Kopftuchstreit am Arbeitsplatz: Sind Verbote rechtens?

28.03.2025, Redaktion Anwalt-Suchservice
Referendarin,Arbeitnehmerin,Kopftuch,Neutralität Kopftuchverbot bei Rechtsreferendarinnen: Nur geringer Grundrechtseingriff © Rh - Anwalt-Suchservice
Das Wichtigste in Kürze

1. Schulen: Lehrerinnen dürfen grundsätzlich ein Kopftuch tragen. Einige Bundesländer haben jedoch Neutralitätsgesetze, die das Tragen bei konkreter Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität verbieten können.

2. Gerichte: Richter und andere Justizbeamte unterliegen einer strengen Neutralitätspflicht. Im Gerichtssaal und bei sonstigen Tätigkeiten mit Außenwirkung gilt daher ein Kopftuchverbot.

3. Arbeitsplatz: In der Privatwirtschaft darf das Kopftuch grundsätzlich getragen werden. Arbeitgeber können es nur verbieten, wenn es sachliche Gründe gibt, z. B. ein neutrales Unternehmensimage.
Kopftücher gehören als Ausdruck der Zugehörigkeit zum Islam zum Straßenbild. Im Arbeitsleben sind sie allerdings zum Teil recht umstritten. Insbesondere bei staatlichen oder kirchlichen Institutionen kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Arbeitgebern. Dies betrifft auch Gerichte, denn auch Rechtsreferendarinnen muslimischen Glaubens haben das Thema schon auf den Tisch gebracht. 2021 hat der Europäische Gerichtshof zwei neue Urteile gefällt und Grundsätze für die künftige Rechtsprechung entwickelt.

Dürfen Lehrerinnen staatlicher Schulen ein Kopftuch tragen?


Seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2015 darf staatlichen Lehrerinnen das Kopftuch nur noch verboten werden, wenn es tatsächlich im jeweiligen Einzelfall Beschwerden oder Probleme gegeben hat (Beschluss vom 27.1.2015, Az. 1 BvR 471/10).

Gilt das Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch für Berlin?


2020 wurde das Land Berlin dazu verurteilt, einer kopftuchtragenden Muslima eine Entschädigung zu bezahlen, nachdem sie bei der Bewerbung für den Schuldienst nicht berücksichtigt worden war (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27.8.2020, Az. 8 AZR 62/19).

Das Bundesverfassungsgericht hat 2023 eine Verfassungsbeschwerde des Landes Berlin gegen das oben genannte Urteil des Bundesarbeitsgerichts nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 2.2.2023, Az. 1 BvR 1661/21). Damit hat es bekräftigt, dass es bei seiner Rechtsprechung zum Kopftuch bleibt – auch in Berlin.

Daraufhin teilte die Berliner Senatsbildungsverwaltung den Berliner Schulleitern mit, dass sie künftig von ihrer strengen Anwendung des landesrechtlichen Neutralitätsgesetzes abweichen werde. Grundsätzlich dürfen in Berlin seitdem Lehrerinnen mit Kopftuch unterrichten. Verbote sollen nur in begründeten Ausnahmefällen möglich sein. Dies entscheidet dann jeweils die Schulaufsicht. Voraussetzung für ein Verbot ist eine konkrete Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität, zum Beispiel durch missionarische Bemühungen gegenüber Schülern und Studenten.

Wie hat der Europäische Gerichtshof zum Kopftuchverbot am Arbeitsplatz entschieden?


2021 hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit zwei Fällen aus Deutschland beschäftigt. Ein Fall betraf eine Erzieherin in einer überkonfessionellen Kita in Hamburg. Diese war mehrfach abgemahnt worden, weil sie bei der Arbeit ein Kopftuch trug, und wollte die Abmahnungen aus ihrer Personalakte streichen lassen.
Im anderen Fall ging es um eine Angestellte einer Drogeriemarktkette in Süddeutschland. Deren Arbeitgeber hatte ein allgemeines Kopftuchverbot ausgesprochen.

Der EuGH hat entschieden, dass Arbeitgeber durchaus das Recht haben können, ihren Angestellten das Tragen von religiösen Symbolen am Arbeitsplatz zu untersagen. Dies muss allerdings gut begründet werden. Berechtigt kann ein Kopftuchverbot zum Beispiel sein, wenn ein Unternehmen gegenüber seinen Kunden ein Bild der religiösen Neutralität wahren will oder wenn es darum geht, religiösen und sozialen Konflikten vorzubeugen. Allerdings müsse ein wirkliches und vom Arbeitgeber nachgewiesenes Bedürfnis an religiöser Neutralität bestehen, ohne deren Befolgung die unternehmerische Freiheit in Gefahr sei – etwa durch den Verlust von Kunden.

Es geht jedoch nicht ohne weitere Abwägungen. Zum Beispiel muss berücksichtigt werden, dass einige Religionen sich eher durch großflächige religiöse Zeichen ausdrücken, während andere sich mit dezenten kleinen Hinweisen begnügen. Eine echte betriebliche Neutralitätspolitik bedeute, dass jegliche religiösen Zeichen zu unterbinden seien.

Zu berücksichtigen seien darüber hinaus auch nationale Vorschriften. Dies gelte insbesondere in Staaten, in denen die Religionsfreiheit besonders stark ausgeprägt sei – wie in Deutschland. Dann dürften auch abweichende nationale Vorschriften berücksichtigt werden, obwohl das Unionsrecht strenger sei.
Zwar stelle der Wunsch nach religiöser Neutralität ein berechtigtes Anliegen von Unternehmen dar. Besonders in Ländern mit stark ausgeprägter Religionsfreiheit müsse diese aber trotzdem bei der Abwägung berücksichtigt werden (Urteile vom 15.7.2021, Az. C-804/18 und C-341/19).

Beide Verfahren wurden vor dem Bundesarbeitsgericht durch Vergleiche erledigt, ohne dass es zu einem deutschen Urteil in dieser Frage kam.

Generell gilt: Das Urteil des EuGH zeigt, dass ein Kopftuchverbot im Betrieb nur mit einer guten Begründung und konkreten Argumenten ausgesprochen werden kann, die aussagt, warum es im jeweiligen Unternehmen erforderlich ist. Letztendlich läuft dies auf die bisherige deutsche Rechtsprechung hinaus: Nur, wenn es im Betrieb schon konkreten Ärger um das Thema "Kopftuch" gegeben hat, wird ein Verbot vor Gericht Bestand haben.

Welche Regeln gelten für Rechtsreferendarinnen?


Gerichte sind in besonderem Maße der Neutralität verpflichtet. Auch Rechtsreferendare als angehende Juristen treten gelegentlich vor Gericht auf. Dürfen muslimische Rechtsreferendarinnen mit Kopftuch am Richtertisch sitzen?

Ein solcher Fall wurde vor einigen Jahren verhandelt. Dabei ging es um eine Rechtsreferendarin in Augsburg. Die junge Frau muslimischen Glaubens hatte mit Erfolg ihr erstes juristisches Staatsexamen abgelegt. Dann war sie als Beamtin auf Widerruf in den zweijährigen Vorbereitungsdienst bei der bayerischen Justiz eingetreten. Dieses Referendariat leistete sie teilweise am Amtsgericht Augsburg ab. Das Oberlandesgericht München als zuständige Ausbildungsbehörde wies sie an, im Dienst kein Kopftuch zu tragen – zumindest nicht bei Tätigkeiten mit Außenwirkung. Darunter fällt zum Beispiel die Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung am Richtertisch oder das Vernehmen von Zeugen durch die Referendarin. Letzteres gehört bei Rechtsreferendaren zur Ausbildung, kommt aber selten vor. Das Oberlandesgericht orientierte sich bei seiner Anordnung an einer Verordnung des Bayerischen Justizministeriums von 2008. Dies sah die 25-jährige Referendarin als Diskriminierung an. Sie klagte dagegen beim Verwaltungsgericht Augsburg.

Die junge Frau war vor dem Verwaltungsgericht zunächst erfolgreich. Das Gericht sah in dem Kopftuchverbot eine Verletzung der Religions- und Ausbildungsfreiheit, für die es keine Rechtsgrundlage gebe. Kein Gesetz in Bayern verpflichte Rechtsreferendare zur religiösen Neutralität. Das Gericht ließ aber die Berufung zu (VG Augsburg, Urteil vom 30.06.2016, Az. Au 2 K 15.457).

Wie entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof?


Der VGH München wies die Klage wegen Unzulässigkeit ab. Es hatte sich um eine sogenannte Fortsetzungsfeststellungsklage gehandelt, der inzwischen das Fortsetzungsfeststellungsinteresse der Klägerin fehlte. Anders ausgedrückt: Da die Referendarin bei Prozessbeginn längst ihr Referendariat abgeschlossen hatte, wurde ihr auch kein berechtigtes Interesse mehr daran zugestanden, vom Gericht noch die Unwirksamkeit einer dienstlichen Anordnung feststellen zu lassen. Die Ausbildungsbehörde habe das Kopftuchverbot für bestimmte Tätigkeiten ohnehin aufgehoben, sobald die Klägerin ihre Station bei Gericht beendet habe.

Das Kopftuchverbot selbst war nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes kein besonders schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte. Die Klägerin habe ihren juristischen Vorbereitungsdienst absolvieren können – und zwar mit Kopftuch. Das Verbot habe sich nur auf ganz bestimmte richterliche Aufgaben bezogen. Rechtsreferendare hätten jedoch gar keinen Anspruch darauf, diese Aufgaben überhaupt während ihrer Ausbildung wahrzunehmen. Es sei letztendlich um einen einzigen Tag während ihrer zweijährigen Referendarausbildung gegangen. Eine grundsätzliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Verbotes fällte das Gericht nicht (BayVGH, 7.3.2018, Az. 3 BV 16.2040).

Kopftuch am Richtertisch: Ist das in Bayern erlaubt?


Seit 1. April 2018 gibt es in Bayern ein neues Richter- und Staatsanwaltschaftsgesetz. Darin ist ein Neutralitätsgebot verankert. Danach dürfen Richter und Staatsanwälte im Gerichtssaal keine religiös oder weltanschaulich geprägte Kleidung oder ebensolche Symbole tragen. Dieses Verbot gilt sowohl für Kopftücher als auch für christliche Kreuze als Anhänger und alle anderen religiösen Symbole.

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat am 14.3.2019 entschieden, dass Richterinnen, Landesanwältinnen in Bayern bei Gerichtsverhandlungen kein Kopftuch tragen dürfen. Der Staat sei verpflichtet, die Neutralität der Justiz zu garantieren. Diese Pflicht überwiege die Glaubensfreiheit. Es sei jedoch kein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot, wenn in den Gerichtssälen nach wie vor Kreuze bzw. Kruzifixe an der Wand hingen. Die Neutralität des einzelnen Amtsträgers werde durch sie nicht in Frage gestellt (Az. 3-VII-18).

Wie sieht das Bundesverfassungsgericht diese Frage?


Das Bundesverfassungsgericht beschäftigte sich 2017 mit einem ähnlichen Fall aus Hessen. Dort gilt ein ministerieller Erlass, nach dem Referendarinnen, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen, bei einer Gerichtsverhandlung nicht auf der Richterbank sitzen und weder Sitzungsleitungen noch Beweisaufnahmen übernehmen dürfen. Ebenso dürfen sie keine Sitzungsvertretungen für die Amtsanwaltschaft übernehmen und während der Verwaltungsstation keine Anhörungsausschusssitzung leiten. Eine Referendarin hatte gegen diesen Erlass geklagt.

Das Gericht wies ihren Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz jedoch ab: Der weit überwiegende Teil der Ausbildung sei von dem Verbot überhaupt nicht betroffen.
Das Gericht erklärte, dass der deutsche Staat im Sinne des Grundgesetzes keine Beeinflussung zugunsten einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben oder sich mit einem bestimmten Glauben identifizieren dürfe. In der Justiz seien Neutralität und Distanz besonders wichtig. Wenn Rechtsreferendare vor Gericht als Repräsentanten staatlicher Gewalt auftreten würden, müssten sie auch das Neutralitätsgebot beachten. Das islamische Kopftuch sei nun einmal Ausdruck einer religiösen Überzeugung.

Was ist die negative Religionsfreiheit?


Das Bundesverfassungsgericht hat erläutert, dass es durchaus auch eine negative Religionsfreiheit gibt. Das bedeutet: Jeder hat das Recht, nicht an religiösen Handlungen teilzunehmen, wenn er die jeweilige Überzeugung nicht teilt. Es sei nachvollziehbar, dass die Beteiligten an einem Gerichtsprozess sich in diesem Recht verletzt fühlten, wenn die Personen am Richtertisch erkennbar Symbole eines bestimmten Glaubens oder einer bestimmten Weltanschauung zeigten (Beschluss vom 27.6.2017, Az. 2 BvR 1333/17).

Wie hat das Bundesverfassungsgericht 2020 zu einer Rechtsreferendarin in Hessen entschieden?


2020 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass einer Rechtsreferendarin aus Hessen das Tragen eines Kopftuches bei Tätigkeiten mit Außenwirkung untersagt werden kann. Dieser Eingriff in die Religionsfreiheit sei unter anderem durch die negative Religionsfreiheit der Verfahrensbeteiligten gerechtfertigt.

Die Situation vor Gericht sei eine andere als zum Beispiel an einer bekenntnisoffenen Schule. Die Schule habe ja gerade die Aufgabe, die Vielfalt der Gesellschaft widerzuspiegeln. Bei einem Gerichtsverfahren trete der Staat dem Bürger aber sehr viel hoheitlicher gegenüber. Daher müsse er streng auf seine Neutralität achten.

Im Referendariat ginge es nur um ganz wenige Tätigkeiten, auf deren Durchführung auch kein Rechtsanspruch bestünde und die nicht benotet würden. Eine Rechtsreferendarin könne jederzeit mit Kopftuch ihre Ausbildung absolvieren, ohne irgendwelche Tätigkeiten mit Außenwirkung durchzuführen (Beschluss vom 14.1.2020, Az. 2 BvR 1333/17).

Praxistipp zum Kopftuchverbot


Vor Gericht gelten andere Grundsätze für die religiöse Neutralität als an Schulen und in Unternehmen. Wer am Richtertisch sitzt, darf glauben, an was er will. Er oder sie darf jedoch diese Überzeugung nicht offen zeigen. Für Rechtsreferendare beschränkt sich die religiöse Enthaltsamkeit jedoch auf äußerst wenige Gelegenheiten. So führen die meisten Referendare während ihrer Ausbildung nicht mehr als eine einzige Zeugenvernehmung von der Richterbank aus durch. Die Erfolgsaussichten einer Klage sind entsprechend gering. Haben Sie Streit mit Ihrem Arbeitgeber um religiöse Neutralitätspflichten? Dann ist ein Fachanwalt für Arbeitsrecht der richtige Ansprechpartner.

(Wk)


 Günter Warkowski
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