Mietshäuser in Berlin: Enteignung privater Vermieter zulässig?
14.02.2019, Redaktion Anwalt-Suchservice
© Bu - Anwalt-Suchservice Das Problem ist bekannt: Wohnen in Deutschland wird immer teurer. Dies gilt insbesondere in Großstädten und Ballungsräumen. Die Mieten steigen rasant, Modernisierungen insbesondere im energetischen Bereich berechtigen die Vermieter zu Mieterhöhungen, die teils drastisch ausfallen. Die bisherigen Schritte des Gesetzgebers – etwa die Mietpreisbremse – zeigen kaum eine Wirkung. Immer mehr Mieter haben Angst, dass sie sich in naher Zukunft ihre Wohnung nicht mehr leisten können. Als Lösungsvorschlag wird die Enteignung von großen Wohnungsunternehmen ins politische Spiel gebracht.
In den 1990er Jahren wurden etwa 130.000 Berliner Wohnungen aus kommunalen Beständen an privatwirtschaftliche Unternehmen wie die Deutsche Wohnen SE verkauft. Heute wird von der Politik und verschiedenen Initiativen eine Enteignung gefordert. Dies soll Unternehmen betreffen, denen jeweils mehr als 3.000 Wohnungen gehören. Insgesamt geht es im Land Berlin um etwa 190.000 Wohnungen. Das Unternehmen “Deutsche Wohnen” steht bei manchen Mietern und den Initiatoren des Volksbegehrens nicht eben hoch im Kurs – hier gibt es viel Kritik, unter anderem wegen hoher Mietsteigerungen nach Modernisierungen. Das Unternehmen selbst wehrt sich jedoch vehement und bezeichnet die Vorwürfe als nicht gerechtfertigt.
Die Enteignung ist in Art. 14 des Grundgesetzes (GG) geregelt. Eine Enteignung von Grundstücken ist in Deutschland nach dieser Vorschrift erlaubt, wenn sie dem Wohl der Allgemeinheit dient. Sie darf nur auf Grundlage eines Gesetzes erfolgen. Dieses muss auch Art und Höhe einer Entschädigung regeln. Ohne Entschädigung gibt es keine Enteignung. Die Höhe der Entschädigung ist dabei unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen.
Wichtig: Ein solcher Eingriff in das vom Grundgesetz geschützte Eigentum muss nach dem rechtsstaatlichen Übermaßverbot erforderlich und darf für den Enteigneten nicht unverhältnismäßig belastend sein.
Enteignungen auf dieser Grundlage werden zum Beispiel vorgenommen, um kleinere Grundstücksteile für Straßenbauprojekte in Anspruch zu nehmen. Die Voraussetzungen einer Enteignung für Bauprojekte regelt § 87 des Baugesetzbuches.
Eine sogenannte Sozialisierung von Eigentum kann nach Art. 15 des Grundgesetzes stattfinden. Danach kann Grund und Boden zum Zwecke der Vergesellschaftung in Gemeineigentum überführt werden. Auch hier ist ein Gesetz erforderlich, auch hier ist eine Entschädigung vorgesehen. Auf diese sind die Regelungen über die Enteignungsentschädigung entsprechend anwendbar.
Wenn in großem Stil Wohnungen im Eigentum von Wohnungsgesellschaften in das Eigentum staatlicher oder städtischer Gesellschaften überführt werden sollen, kommt hier eher die Sozialisierung in Betracht. Grund: Hier geht es nicht darum, dass eine staatliche Stelle im Einzelfall ein Grundstück für ein der Allgemeinheit dienendes Infrastrukturprojekt (z.B. eine Straße) braucht, sondern um eine politische Richtungsänderung mit Blick auf den Wohnungseigentümer (Privat versus Staat). Die Erschaffer des Grundgesetzes wollten bewusst diese Möglichkeit offen halten. Deshalb gibt es bei der Sozialisierung auch kein Übermaßverbot zu beachten, das bei Enteignungen eine zusätzliche Hürde darstellt.
Allerdins: Artikel 15 Grundgesetz wurde noch nie angewendet.
Um eine Sozialisierung durchzuführen, müsste das Land Berlin ein Gesetz erlassen, in dem die Einzelheiten einer Übertragung des Eigentums an den Wohnungen von den Wohnungsgesellschaften auf eine städtische Wohnungsgesellschaft genau festgelegt sind. Auch eine Entschädigung müsste in dem Gesetz geregelt werden.
Wie hoch die Entschädigung sein muss, wird für Teil 2 des Streites sorgen. Nach Meinung der betroffenen Unternehmen ist dafür der Verkehrswert der Wohnungen anzusetzen. Aus Sicht mancher Politiker würde ein symbolischer Betrag als Entschädigung ausreichen. Die grundgesetzlichen Regelungen dazu sind wenig konkret.
Die Höhe der Entschädigung müsste nach dem Grundgesetz durch gerechten Ausgleich der öffentlichen und privaten Belange per Gesetz bestimmt werden. In einer Entscheidung um die Enteignung eines Grundstücks zwecks Bau einer Landebahn des Flughafens Berlin-Schönefeld führte das Bundesverfassungsgericht dazu aus:
“Eine starre, allein am Marktwert orientierte Entschädigung ist somit dem Grundgesetz fremd. Es trifft auch nicht zu, dass den Enteigneten durch die Entschädigung stets das “volle Äquivalent für das Genommene gegeben werden muss”. Der Gesetzgeber kann je nach den Umständen vollen Ersatz, aber auch eine darunter liegende Entschädigung bestimmen” (Az. 1 BvR 2736/08).
Bei einer Enteignung für öffentliche Bauprojekte auf Basis des Baugesetzbuches ist nach § 95 BauGB der Verkehrswert heranzuziehen – also der Marktpreis des Grundstückes. Wertänderungen infolge der bevorstehenden Enteignung bleiben außer Betracht.
Wie hoch eine Entschädigung im Falle einer Sozialisierung sein könnte, ist im Grunde völlig offen, und müsste im jeweiligen Einzelfall durch die Gerichte geklärt werden.
Auch kommunale Wohnungsunternehmen müssen Gewinne erwirtschaften – wenn auch nicht in dem Maße, in dem dies rein kommerzielle Unternehmen tun. Auch kommunale Wohnungsunternehmen kommen um energetische Modernisierungen nicht herum; der Gesetzgeber, mithin der Staat, hat sie ja angeordnet. Und diese Kosten müssen irgendwie finanziert werden. Die Mieten der vom Staat gekauften Wohnungen würden deshalb nicht sinken, sondern allenfalls etwas langsamer steigen.
Öffentliche Wohnungsunternehmen dürfen in Berlin bei laufenden Mietverträgen die Mieten seit 2017 nur noch um höchstens zwei Prozent im Jahr steigern. Nach einer Modernisierung dürfen sie die Miete um höchstens sechs Prozent der Modernisierungskosten anheben – bei privatwirtschaftlichen Unternehmen sind es aktuell acht Prozent.
Großen privaten Wohnungsgesellschaften wird zudem vorgeworfen, die Nebenkosten in die Höhe zu treiben, indem sie Dienstleistungen um die Immobilie an eigene Tochterfirmen vergeben, die mit hohen Preisen auch wieder Gewinn erwirtschaften. Bei einer städtischen Gesellschaft könnte unter Umständen bessere Kostenkontrolle betrieben werden, was die Mieter entlasten würde - wohlgemerkt: könnte.
Zu bedenken ist vor allem auch, dass durch eine Änderung der Eigentumsverhältnisse nicht mehr Wohnungen entstehen, der Nachfragedruck seitens der Mieter also hoch bleibt. Andererseits ist einleuchtend, dass Investoren durch Enteignungen eher abgeschreckt werden. Die Erwartung, dass Enteignungen eine Entspannung für den Wohnungsmarkt bringen, ist deshalb verfehlt.
Ab 6. April 2019 beginnt die Unterschriftensammlung für das Volksbegehren. Dann müssen in sechs Monaten 20.000 Unterschriften zusammenkommen. In einer zweiten Phase müssen sieben Prozent der Stimmberechtigten für die Aktion gewonnen werden – dies wären etwa 170.000 Personen. Das Abgeordnetenhaus muss jedoch dem Volksbegehren nicht entsprechen. In diesem Fall wird ein Volksentscheid folgen. Auch dessen Ergebnis ist jedoch nicht verbindlich.
Dass es wirklich zu einer großangelegten Enteignung kommt, ist – trotz der positiven Reaktionen vieler Berliner und auch vieler Politiker auf die Initiative – eher unwahrscheinlich. Die Enteignung wäre mit Kosten in Milliardenhöhe verbunden. Eine rein symbolische Entschädigung wird vor Gericht sehr wahrscheinlich keinen Bestand haben.
Mieter, die sich durch Mieterhöhungen nach Modernisierungsmaßnahmen oder andere Schritte von Wohnungsunternehmen benachteiligt fühlen, haben auch nach der gültigen Gesetzgebung viele Rechte. In vielen Fällen können Härtefälle geltend gemacht werden, um Modernisierungsmaßnahmen zu widersprechen. Bestehen Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Mieterhöhung, sollte man diese fachkundig überprüfen lassen. Die Beratung durch einen Fachanwalt für Mietrecht hilft Mietern, ihre Rechte zu erkennen und zu wahren.
In Berlin schlagen die Emotionen hoch. Eine Initiative fordert ein Volksbegehren zur Enteignung von Wohnungen, die großen Immobilienkonzernen gehören. Der rot-rot-grün regierte Berliner Senat steht dem Gedanken offen gegenüber.
Aber ist so etwas zulässig?
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Was ist der Hintergrund? Was ist der Unterschied zwischen Enteignung und Sozialisierung? Was sind die Voraussetzungen? Wonach richtet sich die Höhe der Entschädigung? Welche Folgen hätte dies für Mieter? Wie geht es weiter? Praxistipp Was ist der Hintergrund?
In den 1990er Jahren wurden etwa 130.000 Berliner Wohnungen aus kommunalen Beständen an privatwirtschaftliche Unternehmen wie die Deutsche Wohnen SE verkauft. Heute wird von der Politik und verschiedenen Initiativen eine Enteignung gefordert. Dies soll Unternehmen betreffen, denen jeweils mehr als 3.000 Wohnungen gehören. Insgesamt geht es im Land Berlin um etwa 190.000 Wohnungen. Das Unternehmen “Deutsche Wohnen” steht bei manchen Mietern und den Initiatoren des Volksbegehrens nicht eben hoch im Kurs – hier gibt es viel Kritik, unter anderem wegen hoher Mietsteigerungen nach Modernisierungen. Das Unternehmen selbst wehrt sich jedoch vehement und bezeichnet die Vorwürfe als nicht gerechtfertigt.
Was ist der Unterschied zwischen Enteignung und Sozialisierung?
Die Enteignung ist in Art. 14 des Grundgesetzes (GG) geregelt. Eine Enteignung von Grundstücken ist in Deutschland nach dieser Vorschrift erlaubt, wenn sie dem Wohl der Allgemeinheit dient. Sie darf nur auf Grundlage eines Gesetzes erfolgen. Dieses muss auch Art und Höhe einer Entschädigung regeln. Ohne Entschädigung gibt es keine Enteignung. Die Höhe der Entschädigung ist dabei unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen.
Wichtig: Ein solcher Eingriff in das vom Grundgesetz geschützte Eigentum muss nach dem rechtsstaatlichen Übermaßverbot erforderlich und darf für den Enteigneten nicht unverhältnismäßig belastend sein.
Enteignungen auf dieser Grundlage werden zum Beispiel vorgenommen, um kleinere Grundstücksteile für Straßenbauprojekte in Anspruch zu nehmen. Die Voraussetzungen einer Enteignung für Bauprojekte regelt § 87 des Baugesetzbuches.
Eine sogenannte Sozialisierung von Eigentum kann nach Art. 15 des Grundgesetzes stattfinden. Danach kann Grund und Boden zum Zwecke der Vergesellschaftung in Gemeineigentum überführt werden. Auch hier ist ein Gesetz erforderlich, auch hier ist eine Entschädigung vorgesehen. Auf diese sind die Regelungen über die Enteignungsentschädigung entsprechend anwendbar.
Wenn in großem Stil Wohnungen im Eigentum von Wohnungsgesellschaften in das Eigentum staatlicher oder städtischer Gesellschaften überführt werden sollen, kommt hier eher die Sozialisierung in Betracht. Grund: Hier geht es nicht darum, dass eine staatliche Stelle im Einzelfall ein Grundstück für ein der Allgemeinheit dienendes Infrastrukturprojekt (z.B. eine Straße) braucht, sondern um eine politische Richtungsänderung mit Blick auf den Wohnungseigentümer (Privat versus Staat). Die Erschaffer des Grundgesetzes wollten bewusst diese Möglichkeit offen halten. Deshalb gibt es bei der Sozialisierung auch kein Übermaßverbot zu beachten, das bei Enteignungen eine zusätzliche Hürde darstellt.
Allerdins: Artikel 15 Grundgesetz wurde noch nie angewendet.
Was sind die Voraussetzungen?
Um eine Sozialisierung durchzuführen, müsste das Land Berlin ein Gesetz erlassen, in dem die Einzelheiten einer Übertragung des Eigentums an den Wohnungen von den Wohnungsgesellschaften auf eine städtische Wohnungsgesellschaft genau festgelegt sind. Auch eine Entschädigung müsste in dem Gesetz geregelt werden.
Wonach richtet sich die Höhe der Entschädigung?
Wie hoch die Entschädigung sein muss, wird für Teil 2 des Streites sorgen. Nach Meinung der betroffenen Unternehmen ist dafür der Verkehrswert der Wohnungen anzusetzen. Aus Sicht mancher Politiker würde ein symbolischer Betrag als Entschädigung ausreichen. Die grundgesetzlichen Regelungen dazu sind wenig konkret.
Die Höhe der Entschädigung müsste nach dem Grundgesetz durch gerechten Ausgleich der öffentlichen und privaten Belange per Gesetz bestimmt werden. In einer Entscheidung um die Enteignung eines Grundstücks zwecks Bau einer Landebahn des Flughafens Berlin-Schönefeld führte das Bundesverfassungsgericht dazu aus:
“Eine starre, allein am Marktwert orientierte Entschädigung ist somit dem Grundgesetz fremd. Es trifft auch nicht zu, dass den Enteigneten durch die Entschädigung stets das “volle Äquivalent für das Genommene gegeben werden muss”. Der Gesetzgeber kann je nach den Umständen vollen Ersatz, aber auch eine darunter liegende Entschädigung bestimmen” (Az. 1 BvR 2736/08).
Bei einer Enteignung für öffentliche Bauprojekte auf Basis des Baugesetzbuches ist nach § 95 BauGB der Verkehrswert heranzuziehen – also der Marktpreis des Grundstückes. Wertänderungen infolge der bevorstehenden Enteignung bleiben außer Betracht.
Wie hoch eine Entschädigung im Falle einer Sozialisierung sein könnte, ist im Grunde völlig offen, und müsste im jeweiligen Einzelfall durch die Gerichte geklärt werden.
Welche Folgen hätte dies für Mieter?
Auch kommunale Wohnungsunternehmen müssen Gewinne erwirtschaften – wenn auch nicht in dem Maße, in dem dies rein kommerzielle Unternehmen tun. Auch kommunale Wohnungsunternehmen kommen um energetische Modernisierungen nicht herum; der Gesetzgeber, mithin der Staat, hat sie ja angeordnet. Und diese Kosten müssen irgendwie finanziert werden. Die Mieten der vom Staat gekauften Wohnungen würden deshalb nicht sinken, sondern allenfalls etwas langsamer steigen.
Öffentliche Wohnungsunternehmen dürfen in Berlin bei laufenden Mietverträgen die Mieten seit 2017 nur noch um höchstens zwei Prozent im Jahr steigern. Nach einer Modernisierung dürfen sie die Miete um höchstens sechs Prozent der Modernisierungskosten anheben – bei privatwirtschaftlichen Unternehmen sind es aktuell acht Prozent.
Großen privaten Wohnungsgesellschaften wird zudem vorgeworfen, die Nebenkosten in die Höhe zu treiben, indem sie Dienstleistungen um die Immobilie an eigene Tochterfirmen vergeben, die mit hohen Preisen auch wieder Gewinn erwirtschaften. Bei einer städtischen Gesellschaft könnte unter Umständen bessere Kostenkontrolle betrieben werden, was die Mieter entlasten würde - wohlgemerkt: könnte.
Zu bedenken ist vor allem auch, dass durch eine Änderung der Eigentumsverhältnisse nicht mehr Wohnungen entstehen, der Nachfragedruck seitens der Mieter also hoch bleibt. Andererseits ist einleuchtend, dass Investoren durch Enteignungen eher abgeschreckt werden. Die Erwartung, dass Enteignungen eine Entspannung für den Wohnungsmarkt bringen, ist deshalb verfehlt.
Wie geht es weiter?
Ab 6. April 2019 beginnt die Unterschriftensammlung für das Volksbegehren. Dann müssen in sechs Monaten 20.000 Unterschriften zusammenkommen. In einer zweiten Phase müssen sieben Prozent der Stimmberechtigten für die Aktion gewonnen werden – dies wären etwa 170.000 Personen. Das Abgeordnetenhaus muss jedoch dem Volksbegehren nicht entsprechen. In diesem Fall wird ein Volksentscheid folgen. Auch dessen Ergebnis ist jedoch nicht verbindlich.
Dass es wirklich zu einer großangelegten Enteignung kommt, ist – trotz der positiven Reaktionen vieler Berliner und auch vieler Politiker auf die Initiative – eher unwahrscheinlich. Die Enteignung wäre mit Kosten in Milliardenhöhe verbunden. Eine rein symbolische Entschädigung wird vor Gericht sehr wahrscheinlich keinen Bestand haben.
Praxistipp
Mieter, die sich durch Mieterhöhungen nach Modernisierungsmaßnahmen oder andere Schritte von Wohnungsunternehmen benachteiligt fühlen, haben auch nach der gültigen Gesetzgebung viele Rechte. In vielen Fällen können Härtefälle geltend gemacht werden, um Modernisierungsmaßnahmen zu widersprechen. Bestehen Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Mieterhöhung, sollte man diese fachkundig überprüfen lassen. Die Beratung durch einen Fachanwalt für Mietrecht hilft Mietern, ihre Rechte zu erkennen und zu wahren.
(Bu)