Ist der Urlaubsanspruch vererbbar?
15.11.2018, Redaktion Anwalt-Suchservice
© Ma - Anwalt-Suchservice Ob ein Urlaubsanspruch erblich ist, ist seit Jahren umstritten. Dabei geht es natürlich nicht um freie Tage, sondern um deren finanzielle Abgeltung. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass das deutsche Bundesarbeitsgericht eher dazu neigt, Urlaubsansprüche mit dem Tod des Arbeitnehmers verfallen zu lassen. Der Europäische Gerichtshof ist da jedoch anderer Ansicht – und hat mit einem Urteil im November 2018 klar gestellt, dass auch die nationalen Gerichte in den EU-Ländern sich darüber nicht hinwegsetzen können.
Der Urlaubsanspruch von Arbeitnehmern ergibt sich aus dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG). Nach dessen § 1 kann jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr bezahlten Erholungsurlaub beanspruchen. Dieser beträgt nach § 3 mindestens 24 Werktage bei einer Sechs-Tage-Woche und 20 Werktage bei einer Fünf-Tage-Woche. Anspruch auf Urlaub besteht erstmals nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses. § 7 Absatz 3 BUrlG besagt, dass Arbeitnehmer den Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt bekommen und nehmen müssen. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr setzt voraus, dass dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen.
Lange Zeit stand für die deutschen Arbeitsgerichte fest, dass der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers mit dessen Tod verfiel. Es gab auch kaum gerichtliche Klagen – denn der Urlaubsberechtigte brauchte ja seinen Urlaub nicht mehr. Im Jahr 2011 musste sich allerdings das Bundesarbeitsgericht mit dem Thema beschäftigen. Geklagt hatten damals die Witwe und der Sohn eines verstorbenen Fernfahrers, der seinen letzten Jahresurlaub wegen einer Erkrankung nicht genommen hatte. Ihre Ansicht: § 7 Abs. 4 BUrlG besage, dass bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – aus welchem Grund auch immer – der restliche Mindesturlaub in Geld auszuzahlen sei. Dieser Anspruch sei nach § 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuches auf die Erben übertragbar.
Das Bundesarbeitsgericht entschied jedoch dagegen. § 7 Absatz 4 Bundesurlaubsgesetz gewähre Arbeitnehmern durchaus einen Anspruch auf finanzielle Abgeltung des Resturlaubs bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Beim Tod eines Arbeitnehmers aber erlösche der Urlaubsanspruch und werde nicht in einen Anspruch auf finanzielle Urlaubsabgeltung umgewandelt. Dies sei ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Denn der Anspruch auf Urlaub sei an die Person des jeweiligen Arbeitnehmers gebunden, der ja auch persönlich die Arbeitsleistung erbringe (Urteil vom 20. September 2011, Az. 9 AZR 416/10).
Der Europäische Gerichtshof hat am 12.6.2014 entschieden, dass der ersatzlose Wegfall des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung beim Tod eines Arbeitnehmers gegen das europäische Recht verstoßen würde (Rs. C-118/13). Ein deutscher Arbeitnehmer war jahrelang schwer krank gewesen und hatte keinen Urlaub nehmen können. In seinem Betrieb war das jahrelange Ansammeln von Resturlaub üblich. Als er verstarb, hatten sich 140 Urlaubstage angesammelt.
Der EuGH berief sich auf Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG – eine eher allgemeine Regelung ohne Bezug zum Thema "Todesfall". Dieser Vorschrift sei zu entnehmen, dass der vierwöchige Anspruch auf Mindesturlaub ein besonders bedeutender Rechtsgrundsatz der Europäischen Union sei. Wäre der Anspruch auf finanzielle Abgeltung des Urlaubs nicht vererblich, würde ein weder vom Arbeitgeber noch vom Arbeitnehmer beherrschbares Ereignis rückwirkend zum vollständigen Verlust des Urlaubsanspruchs führen. Dies entspreche nicht dem Sinn der EU-Richtlinie.
Das Bundesarbeitsgericht hat zunächst seine Rechtsprechung bezüglich bereits entstandener Urlaubsabgeltungsansprüche geändert. Konkret:
Ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung entsteht mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn noch Urlaubstage offen sind. Endet das Arbeitsverhältnis also noch zu Lebzeiten des Arbeitnehmers, weil ihm zum Beispiel wegen dauernden Krankseins gekündigt wird, hat er einen Anspruch auf finanzielle Abgeltung seiner restlichen Urlaubstage. Stirbt er dann, ist dieser Anspruch erblich. Dies hat das Bundesarbeitsgericht 2015 eingeräumt (Urteil vom 22.9.2015, Az. 9 AZR 170/14).
Damit war aber noch keine Klarheit geschaffen für den Fall, dass ein Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis starb. Das Bundesarbeitsgericht war hier der Ansicht, dass dann ja noch kein Abgeltungsanspruch entstanden sei – es sei noch nichts vorhanden, das vererbt werden könne. Auch habe der Anspruch auf Urlaub den Sinn, Arbeitnehmern Erholung von ihrer Arbeit zu gewähren. Dies sei nach dem Tod nicht mehr möglich. Wieder kamen zwei deutsche Fälle vor den Europäischen Gerichtshof: Einmal ging es um einen Arbeitnehmer bei einem privaten Arbeitgeber, im anderen Fall um einen Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Das Bundesarbeitsgericht hatte Zweifel, dass diese gleichzubehandeln seien.
Der Europäische Gerichtshof hat daraufhin noch einmal ganz klar betont, dass der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers nicht mit dessen Tod erlischt. Bezahlter Jahresurlaub habe nach dem EU-Recht nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine finanzielle Seite. Auch wenn die Erholungsmöglichkeit mit dem Tod eines Arbeitnehmers wegfalle, bleibe der finanzielle Aspekt bestehen. Nationale Regelungen, die eine Vererbbarkeit des Urlaubsanspruchs ausschließen würden, seien mit dem EU-Recht nicht vereinbar. Die Erben von Arbeitnehmern könnten sich im Zweifelsfall direkt auf das EU-Recht berufen. Dies gelte sowohl gegenüber privatwirtschaftlichen als auch gegenüber öffentlichen Arbeitgebern (Urteil vom 6.11.2018, Rs. C-570/16 und C-569/16).
Das Bundesarbeitsgericht wird nach der EuGH-Rechtsprechung nicht mehr darum herumkommen, eine Vererbbarkeit des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung anzuerkennen. Bei der Durchsetzung eines solchen Anspruchs kann ein Fachanwalt für Arbeitsrecht behilflich sein.
Am Bundesarbeitsgericht und am Europäischen Gerichtshof laufen seit Jahren Prozesse um die Vererbbarkeit des Urlaubs. Nun haben Erben von Arbeitnehmern gute Chancen auf finanziellen Ausgleich.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Wo im Gesetz ist der Urlaub geregelt? Können sich Erben die Urlaubstage eines verstorbenen Arbeitnehmers auszahlen lassen? Wie hat der Europäische Gerichtshof zuerst entschieden? Wie hat das Bundesarbeitsgericht reagiert? Was gilt, wenn der Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis stirbt? Praxistipp Wo im Gesetz ist der Urlaub geregelt?
Der Urlaubsanspruch von Arbeitnehmern ergibt sich aus dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG). Nach dessen § 1 kann jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr bezahlten Erholungsurlaub beanspruchen. Dieser beträgt nach § 3 mindestens 24 Werktage bei einer Sechs-Tage-Woche und 20 Werktage bei einer Fünf-Tage-Woche. Anspruch auf Urlaub besteht erstmals nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses. § 7 Absatz 3 BUrlG besagt, dass Arbeitnehmer den Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt bekommen und nehmen müssen. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr setzt voraus, dass dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen.
Können sich Erben die Urlaubstage eines verstorbenen Arbeitnehmers auszahlen lassen?
Lange Zeit stand für die deutschen Arbeitsgerichte fest, dass der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers mit dessen Tod verfiel. Es gab auch kaum gerichtliche Klagen – denn der Urlaubsberechtigte brauchte ja seinen Urlaub nicht mehr. Im Jahr 2011 musste sich allerdings das Bundesarbeitsgericht mit dem Thema beschäftigen. Geklagt hatten damals die Witwe und der Sohn eines verstorbenen Fernfahrers, der seinen letzten Jahresurlaub wegen einer Erkrankung nicht genommen hatte. Ihre Ansicht: § 7 Abs. 4 BUrlG besage, dass bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses – aus welchem Grund auch immer – der restliche Mindesturlaub in Geld auszuzahlen sei. Dieser Anspruch sei nach § 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuches auf die Erben übertragbar.
Das Bundesarbeitsgericht entschied jedoch dagegen. § 7 Absatz 4 Bundesurlaubsgesetz gewähre Arbeitnehmern durchaus einen Anspruch auf finanzielle Abgeltung des Resturlaubs bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Beim Tod eines Arbeitnehmers aber erlösche der Urlaubsanspruch und werde nicht in einen Anspruch auf finanzielle Urlaubsabgeltung umgewandelt. Dies sei ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Denn der Anspruch auf Urlaub sei an die Person des jeweiligen Arbeitnehmers gebunden, der ja auch persönlich die Arbeitsleistung erbringe (Urteil vom 20. September 2011, Az. 9 AZR 416/10).
Wie hat der Europäische Gerichtshof zuerst entschieden?
Der Europäische Gerichtshof hat am 12.6.2014 entschieden, dass der ersatzlose Wegfall des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung beim Tod eines Arbeitnehmers gegen das europäische Recht verstoßen würde (Rs. C-118/13). Ein deutscher Arbeitnehmer war jahrelang schwer krank gewesen und hatte keinen Urlaub nehmen können. In seinem Betrieb war das jahrelange Ansammeln von Resturlaub üblich. Als er verstarb, hatten sich 140 Urlaubstage angesammelt.
Der EuGH berief sich auf Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG – eine eher allgemeine Regelung ohne Bezug zum Thema "Todesfall". Dieser Vorschrift sei zu entnehmen, dass der vierwöchige Anspruch auf Mindesturlaub ein besonders bedeutender Rechtsgrundsatz der Europäischen Union sei. Wäre der Anspruch auf finanzielle Abgeltung des Urlaubs nicht vererblich, würde ein weder vom Arbeitgeber noch vom Arbeitnehmer beherrschbares Ereignis rückwirkend zum vollständigen Verlust des Urlaubsanspruchs führen. Dies entspreche nicht dem Sinn der EU-Richtlinie.
Wie hat das Bundesarbeitsgericht reagiert?
Das Bundesarbeitsgericht hat zunächst seine Rechtsprechung bezüglich bereits entstandener Urlaubsabgeltungsansprüche geändert. Konkret:
Ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung entsteht mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn noch Urlaubstage offen sind. Endet das Arbeitsverhältnis also noch zu Lebzeiten des Arbeitnehmers, weil ihm zum Beispiel wegen dauernden Krankseins gekündigt wird, hat er einen Anspruch auf finanzielle Abgeltung seiner restlichen Urlaubstage. Stirbt er dann, ist dieser Anspruch erblich. Dies hat das Bundesarbeitsgericht 2015 eingeräumt (Urteil vom 22.9.2015, Az. 9 AZR 170/14).
Was gilt, wenn der Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis stirbt?
Damit war aber noch keine Klarheit geschaffen für den Fall, dass ein Arbeitnehmer im laufenden Arbeitsverhältnis starb. Das Bundesarbeitsgericht war hier der Ansicht, dass dann ja noch kein Abgeltungsanspruch entstanden sei – es sei noch nichts vorhanden, das vererbt werden könne. Auch habe der Anspruch auf Urlaub den Sinn, Arbeitnehmern Erholung von ihrer Arbeit zu gewähren. Dies sei nach dem Tod nicht mehr möglich. Wieder kamen zwei deutsche Fälle vor den Europäischen Gerichtshof: Einmal ging es um einen Arbeitnehmer bei einem privaten Arbeitgeber, im anderen Fall um einen Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Das Bundesarbeitsgericht hatte Zweifel, dass diese gleichzubehandeln seien.
Der Europäische Gerichtshof hat daraufhin noch einmal ganz klar betont, dass der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers nicht mit dessen Tod erlischt. Bezahlter Jahresurlaub habe nach dem EU-Recht nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine finanzielle Seite. Auch wenn die Erholungsmöglichkeit mit dem Tod eines Arbeitnehmers wegfalle, bleibe der finanzielle Aspekt bestehen. Nationale Regelungen, die eine Vererbbarkeit des Urlaubsanspruchs ausschließen würden, seien mit dem EU-Recht nicht vereinbar. Die Erben von Arbeitnehmern könnten sich im Zweifelsfall direkt auf das EU-Recht berufen. Dies gelte sowohl gegenüber privatwirtschaftlichen als auch gegenüber öffentlichen Arbeitgebern (Urteil vom 6.11.2018, Rs. C-570/16 und C-569/16).
Praxistipp
Das Bundesarbeitsgericht wird nach der EuGH-Rechtsprechung nicht mehr darum herumkommen, eine Vererbbarkeit des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung anzuerkennen. Bei der Durchsetzung eines solchen Anspruchs kann ein Fachanwalt für Arbeitsrecht behilflich sein.
(Wk)