Darf der Führerschein wegen eines Hörgeräts entzogen werden?

15.01.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
Fahrerlaubnis,Führerschein,Senior,Hörgerät Ist eine verkehrsmedizinische Untersuchung wegen eines Hörgerätes zulässig? © - freepik
Das Wichtigste in Kürze

1. Kein Automatischer Entzug: Der Führerschein darf nicht automatisch wegen der Notwendigkeit eines Hörgerätes entzogen werden. Die Fähigkeit, sicher zu fahren, steht im Vordergrund.

2. Medizinisches Gutachten: Ein Gutachten darf nur bei Vorliegen konkreter hinreichende Anhaltspunkte, die ernsthafte Zweifel an der Fahreignung des Fahrzeugführers nahelegen, angeordnet werden. Das Tragen eines Hörgerätes zählt grundsätzlich nicht dazu.

3. Fahrtüchtigkeit: Wenn durch das Tragen eines Hörgerätes die erforderliche Hörfähigkeit erreicht wird und keine weiteren Einschränkungen vorliegen, besteht kein Grund für den Entzug des Führerscheins.
Jeder weiß, dass die Fahrerlaubnisbehörde Menschen ihre Fahrerlaubnis entziehen kann, wenn diese zum Beispiel unter Einfluss von Drogen oder Alkohol fahren. Aber: Auch aus gesundheitlichen Gründen kann die Fahrerlaubnis entzogen werden. Denn: § 2 Abs. 4 des Straßenverkehrsgesetzes besagt: "Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt ...". Ist dies nicht mehr der Fall - weil zum Beispiel durch eine Erkrankung Ohnmachtsanfälle oder plötzliche Konzentrationsausfälle drohen, ist die Fahreignung nicht mehr gegeben. Dann kann es zu einem Entzug der Fahrerlaubnis kommen. Aber: Ist dies auch möglich, nur weil jemand ein Hörgerät trägt?

Warum spielen Hörgeräte im Straßenverkehr eine Rolle?


Der Bevölkerungsdurchschnitt wird immer älter. Daher sind auch immer mehr ältere Menschen im Straßenverkehr unterwegs. Einige mögen dessen Anforderungen nicht mehr gewachsen sein, andere sind es durchaus. Jedenfalls ist das Alter allein kein Grund, einem Senioren behördlicherseits den Führerschein wegzunehmen. Für einen Entzug der Fahrerlaubnis müssen schon konkrete Anhaltspunkte für eine fehlende Fahrtauglichkeit vorliegen. Auch Hörgeräte werden von immer mehr Menschen getragen – nicht nur von Senioren.

Was, wenn der Hörgerätebedarf beim Führerscheinumtausch festgestellt wird?


In Ludwigshafen war ein 85-Jähriger bei der Fahrerlaubnisbehörde vorstellig geworden, um sein altes Führerschein-Dokument von 1962 durch eine neue Version zu ersetzen. Der alte Führerschein war nicht nur unansehnlich geworden, sondern trug auch eine veraltete Adresse. Einer Mitarbeiterin der Behörde fiel zufällig auf, dass der Mann ein Hörgerät trug. Daraufhin forderte sie ihn auf, mit einem ärztlichen Gutachten nachzuweisen, dass er ausreichend höre, um am Straßenverkehr teilzunehmen. Der Mann kam dieser Aufforderung nach und legte ein Attest seines Ohrenarztes vor. Danach bestand bei ihm eine hochgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit links sowie eine mittelgradige rechts. Mit dem Hörgerät habe er ein altersnormales Hörvermögen. Beeinträchtigungen im Straßenverkehr seien nicht zu erwarten. Aus ärztlicher Sicht war die Fahreignung nicht beeinträchtigt.

Aufforderung zur Begutachtung des Hörvermögens


Der Fahrerlaubnisbehörde reichte dies jedoch nicht. Sie forderte den Mann nun schriftlich dazu auf, seinen Hörverlust in Prozent nach der Tabelle Röser nachzuweisen. Erneut kam der Senior der Aufforderung nach und reichte ein weiteres Attest seines Arztes entsprechend der verlangten Tabelle ein. Darin wurde ihm ein Hörverlust von rechts 56 und links 100 Prozent bescheinigt. Mit dem Hörgerät jedoch würden eine normale Diskrimination und ein altersnormales Hörvermögen erreicht. Aus Sicht des Arztes gab es keine Beeinträchtigungen im Straßenverkehr zu befürchten.

Daraufhin ordnete die Fahrerlaubnisbehörde mit Fristsetzung die Beibringung des Gutachtens eines Arztes einer Begutachtungsstelle für Fahreignung an. Sie verband dies mit dem Hinweis, dass Einschränkungen des Hörvermögens zur Einschränkung der Fahreignung führen könnten. Daher solle der Autofahrer sich eine zugelassene Begutachtungsstelle suchen und diese der Behörde innerhalb einer bestimmten Frist benennen. Für diese Anordnung waren mehrere Anläufe erforderlich, denn die ersten beiden Briefe schickte die Behörde an eine falsche Adresse. Sie kamen zurück. Erst im dritten Anlauf gelang es, den Brief korrekt zu adressieren.

Fahrerlaubnisentzug trotz Hörgerätes


Der Autofahrer benannte wie gefordert fristgerecht eine Begutachtungsstelle. Dieser schickte die Behörde die Fahrerlaubnisakte zu. Doch offenbar konnte die Untersuchungsstelle mit dem Fall nichts anfangen – sie schickte die Akte kommentarlos zurück. Nun forderte die Fahrlaubnisbehörde den Mann auf, innerhalb einer Woche ein Gutachten beizubringen. Als er dies nicht tat, entzog sie ihm mit sofortiger Wirkung die Fahrerlaubnis. Begründet wurde dies mit den prozentualen Werten seines Hörverlustes aus dem Attest seines Arztes – und zwar ohne Berücksichtigung des Hörgeräts. Auch habe er sich geweigert, ein Gutachten über seine Fahreignung beizubringen. Der Autofahrer lieferte seinen Führerschein bei der Behörde ab – und nahm sich einen Rechtsanwalt für Verkehrsrecht.

Fahrerlaubnisentzug: War der Widerspruch erfolgreich?


Der Autofahrer erhob Widerspruch gegen den behördlichen Bescheid – mit Hinweis auf das Attest, welches ihm mit Hörgerät ein ausreichendes Hörvermögen bescheinigte. Allerdings blieb der Widerspruch erfolglos. Auch im nachfolgenden Gerichtsverfahren beharrte die Behörde weiter auf ihrer Ansicht.

Wann ist ein Fahrerlaubnisentzug wegen Nichtvorlage des Gutachtens rechtmäßig?


Das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße hatte für das Verhalten der Fahrerlaubnisbehörde wenig Verständnis. Der Entzug der Fahrerlaubnis sei offensichtlich rechtswidrig. Zwar habe die Behörde nach dem Verkehrsrecht die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ein Autofahrer als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweise. Dies sei hier jedoch nicht der Fall. Die Behörde dürfe hier aus der Nichtvorlage des Gutachtens einer Begutachtungsstelle für Fahreignung nicht einfach schließen, dass der Betreffende ungeeignet zum Autofahren sei. Schließlich sei die Anordnung des Gutachtens unrechtmäßig erfolgt und obendrein unverhältnismäßig gewesen.

Wann darf ein medizinisches Gutachten über die Fahreignung angeordnet werden?


Dem Gericht zufolge darf ein Gutachten nur dann angeordnet werden, wenn konkrete hinreichende Anhaltspunkte vorliegen, die ernsthafte Zweifel an der Fahreignung des Betreffenden nahelegen. Nicht ausreichend sei ein entfernter Verdacht eines körperlichen Mangels. Nach den Anlagen der Fahrerlaubnisverordnung sei Schwerhörigkeit grundsätzlich kein Grund zur Entziehung der Fahrerlaubnis – solange keine anderen Beeinträchtigungen hinzukämen. Auch trage der Antragsteller ein Hörgerät, mit dem er nach fachärztlichem Attest ein altersnormales Hörvermögen erziele. Das Gericht betrachtete die Entziehung der Fahrerlaubnis im Ergebnis als absolut unzulässig (Beschluss vom 28.01.2016, Az. 3 L 4/16.NW).

Praxistipp zum Fahrerlaubnisentzug wegen eines Hörgeräts


Die Fahrerlaubnisbehörde darf einen älteren Autofahrer nicht zu einer verkehrsmedizinischen Untersuchung schicken, nur weil er ein Hörgerät trägt. Verweigert er die Untersuchung, kann ihm daraufhin auch nicht die Fahrerlaubnis entzogen werden. Bei Problemen mit der Fahrerlaubnisbehörde kann es sich lohnen, Unterstützung bei einem Fachanwalt für Verkehrsrecht zu suchen.

(Ma)


 Ulf Matzen
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