Hartz IV: Welche Wohnkosten übernimmt das Jobcenter?
06.01.2021, Redaktion Anwalt-Suchservice
© Bu - Anwalt-Suchservice Wer Arbeitslosengeld II empfängt (ALG II, auch Hartz IV genannt), kann zusätzlich zum Regelsatz auch seine Wohnkosten vom Amt erhalten - jedenfalls zum Teil. Die Rechtsgrundlage dafür ist § 22 des Zweiten Sozialgesetzbuches (SGB II). Nach dieser Vorschrift ist der Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anzuerkennen, soweit er angemessen ist.
Wenn die Aufwendungen den im einzelnen Fall angemessenen Umfang übersteigen, sind sie so lange anzuerkennen, wie es dem Leistungsberechtigten nicht möglich oder nicht zumutbar ist, seine Kosten zu verringern, indem er etwa in eine billigere Wohnung zieht, ein Zimmer untervermietet oder sonstwie spart. Allerdings gilt eine solche Anerkennung zusätzlicher Kosten in der Regel für maximal sechs Monate.
Die wichtigste Frage lautet jedoch: Was bedeutet eigentlich “angemessen”? Hier stellen wir einige Gerichtsurteile zu diesem Thema vor.
Im Zeitraum vom 1. März 2020 bis 31. März 2021 findet für Neu- und Weiterbewilligungsanträge keine Prüfung der Angemessenheit der Wohnverhältnisse statt. Dies ergibt sich aus § 67 Abs. 3 des 2. Sozialgesetzbuches (SGB II). Die Sonderregelung aufgrund der Coronakrise gilt also für Bewilligungszeiträume, die spätestens am 31. März 2021 anfangen. Im Rahmen der Sonderregelung werden schlicht die tatsächlich entstehenden Kosten anerkannt.
Regelung im Normalfall:
Hartz-IV-Empfänger bekommen Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Kosten, soweit diese angemessen sind. Was als angemessen gilt, legen viele Gemeinden in eigenen Richtlinien fest. Gibt es keine derartigen Richtlinien, werden die Werte des Wohngeldgesetzes herangezogen. Auch die preisgünstigeren Mieten vor Ort sind zu berücksichtigen; es müssen jedoch nicht die günstigsten herangezogen werden. Die Regelungen der Gemeinden sind nicht selten Gegenstand von Gerichtsverfahren.
Die angemessene Mietobergrenze muss nach einem schlüssigen Konzept ermittelt werden. Dies erklärte das Hessische Landessozialgericht in zwei Urteilen.
Dem Gericht zufolge war der für die Ermittlung der Mietobergrenze von der Stadt Offenbach zugrunde gelegte einfache Mietspiegel 2006 bzw. 2008 unzureichend. Dieser gab nämlich keine Auskunft über die Höhe der Miete von tatsächlich freien Wohnungen mit einfachem Standard.
Im zweiten Urteil ging es um den Landkreis Waldeck-Frankenberg. Dieser hatte aufwendige Ermittlungen hinsichtlich der Miethöhe vor Ort angestellt. Diese erfüllten laut Gericht die rechtlichen Vorgaben an ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der angemessenen Mietobergrenze. Der Landkreis habe neben den Bestandsmieten auch die Mietangebote berücksichtigt. Dabei seien unter anderem Zeitungs- und Internetannoncen ausgewertet und Immobilien-Eigentümer hinsichtlich der aktuellen Miethöhe befragt worden (Urteil vom 15.2.2013, Az. L 7 AS 78/12).
Eine 59-jährige Frau wohnte zusammen mit ihrem Sohn in einer Mietwohnung im 4. Stock eines Hauses ohne Aufzug. Vom Jobcenter erhielt sie einschließlich Heizung die Hälfte der Kosten in Höhe von 191,70 Euro monatlich. Die andere Hälfte bezahlte ihr Sohn. Dann beantragte sie die Zustimmung des Jobcenters zu einem Umzug. Wegen erheblicher Schmerzen beim Treppensteigen benötige sie eine Wohnung im Erdgeschoss. Das Jobcenter lehnte jedoch ab. Die Frau zog trotzdem um. In der neuen Wohnung zahlte sie inklusive Nebenkosten 599 Euro Miete im Monat.
Das Sozialgericht Gießen holte Befunde von drei Ärzten ein und verpflichtete das Jobcenter dazu, die Kosten für die teurere Wohnung anteilig in Höhe von 299,50 Euro monatlich zu tragen. Auch ein Nicht-ALG-II-Empfänger würde umziehen, wenn für ihn das Treppensteigen ständig mit Schmerzen verbunden sei. Gerade bei Vorliegen gesundheitlicher Gründe dürfe man die Anforderungen an die Erforderlichkeit eines Umzugs nicht überziehen. Der behandelnde Orthopäde der Frau hatte bestätigt, dass sie unter einem Knorpelschaden im rechten Kniegelenk und Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule litt. Er war der Ansicht, dass die Frau ihre Einkäufe nicht beschwerdefrei in den vierten Stock tragen konnte (Urteil vom 10.1.2013, Az. S 25 AS 832/12 ER).
Nicht nur die Höhe der Wohnkosten, sondern auch die Größe des Wohnraums müssen angemessen sein. So entschied das Bundessozialgericht, das ALG II beziehende Eltern nach dem Auszug ihrer erwachsenen Kinder unter Umständen ihr Haus verkaufen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Dies hängt von der Größe des Hauses ab.
Zum Hintergrund: Wer ALG-II beantragt, muss sich eigenes Vermögen anrechnen lassen bzw. es zuerst einmal für seinen täglichen Unterhalt verbrauchen, bevor er staatliche Leistungen bekommt. Ansonsten gilt er nicht als hilfebedürftig. Dies ergibt sich aus § 12 des Zweiten Sozialgesetzbuches (SGB II). Demnach sind als Vermögen (nicht: Einkommen) zuerst alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Der Leistungsempfänger hat dann Freibeträge, die vom Vermögen abzusetzen sind, die er also behalten kann.
Der Grundfreibetrag beträgt für jede im Haushalt lebende volljährige Person und deren Partner 150 Euro für jedes vollendete Lebensjahr, mindestens aber jeweils 3.100 Euro. Der Freibetrag ist durch Höchstbeträge begrenzt, die abhängig vom Geburtsjahr sind. Außerdem gibt es Grundfreibeträge von 3.100 Euro für jedes leistungsberechtigte minderjährige Kind. Verschont bleiben außerdem unter anderem gefördertes Altersvorsorgevermögen und ein (angemessenes!) Auto pro erwerbsfähiger Person im Haushalt – und auch "ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung."
Eine Familie wohnte in einem Eigenheim mit 144 Quadratmetern Wohnfläche. Die Eltern hatten vier Kinder und erhielten ALG II. Aus Sicht des Jobcenters war das Eigenheim angemessen groß für sechs Personen. Als aber drei der Kinder von zu Hause auszogen, sah die Behörde das Haus als zu groß an. Es gelte jetzt nicht mehr als geschütztes Schonvermögen. Für drei Hausbewohner seien nur noch 110 Quadratmeter Wohnfläche als angemessen anzusehen. Die Familie bekam bis zum Verkauf des Hauses ALG II nur noch als Darlehen und klagte dagegen.
Das Bundessozialgericht bestätigte jedoch die Ansicht des Jobcenters. Das Gericht zog die Wohnflächengrenzen aus dem 2002 außer Kraft getretenen II. Wohnungsbaugesetz heran. Demnach wären für Familienheime mit einer Wohnung, die von vier Personen bewohnt werde, höchstens 130 Quadratmeter angemessen. Wenn das Einfamilienhaus von weniger als vier Personen bewohnt werde, müsse man für jede Person weniger 20 Quadratmeter abziehen. Hier seien es drei Personen gewesen, also seien nur 110 Quadratmeter angemessen.
Unwesentlich sei, dass die Quadratmetergrenze erst nachträglich durch den Auszug der erwachsenen Kinder nicht mehr eingehalten worden wäre. Unwirtschaftlich sei der Verkauf des Hausgrundstücks nicht. Auch ein besonderer Härtefall liege nicht vor (Urteil vom 12.10.2016, Az. B 4 AS 4/16 R).
Übrigens: Bei Eigentumswohnungen sind andere Grenzwerte als bei Einfamilienhäusern anzuwenden. So sieht man bei einer Eigentumswohnung 80 Quadratmeter für ein bis zwei Personen als angemessen an, 100 Quadratmeter für drei und 120 Quadratmeter für vier Personen.
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat ein Jobcenter dazu verurteilt, einem Hartz-IV-Empfänger vorläufig ein Darlehen zur Tilgung von Strom- und Gasschulden in Höhe von rund 3.000 Euro zu geben. Schon zuvor hatte das Jobcenter dem Mann Abschläge für die Gasheizung gezahlt. Allerdings hatte dieser die Zahlungen aber nur zum Teil an die Stadtwerke weitergeleitet. Auch mit den Abschlägen für Strom war er erheblich in Rückstand geraten. Das Gericht ließ das Jobcenter trotzdem diese Schulden übernehmen. Es gebe keine andere Möglichkeit, die Wohnung des Arbeitssuchenden wieder mit Energie zu versorgen.
Hartz IV-Empfänger haben zunächst alle Möglichkeiten der Selbsthilfe auszuschöpfen, bevor der Staat als Ausfallbürge der Energieversorger einzutreten hat. Die entsprechenden Versuche des Mannes waren hier vergeblich geblieben. So war ein Vergleich mit den Stadtwerken gescheitert, ebenso wie die Beschaffung eines privaten Darlehens (Az. L 2 AS 313/13 B ER).
Auch Mietrückstände muss grundsätzlich das Jobcenter übernehmen, speziell in Notlagen. Diese Beträge werden jedoch oft nur als Darlehen gewährt.
Das Jobcenter muss jedoch nicht für Mietschulden aufkommen, wenn die Hilfebedürftigen keine Miete zahlen konnten, weil sie das für die Unterkunft gezahlte Geld vom Staat für andere Dinge ausgegeben haben. So urteilte das Landessozialgericht Baden-Württemberg. In diesem Fall schuldete eine Familie ihrem Vermieter über 3.000 Euro. Sie hatten jedoch dem Gericht zufolge nicht einmal einen Dauerauftrag zur regelmäßigen Zahlung der Miete eingerichtet. Stattdessen habe die Ehefrau offenbar immer nur Geldbeträge in der Höhe überwiesen, wie sie meinte, diese entbehren zu können. Dem Gericht zufolge ließ dieses Verhalten nur den Schluss zu, dass die Antragsteller die Miete bewusst nicht gezahlt und sich darauf verlassen hätten, dass das Jobcenter die Rückstände schon übernehmen werde. Das Gericht betrachtete hier eine erneute Hilfegewährung durch das Jobcenter als nicht angemessen (Urteil vom 13.3.2013, Az. L 2 AS 842/13 ER-B).
Vom Jobcenter können auch die Kosten für die Anschaffung eines Gasofens als Kosten der Unterkunft zu übernehmen sein. Voraussetzung ist, dass dieser Ofen die Wohnung erst bewohnbar macht und dass das Jobcenter den Umzug in diese Wohnung genehmigt hat. Dies ergibt sich aus einem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz.
Der Antragsteller war Auszubildender. Als solcher erhielt er zwar grundsätzlich kein Arbeitslosengeld II. Azubis können jedoch trotzdem Hilfen als Darlehen bekommen, unter anderem für ihren Regelbedarf, den Mehrbedarf und für Unterkunft und Heizung. In besonderen Härtefällen wird auch ein Zuschuss zu den angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung gezahlt (§ 27 Abs. 3 SGB II). Die entsprechenden Voraussetzungen erfüllte der Antragsteller.
Das Landessozialgericht entschied: Der Gasofen diene dazu, die Wohnung überhaupt erst bewohnbar zu machen. Daher handle es sich hier um Kosten der Unterkunft. Diese könnten zwar unangemessen hoch sein, da in einem Monat der komplette Preis für den Ofen gezahlt werden müsse. Dies habe das Gericht jedoch gar nicht zu prüfen, da das Jobcenter den Umzug schon genehmigt habe. Mit Blick auf die beginnende kalte Jahreszeit sei der Fall besonders eilbedürftig, sodass das Gericht das Jobcenter durch eine einstweilige Anordnung zur Übernahme der Kosten verpflichtete (Beschluss vom 28.11.2012, Az. L 6 AS 573/12 B ER).
Wer im Eigenheim wohnt und ALG-II-Leistungen erhält, kann auch Leistungen zur Instandhaltung seines Hauses beantragen. Die Instandhaltungsmaßnahmen müssen jedoch notwendig und angemessen sein. Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt hat dazu entschieden, dass eine nicht mehr reparierbare Haustür durch die preiswerteste Kunststoffhaustür vom Baumarkt zu ersetzen sei. Zusammen mit den Einbaukosten durch einen örtlichen Handwerker seien dafür 750 Euro ausreichend. Auch kostenbewusste und sparsame Hausbesitzer mit geringen eigenen Einkünften würden eine solche einfache Haustür wählen. Ob das Geld zurückzuzahlen sei, müsse gesondert geprüft werden (Urteil vom 3.1.2011, Az. L 5 AS 423/09 B ER).
Ein Wohnmobil kann nach einem Urteil des Bundessozialgerichts durchaus als Unterkunft gelten. In einem solchen Fall wurden dem Betreffenden statt der Miete KfZ-Steuer, Fahrzeugversicherung und Stellplatz bezahlt. Auch Reparaturkosten konnte der Kläger sich ersetzen lassen, sofern er dafür Quittungen vorlegte. Selbst bezahlen musste er jedoch die Kosten für Treibstoff, Wartung und Autopflege. Die Kosten für eine Propangasheizung waren ihm vom Jobcenter schon nach seinem Widerspruch gegen den ursprünglichen, ablehnenden Bescheid zugestanden worden. Laut Gericht sind die Voraussetzungen für eine solche Kostenübernahme (Urteil vom 17.6.2010, Az. B 14 AS 79/09 R):
- der ALG-II-Empfänger lebt in dem Wohnmobil und
- hat keine andere Wohnung.
Nach dem Landessozialgericht Darmstadt kann auch ein Bauwagen eine Unterkunft sein. So hatte ein ALG II-Empfänger Kostentragung für eine neue Solaranlage auf dem Dach seines Bauwagens beantragt. Die bisherige war defekt und der Mann war auf Solarstrom angewiesen. Sein Vehikel stand nämlich auf einem Bauwagenplatz, auf dem man keine Stromgeneratoren betreiben durfte und auf dem es keinen Stromanschluss gab. Das Gericht erläuterte, dass die Kosten für die Solaranlage im Vergleich zu den üblichen Kosten für die Unterkunft in einer Mietwohnung angemessen seien. Die Stromversorgung sei ein elementares Bedürfnis des Lebens. Am Ende einigte man sich: Das Jobcenter gewährte dem Mann die Anschaffungskosten als Darlehen (28.10.2009, Az. L 7 AS 326/09 B ER).
Ein Pritschenwagen und ein nicht ausgebauter VW-Bus wurden von den Gerichten dagegen nicht als Unterkunft anerkannt. In beiden Fahrzeugen gab es nach Ansicht der Gerichte keine Privatsphäre sowie auch keine Waschgelegenheit oder Toilette (Pritschenwagen: Landessozialgericht Stuttgart, Urteil vom 10.5.2016, Az. L 9 AS 5116/15; VW-Bus: LSG Mainz, 7.3.2013, Az. L 3 AS 69/13 B ER).
Viele Kosten im Zusammenhang mit Unterkunft und Heizung kann das Jobcenter übernehmen. Jedoch wird oft um Details gestritten. Verweigert das Jobcenter die Kostenübernahme, kann ein Fachanwalt für Sozialrecht prüfen, ob nicht in Wirklichkeit doch ein Anspruch besteht. Hilfebedürftige können für eine außergerichtliche Rechtsberatung die staatliche Beratungshilfe in Anspruch nehmen.
Der Hartz IV Regelsatz ist nicht ausreichend, um in einer deutschen Großstadt Miete und Heizung zu zahlen. Aus diesem Grund bezahlt der Staat auch die Wohnkosten. Hierbei existieren jedoch viele Einschränkungen.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Welche Besonderheiten gelten in der Coronakrise? Wie muss die Gemeinde die angemessene Mietobergrenze ermitteln? Teurere Wohnung wegen Schmerzen beim Treppensteigen? Kinder aus dem Haus: Eltern müssen Haus verkaufen Übernimmt das Jobcenter die Stromkosten? Zahlt das Jobcenter auch Mietrückstände? Bezahlt das Jobcenter einen Gasofen? Wird auch eine kaputte Haustür ersetzt? Übernachten im Auto oder Bauwagen mit Übernahme der Kosten? Praxistipp Wenn die Aufwendungen den im einzelnen Fall angemessenen Umfang übersteigen, sind sie so lange anzuerkennen, wie es dem Leistungsberechtigten nicht möglich oder nicht zumutbar ist, seine Kosten zu verringern, indem er etwa in eine billigere Wohnung zieht, ein Zimmer untervermietet oder sonstwie spart. Allerdings gilt eine solche Anerkennung zusätzlicher Kosten in der Regel für maximal sechs Monate.
Die wichtigste Frage lautet jedoch: Was bedeutet eigentlich “angemessen”? Hier stellen wir einige Gerichtsurteile zu diesem Thema vor.
Welche Besonderheiten gelten in der Coronakrise?
Im Zeitraum vom 1. März 2020 bis 31. März 2021 findet für Neu- und Weiterbewilligungsanträge keine Prüfung der Angemessenheit der Wohnverhältnisse statt. Dies ergibt sich aus § 67 Abs. 3 des 2. Sozialgesetzbuches (SGB II). Die Sonderregelung aufgrund der Coronakrise gilt also für Bewilligungszeiträume, die spätestens am 31. März 2021 anfangen. Im Rahmen der Sonderregelung werden schlicht die tatsächlich entstehenden Kosten anerkannt.
Regelung im Normalfall:
Wie muss die Gemeinde die angemessene Mietobergrenze ermitteln?
Hartz-IV-Empfänger bekommen Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Kosten, soweit diese angemessen sind. Was als angemessen gilt, legen viele Gemeinden in eigenen Richtlinien fest. Gibt es keine derartigen Richtlinien, werden die Werte des Wohngeldgesetzes herangezogen. Auch die preisgünstigeren Mieten vor Ort sind zu berücksichtigen; es müssen jedoch nicht die günstigsten herangezogen werden. Die Regelungen der Gemeinden sind nicht selten Gegenstand von Gerichtsverfahren.
Die angemessene Mietobergrenze muss nach einem schlüssigen Konzept ermittelt werden. Dies erklärte das Hessische Landessozialgericht in zwei Urteilen.
Dem Gericht zufolge war der für die Ermittlung der Mietobergrenze von der Stadt Offenbach zugrunde gelegte einfache Mietspiegel 2006 bzw. 2008 unzureichend. Dieser gab nämlich keine Auskunft über die Höhe der Miete von tatsächlich freien Wohnungen mit einfachem Standard.
Im zweiten Urteil ging es um den Landkreis Waldeck-Frankenberg. Dieser hatte aufwendige Ermittlungen hinsichtlich der Miethöhe vor Ort angestellt. Diese erfüllten laut Gericht die rechtlichen Vorgaben an ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der angemessenen Mietobergrenze. Der Landkreis habe neben den Bestandsmieten auch die Mietangebote berücksichtigt. Dabei seien unter anderem Zeitungs- und Internetannoncen ausgewertet und Immobilien-Eigentümer hinsichtlich der aktuellen Miethöhe befragt worden (Urteil vom 15.2.2013, Az. L 7 AS 78/12).
Teurere Wohnung wegen Schmerzen beim Treppensteigen?
Eine 59-jährige Frau wohnte zusammen mit ihrem Sohn in einer Mietwohnung im 4. Stock eines Hauses ohne Aufzug. Vom Jobcenter erhielt sie einschließlich Heizung die Hälfte der Kosten in Höhe von 191,70 Euro monatlich. Die andere Hälfte bezahlte ihr Sohn. Dann beantragte sie die Zustimmung des Jobcenters zu einem Umzug. Wegen erheblicher Schmerzen beim Treppensteigen benötige sie eine Wohnung im Erdgeschoss. Das Jobcenter lehnte jedoch ab. Die Frau zog trotzdem um. In der neuen Wohnung zahlte sie inklusive Nebenkosten 599 Euro Miete im Monat.
Das Sozialgericht Gießen holte Befunde von drei Ärzten ein und verpflichtete das Jobcenter dazu, die Kosten für die teurere Wohnung anteilig in Höhe von 299,50 Euro monatlich zu tragen. Auch ein Nicht-ALG-II-Empfänger würde umziehen, wenn für ihn das Treppensteigen ständig mit Schmerzen verbunden sei. Gerade bei Vorliegen gesundheitlicher Gründe dürfe man die Anforderungen an die Erforderlichkeit eines Umzugs nicht überziehen. Der behandelnde Orthopäde der Frau hatte bestätigt, dass sie unter einem Knorpelschaden im rechten Kniegelenk und Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule litt. Er war der Ansicht, dass die Frau ihre Einkäufe nicht beschwerdefrei in den vierten Stock tragen konnte (Urteil vom 10.1.2013, Az. S 25 AS 832/12 ER).
Kinder aus dem Haus: Eltern müssen Haus verkaufen
Nicht nur die Höhe der Wohnkosten, sondern auch die Größe des Wohnraums müssen angemessen sein. So entschied das Bundessozialgericht, das ALG II beziehende Eltern nach dem Auszug ihrer erwachsenen Kinder unter Umständen ihr Haus verkaufen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Dies hängt von der Größe des Hauses ab.
Zum Hintergrund: Wer ALG-II beantragt, muss sich eigenes Vermögen anrechnen lassen bzw. es zuerst einmal für seinen täglichen Unterhalt verbrauchen, bevor er staatliche Leistungen bekommt. Ansonsten gilt er nicht als hilfebedürftig. Dies ergibt sich aus § 12 des Zweiten Sozialgesetzbuches (SGB II). Demnach sind als Vermögen (nicht: Einkommen) zuerst alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. Der Leistungsempfänger hat dann Freibeträge, die vom Vermögen abzusetzen sind, die er also behalten kann.
Der Grundfreibetrag beträgt für jede im Haushalt lebende volljährige Person und deren Partner 150 Euro für jedes vollendete Lebensjahr, mindestens aber jeweils 3.100 Euro. Der Freibetrag ist durch Höchstbeträge begrenzt, die abhängig vom Geburtsjahr sind. Außerdem gibt es Grundfreibeträge von 3.100 Euro für jedes leistungsberechtigte minderjährige Kind. Verschont bleiben außerdem unter anderem gefördertes Altersvorsorgevermögen und ein (angemessenes!) Auto pro erwerbsfähiger Person im Haushalt – und auch "ein selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung."
Eine Familie wohnte in einem Eigenheim mit 144 Quadratmetern Wohnfläche. Die Eltern hatten vier Kinder und erhielten ALG II. Aus Sicht des Jobcenters war das Eigenheim angemessen groß für sechs Personen. Als aber drei der Kinder von zu Hause auszogen, sah die Behörde das Haus als zu groß an. Es gelte jetzt nicht mehr als geschütztes Schonvermögen. Für drei Hausbewohner seien nur noch 110 Quadratmeter Wohnfläche als angemessen anzusehen. Die Familie bekam bis zum Verkauf des Hauses ALG II nur noch als Darlehen und klagte dagegen.
Das Bundessozialgericht bestätigte jedoch die Ansicht des Jobcenters. Das Gericht zog die Wohnflächengrenzen aus dem 2002 außer Kraft getretenen II. Wohnungsbaugesetz heran. Demnach wären für Familienheime mit einer Wohnung, die von vier Personen bewohnt werde, höchstens 130 Quadratmeter angemessen. Wenn das Einfamilienhaus von weniger als vier Personen bewohnt werde, müsse man für jede Person weniger 20 Quadratmeter abziehen. Hier seien es drei Personen gewesen, also seien nur 110 Quadratmeter angemessen.
Unwesentlich sei, dass die Quadratmetergrenze erst nachträglich durch den Auszug der erwachsenen Kinder nicht mehr eingehalten worden wäre. Unwirtschaftlich sei der Verkauf des Hausgrundstücks nicht. Auch ein besonderer Härtefall liege nicht vor (Urteil vom 12.10.2016, Az. B 4 AS 4/16 R).
Übrigens: Bei Eigentumswohnungen sind andere Grenzwerte als bei Einfamilienhäusern anzuwenden. So sieht man bei einer Eigentumswohnung 80 Quadratmeter für ein bis zwei Personen als angemessen an, 100 Quadratmeter für drei und 120 Quadratmeter für vier Personen.
Übernimmt das Jobcenter die Stromkosten?
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat ein Jobcenter dazu verurteilt, einem Hartz-IV-Empfänger vorläufig ein Darlehen zur Tilgung von Strom- und Gasschulden in Höhe von rund 3.000 Euro zu geben. Schon zuvor hatte das Jobcenter dem Mann Abschläge für die Gasheizung gezahlt. Allerdings hatte dieser die Zahlungen aber nur zum Teil an die Stadtwerke weitergeleitet. Auch mit den Abschlägen für Strom war er erheblich in Rückstand geraten. Das Gericht ließ das Jobcenter trotzdem diese Schulden übernehmen. Es gebe keine andere Möglichkeit, die Wohnung des Arbeitssuchenden wieder mit Energie zu versorgen.
Hartz IV-Empfänger haben zunächst alle Möglichkeiten der Selbsthilfe auszuschöpfen, bevor der Staat als Ausfallbürge der Energieversorger einzutreten hat. Die entsprechenden Versuche des Mannes waren hier vergeblich geblieben. So war ein Vergleich mit den Stadtwerken gescheitert, ebenso wie die Beschaffung eines privaten Darlehens (Az. L 2 AS 313/13 B ER).
Zahlt das Jobcenter auch Mietrückstände?
Auch Mietrückstände muss grundsätzlich das Jobcenter übernehmen, speziell in Notlagen. Diese Beträge werden jedoch oft nur als Darlehen gewährt.
Das Jobcenter muss jedoch nicht für Mietschulden aufkommen, wenn die Hilfebedürftigen keine Miete zahlen konnten, weil sie das für die Unterkunft gezahlte Geld vom Staat für andere Dinge ausgegeben haben. So urteilte das Landessozialgericht Baden-Württemberg. In diesem Fall schuldete eine Familie ihrem Vermieter über 3.000 Euro. Sie hatten jedoch dem Gericht zufolge nicht einmal einen Dauerauftrag zur regelmäßigen Zahlung der Miete eingerichtet. Stattdessen habe die Ehefrau offenbar immer nur Geldbeträge in der Höhe überwiesen, wie sie meinte, diese entbehren zu können. Dem Gericht zufolge ließ dieses Verhalten nur den Schluss zu, dass die Antragsteller die Miete bewusst nicht gezahlt und sich darauf verlassen hätten, dass das Jobcenter die Rückstände schon übernehmen werde. Das Gericht betrachtete hier eine erneute Hilfegewährung durch das Jobcenter als nicht angemessen (Urteil vom 13.3.2013, Az. L 2 AS 842/13 ER-B).
Bezahlt das Jobcenter einen Gasofen?
Vom Jobcenter können auch die Kosten für die Anschaffung eines Gasofens als Kosten der Unterkunft zu übernehmen sein. Voraussetzung ist, dass dieser Ofen die Wohnung erst bewohnbar macht und dass das Jobcenter den Umzug in diese Wohnung genehmigt hat. Dies ergibt sich aus einem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz.
Der Antragsteller war Auszubildender. Als solcher erhielt er zwar grundsätzlich kein Arbeitslosengeld II. Azubis können jedoch trotzdem Hilfen als Darlehen bekommen, unter anderem für ihren Regelbedarf, den Mehrbedarf und für Unterkunft und Heizung. In besonderen Härtefällen wird auch ein Zuschuss zu den angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung gezahlt (§ 27 Abs. 3 SGB II). Die entsprechenden Voraussetzungen erfüllte der Antragsteller.
Das Landessozialgericht entschied: Der Gasofen diene dazu, die Wohnung überhaupt erst bewohnbar zu machen. Daher handle es sich hier um Kosten der Unterkunft. Diese könnten zwar unangemessen hoch sein, da in einem Monat der komplette Preis für den Ofen gezahlt werden müsse. Dies habe das Gericht jedoch gar nicht zu prüfen, da das Jobcenter den Umzug schon genehmigt habe. Mit Blick auf die beginnende kalte Jahreszeit sei der Fall besonders eilbedürftig, sodass das Gericht das Jobcenter durch eine einstweilige Anordnung zur Übernahme der Kosten verpflichtete (Beschluss vom 28.11.2012, Az. L 6 AS 573/12 B ER).
Wird auch eine kaputte Haustür ersetzt?
Wer im Eigenheim wohnt und ALG-II-Leistungen erhält, kann auch Leistungen zur Instandhaltung seines Hauses beantragen. Die Instandhaltungsmaßnahmen müssen jedoch notwendig und angemessen sein. Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt hat dazu entschieden, dass eine nicht mehr reparierbare Haustür durch die preiswerteste Kunststoffhaustür vom Baumarkt zu ersetzen sei. Zusammen mit den Einbaukosten durch einen örtlichen Handwerker seien dafür 750 Euro ausreichend. Auch kostenbewusste und sparsame Hausbesitzer mit geringen eigenen Einkünften würden eine solche einfache Haustür wählen. Ob das Geld zurückzuzahlen sei, müsse gesondert geprüft werden (Urteil vom 3.1.2011, Az. L 5 AS 423/09 B ER).
Übernachten im Auto oder Bauwagen mit Übernahme der Kosten?
Ein Wohnmobil kann nach einem Urteil des Bundessozialgerichts durchaus als Unterkunft gelten. In einem solchen Fall wurden dem Betreffenden statt der Miete KfZ-Steuer, Fahrzeugversicherung und Stellplatz bezahlt. Auch Reparaturkosten konnte der Kläger sich ersetzen lassen, sofern er dafür Quittungen vorlegte. Selbst bezahlen musste er jedoch die Kosten für Treibstoff, Wartung und Autopflege. Die Kosten für eine Propangasheizung waren ihm vom Jobcenter schon nach seinem Widerspruch gegen den ursprünglichen, ablehnenden Bescheid zugestanden worden. Laut Gericht sind die Voraussetzungen für eine solche Kostenübernahme (Urteil vom 17.6.2010, Az. B 14 AS 79/09 R):
- der ALG-II-Empfänger lebt in dem Wohnmobil und
- hat keine andere Wohnung.
Nach dem Landessozialgericht Darmstadt kann auch ein Bauwagen eine Unterkunft sein. So hatte ein ALG II-Empfänger Kostentragung für eine neue Solaranlage auf dem Dach seines Bauwagens beantragt. Die bisherige war defekt und der Mann war auf Solarstrom angewiesen. Sein Vehikel stand nämlich auf einem Bauwagenplatz, auf dem man keine Stromgeneratoren betreiben durfte und auf dem es keinen Stromanschluss gab. Das Gericht erläuterte, dass die Kosten für die Solaranlage im Vergleich zu den üblichen Kosten für die Unterkunft in einer Mietwohnung angemessen seien. Die Stromversorgung sei ein elementares Bedürfnis des Lebens. Am Ende einigte man sich: Das Jobcenter gewährte dem Mann die Anschaffungskosten als Darlehen (28.10.2009, Az. L 7 AS 326/09 B ER).
Ein Pritschenwagen und ein nicht ausgebauter VW-Bus wurden von den Gerichten dagegen nicht als Unterkunft anerkannt. In beiden Fahrzeugen gab es nach Ansicht der Gerichte keine Privatsphäre sowie auch keine Waschgelegenheit oder Toilette (Pritschenwagen: Landessozialgericht Stuttgart, Urteil vom 10.5.2016, Az. L 9 AS 5116/15; VW-Bus: LSG Mainz, 7.3.2013, Az. L 3 AS 69/13 B ER).
Praxistipp
Viele Kosten im Zusammenhang mit Unterkunft und Heizung kann das Jobcenter übernehmen. Jedoch wird oft um Details gestritten. Verweigert das Jobcenter die Kostenübernahme, kann ein Fachanwalt für Sozialrecht prüfen, ob nicht in Wirklichkeit doch ein Anspruch besteht. Hilfebedürftige können für eine außergerichtliche Rechtsberatung die staatliche Beratungshilfe in Anspruch nehmen.
(Bu)