Darf mein Chef mein Arbeitstempo überwachen?
24.03.2023, Redaktion Anwalt-Suchservice
© - freepik So mancher Arbeitgeber strebt danach, das Arbeitstempo und die Effektivität seiner Arbeitnehmer immer engmaschiger zu überwachen. Elektronische Tools machen dies immer einfacher. Auf Videoüberwachung muss gar nicht mehr zurückgegriffen werden, wenn Keylogger jeden Tastendruck am Computer aufzeichnen und Auswertungsprogramme ermitteln, wie schnell der betreffende Mitarbeiter gearbeitet hat oder wie viele Vorgänge er oder sie pro Zeiteinheit abschließen konnte. Der Trend zu immer mehr Überwachung geht dabei von US-Unternehmen aus. Gerade ist ein neues Urteil zu Amazon bekannt geworden. Wie viel Überwachung bei der Arbeit ist in Deutschland zulässig?
Klare Vorgaben dazu gibt es bisher nicht. Ein Problem: Software, die Mitarbeiter überwacht, dient oft mehreren Zwecken und ermöglicht oft eine Überwachung nur als Nebeneffekt. Dies macht es für Unternehmen schwierig, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Grundsätzlich greift eine Überwachung auch des Arbeitstempos in das Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter ein. Daher ist sie nur zulässig, wenn eine Interessenabwägung stattgefunden hat, bei der das Interesse des Arbeitgebers an der Überwachung als höherrangig eingestuft wurde. Wie solche Abwägungen ausgehen, ist stark vom Einzelfall abhängig.
Der Beschäftigtendatenschutz richtet sich im Übrigen nach § 26 Bundesdatenschutzgesetz. Danach dürfen personenbezogene Daten von Beschäftigten für Zwecke des Arbeitsverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist.
Arbeitsrechtlich müssen Arbeitgeber für eine technische Überwachung des Arbeitstempos die Zustimmung des Betriebsrates einholen. Dies bestimmt § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Seit 2018 stellt eine Betriebsvereinbarung eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten auch aus Sicht des Datenschutzes dar.
Das Versandhandelsunternehmen Amazon überwachte in seinem Logistikzentrum in Niedersachsen mit Hilfe einer Software minutengenau die Arbeitsschritte seiner Arbeitnehmer bei der Arbeit mit einem Handscanner. Sinn und Zweck war hauptsächlich eine effektive Steuerung der Logistikprozesse in der Einrichtung. Allerdings wurden die Daten durchaus auch genutzt für die "Qualifizierung und Schaffung von Bewertungsgrundlagen für individuelles Feedback an die Beschäftigten und Personalentscheidungen". Damit waren also Beförderungen und die weitere Zukunft im Unternehmen vom per Software gemessenen Arbeitstempo abhängig. Die niedersächsische Datenschutzbehörde ging gegen diese Praxis vor und untersagte dem Unternehmen diese Art der Mitarbeiterüberwachung. Amazon ging dagegen gerichtlich vor. Das Unternehmen machte ein berechtigtes Interesse an der Datenerhebung geltend.
Das Verwaltungsgericht Hannover sah den Fall anders, als die Datenschutzbehörde. Die Datenverarbeitung sei hier für alle verfolgten Zwecke erforderlich gewesen, nämlich für die
- Steuerung der Logistikprozesse,
- Steuerung der Qualifizierung und
- Schaffung von Bewertungsgrundlagen für individuelles Feedback und Personalentscheidungen.
Das Unternehmen würde mittelfristig zurückliegende individuelle Leistungswerte brauchen, um die konstanten Stärken und Schwächen der Mitarbeiter zuverlässig zu erfassen und bei der Einsatzplanung berücksichtigen zu können. Auch ermögliche dieses Vorgehen die Schaffung objektiver und fairer Bewertungsgrundlagen für Feedback und Personalentscheidungen. Den Mitarbeitern könne objektives und individuell leistungsbezogenes Feedback gegeben werden, das nicht durch subjektive Wahrnehmungen beeinflusst sei.
Bei der Interessenabwägung räumte das Gericht jedoch einige Schwierigkeiten ein. Die Arbeitnehmer seien hier durchaus einem Anpassungs- und Überwachungsdruck ausgesetzt. Andererseits habe die Überwachung des Arbeitstempos nicht heimlich stattgefunden. Die Beschäftigten seien vorher über die Überwachung und deren Zwecke informiert worden.
Das Gericht verhandelte in öffentlicher Sitzung im Amazon Logistikzentrum und besichtigte auch das Fulfillment-Center. Aus Zeugenaussagen des aktuellen und der ehemaligen Vorsitzenden des Betriebsrates ergab sich, dass die Mitarbeiter anerkannten, dass die Überwachung "ein objektives Feedback von Vorgesetzten und faire Personalentscheidungen" ermögliche, im Betrieb sei dies gar kein Thema.
Das Gericht hob außerdem hervor, dass hier keine Überwachung des Verhaltens, der Kommunikation oder physischer Bewegungen stattfinde, sondern "nur" eine Leistungskontrolle. Die Privatsphäre der Mitarbeiter sei nicht betroffen. Hauptzweck der Datenerhebung sei nicht die Kontrolle der Beschäftigten, sondern die Steuerung von Logistikabläufen.
Letztendlich sei der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer hier angemessen und zulässig. Nach dem Urteil darf Amazon also die Überwachung des Arbeitstempos mittels Handscanner und Auswertungssoftware fortsetzen (Urteil vom 9.2.2023, Az. 10 A 6199/20).
Die Rechtsprechung ist allerdings nicht einheitlich, und obendrein sind hier ganz unterschiedliche Rechtsbereiche betroffen. Das Bundesarbeitsgericht beschäftigte sich vor einiger Zeit mit dem Fall eines Unternehmens, das über eine Keylogger-Software alle Tastatureingaben der Mitarbeiter aufgezeichnet hatte. Auch regelmäßige Screenshots waren angefertigt worden. Dabei hatte man einen Softwareentwickler erwischt, der während der Arbeitszeit ein privates Computerspiel programmierte und E-Mails für das Unternehmen seines Vaters schrieb. Dem Mann war daraufhin fristlos gekündigt worden. Nun ging es im Kündigungsschutzprozess darum, ob die per Keylogger gesammelten Daten vor Gericht verwendet werden durften. Denn: Nur so ließ sich nachweisen, dass der Arbeitnehmer in erheblichem Umfang während der Arbeitszeit privaten Aktivitäten nachgegangen war.
Das Bundesarbeitsgericht erklärte die Nutzung eines Keyloggers zur Überwachung der Arbeitnehmer und damit auch die Verwendung der Daten als Beweismittel hier für unzulässig.
Es liege wegen einer Verletzung des laut Grundgesetz geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Partei ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot vor.
Der Kläger habe in die Überwachung per Keylogger nicht
eingewilligt. Schweigen sei keine Zustimmung. Die vorherige Ankündigung der Überwachung habe nicht auf diese Art der Überwachung schließen lassen. Auch sei in der Betriebspraxis kein striktes Verbot der privaten PC- und Internetnutzung gelebt worden. Der Eingriff in seine Rechte sei nicht aufgrund überwiegender Interessen des Arbeitgebers nach dem Datenschutzgesetz gerechtfertigt.
Damit gewann der Arbeitnehmer den Kündigungsschutzprozess (BAG, Urteil vom 27.7.2017, Az. 2 AZR 681/16). Festzuhalten bleibt, dass damit nicht jede Überwachung per Keylogger unzulässig ist. Dies hängt vielmehr davon ab, wie der Arbeitgeber diese Überwachung vorher ankündigt und begründet und ob die Beschäftigten dem zustimmen.
Klare gesetzliche Regeln zur Überwachung des Arbeitstempos und der Arbeitseffektivität von Beschäftigten durch Keylogger und andere Überwachungssoftware gibt es bisher nicht. Vor Gericht hängt das Ergebnis stark von Interessenabwägungen im Einzelfall ab. Geht es um eine Kündigung, die auf so gewonnenen Daten beruht, ist ein Fachanwalt für Arbeitsrecht der beste Ansprechpartner. Achtung: Die Klagefrist für eine Kündigungsschutzklage beträgt drei Wochen. Bescheide der Datenschutzbehörde können vor dem Verwaltungsgericht angefochten werden, hier ist ein Rechtsanwalt für Verwaltungsrecht gefragt.
Leistungskontrollen am Arbeitsplatz breiten sich immer mehr aus. Gerade bei großen Unternehmen und US-Unternehmen werden Sie immer üblicher. Doch: Wie viel Kontrolle durch den Arbeitgeber ist erlaubt?
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Wann ist eine Überwachung der Mitarbeiter mittels Software erlaubt? Amazon: Handscanner überwacht Arbeitstempo Wie beurteilte das Gericht die Leistungskontrolle bei Amazon? Gerichtsverhandlung im Logistikzentrum Mit welchem Fall zum Thema Keylogger befasste sich das Bundesarbeitsgericht? Illegale Datensammlung bedeutet Beweisverwertungsverbot Praxistipp zur Überwachung des Arbeitstempos mittels Software Wann ist eine Überwachung der Mitarbeiter mittels Software erlaubt?
Klare Vorgaben dazu gibt es bisher nicht. Ein Problem: Software, die Mitarbeiter überwacht, dient oft mehreren Zwecken und ermöglicht oft eine Überwachung nur als Nebeneffekt. Dies macht es für Unternehmen schwierig, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Grundsätzlich greift eine Überwachung auch des Arbeitstempos in das Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter ein. Daher ist sie nur zulässig, wenn eine Interessenabwägung stattgefunden hat, bei der das Interesse des Arbeitgebers an der Überwachung als höherrangig eingestuft wurde. Wie solche Abwägungen ausgehen, ist stark vom Einzelfall abhängig.
Der Beschäftigtendatenschutz richtet sich im Übrigen nach § 26 Bundesdatenschutzgesetz. Danach dürfen personenbezogene Daten von Beschäftigten für Zwecke des Arbeitsverhältnisses verarbeitet werden, wenn dies für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist.
Arbeitsrechtlich müssen Arbeitgeber für eine technische Überwachung des Arbeitstempos die Zustimmung des Betriebsrates einholen. Dies bestimmt § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Seit 2018 stellt eine Betriebsvereinbarung eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Verarbeitung personenbezogener Daten auch aus Sicht des Datenschutzes dar.
Amazon: Handscanner überwacht Arbeitstempo
Das Versandhandelsunternehmen Amazon überwachte in seinem Logistikzentrum in Niedersachsen mit Hilfe einer Software minutengenau die Arbeitsschritte seiner Arbeitnehmer bei der Arbeit mit einem Handscanner. Sinn und Zweck war hauptsächlich eine effektive Steuerung der Logistikprozesse in der Einrichtung. Allerdings wurden die Daten durchaus auch genutzt für die "Qualifizierung und Schaffung von Bewertungsgrundlagen für individuelles Feedback an die Beschäftigten und Personalentscheidungen". Damit waren also Beförderungen und die weitere Zukunft im Unternehmen vom per Software gemessenen Arbeitstempo abhängig. Die niedersächsische Datenschutzbehörde ging gegen diese Praxis vor und untersagte dem Unternehmen diese Art der Mitarbeiterüberwachung. Amazon ging dagegen gerichtlich vor. Das Unternehmen machte ein berechtigtes Interesse an der Datenerhebung geltend.
Wie beurteilte das Gericht die Leistungskontrolle bei Amazon?
Das Verwaltungsgericht Hannover sah den Fall anders, als die Datenschutzbehörde. Die Datenverarbeitung sei hier für alle verfolgten Zwecke erforderlich gewesen, nämlich für die
- Steuerung der Logistikprozesse,
- Steuerung der Qualifizierung und
- Schaffung von Bewertungsgrundlagen für individuelles Feedback und Personalentscheidungen.
Das Unternehmen würde mittelfristig zurückliegende individuelle Leistungswerte brauchen, um die konstanten Stärken und Schwächen der Mitarbeiter zuverlässig zu erfassen und bei der Einsatzplanung berücksichtigen zu können. Auch ermögliche dieses Vorgehen die Schaffung objektiver und fairer Bewertungsgrundlagen für Feedback und Personalentscheidungen. Den Mitarbeitern könne objektives und individuell leistungsbezogenes Feedback gegeben werden, das nicht durch subjektive Wahrnehmungen beeinflusst sei.
Bei der Interessenabwägung räumte das Gericht jedoch einige Schwierigkeiten ein. Die Arbeitnehmer seien hier durchaus einem Anpassungs- und Überwachungsdruck ausgesetzt. Andererseits habe die Überwachung des Arbeitstempos nicht heimlich stattgefunden. Die Beschäftigten seien vorher über die Überwachung und deren Zwecke informiert worden.
Gerichtsverhandlung im Logistikzentrum
Das Gericht verhandelte in öffentlicher Sitzung im Amazon Logistikzentrum und besichtigte auch das Fulfillment-Center. Aus Zeugenaussagen des aktuellen und der ehemaligen Vorsitzenden des Betriebsrates ergab sich, dass die Mitarbeiter anerkannten, dass die Überwachung "ein objektives Feedback von Vorgesetzten und faire Personalentscheidungen" ermögliche, im Betrieb sei dies gar kein Thema.
Das Gericht hob außerdem hervor, dass hier keine Überwachung des Verhaltens, der Kommunikation oder physischer Bewegungen stattfinde, sondern "nur" eine Leistungskontrolle. Die Privatsphäre der Mitarbeiter sei nicht betroffen. Hauptzweck der Datenerhebung sei nicht die Kontrolle der Beschäftigten, sondern die Steuerung von Logistikabläufen.
Letztendlich sei der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer hier angemessen und zulässig. Nach dem Urteil darf Amazon also die Überwachung des Arbeitstempos mittels Handscanner und Auswertungssoftware fortsetzen (Urteil vom 9.2.2023, Az. 10 A 6199/20).
Mit welchem Fall zum Thema Keylogger befasste sich das Bundesarbeitsgericht?
Die Rechtsprechung ist allerdings nicht einheitlich, und obendrein sind hier ganz unterschiedliche Rechtsbereiche betroffen. Das Bundesarbeitsgericht beschäftigte sich vor einiger Zeit mit dem Fall eines Unternehmens, das über eine Keylogger-Software alle Tastatureingaben der Mitarbeiter aufgezeichnet hatte. Auch regelmäßige Screenshots waren angefertigt worden. Dabei hatte man einen Softwareentwickler erwischt, der während der Arbeitszeit ein privates Computerspiel programmierte und E-Mails für das Unternehmen seines Vaters schrieb. Dem Mann war daraufhin fristlos gekündigt worden. Nun ging es im Kündigungsschutzprozess darum, ob die per Keylogger gesammelten Daten vor Gericht verwendet werden durften. Denn: Nur so ließ sich nachweisen, dass der Arbeitnehmer in erheblichem Umfang während der Arbeitszeit privaten Aktivitäten nachgegangen war.
Illegale Datensammlung bedeutet Beweisverwertungsverbot
Das Bundesarbeitsgericht erklärte die Nutzung eines Keyloggers zur Überwachung der Arbeitnehmer und damit auch die Verwendung der Daten als Beweismittel hier für unzulässig.
Es liege wegen einer Verletzung des laut Grundgesetz geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Partei ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot vor.
Der Kläger habe in die Überwachung per Keylogger nicht
eingewilligt. Schweigen sei keine Zustimmung. Die vorherige Ankündigung der Überwachung habe nicht auf diese Art der Überwachung schließen lassen. Auch sei in der Betriebspraxis kein striktes Verbot der privaten PC- und Internetnutzung gelebt worden. Der Eingriff in seine Rechte sei nicht aufgrund überwiegender Interessen des Arbeitgebers nach dem Datenschutzgesetz gerechtfertigt.
Damit gewann der Arbeitnehmer den Kündigungsschutzprozess (BAG, Urteil vom 27.7.2017, Az. 2 AZR 681/16). Festzuhalten bleibt, dass damit nicht jede Überwachung per Keylogger unzulässig ist. Dies hängt vielmehr davon ab, wie der Arbeitgeber diese Überwachung vorher ankündigt und begründet und ob die Beschäftigten dem zustimmen.
Praxistipp zur Überwachung des Arbeitstempos mittels Software
Klare gesetzliche Regeln zur Überwachung des Arbeitstempos und der Arbeitseffektivität von Beschäftigten durch Keylogger und andere Überwachungssoftware gibt es bisher nicht. Vor Gericht hängt das Ergebnis stark von Interessenabwägungen im Einzelfall ab. Geht es um eine Kündigung, die auf so gewonnenen Daten beruht, ist ein Fachanwalt für Arbeitsrecht der beste Ansprechpartner. Achtung: Die Klagefrist für eine Kündigungsschutzklage beträgt drei Wochen. Bescheide der Datenschutzbehörde können vor dem Verwaltungsgericht angefochten werden, hier ist ein Rechtsanwalt für Verwaltungsrecht gefragt.
(Ma)