Messfehler bei Blitzern: Wann lohnt sich ein Widerspruch?
18.08.2023, Redaktion Anwalt-Suchservice
© Rh - Anwalt-Suchservice Eine Geschwindigkeitsübertretung ist schnell passiert: Einmal zu schnell gefahren und schon hat es "geblitzt". Umgehend flattert dann dem eiligen Autofahrer ein amtliches Schreiben mit einem Bußgeldbescheid in den Briefkasten. Für den Staat eine lohnende Angelegenheit: Bis zu 100 Millionen Euro klingeln jährlich nach Schätzungen des Deutschen Anwaltvereins in der Staatskasse. Diese Forderungen sind jedoch nicht immer so rechtssicher, wie es den Anschein hat. Die für Geschwindigkeitsmessungen benutzten Geräte sind zum Teil durchaus anfällig für Fehler. Mehrere Gerätetypen sind umstritten. Es kommt auch immer wieder zu Bedienungsfehlern. Nicht selten heben Gerichte Bußgeldbescheide wieder auf.
Die Daten eines "Blitzers" dürfen vor Gericht verwendet werden, wenn es sich um ein sogenanntes "standardisiertes Messverfahren" handelt. Obendrein muss das jeweilige Gerät eine Zulassung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) besitzen. Es muss belegt sein, dass die Messung gemäß den Vorgaben des Geräteherstellers durchgeführt wurde. Sie muss von geschultem Personal und unter Beachtung der Betriebsanleitung durchgeführt worden sein. Sind alle Voraussetzungen erfüllt, können die Messergebnisse zumindest nicht mehr durch pauschale Argumente angegriffen werden. Betroffene können jedoch immer noch einen konkreten Fehler vorbringen, für den es in den Geräte-Aufzeichnungen Anhaltspunkte gibt.
Es gibt mehrere mögliche Gründe für fehlerhafte Geschwindigkeitsmessungen. Darunter sind auch Bedienungsfehler. Zum Beispiel kann ein mobiler "Blitzer" in einem falschen Winkel zur Fahrbahn aufgestellt werden. Gerade bei einer Geschwindigkeitsmessung mit Radargeräten ist dies ein Problem. Ihre Strahlen können durch große Metallflächen im Hintergrund reflektiert werden. Ein solcher Effekt lässt sich auf den Messfotos und den Kalibrierungsfotos des Geräts erkennen. Diese Fotos befinden sich meist in der über den Fall angelegten Akte. Natürlich müssen die Messgeräte regelmäßig geeicht werden. Auch der Eichschein sollte vorliegen.
Manchmal ist auch das Messpersonal nicht ausreichend auf dem Gerät ausgebildet worden. Messfehler können auch durch Außeneinwirkungen zustande kommen, etwa durch Nebel oder Sonnenstrahlen, die das Gerät irritieren. Wenn zwei Autos gleichzeitig am Gerät vorbeifahren, kann die Messung auf das falsche Fahrzeug bezogen werden. Oft prüfen die Behörden die Messdaten nicht nach, weil sie sich auf die Geräte verlassen.
In manchen Fällen arbeiten die Abstandssensoren eines Blitzers ungenau. Es ist auch schon vorgekommen, dass auf dem Blitzer und dem zur Auswertung verwendeten Computer unterschiedliche Software-Versionen installiert waren, die nicht mehr zusammenpassten.
Das Messgerät PoliScan Speed sorgte bereits für einige Gerichtsverfahren. Poliscan Speed wird sowohl mobil als auch in einer fest installierten, runden Säule eingesetzt. Das Gerät ist dafür bekannt, dass es gerne Daten aus einem zu großen Abstand zum Fahrzeug ermittelt, in dem eigentlich noch gar keine Messung stattfinden soll. Erst nach der Messung schießt das Gerät das Beweisfoto. Der Hersteller macht offenbar keine näheren Angaben darüber, wie die Messergebnisse zustande kommen. Diese sind daher für gerichtliche Sachverständige nicht nachvollziehbar. Mehrere Gerichte haben die Daten dieser Geräte daher für nicht verwertbar gehalten (zum Beispiel Amtsgericht Tiergarten, 13.6.2013, Az. (318 OWi) 3034 Js-OWi 489/13 (86/13) und Amtsgericht Emmendingen, 26.2.2014, Az. 5 OWi 530 Js 24840/12).
Dem Oberlandesgericht Düsseldorf zufolge nutzt jedoch auch das PoliScan Speed ein verlässliches, standardisiertes Messverfahren. Schließlich sei das Gerät von der Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt (PTB) zugelassen worden. Nach einer solchen Zulassung müsse man sich keine Gedanken mehr um die genaue Funktionsweise machen (Beschluss vom 14.7.2014, Az. IV-1 RBs 50/14). Das heißt: Die Messungen dieses Geräts können im Rahmen eines Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid nur angefochten werden, wenn ein konkreter Fehler geltend gemacht wird und nicht nur der Gerätetyp. Ähnlich entschieden das OLG Schleswig (Beschluss vom 31.10.2013, Az. 1 Ss OWi 141/13) und das OLG Köln (Beschluss vom 30.10.2012, Az. III-1 RBs 277/12).
In Anhängern montierte Blitzer sind für die Behörden praktisch, denn sie können schnell zum Ort der Messung gebracht werden, ohne dort lange etwas aufzubauen. Auch um diese Geräte gab es schon Gerichtsverfahren. Beispielsweise wurde beim Gerät "TraffiStar S350 Semi-Station" darüber gestritten, ob man dieses nun als festes oder mobiles Messgerät betrachten müsse. Dies ist deshalb wichtig, weil nur die Polizei auf der Autobahn mobile Messungen durchführen darf. Landkreis-Mitarbeiter oder beauftragte Firmen sind dazu nicht befugt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf erklärte jedoch 2017 die TraffiStar-Messergebnisse für verwendbar. Dem Bürger könne es nämlich egal sein, wer seinen Geschwindigkeitsverstoß festgestellt habe (Beschluss vom 7.8.2017, Az. 3 RBs 167/17).
Dazu gibt es jedoch neuere Rechtsprechung: 2019 hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main entschieden, dass Geschwindigkeitsmessungen nicht durch private Unternehmen durchgeführt werden dürfen. Die Überwachung des fließenden Verkehrs stelle eine Kernaufgabe des Staates dar. In diesem Bereich dürfe auch nicht das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (wie hier geschehen) verwendet werden, um hoheitliche Aufgaben auf Privatfirmen zu übertragen (Beschluss vom 6.11.2019, Az. 2 Ss-OWi 942/19). Es bleibt abzuwarten, ob andere Oberlandesgerichte nachziehen.
Auch zum Gerät TraffiStar gibt es neuere Rechtsprechung: 2019 hat das Verfassungsgericht des Saarlandes zum TraffiStar S350 entschieden, dass dessen Ergebnisse vor Gericht nicht als Beweismittel verwendet werden können.
TraffiStar S350 erfasst mit Laserimpuls-Laufzeitmessungen Entfernungs- und Winkelinformationen, aus denen es die Entfernungsänderung eines Objekts über die Zeit und damit auch die gefahrene Geschwindigkeit berechnet.
Aber: Wie oben erwähnt, speichert das TraffiStar nicht alle Messdaten. Es ist damit später vollkommen unmöglich, diese anzufechten. Nach Befragung von drei Sachverständigen erklärte das Gericht: "Das Grundrecht auf wirksame Verteidigung schließt auch in einem Bußgeldverfahren über eine Geschwindigkeitsüberschreitung ein, dass die Rohmessdaten der Geschwindigkeitsmessung zur nachträglichen Plausibilitätskontrolle zur Verfügung stehen."
Zwar könne ein standardisiertes Messverfahren mit einem zugelassenem Gerät nach wie vor nur angegriffen werden, wenn konkrete Einwände gegen die Messung vorgebracht würden. Auch bei einem standardisierten Messverfahren müssten jedoch die Messwerte überprüfbar sein und gespeichert werden. Alles andere verletze das Recht des Bürgers auf ein faires Verfahren (Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, Urteil vom 5.7.2019, Az. Lv 7/17). Das Urteil stellt eine Wende in der Rechtsprechung dar. Es wird voraussichtlich zunächst nur im Saarland angewendet. Inwieweit sich die höheren Gerichte der anderen Bundesländer dem anschließen, muss abgewartet werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat drei Verfassungsbeschwerden abgewiesen, deren Beschwerdeführer von Messgeräten geblitzt worden waren, welche keinerlei Rohmessdaten speichern. Ohne diese Daten ist praktisch keine Überprüfung möglich, ob bei der Geschwindigkeitsmessung alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Zwar bestätigte das Bundesverfassungsgericht, dass Betroffene das Recht hätten, die Rohdaten der Messgeräte einzusehen und mit Hilfe ihres Anwalts zu überprüfen. Dies gebiete das Recht auf ein faires Verfahren. Aber: Aus dieser Rechtsprechung dürfe man nicht folgern, dass die Behörden aus Gründen der Waffengleichheit vor Gericht nur noch Blitzgeräte verwenden dürften, die diese Rohmessdaten auch speichern. Die Beschwerdeführer hätten keine ausreichenden Gründe dafür genannt, warum aus dem Recht auf ein faires Verfahren auch eine Pflicht des Staates folgen sollte, Beweismittel für die Gegenseite zu produzieren (Beschluss vom 20.06.2023, Az. 2 BvR 1167/20 und weitere).
Oft werden für Geschwindigkeitsmessungen auch pistolenförmige Laser-Messgeräte wie zum Beispiel das "Riegl FG 21 – P" verwendet. Diese machen keine Fotos. Problematisch ist ihre Zielgenauigkeit. Diese ist nur gewährleistet, wenn vor der Messung Tests der Visiereinrichtung vorgenommen werden. Fehler lassen sich meist nur durch eine gerichtliche Befragung des Bedienpersonals feststellen.
Manche Geschwindigkeitsmessgeräte arbeiten nach dem Lichtschranken-Prinzip. Der Autoverkehr fährt hier nacheinander an mehreren nebeneinander stehenden Helligkeitssensoren vorbei. Das Beweisfoto wird meist erst nach der eigentlichen Messung erstellt. Dadurch wird jedoch die Zuordnung zum richtigen Fahrzeug erschwert. Wenn mehrere PKW gleichzeitig die Sensoren passieren, erhält womöglich der falsche Fahrer den Bußgeldbescheid.
Die Zulässigkeit des Streckenradars "Section Control" ist ebenfalls umstritten. Hier findet die Geschwindigkeitsmessung nicht an einer einzigen Stelle statt, sondern auf einem Straßenabschnitt von zwei Kilometern. Für die Berechnung einer Durchschnittsgeschwindigkeit müssen jede Menge Daten erhoben und gespeichert werden - auch die von Autofahrern, die sich korrekt verhalten. Dies schließt eine automatische Kennzeichenerfassung ebenso mit ein, wie hochauflösende Fotos des Fahrers.
Hier gab es datenschutzrechtliche Bedenken, die zunächst auch vor Gericht Gehör fanden. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hob jedoch die Entscheidung der Vorinstanz auf. Grund war eine zwischenzeitlich erfolgte Änderung des niedersächsischen Polizeigesetzes, die eine wirksame Rechtsgrundlage für die Datenerhebung schuf. Damit ist die Pilotanlage des Streckenradars an der Bundesstraße 6 bei Hannover zulässig (Urteil vom 13.11.2019, Az. 12 LC 79/19). Das Bundesverwaltungsgericht hat inzwischen bestätigt, dass Niedersachsen dazu befugt war, eine solche Regelung zu erlassen (Beschluss vom 31.7.2020, Az. 3 B 4.20). Auch eine Verfassungsbeschwerde blieb erfolglos (BVerfG, 11.1.2021, Az. 1 BvR 2356/20). Ob ein Streckenradar auch in anderen Bundesländern erlaubt ist, hängt von deren Gesetzgebung ab.
Wer mit zu hohem Tempo "geblitzt" wird, erhält einen Bußgeldbescheid. Dagegen kann man Widerspruch einlegen. Bei Bußgeldbescheiden wird dieser als "Einspruch" bezeichnet. Eine falsche Bezeichnung schadet jedoch nicht. Für den Einspruch hat man ab Erhalt des Bescheids zwei Wochen lang Zeit. Der Einspruch sollte schriftlich abgefasst und per Post an die im Bescheid genannte Behörde geschickt werden. Nicht alle Behörden erkennen Online-Einsprüche an; diese sind auch wegen der schlechten Beweisbarkeit unsicher.
Verwirft die Behörde den Einspruch nicht, weil Sie zum Beispiel die Frist versäumt haben, wird sie die Akte an die Staatsanwaltschaft weiterleiten. Dann findet eine Gerichtsverhandlung mit Ihnen als Beschuldigtem statt. Diese endet entweder mit Ihrem Freispruch oder Sie werden zur Zahlung des Bußgelds und anderen Folgen verurteilt, wie einem Fahrverbot. Dabei ist auch eine Verschärfung der Strafe möglich. Ein positiver Ausgang erfordert, dass Sie entsprechende Beweise vorlegen.
Von einem pauschalen Einspruch ohne gute Argumente ist daher abzuraten. Es empfiehlt sich stattdessen, frühzeitig einen Rechtsanwalt hinzuziehen. Dieser (und nur dieser) kann Einsicht in die Fallakte nehmen, um nach den oben beschriebenen Fehlern zu suchen und konkrete Gründe für die Anfechtung des Bußgeldbescheids zu finden.
Formell gesehen sollte sich aus dem Einspruch ergeben, wer gegen was Einspruch erhebt. Ihr Einspruch muss auch das Aktenzeichen des Bußgeldbescheids enthalten. Sinnvollerweise gibt man auch Ort und Datum des Geschehens an, den Namen des Beschuldigten und die Rechtsfolge (beispielsweise Geldbuße oder Geldbuße mit Fahrverbot). Datum und Unterschrift des Absenders sind unentbehrlich. Eine Begründung ist keine Pflicht, aber sinnvoll.
Eine Ordnungswidrigkeit wie etwa ein Tempoverstoß verjährt nach drei Monaten. Wenn Sie also nach Ablauf dieser Zeitspanne noch keinen Bußgeldbescheid erhalten haben, ist der Vorfall wahrscheinlich verjährt. Einige Vorkommnisse können die Verjährung allerdings unterbrechen. Dazu gehören der Erhalt eines Anhörungsbogens oder interne behördliche Vorgänge wie die Abgabe der Ermittlungsakte an die Staatsanwaltschaft oder das Ansetzen der Gerichtsverhandlung. Diese Verjährungsregelung betrifft nur Bußgelder, nicht Fahrverbote oder Punkte-Anordnungen. Für Straftaten gelten besondere Regelungen.
Immer wieder sind Bußgeldbescheide fehlerhaft oder beruhen auf fehlerhaften Messdaten. Nur ein auf das Verkehrsrecht spezialisierter Rechtsanwalt kann durch Einsicht in die Fallakte, die Messprotokolle und die Beweisfotos feststellen, ob es tatsächlich Fehler gegeben hat. Zum Teil ist der Einsatz eines Sachverständigen notwendig. Anwalt, Gericht und Sachverständiger kosten Geld. Hier hilft eine Rechtsschutzversicherung. Ob sich ein Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid lohnt, hängt nicht zuletzt von der Höhe des Bußgeldes und den anderen Folgen ab: Ein Führerscheinverlust kann auch Ihren Arbeitsplatz gefährden.
Das Wichtigste in Kürze
1. Erfolgschancen: Die Chancen auf Erfolg eines Widerspruchs gegen einen Bußgeldbescheid hängen stark von der Qualität der Beweise ab. Fehler bei der Messung oder bei der Dokumentation können die Chancen erhöhen, erfolgreich Widerspruch einzulegen.
2. Verwendete Messgeräte: Oft arbeiten die Messgeräte nicht korrekt, so dass die Geschwindigkeitsmessung fehlerhaft ist. Das lässt sich nur durch Einsicht in die Fallakte, die Messprotokolle und die Beweisfotos feststellen. Teilweise ist auch die Hinzuziehung eines Sachverständigen notwendig.
3. Rechtsberatung: Eine Erstberatung bei einem auf Verkehrsrecht spezialisierten Anwalt ist grundsätzlich zu empfehlen, um die Erfolgsaussichten eines Widerspruchs zu bewerten und die richtige Vorgehensweise zu wählen. Dies lohnt sich regelmäßig nur, wenn der Geschwindigkeitsverstoß ein hohes Bußgeld und ggf. auch einen Punkt im Zentralregister nach sich gezogen hat.
1. Erfolgschancen: Die Chancen auf Erfolg eines Widerspruchs gegen einen Bußgeldbescheid hängen stark von der Qualität der Beweise ab. Fehler bei der Messung oder bei der Dokumentation können die Chancen erhöhen, erfolgreich Widerspruch einzulegen.
2. Verwendete Messgeräte: Oft arbeiten die Messgeräte nicht korrekt, so dass die Geschwindigkeitsmessung fehlerhaft ist. Das lässt sich nur durch Einsicht in die Fallakte, die Messprotokolle und die Beweisfotos feststellen. Teilweise ist auch die Hinzuziehung eines Sachverständigen notwendig.
3. Rechtsberatung: Eine Erstberatung bei einem auf Verkehrsrecht spezialisierten Anwalt ist grundsätzlich zu empfehlen, um die Erfolgsaussichten eines Widerspruchs zu bewerten und die richtige Vorgehensweise zu wählen. Dies lohnt sich regelmäßig nur, wenn der Geschwindigkeitsverstoß ein hohes Bußgeld und ggf. auch einen Punkt im Zentralregister nach sich gezogen hat.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Welchen Anforderungen müssen Geschwindigkeitsmessungen genügen? Wie kommen Fehler bei Blitzern zustande? Warum ist das Geschwindigkeitsmessgerät PoliScan umstritten? TraffiStar & Co: Was gilt für Blitzer-Anhänger? Wann ist Blitzen durch Firmen erlaubt? Wie hat das saarländische Verfassungsgericht zu TraffiStar entschieden? Update vom 18.8.2023: Bundesverfassungsgericht entscheidet zur Speicherung von Messdaten Was gilt für Laser-Pistolen zur Geschwindigkeitsmessung? Welche Fehler können bei Lichtschranken auftreten? Ist Streckenradar zur Geschwindigkeitsmessung zulässig? Wie kann man gegen fehlerhafte Messergebnisse vorgehen? Wann verjährt eine Verkehrs-Ordnungswidrigkeit? Praxistipp zu Messfehlern bei Blitzern Welchen Anforderungen müssen Geschwindigkeitsmessungen genügen?
Die Daten eines "Blitzers" dürfen vor Gericht verwendet werden, wenn es sich um ein sogenanntes "standardisiertes Messverfahren" handelt. Obendrein muss das jeweilige Gerät eine Zulassung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) besitzen. Es muss belegt sein, dass die Messung gemäß den Vorgaben des Geräteherstellers durchgeführt wurde. Sie muss von geschultem Personal und unter Beachtung der Betriebsanleitung durchgeführt worden sein. Sind alle Voraussetzungen erfüllt, können die Messergebnisse zumindest nicht mehr durch pauschale Argumente angegriffen werden. Betroffene können jedoch immer noch einen konkreten Fehler vorbringen, für den es in den Geräte-Aufzeichnungen Anhaltspunkte gibt.
Wie kommen Fehler bei Blitzern zustande?
Es gibt mehrere mögliche Gründe für fehlerhafte Geschwindigkeitsmessungen. Darunter sind auch Bedienungsfehler. Zum Beispiel kann ein mobiler "Blitzer" in einem falschen Winkel zur Fahrbahn aufgestellt werden. Gerade bei einer Geschwindigkeitsmessung mit Radargeräten ist dies ein Problem. Ihre Strahlen können durch große Metallflächen im Hintergrund reflektiert werden. Ein solcher Effekt lässt sich auf den Messfotos und den Kalibrierungsfotos des Geräts erkennen. Diese Fotos befinden sich meist in der über den Fall angelegten Akte. Natürlich müssen die Messgeräte regelmäßig geeicht werden. Auch der Eichschein sollte vorliegen.
Manchmal ist auch das Messpersonal nicht ausreichend auf dem Gerät ausgebildet worden. Messfehler können auch durch Außeneinwirkungen zustande kommen, etwa durch Nebel oder Sonnenstrahlen, die das Gerät irritieren. Wenn zwei Autos gleichzeitig am Gerät vorbeifahren, kann die Messung auf das falsche Fahrzeug bezogen werden. Oft prüfen die Behörden die Messdaten nicht nach, weil sie sich auf die Geräte verlassen.
In manchen Fällen arbeiten die Abstandssensoren eines Blitzers ungenau. Es ist auch schon vorgekommen, dass auf dem Blitzer und dem zur Auswertung verwendeten Computer unterschiedliche Software-Versionen installiert waren, die nicht mehr zusammenpassten.
Warum ist das Geschwindigkeitsmessgerät PoliScan umstritten?
Das Messgerät PoliScan Speed sorgte bereits für einige Gerichtsverfahren. Poliscan Speed wird sowohl mobil als auch in einer fest installierten, runden Säule eingesetzt. Das Gerät ist dafür bekannt, dass es gerne Daten aus einem zu großen Abstand zum Fahrzeug ermittelt, in dem eigentlich noch gar keine Messung stattfinden soll. Erst nach der Messung schießt das Gerät das Beweisfoto. Der Hersteller macht offenbar keine näheren Angaben darüber, wie die Messergebnisse zustande kommen. Diese sind daher für gerichtliche Sachverständige nicht nachvollziehbar. Mehrere Gerichte haben die Daten dieser Geräte daher für nicht verwertbar gehalten (zum Beispiel Amtsgericht Tiergarten, 13.6.2013, Az. (318 OWi) 3034 Js-OWi 489/13 (86/13) und Amtsgericht Emmendingen, 26.2.2014, Az. 5 OWi 530 Js 24840/12).
Dem Oberlandesgericht Düsseldorf zufolge nutzt jedoch auch das PoliScan Speed ein verlässliches, standardisiertes Messverfahren. Schließlich sei das Gerät von der Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt (PTB) zugelassen worden. Nach einer solchen Zulassung müsse man sich keine Gedanken mehr um die genaue Funktionsweise machen (Beschluss vom 14.7.2014, Az. IV-1 RBs 50/14). Das heißt: Die Messungen dieses Geräts können im Rahmen eines Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid nur angefochten werden, wenn ein konkreter Fehler geltend gemacht wird und nicht nur der Gerätetyp. Ähnlich entschieden das OLG Schleswig (Beschluss vom 31.10.2013, Az. 1 Ss OWi 141/13) und das OLG Köln (Beschluss vom 30.10.2012, Az. III-1 RBs 277/12).
TraffiStar & Co: Was gilt für Blitzer-Anhänger?
In Anhängern montierte Blitzer sind für die Behörden praktisch, denn sie können schnell zum Ort der Messung gebracht werden, ohne dort lange etwas aufzubauen. Auch um diese Geräte gab es schon Gerichtsverfahren. Beispielsweise wurde beim Gerät "TraffiStar S350 Semi-Station" darüber gestritten, ob man dieses nun als festes oder mobiles Messgerät betrachten müsse. Dies ist deshalb wichtig, weil nur die Polizei auf der Autobahn mobile Messungen durchführen darf. Landkreis-Mitarbeiter oder beauftragte Firmen sind dazu nicht befugt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf erklärte jedoch 2017 die TraffiStar-Messergebnisse für verwendbar. Dem Bürger könne es nämlich egal sein, wer seinen Geschwindigkeitsverstoß festgestellt habe (Beschluss vom 7.8.2017, Az. 3 RBs 167/17).
Wann ist Blitzen durch Firmen erlaubt?
Dazu gibt es jedoch neuere Rechtsprechung: 2019 hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main entschieden, dass Geschwindigkeitsmessungen nicht durch private Unternehmen durchgeführt werden dürfen. Die Überwachung des fließenden Verkehrs stelle eine Kernaufgabe des Staates dar. In diesem Bereich dürfe auch nicht das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (wie hier geschehen) verwendet werden, um hoheitliche Aufgaben auf Privatfirmen zu übertragen (Beschluss vom 6.11.2019, Az. 2 Ss-OWi 942/19). Es bleibt abzuwarten, ob andere Oberlandesgerichte nachziehen.
Wie hat das saarländische Verfassungsgericht zu TraffiStar entschieden?
Auch zum Gerät TraffiStar gibt es neuere Rechtsprechung: 2019 hat das Verfassungsgericht des Saarlandes zum TraffiStar S350 entschieden, dass dessen Ergebnisse vor Gericht nicht als Beweismittel verwendet werden können.
TraffiStar S350 erfasst mit Laserimpuls-Laufzeitmessungen Entfernungs- und Winkelinformationen, aus denen es die Entfernungsänderung eines Objekts über die Zeit und damit auch die gefahrene Geschwindigkeit berechnet.
Aber: Wie oben erwähnt, speichert das TraffiStar nicht alle Messdaten. Es ist damit später vollkommen unmöglich, diese anzufechten. Nach Befragung von drei Sachverständigen erklärte das Gericht: "Das Grundrecht auf wirksame Verteidigung schließt auch in einem Bußgeldverfahren über eine Geschwindigkeitsüberschreitung ein, dass die Rohmessdaten der Geschwindigkeitsmessung zur nachträglichen Plausibilitätskontrolle zur Verfügung stehen."
Zwar könne ein standardisiertes Messverfahren mit einem zugelassenem Gerät nach wie vor nur angegriffen werden, wenn konkrete Einwände gegen die Messung vorgebracht würden. Auch bei einem standardisierten Messverfahren müssten jedoch die Messwerte überprüfbar sein und gespeichert werden. Alles andere verletze das Recht des Bürgers auf ein faires Verfahren (Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, Urteil vom 5.7.2019, Az. Lv 7/17). Das Urteil stellt eine Wende in der Rechtsprechung dar. Es wird voraussichtlich zunächst nur im Saarland angewendet. Inwieweit sich die höheren Gerichte der anderen Bundesländer dem anschließen, muss abgewartet werden.
Update vom 18.8.2023: Bundesverfassungsgericht entscheidet zur Speicherung von Messdaten
Das Bundesverfassungsgericht hat drei Verfassungsbeschwerden abgewiesen, deren Beschwerdeführer von Messgeräten geblitzt worden waren, welche keinerlei Rohmessdaten speichern. Ohne diese Daten ist praktisch keine Überprüfung möglich, ob bei der Geschwindigkeitsmessung alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Zwar bestätigte das Bundesverfassungsgericht, dass Betroffene das Recht hätten, die Rohdaten der Messgeräte einzusehen und mit Hilfe ihres Anwalts zu überprüfen. Dies gebiete das Recht auf ein faires Verfahren. Aber: Aus dieser Rechtsprechung dürfe man nicht folgern, dass die Behörden aus Gründen der Waffengleichheit vor Gericht nur noch Blitzgeräte verwenden dürften, die diese Rohmessdaten auch speichern. Die Beschwerdeführer hätten keine ausreichenden Gründe dafür genannt, warum aus dem Recht auf ein faires Verfahren auch eine Pflicht des Staates folgen sollte, Beweismittel für die Gegenseite zu produzieren (Beschluss vom 20.06.2023, Az. 2 BvR 1167/20 und weitere).
Was gilt für Laser-Pistolen zur Geschwindigkeitsmessung?
Oft werden für Geschwindigkeitsmessungen auch pistolenförmige Laser-Messgeräte wie zum Beispiel das "Riegl FG 21 – P" verwendet. Diese machen keine Fotos. Problematisch ist ihre Zielgenauigkeit. Diese ist nur gewährleistet, wenn vor der Messung Tests der Visiereinrichtung vorgenommen werden. Fehler lassen sich meist nur durch eine gerichtliche Befragung des Bedienpersonals feststellen.
Welche Fehler können bei Lichtschranken auftreten?
Manche Geschwindigkeitsmessgeräte arbeiten nach dem Lichtschranken-Prinzip. Der Autoverkehr fährt hier nacheinander an mehreren nebeneinander stehenden Helligkeitssensoren vorbei. Das Beweisfoto wird meist erst nach der eigentlichen Messung erstellt. Dadurch wird jedoch die Zuordnung zum richtigen Fahrzeug erschwert. Wenn mehrere PKW gleichzeitig die Sensoren passieren, erhält womöglich der falsche Fahrer den Bußgeldbescheid.
Ist Streckenradar zur Geschwindigkeitsmessung zulässig?
Die Zulässigkeit des Streckenradars "Section Control" ist ebenfalls umstritten. Hier findet die Geschwindigkeitsmessung nicht an einer einzigen Stelle statt, sondern auf einem Straßenabschnitt von zwei Kilometern. Für die Berechnung einer Durchschnittsgeschwindigkeit müssen jede Menge Daten erhoben und gespeichert werden - auch die von Autofahrern, die sich korrekt verhalten. Dies schließt eine automatische Kennzeichenerfassung ebenso mit ein, wie hochauflösende Fotos des Fahrers.
Hier gab es datenschutzrechtliche Bedenken, die zunächst auch vor Gericht Gehör fanden. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hob jedoch die Entscheidung der Vorinstanz auf. Grund war eine zwischenzeitlich erfolgte Änderung des niedersächsischen Polizeigesetzes, die eine wirksame Rechtsgrundlage für die Datenerhebung schuf. Damit ist die Pilotanlage des Streckenradars an der Bundesstraße 6 bei Hannover zulässig (Urteil vom 13.11.2019, Az. 12 LC 79/19). Das Bundesverwaltungsgericht hat inzwischen bestätigt, dass Niedersachsen dazu befugt war, eine solche Regelung zu erlassen (Beschluss vom 31.7.2020, Az. 3 B 4.20). Auch eine Verfassungsbeschwerde blieb erfolglos (BVerfG, 11.1.2021, Az. 1 BvR 2356/20). Ob ein Streckenradar auch in anderen Bundesländern erlaubt ist, hängt von deren Gesetzgebung ab.
Wie kann man gegen fehlerhafte Messergebnisse vorgehen?
Wer mit zu hohem Tempo "geblitzt" wird, erhält einen Bußgeldbescheid. Dagegen kann man Widerspruch einlegen. Bei Bußgeldbescheiden wird dieser als "Einspruch" bezeichnet. Eine falsche Bezeichnung schadet jedoch nicht. Für den Einspruch hat man ab Erhalt des Bescheids zwei Wochen lang Zeit. Der Einspruch sollte schriftlich abgefasst und per Post an die im Bescheid genannte Behörde geschickt werden. Nicht alle Behörden erkennen Online-Einsprüche an; diese sind auch wegen der schlechten Beweisbarkeit unsicher.
Verwirft die Behörde den Einspruch nicht, weil Sie zum Beispiel die Frist versäumt haben, wird sie die Akte an die Staatsanwaltschaft weiterleiten. Dann findet eine Gerichtsverhandlung mit Ihnen als Beschuldigtem statt. Diese endet entweder mit Ihrem Freispruch oder Sie werden zur Zahlung des Bußgelds und anderen Folgen verurteilt, wie einem Fahrverbot. Dabei ist auch eine Verschärfung der Strafe möglich. Ein positiver Ausgang erfordert, dass Sie entsprechende Beweise vorlegen.
Von einem pauschalen Einspruch ohne gute Argumente ist daher abzuraten. Es empfiehlt sich stattdessen, frühzeitig einen Rechtsanwalt hinzuziehen. Dieser (und nur dieser) kann Einsicht in die Fallakte nehmen, um nach den oben beschriebenen Fehlern zu suchen und konkrete Gründe für die Anfechtung des Bußgeldbescheids zu finden.
Formell gesehen sollte sich aus dem Einspruch ergeben, wer gegen was Einspruch erhebt. Ihr Einspruch muss auch das Aktenzeichen des Bußgeldbescheids enthalten. Sinnvollerweise gibt man auch Ort und Datum des Geschehens an, den Namen des Beschuldigten und die Rechtsfolge (beispielsweise Geldbuße oder Geldbuße mit Fahrverbot). Datum und Unterschrift des Absenders sind unentbehrlich. Eine Begründung ist keine Pflicht, aber sinnvoll.
Wann verjährt eine Verkehrs-Ordnungswidrigkeit?
Eine Ordnungswidrigkeit wie etwa ein Tempoverstoß verjährt nach drei Monaten. Wenn Sie also nach Ablauf dieser Zeitspanne noch keinen Bußgeldbescheid erhalten haben, ist der Vorfall wahrscheinlich verjährt. Einige Vorkommnisse können die Verjährung allerdings unterbrechen. Dazu gehören der Erhalt eines Anhörungsbogens oder interne behördliche Vorgänge wie die Abgabe der Ermittlungsakte an die Staatsanwaltschaft oder das Ansetzen der Gerichtsverhandlung. Diese Verjährungsregelung betrifft nur Bußgelder, nicht Fahrverbote oder Punkte-Anordnungen. Für Straftaten gelten besondere Regelungen.
Praxistipp zu Messfehlern bei Blitzern
Immer wieder sind Bußgeldbescheide fehlerhaft oder beruhen auf fehlerhaften Messdaten. Nur ein auf das Verkehrsrecht spezialisierter Rechtsanwalt kann durch Einsicht in die Fallakte, die Messprotokolle und die Beweisfotos feststellen, ob es tatsächlich Fehler gegeben hat. Zum Teil ist der Einsatz eines Sachverständigen notwendig. Anwalt, Gericht und Sachverständiger kosten Geld. Hier hilft eine Rechtsschutzversicherung. Ob sich ein Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid lohnt, hängt nicht zuletzt von der Höhe des Bußgeldes und den anderen Folgen ab: Ein Führerscheinverlust kann auch Ihren Arbeitsplatz gefährden.
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