Bürgergeld: Wann sind Sanktionen zulässig?
04.09.2025, Redaktion Anwalt-Suchservice

Das Wichtigste in Kürze
1. Meldeversäumnisse: Bürgergeldempfänger, die Termine beim Jobcenter ohne wichtigen Grund versäumt, müssen mit einer Kürzung von 10 Prozent des Regelbedarfs rechnen.
2. Pflichtverletzungen: Bei wiederholtem Verstoß gegen Pflichten, z. B. die Ablehnung einer zumutbaren Arbeit oder der Erstellung eines Kooperationsplans, können gegen Leistungsempfänger von Bürgergeld Sanktionen bis zu 30 Prozent des Regelbedarfs erfolgen.
3. Härtefallregelungen: Kürzungen dürfen nie so weit gehen, dass das Existenzminimum gefährdet ist; Unterkunfts- und Heizkosten werden weiterhin übernommen.
1. Meldeversäumnisse: Bürgergeldempfänger, die Termine beim Jobcenter ohne wichtigen Grund versäumt, müssen mit einer Kürzung von 10 Prozent des Regelbedarfs rechnen.
2. Pflichtverletzungen: Bei wiederholtem Verstoß gegen Pflichten, z. B. die Ablehnung einer zumutbaren Arbeit oder der Erstellung eines Kooperationsplans, können gegen Leistungsempfänger von Bürgergeld Sanktionen bis zu 30 Prozent des Regelbedarfs erfolgen.
3. Härtefallregelungen: Kürzungen dürfen nie so weit gehen, dass das Existenzminimum gefährdet ist; Unterkunfts- und Heizkosten werden weiterhin übernommen.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Wie viele Sanktionen werden beim Bürgergeld verhängt? Wann drohen Kürzungen beim Bürgergeld? Welche Sanktionen drohen Bürgergeldempfängern? Wann beginnt die Kürzung und wie lange dauert sie? Termin verpasst – was sind die Folgen? Welche Probleme gibt es bei der Verhängung von Kürzungen? Einige Urteile aus der Praxis zum Thema Sanktionen Was hat das Bundesverfassungsgericht 2019 entschieden? Welche Sanktionen sind in Zukunft geplant? Praxistipp zu den Bürgergeld-Sanktionen Wie viele Sanktionen werden beim Bürgergeld verhängt?
Im Jahr 2018 wurden beim ALG II noch 904.000 Strafmaßnahmen verhängt – davon 77 Prozent wegen Terminversäumnissen. 2019 waren es 806.800 Sanktionen, 2020 dann 171.100 Sanktionen. Der starke Rückgang wurde auf Corona zurückgeführt: Bei den meisten Sanktionen ging es um verpasste Termine.
2023 wurden beim Bürgergeld 128.415 Leistungsbeziehern in 226.008 Fällen die Zuwendungen gekürzt. In 84,5 Prozent der Fälle waren Meldeversäumnisse der Grund. Nur 16.000 Leistungsbeziehern wurden die Leistungen wegen der Weigerung gekürzt, eine Arbeit anzunehmen oder fortzusetzen (Quelle: ZDF / Bundesagentur für Arbeit).
Wann drohen Kürzungen beim Bürgergeld?
Nach § 31 SGB II haben Erwerbsfähige bei folgenden Pflichtverletzungen Sanktionen zu erwarten:
- bei einer Weigerung, der Aufforderung nachzukommen, einem Kooperationsplan zu folgen,
- bei einer Weigerung, eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit oder ein gefördertes Arbeitsverhältnis aufzunehmen, fortzuführen oder bei Verhinderung einer entsprechenden Anbahnung durch eigenes Verhalten,
- beim Nichtantreten einer zumutbaren Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit, bei deren Abbruch oder wenn sie Anlass für den Abbruch geben.
Ausnahmen sind möglich, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.
Auch drohen nach § 31 Abs. 2 SGB II Sanktionen, wenn erwerbsfähige Leistungsempfänger
- nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindern, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Bürgergeldes herbeizuführen,
- trotz Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis ihr unwirtschaftliches Verhalten fortsetzen,
- keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr haben, weil die Agentur für Arbeit das Eintreten einer Sperrzeit oder das Erlöschen des Anspruchs festgestellt hat, oder
- die Voraussetzungen für das Eintreten einer Sperrzeit erfüllen, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.
In diesen Fällen drohen nicht erwerbsfähigen Leistungsempfängern die gleichen Sanktionen wie erwerbsfähigen.
Welche Sanktionen drohen Bürgergeldempfängern?
Die Kürzung der Leistungen ist die üblichste Strafmaßnahme. Dies ist geregelt in § 31a SGB II.
Aktuell (Anfang September 2025) gilt:
- Beim ersten Pflichtverstoß wird das Bürgergeld um 10 % des Regelbedarfs gekürzt.
- Beim zweiten Pflichtverstoß wird das Bürgergeld um 20 % des Regelbedarfs verringert.
- Bei jedem weiteren Pflichtverstoß findet eine Kürzung um 30 % statt.
Die 30-%ige Kürzung findet nicht statt, wenn der Beginn des letzten Minderungszeitraumes länger als ein Jahr zurückliegt. Die Kürzungen sind aufzuheben, wenn die Leistungsempfänger ihre Pflichten doch noch erfüllen oder sich nachträglich ernsthaft dazu bereit erklären.
Vor einer Kürzung des Bürgergeldes soll auf Verlangen des oder der Betroffenen eine persönliche Anhörung erfolgen. Auch bei wiederholten Pflichtverletzungen oder wiederholter Versäumnis von Meldeterminen soll eine persönliche Anhörung stattfinden. Würde die Kürzung im Einzelfall zu einer außergewöhnlichen Härte führen, wird keine Leistungskürzung vorgenommen.
Auch sind Leistungskürzungen bei wiederholten Pflicht- oder Meldeversäumnissen auf insgesamt 30 % des Regelsatzes gedeckelt. Die Leistungsminderung darf die sich rechnerisch ergebenden Zahlbeträge für die Kosten der Unterkunft und Heizung nicht reduzieren.
Wer erwerbsfähig ist und das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soll innerhalb von vier Wochen nach der Kürzung des Bürgergeldes ein Beratungsangebot erhalten, in dem die Inhalte des Kooperationsplans überprüft und bei Bedarf fortgeschrieben werden.
Eine verschärfende Regelung enthält § 31a Abs. 7 SGB II: Danach entfällt der Leistungsanspruch in Höhe des Regelbedarfs, wenn ein erwerbsfähiger Leistungsempfänger, dessen Bürgergeld innerhalb des letzten Jahres wegen einer Pflichtverletzung gekürzt wurde, eine zumutbare Arbeit nicht annimmt. Dazu muss es eine tatsächliche Möglichkeit der Arbeitsaufnahme geben. Diese muss unmittelbar bestehen und willentlich verweigert werden.
Wann beginnt die Kürzung und wie lange dauert sie?
Dies regelt § 31b SGB II. Der Leistungsanspruch verringert sich mit dem Beginn des Monats, der auf das Wirksamwerden des entsprechenden Bescheids folgt. Eine Kürzung kann nur innerhalb von sechs Monaten nach der Pflichtverletzung erfolgen.
Die Dauer der Kürzung beträgt grundsätzlich bei einer Kürzung um 10 % einen Monat, bei 20 % zwei Monate und bei 30 % drei Monate. In einigen Fällen wird sie früher aufgehoben, zum Beispiel, wenn keine Möglichkeit der Arbeitsaufnahme mehr besteht. Auch in den Fällen einer Sperrzeit wegen Meldeversäumnissen wird die Kürzung wieder aufgehoben, wenn die Pflichten wieder erfüllt werden (§ 31b Abs. 2 SGB II).
Termin verpasst – was sind die Folgen?
Die Mehrzahl der Sanktionen wird wegen Meldeversäumnissen verhängt, also zum Beispiel, weil ein Termin beim Jobcenter oder für eine ärztliche oder psychologische Untersuchung verpasst wird. Gemäß § 32 SGB II können die Leistungen in solchen Fällen um 10 Prozent des Regelbedarfs verringert werden. Allerdings gilt dies nicht, wenn der oder die Betreffende einen wichtigen Grund für sein Nichterscheinen nachweisen kann (etwa eine Erkrankung).
Welche Probleme gibt es bei der Verhängung von Kürzungen?
Das Hauptproblem bei den Sanktionen: Schon kleine Kürzungen der Leistungen führen bei den Betroffenen zu einer Unterschreitung des Existenzminimums. Daher sind die Folgen schon beim ersten Verstoß drastisch. Der Bürgergeld-Regelsatz für einen alleinstehenden Erwachsenen im Jahr 2025 beträgt 563 Euro. Für andere Bedarfsgruppen sind niedrigere Sätze maßgeblich, etwa 506 Euro für einen Partner in einer Bedarfsgemeinschaft oder 451 Euro für eine volljährige Person in einer Einrichtung.
ALG-II-Kürzungen erfordern eine vorherige Rechtsfolgenbelehrung. Manchmal findet diese jedoch nicht statt. Eine korrekte Belehrung bedeutet nicht, dass die Behörde nur allgemein schreibt, dass Sanktionen drohen. Sie muss diese genau und verständlich erklären. Sonst ist der spätere Kürzungsbescheid unwirksam.
Einige Urteile aus der Praxis zum Thema Sanktionen
Das Landessozialgericht Hamburg hat eine mehrfache Minderung von Leistungen wegen Verstoßes gegen Meldepflichten als unwirksam angesehen. Die Sanktionsbescheide enthielten keine ausreichende Rechtsfolgenbelehrung. Sie waren auch inhaltlich nicht hinreichend bestimmt genug, also nicht konkret genug. "Mithin muss aus dem Verfügungssatz für die Beteiligten vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein, was die Behörde will", so das Gericht (Urteil vom 18.8.2010, Az. L 5 AS 78/09).
Das Sozialgericht Gießen sah eine 30-prozentige Kürzung der Leistungen als unrechtmäßig an. Dabei ging es um einen Leistungsempfänger, der sich nicht auf eine vorgeschlagene Stelle beworben hatte. Dieser war nicht über die Folgen einer solchen Weigerung informiert worden. Daher mussten die einbehaltenen Leistungen schließlich doch noch an ihn ausgezahlt werden (Urteil vom 14.1.2013, Az. S 29 AS 676/11).
Was hat das Bundesverfassungsgericht 2019 entschieden?
Die Sanktionsregelungen des SGB II wurden auch nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts angepasst. Dabei ging es um einen Mann, der eine Stelle als Lagerarbeiter abgelehnt hatte. Dem Arbeitgeber hatte der ausgebildete Lagerist gesagt, dass er lieber im Verkaufsbereich arbeiten wolle. Er löste jedoch einen Aktivierungs- und Vermittlungsgutschein für eine praktische Erprobung im Verkaufsbereich nicht ein. Daher wurde sein Regelsatz um 60 Prozent reduziert.
Das Bundesverfassungsgericht erklärte, dass der Gesetzgeber Leistungen zur Sicherstellung des Existenzminimums an Mitwirkungspflichten knüpfen dürfe. Bei fehlender Mitwirkung dürften auch Sanktionen verhängt werden. Aber: Es ginge hier um existenzsichernde Leistungen und das Existenzminimum sei durch das Grundgesetz geschützt. Daher müsse man hohe Maßstäbe an die Wahrung der Verhältnismäßigkeit ansetzen. Die gesetzliche Regelung müsse geeignet, erforderlich und angemessen sein, um das angestrebte Ziel zu erreichen.
Eine Kürzung um 30 Prozent sei noch mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies gelte jedoch nicht für die Vorschrift, den Regelbedarf bei Pflichtverletzungen ohne weitere Prüfung immer zwingend zu mindern. Es müsse auch eine Regelung für Härtefälle geben. Diese wurde inzwischen eingeführt.
Das Gericht kritisierte auch, dass der Regelsatz ohne Rücksicht auf den Einzelfall immer pauschal für drei Monate herabgesetzt werde. Zumutbar sei eine solche Maßnahme nur, wenn sie in dem Moment ende, in dem der Leistungsbezieher seine Pflichten wieder erfülle und sich um eine Arbeit bemühe. Genau dies sei ja gerade das Ziel der gesetzlichen Regelung.
Nicht mehr mit dem Grundgesetz vereinbar sei eine Kürzung des Regelsatzes um 60 Prozent. Dadurch werde das Existenzminimum zu sehr unterschritten. Es seien mildere Mittel möglich, etwa geringere Kürzungen oder deren zeitliche Verlängerung.
Verfassungswidrig sei auch eine komplette Streichung der Leistungen. Es sei in keiner Weise belegt, dass ein Wegfall existenzsichernder Leistungen notwendig sei, um die Betroffenen zur Mitwirkung zu bewegen. Mildere Mittel könnten genauso effektiv oder sogar wirkungsvoller sein (Urteil vom 5.11.2019, Az. 1 BvL 7/16).
Auf dieses Urteil hin wurde das Gesetz angepasst.
Welche Sanktionen sind in Zukunft geplant?
Unter der schwarz-roten Koalition sind Änderungen beim Bürgergeld noch im Herbst 2025 absehbar. Insbesondere ist eine Verschärfung der Sanktionen wahrscheinlich. Allerdings wird sich auch diese Regierung an verfassungsrechtliche Vorgaben und an das oben erwähnte Urteil des Bundesverfassungsgerichts halten müssen. Eine komplette Abschaffung des Bürgergeldes unabhängig von der Bezeichnung ist ebenso verfassungswidrig wie allzu umfassende Kürzungen. Das Grundgesetz schreibt ein Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum fest. Dies ergibt sich aus der Kombination des Grundrechts auf Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG). Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass der Staat Hilfebedürftigen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen muss.
Praxistipp zu den Bürgergeld-Sanktionen
Wie die Änderungen der aktuellen Regierungskoalition beim Thema Bürgergeld aussehen werden, bleibt abzuwarten. Bei Auseinandersetzungen mit dem Jobcenter empfiehlt sich für Betroffene die Beratung durch einen Fachanwalt für Sozialrecht.
(Wk)