariert werden muss, ist eine Ausgleichszahlung fällig. Ein Blitzschlag zählt zwar durchaus als außergewöhnlicher Umstand. Wenn aber ein Tag dazwischen liegt, muss die Airline ein Ersatzflugzeug organisieren (AG Königs Wusterhausen, Urteil vom 17.2.2016, Az. 4 C 1942/15).
Wie muss die Fluggesellschaft die Passagiere informieren?
Gemäß der EU-Verordnung müssen die Fluggesellschaften ihre Passagiere über deren Rechte informieren. An der Abfertigung muss ein gut lesbarer Hinweis angebracht sein, der besagt, dass Passagiere, denen die Beförderung verweigert wird, deren Flug annulliert wird oder deren Flug sich um mindestens zwei Stunden verspätet, am Abfertigungsschalter oder am Gate schriftliche Auskunft über ihre Rechte verlangen können. Dies gilt insbesondere für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen. In diesen Fällen müssen die Airlines jedem betroffenen Fluggast einen schriftlichen Hinweis auf die Leistungen übergeben. Blinde oder sehbehinderte Fluggäste müssen sie in anderer geeigneter Form informieren.
Schließt die Entschädigung weitere Ansprüche der Fluggäste aus?
Wenn ein Flugpassagier wegen einer Verspätung einen Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung nach der Fluggastrechteverordnung gegen seine Fluggesellschaft geltend gemacht hat, kann er nicht noch zusätzlich aus dem gleichen Grund einen Anspruch auf Minderung des Reisepreises gegen seinen Reiseveranstalter nach dem deutschen Reisevertragsrecht einklagen (Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.9.2014, Az. X ZR 126/13).
Was gilt bei verpassten Anschlussflügen?
Ein Ehepaar wollte von Miami über Madrid nach Düsseldorf fliegen und hatte für alle Flüge von Anfang an Bordkarten erhalten. Der Abflug in Miami verzögerte sich um eine Zeitspanne, für die es noch keine Entschädigung gibt. Aber: Durch die verspätete Ankunft in Madrid konnten die Kläger nicht rechtzeitig das weit entfernte Terminal für ihren Anschlussflug erreichen. Daher kamen sie in Düsseldorf mit einem anderen Flug mit siebeneinhalb Stunden Verspätung an. Nach dem Gericht kommt es hier nur auf die Ankunft am Reiseziel an. Ein Anspruch auf die Entschädigung besteht also auch, wenn man wegen einer Verspätung des ersten Fluges den pünktlichen Anschlussflug verpasst (Urteil vom 17.9.2013, Az. X ZR 123/10).
Was ist die Schlichtungsstelle für Flugverkehr?
Für Fluggäste gibt es seit November 2013 bei Problemen mit Fluggesellschaften die Schlichtungsstelle für Flugverkehr. Dort finden sich neutrale Schlichter. Diese hören sich die beteiligten Parteien an und unterbreiten ihnen dann einen Schlichtungsvorschlag. Einigen sich beide Seiten darauf, gilt der Vorschlag als angenommen. Einigen sie sich nicht, können die Fluggäste den Rechtsweg einschlagen. Für die Fluggäste ist das Schlichtungsverfahren kostenfrei. Zuständig ist die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (söp e.V.), https://soep-online.de.
Praxistipp zu Flugverspätungen und Flugausfall
Bei größeren Verspätungen und Flugannullierungen durch Streiks am Flughafen und andere Ursachen können sich Fluggäste zwecks Entschädigung direkt an die Fluggesellschaft wenden. Beweise sind wichtig, daher sollte man das Ticket aufheben. Manche Fluggesellschaften zahlen die Entschädigung ohne weitere Umstände. Allerdings kann man den Fall auch einem der im Internet werbenden Dienstleister übergeben. Diese kaufen zum Teil die Forderung gegen die Fluggesellschaft auf, zahlen den Fluggast aus und machen den Anspruch ihrerseits geltend. Manche vertreten jedoch auch die Rechte des Passagiers gegenüber der Fluggesellschaft. Bei Erfolg zahlt der Fluggast einen Teil der Entschädigung als Gebühr. Natürlich können Fluggäste auch einen Rechtsanwalt mit Tätigkeitsschwerpunkt Reiserecht mit dem Fall beauftragen. Dies ist besonders bei komplizierteren Fällen zu empfehlen, wenn eine Standardlösung ausscheidet und Fachkenntnisse erforderlich sind.
(Ma)