Geschäftsgebühr für die anwaltliche Tätigkeit vor Erhebung der Vollstreckungsgegenklage

16.05.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
Gerichtsgebäude Über Anwaltsgebühren sind sich auch die Gerichte nicht immer einig. © Rh - Anwalt-Suchservice

Bei der Berechnung von Anwaltsgebühren kann die Abgrenzung der Geschäftsgebühr von der Verfahrensgebühr für die Zwangsvollstreckung für Probleme sorgen - wie auch die Toleranzgrenze.

In seinem Urteil vom 13.1.2011 (Az. IX ZR 110/10) hat sich der Bundesgerichtshof mit der Abgrenzung der Geschäftsgebühr von der Gebühr nach Nr. 3309 VV RVG (Verfahrensgebühr in der Zwangsvollstreckung) befasst. Das Urteil trifft außerdem Aussagen zur Toleranzgrenze und zur Kappungsgrenze. Danach folgten weitere interessante Urteile.

Worum ging es vor dem BGH?


Ein Mandant hatte seinen Rechtsanwalt damit beauftragt, gegen einen Darlehensanspruch vorzugehen. Dieser war in notarieller Urkunde mit Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung tituliert worden. Der Zahlungspflichtige konnte durch seinen Anwalt eine Zahlungsaufforderung des Gläubigers erfolgreich zurückweisen. Danach stritten die Parteien allerdings weiter um den Ersatz der zur Abwehr der Darlehensforderung durch den Rechtsanwalt angefallenen Kosten. Geltend gemacht worden war eine 1,5-fache Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer.

Das Amtsgericht hielt lediglich den Gebührentatbestand der Nr. 3309 VV RVG für erfüllt. Das Landgericht sah jedoch den Ansatz einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG als gerechtfertigt an.

Der Bundesgerichtshof bestätigte die Ansicht des Landgerichts. Der BGH ging von einem Schadensersatzanspruch gemäß § 280 BGB aus und lehnte ein Mitverschulden des Zahlungspflichtigen ab. Der BGH beschäftigte sich mit folgenden Fragen:

Wird durch die Tätigkeit der Rechtsanwälte eine Geschäftsgebühr ausgelöst?


Laut BGH-Urteil erfüllte die Tätigkeit der beauftragten Rechtsanwälte den Gebührentatbestand der Nr. 2300 VV RVG. Damit sei eine Geschäftsgebühr angefallen. Der Auftrag habe eine außergerichtliche Tätigkeit betroffen. Das vom Auftraggeber verfolgte Ziel sei allein mit Hilfe einer Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO erreichbar gewesen. Dazu habe der Anwalt die materielle Rechtslage sowie die Beweislage zu prüfen gehabt. Dieser Arbeitsaufwand entspreche dem, den der Rechtsanwalt vor der Einleitung eines streitigen Erkenntnisverfahrens erbringen müsse, um Ansprüche geltend zu machen, die mit einer Leistungsklage durchgesetzt werden sollten.

Daher verglich der Bundesgerichtshof die gebührenrechtliche Lage vor Erhebung einer Leistungsklage mit der vor einer Vollstreckungsabwehrklage. Bekomme der Anwalt einen unbedingten Auftrag zur Klageerhebung und führe zuvor noch erfolgreich außergerichtliche Verhandlungen, habe er einen Anspruch auf eine Verfahrensgebühr nach den Nrn. 3100, 3101 VV RVG in Höhe von 0,8.

Dies gelte ebenso, wenn der Anwalt einen unbedingten Klageauftrag zur Erhebung der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO erhalten habe. Wenn er stattdessen zunächst außergerichtlich tätig werden solle, verbunden mit einem bedingten Klageauftrag, könne er seine - erfolgreiche - außergerichtliche Tätigkeit nach Nr. 2300 VV RVG abrechnen. Dies gelte auch, wenn der Anwalt den entsprechenden Auftrag zur Abwehr eines titulierten Anspruchs bekomme.

Anders verhalte es sich jedoch, wenn der Auftrag lediglich darauf gerichtet sei, die Voraussetzungen der angedrohten Zwangsvollstreckung (Titel, Klausel, Zustellung) zu prüfen oder wenn über Teilzahlungen verhandelt werden müsse. In diesen Fällen könne nur eine Gebühr nach Nr. 3309 VV RVG abgerechnet werden.

Wie entschied der BGH zum Thema Toleranzgrenze?


Auch mit der Toleranzgrenze hat sich der BGH befasst. Die Rechtsprechung ginge meist davon aus, dass ein Rechtsanwalt bei der Festlegung seiner konkreten Gebühr einen Spielraum von 20 % habe. Liege die von ihm festgelegte Gebühr innerhalb dieser Spanne, habe er sein Ermessen nicht fehlerhaft ausgeübt. Der zuvor manchmal vertretenen Auffassung, die Toleranzgrenze liege bei 30 %, erteilte der BGH damit eine Absage.

Welche Aussagen trifft das BGH-Urteil zur Kappungsgrenze?


Schließlich enthält das BGH-Urteil auch noch Ausführungen zur Kappungsgrenze. Diese können leicht missverstanden werden. Dazu erklärte der Bundesgerichtshof, dass im konkreten Fall eine Geschäftsgebühr von 1,3 gerechtfertigt sei. Die abgerechnete Gebühr in Höhe von 1,5 liege noch innerhalb der Toleranzgrenze von 20 % und sei daher angemessen.

Eine höhere Gebühr als 1,3 könne nach der Anmerkung zu Nr. 2300 VV RVG nur verlangt werden, wenn die Tätigkeit besonders umfangreich oder schwierig war. Die Formulierung im Urteil könnte den Eindruck verursachen, dass die Kappungsgrenze mit der Toleranz von 20 % überwunden werden kann. Dies trifft jedoch nicht zu.

Das Landgericht Magdeburg (BeckRS 2011, 03221) als Vorinstanz hat die Kriterien des § 14 RVG näher betrachtet und dazu erläutert:

"… Nach Auffassung der Kammer ist auch die Geltendmachung einer 1,5fachen Gebühr nicht zu beanstanden. Der Kläger hat einen gesteigerten Umfang und eine gesteigerte Schwierigkeit der Angelegenheit dargelegt, und insbesondere damit begründet, dass die Prüfung nach dem Anfechtungsgesetz erforderlich gewesen sei. Dass die Prüfung erforderlich war, ergibt sich aus Ziffer 3.2 der Vertragsurkunde vom 25.04.2002, in der darauf hingewiesen wird, dass die Verrechnung nur unter den dort genannten Voraussetzungen - rechtskräftige Eigentumsumschreibung und Verjährung eventueller Anfechtungsfristen seitens der Gläubiger des Klägers - erfolgt.

Die danach notwendige materiell-rechtliche Prüfung rechtfertigt nach Auffassung der Kammer die Annahme eines überdurchschnittlichen Aufwands und damit die Berechnung einer 1,5-fachen Gebühr …".

Darauf nimmt der BGH Bezug und erläutert, dass diese Ausführungen einer rechtlichen Nachprüfung standhalten. Auch der BGH geht also davon aus, dass die Voraussetzungen für das Überschreiten der Kappungsgrenze im konkreten Fall vorliegen. Daher und nicht allein wegen der Toleranzgrenze war die abgerechnete Gebühr in Höhe von 1,5 in diesem Fall gerechtfertigt.

Wie ging es mit der BGH-Rechtsprechung weiter?


Der Bundesgerichtshof hat in einem weiteren Urteil vom 8.5.2012 diese Rechtsprechung bestätigt. Daraus geht hervor, dass auch die 1,5-fache Geschäftsgebühr für eine außergerichtliche Tätigkeit noch innerhalb der Toleranzgrenze von 20 % liegt und damit gerichtlich nicht anfechtbar ist (Az. VI ZR 273/11).

Der BGH wies hier deutlich darauf hin, dass der einem Rechtsanwalt bei der Rahmengebühr zustehende Ermessensspielraum gerade verhindern solle, dass die Gerichte im Einzelfall bei relativ geringen Überschreitungen der Regelgebühr aufwändig prüfen müssten, ob die anwaltliche Tätigkeit schwierig gewesen sei. Es ging hier also lediglich noch um die Toleranzgrenze.

Welche abweichende Entscheidung erging danach?


Dann gab es jedoch überraschend eine gegenteilige Entscheidung, teils auch als "Rolle rückwärts" betitelt: Der VIII. Zivilsenat des BGH entschied anders.

Dieser stellte nämlich in seinem Urteil vom 11.7.2012 fest, dass Rechtsanwälte nur bei einer besonders umfangreichen oder schwierigen Tätigkeit eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr von 1,3 hinaus verlangen dürfen. Eine solche Erhöhung sei also nicht pauschal im Rahmen der Toleranzgrenze von 20 % möglich (Az. VIII ZR 323/11).

Im fraglichen Mietrechtsfall war zu einer besonderen Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit nichts vorgetragen worden.

Laut Urteilsbegründung haben sowohl der IX., als auch der VI. Zivilsenat erklärt, (nun) mit dieser Ansicht übereinzustimmen.

Praxistipp zur Geschäftsgebühr


An den beschriebenen Urteilen erkennt man, dass auch bei Gebührenfragen durchaus Streit und widersprüchliche Gerichtsentscheidungen vorkommen. Anwälten kann nur empfohlen werden, regelmäßig die aktuelle Gebührenrechtsprechung im Auge zu behalten.

(Bu)


 Stephan Buch
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