Muss man im Bewerbungsgespräch immer die Wahrheit sagen?

09.09.2025, Redaktion Anwalt-Suchservice
Bewerbungsgespräch,Lügen,Schummeln,Vorstrafen Im Vorstellungsgespräch muss man nicht immer die Wahrheit sagen. © - freepik
Das Wichtigste in Kürze

1. Recht auf faire Fragen: Arbeitgeber dürfen im Vorstellungsgespräch nur Fragen stellen, die für die Stelle relevant sind. Unzulässig sind z. B. Fragen zu Schwangerschaft, Familienplanung, Religion oder Gewerkschaftszugehörigkeit.

2. Recht auf Schutz der Daten: Persönliche Angaben und Bewerbungsunterlagen dürfen nur für den Bewerbungsprozess verwendet und nicht ohne Zustimmung weitergegeben werden.

3. Recht auf Lüge bei unzulässigen Fragen: Wird im Bewerbungsgespräch eine unzulässige Frage gestellt, darf der Bewerber sie nicht nur verweigern, sondern sogar rechtmäßig falsch beantworten.
Ein Bewerbungsgespräch stellt eine Chance für den Arbeitgeber dar, Bewerber besser kennenzulernen. Auch diese haben dabei jedoch klare Rechte. Viele persönliche Fragen sind rechtlich tabu und Diskriminierungen sind ausdrücklich verboten. Bewerber, die ihre Rechte kennen, können im Gespräch selbstbewusster auftreten und unfaire Situationen souverän meistern.

Welche Grundsätze gelten für Fragen im Bewerbungsgespräch?


Der Arbeitgeber darf grundsätzlich nach allen Umständen fragen, die Einfluss auf das Arbeitsverhältnis haben. Allerdings muss er ein berechtigtes, schutzwürdiges Interesse an der Antwort haben, welches das Interesse des Bewerbers an der Geheimhaltung überwiegt. Wenn dies der Fall ist, muss der Bewerber wahrheitsgemäß antworten. Auch dürfen die Fragen des Arbeitgebers nicht gegen die Diskriminierungsverbote aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz verstoßen.

Welche Fragen sind im Vorstellungsgespräch erlaubt?


Ohne weiteres zulässig sind Fragen, die unmittelbar mit der Eignung für die Stelle zu tun haben. Dazu gehören die Qualifikation des Bewerbers, seine Berufserfahrung und fachlichen Kenntnisse, der mögliche Eintrittstermin und seine Gehaltsvorstellungen. Aber auch nach seiner Wechselmotivation, dem Vorhandensein von Führerschein/KFZ (wenn erforderlich), Nebentätigkeiten (soweit Interessenkonflikte möglich sind), bestehenden Wettbewerbsverboten sowie arbeitsplatzbezogenen Zuverlässigkeitsthemen (z. B. Sicherheitsüberprüfung für besonders sensible Tätigkeiten) darf gefragt werden.

Welche Fragen sind im Bewerbungsgespräch nicht erlaubt?


Nicht erlaubt sind Fragen, die das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) oder das Persönlichkeitsrecht verletzen, weil sie mit der unmittelbaren Eignung für die Stelle nichts zu tun haben. Dazu gehören Fragen nach:

- Schwangerschaft, Familienplanung, Ehestand,

- Religion/Weltanschauung (Ausnahmen gelten bei sogenannten Tendenzbetrieben, bei denen die Religion engen Zusammenhang mit der Tätigkeit hat, etwa im kirchlichen Bereich),

- sexueller Identität,

- Gewerkschafts- oder Parteizugehörigkeit (Ausnahmen möglich bei echten Funktionsanforderungen, z. B. politische Funktionen),

- privaten Vermögensverhältnissen (Schulden), soweit nicht sicherheitsrelevant,

- Krankheiten / Behinderungen: Fragen sind nur zulässig, wenn sie konkret arbeitsplatzrelevant sind (z. B. ansteckende Erkrankung in patientennaher Tätigkeit, zwingende gesundheitliche Eignungsvoraussetzungen). Generelle Gesundheitsfragen, etwa nach dem HIV-Status, sind unzulässig.

- Schwerbehinderung: Die Frage danach kann zulässig sein, wenn dies Einfluss auf den Arbeitsplatz oder das Arbeitsverhältnis hat, weil wegen der Behinderung zum Beispiel besondere Arbeitsschutzmaßnahmen oder Einrichtungen am Arbeitsplatz notwendig sind.

- Herkunft, Alter: unzulässig, wenn die Fragen über das hinausgehen, was rechtlich erforderlich ist.

Wichtig: Entscheidend ist immer, ob die Information erforderlich ist, um die konkreten Kernaufgaben der Stelle sachlich zu beurteilen. Nur dann ist die Frage erlaubt.

Muss man im Bewerbungsgespräch Vorstrafen mitteilen?


Pauschale Fragen nach Vorstrafen sind im Vorstellungsgespräch unzulässig. Der Arbeitgeber darf nur eng bezogen auf die konkrete Stelle nach Vorstrafen fragen (zum Beispiel nach Vermögensdelikten bei einer Kassentätigkeit oder nach einschlägigen Delikten bei einer Arbeit mit Kindern). Nach tilgungsreifen/gelöschten Einträgen aus dem Bundeszentralregister darf nicht gefragt werden.

Das Bundesarbeitsgericht hat dazu entschieden: Im Vorstellungsgespräch ist die Frage nach einer Vorstrafe oder nach laufenden Ermittlungsverfahren erlaubt, wenn diese bei objektiver Betrachtung berechtigt erscheint und unmittelbaren Bezug zum Arbeitsplatz oder zur dafür erforderlichen Eignung des Bewerbers hat (Urteil vom 6.9.2012, Az. 2 AZR 270/11). Ein solcher Fall liegt zum Beispiel vor, wenn sich jemand auf eine Stelle als Kassierer bewirbt, der wegen Diebstahl oder Unterschlagung vorbestraft ist. Andererseits hätte eine Vorstrafe wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss in diesem Fall nichts mit dem Arbeitsverhältnis zu tun. Dies würde wiederum bei einem Lkw-Fahrer anders aussehen.

Beispiel: Vor dem Arbeitsgericht Bonn ging es um einen jungen Mann, der sich um einen Ausbildungsplatz für Lagerlogistik beworben hatte. Dieser musste beim Vorstellungsgespräch ein Personalblatt ausfüllen, in dem auch nach "gerichtlichen Verurteilungen / schwebenden Verfahren" gefragt wurde. Der Bewerber kreuzte "nein" an. Tatsächlich lief jedoch gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Raub. Er bekam die Stelle. Als dann die Lüge ans Licht kam, weil er zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, löste der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung auf.

Der Azubi bekam jedoch vor dem Arbeitsgericht recht. Der Arbeitgeber habe kein allgemeines Fragerecht nach Vorstrafen oder Ermittlungsverfahren aller Art. Er dürfe nur nach Umständen mit Bezug zum konkreten Arbeitsplatz fragen. Wenn der Chef hier konkret nach Vermögensdelikten gefragt hätte, wäre die Sache unter Umständen anders ausgegangen (Urteil vom 20.5.2020, Az. 5 Ca 83/20).

Darüber hinaus gilt: Bewerber müssen auch keine Auskunft geben über Strafen, die nicht im Führungszeugnis, also im Auszug aus dem Bundeszentralregister, auftauchen, oder die daraus bereits wieder gestrichen worden sind. In diesen Fällen dürfen sie sich selbst als "nicht vorbestraft" bezeichnen.

Muss ein Bewerber alle Fragen wahrheitsgemäß beantworten?


Zulässige Fragen müssen Bewerber wahrheitsgemäß beantworten. Vorsätzliche Falschangaben zu zulässigen Punkten können eine spätere Anfechtung oder Kündigung des Arbeitsvertrags rechtfertigen.

Unzulässige Fragen jedoch müssen nicht beantwortet werden. Hier besteht das anerkannte Recht zur Lüge. Eine falsche Antwort auf eine unzulässige Frage darf also keine negativen rechtlichen Folgen für den Bewerber haben.

Darf ein Bewerber Antworten verweigern?


Bei unzulässigen Fragen dürfen Bewerber die Antwort verweigern oder auf die Unzulässigkeit hinweisen. Dies kann jedoch rein praktisch zur Folge haben, dass sie die Stelle nicht bekommen. Es kann sinnvoller sein, in diesem Fall die Unwahrheit zu sagen. Dies darf dann später nicht zu negativen Konsequenzen führen.

Welche Folge hat unberechtigtes Lügen oder Verschweigen relevanter Fakten?


Bei einer arglistigen Täuschung, etwa durch Verschweigen, kann der jeweilige Vertragspartner den bereits abgeschlossenen Vertrag anfechten und sich davon wieder lösen. Er muss also nicht einmal kündigen. Dies ergibt sich aus § 123 Abs.1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Beim Arbeitsvertrag gibt es jedoch Besonderheiten. Bewerber sind – mit einigen Ausnahmen – nicht dazu verpflichtet, dem künftigen Arbeitgeber für sie ungünstige Umstände ungefragt mitzuteilen. Der künftige Arbeitgeber muss im Vorstellungsgespräch also nicht ohne Anlass über Vorstrafen oder Schwangerschaft aufgeklärt werden. Um die Ausnahmen geht es im nächsten Absatz.

Über welche Umstände muss ein Bewerber von sich aus aufklären?


Arbeitnehmer haben die Pflicht, den künftigen Arbeitgeber ungefragt über Umstände aufzuklären, welche eine Erfüllung von arbeitsvertraglichen Pflichten von vornherein unmöglich machen würden oder welche für den Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung sind. Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn gesundheitliche Beschwerden die Arbeitstauglichkeit im entsprechenden Beruf maßgeblich beeinträchtigen können.

Diskriminierung: Welche Rechte gibt das Gleichbehandlungsgesetz Bewerbern im Vorstellungsgespräch?


Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt Bewerber unter anderem vor einer Benachteiligung wegen Rasse/ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion/Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexueller Identität. Es verbietet sowohl offene als auch verdeckte Diskriminierungen. Das Gesetz gilt für unterschiedliche Vertragsverhältnisse, darunter Arbeitsverträge.

Beschäftigten gibt es bei einer Diskriminierung das Recht auf

- Beschwerde bei der zuständigen Stelle im Betrieb,
- bei fehlenden Gegenmaßnahmen des Arbeitgebers auf Leistungsverweigerung bei voller Lohnzahlung, wenn dies zu ihrem Schutz erforderlich ist,
- Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Gerade bei der Leistungsverweigerung ist äußerste Vorsicht geboten. Eine unberechtigte Arbeitsverweigerung gibt dem Arbeitgeber einen Grund für eine fristlose Kündigung. Ein solcher Schritt sollte nur nach Beratung durch einen Rechtsanwalt erfolgen.

Im Übrigen gilt das Maßregelungsverbot: Kein Arbeitnehmer darf Nachteile erleiden, weil er sich auf seine gesetzlichen Rechte beruft (§ 16 AGG).

Praxistipp zum Bewerbungsgespräch


Auch im Bewerbungsgespräch fährt man grundsätzlich mit Ehrlichkeit am besten. Lügen darf man im Bewerbungsgespräch dann, wenn der Arbeitgeber unzulässige Fragen stellt. Bei Fragen im Zusammenhang mit der Bewerbung oder einer möglichen Diskriminierung bei der Jobsuche ist ein Fachanwalt für Arbeitsrecht der beste Ansprechpartner.

(Bu)


 Stephan Buch
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