Pflegedienst: Geld nur für qualifiziertes Personal?
10.09.2020, Redaktion Anwalt-Suchservice
© - freepik Die Pflegeversicherung stellt einen wichtigen Bestandteil der Finanzierung einer Pflege dar. Die gesetzliche Pflegeversicherung gibt es in Deutschland seit 1995. Darin sind gesetzlich krankenversicherte Personen automatisch versichert. Wer privat versichert ist, ist dementsprechend Mitglied einer privaten Pflegeversicherung.
Ein Pflegedienst hatte bei einem behinderten Kind, das zu Hause gepflegt wurde, ambulante Pflegeleistungen erbracht. Der 2010 geborene Junge litt unter einer sogenannten Zwerchfellhermie und benötigte daher intensive Pflege. Die Familie war privat versichert; die Versicherung betrachtete eine häusliche Intensiv- und Behandlungspflege als erforderlich und wollte die Kosten dafür mit einem Stundensatz von 35 Euro übernehmen. Daraufhin schloss die Mutter des Jungen mit einem Pflegedienst einen Vertrag ab.
In diesem Pflegevertrag wurde darauf hingewiesen, dass der Pflegedienst Leistungen nach Vereinbarung erbringen könne, weil er durch Versorgungsvertrag gemäß § 72 des 11. Sozialgesetzbuches (SGB XI) zugelassen sei und mit den Pflegekassen abrechnen dürfe. Der Pflegedienst habe einen Vertrag nach § 132a Abs. 2 SGB V abgeschlossen und könne daher auch mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen.
Zum Leistungsumfang und zur Vergütung besagte der Vertrag, dass der Pflegedienst Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung - soweit bewilligt - und der Pflegeversicherung oder anderer Sozialleistungsträger direkt mit diesen abrechne. Der Kunde müsse jedoch Leistungen selbst bezahlen, die nicht bewilligt worden seien. Auch dabei werde jedoch der mit den gesetzlichen Krankenkassen vereinbarte Vergütungssatz angewendet.
Nun war jedoch die Mutter nicht gesetzlich versichert. Daher schrieb der Pflegedienst Rechnungen, die sie bei ihrer privaten Krankenkasse wie üblich einreichte.
Auf seiner Homepage warb der Pflegedienst damit, dass das Vertrauen der Kunden durch qualifiziertes Personal zustande komme. Für dieses Unternehmen arbeiteten daher ausschließlich festangestellte examinierte Kinderkrankenpflegefachkräfte, die permanent durch Fortbildungen weitergebildet würden.
Die Mutter des jungen Patienten war jedoch alles andere als zufrieden mit den Leistungen des Pflegedienstes. Sie kündigte 2012 den Vertrag und nahm einen anderen Pflegedienst in Anspruch. Die Bezahlung für das letzte halbe Jahr behielt sie ein. Daraufhin verklagte sie der gekündigte Pflegedienst auf die ausstehende Vergütung von Juni bis November in Höhe von 40.445 Euro plus Zinsen plus vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
Nun erklärte die Mutter die Aufrechnung mit eigenen Schadenersatz- bzw. Rückforderungsansprüchen: Schließlich habe der Pflegedienst gar kein ausreichend qualifiziertes Personal eingesetzt. Eine der Kinderkrankenschwestern habe ihre Ausbildung nicht in Deutschland, sondern in Bulgarien abgeleistet. Die Klage zog sich durch mehrere Instanzen. Das Landgericht und das Oberlandesgericht gaben zunächst dem Pflegedienst recht.
Die Gerichte erläuterten, dass in der gesetzlichen Pflegeversicherung zwar das Prinzip gelte "Leistungen durch nicht qualifiziertes Personal müssen nicht vergütet werden". Dieses sei jedoch nicht auf einen privaten, zivilrechtlichen Vertrag zwischen einem Pflegedienstleister und einer Privatperson übertragbar. Hier sei nicht vereinbart worden, dass der Vergütungsanspruch bei unzureichender Qualifikation der Mitarbeiter entfallen solle. Rein rechtlich handle es sich hier um einen Dienstvertrag. Bei diesem Vertragstyp könne der Kunde nicht – wie beispielsweise bei einem Kauf- oder Werkvertrag – die Vergütung wegen mangelhafter Leistungen mindern. Der Mutter stünde hier kein Anspruch auf Schadensersatz zu, mit dem sie gegen die Vergütungsforderung des Pflegedienstes aufrechnen könne.
Nur: Der Rechtsstreit ging noch weiter, und der Bundesgerichtshof war grundlegend anderer Ansicht. Dem BGH zufolge spreche der Vertrag zwischen Pflegedienst und Kundin nur von den gesetzlichen Regelungen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung und verweise einfach auf das fünfte Sozialgesetzbuch. Hier hätten die Vertragspartner die Grundsätze der gesetzlichen Regelungen als Standard vereinbart. Damit seien in diesem Fall die gleichen Maßstäbe anzuwenden, wie bei einer Abrechnung zwischen einem Pflegedienst und einer gesetzlichen Kranken- bzw. Pflegeversicherung.
Das bedeute: Es seien nur Leistungen zu bezahlen, die durch Personal mit vorschriftsmäßiger Qualifikation erbracht würden. Ob die Leistungen tatsächlich einwandfrei erbracht worden seien, sei nicht maßgeblich. Der Bundesgerichtshof verwies den Fall an die Vorinstanz zurück, um die genaue Qualifikation der eingesetzten Krankenschwestern zu klären (Urteil vom 8.10.2015, Az. III ZR 93/15).
Darstellungen des Falles in der Presse haben zum Teil den Eindruck erweckt, dass Leistungen durch nicht (in Deutschland) qualifiziertes Pflegepersonal grundsätzlich nicht bezahlt werden müssten. Dies ist falsch. Bei privaten Pflegeverträgen kommt es sehr stark auf den Vertragsinhalt an. In diesem Fall waren die Regeln der Abrechnung mit den gesetzlichen Kassen zugrunde gelegt worden. Daher konnte die Bezahlung verweigert werden, wenn nicht ausreichend qualifiziertes Personal eingesetzt wurde. Das mag bei einem anderen Vertragsinhalt jedoch ganz anders aussehen. Besonders im Pflegebereich wird häufig osteuropäisches Personal eingesetzt – was durchaus etwas mit der Bezahlung dieser Tätigkeiten zu tun haben dürfte.
Abrechnungsfragen im Zusammenhang mit Pflegeverträgen können kompliziert sein. Ein Fachanwalt für Sozialrecht kann Betroffene hier beraten und in einem Rechtsstreit mit Pflegediensten oder Versicherungen vertreten.
Viele pflegebedürftige Menschen werden heute bei sich zu Hause gepflegt. Ambulante Pflegedienste leisten dazu einen großen Beitrag. Aber: Welche Anforderungen sind an deren Qualifikation zu stellen?
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Fall: Pflegedienst kontra Auftraggeber Was steht im Pflegevertrag? Werbeaussagen des Pflegedienstes Kundin kündigt Vertrag mit Pflegedienst Privater Vertrag und gesetzliche Pflegeleistungen Bundesgerichtshof: Qualifikation ist maßgeblich Kommt es also in jedem Fall auf die Qualifikation an? Praxistipp Fall: Pflegedienst kontra Auftraggeber
Ein Pflegedienst hatte bei einem behinderten Kind, das zu Hause gepflegt wurde, ambulante Pflegeleistungen erbracht. Der 2010 geborene Junge litt unter einer sogenannten Zwerchfellhermie und benötigte daher intensive Pflege. Die Familie war privat versichert; die Versicherung betrachtete eine häusliche Intensiv- und Behandlungspflege als erforderlich und wollte die Kosten dafür mit einem Stundensatz von 35 Euro übernehmen. Daraufhin schloss die Mutter des Jungen mit einem Pflegedienst einen Vertrag ab.
Was steht im Pflegevertrag?
In diesem Pflegevertrag wurde darauf hingewiesen, dass der Pflegedienst Leistungen nach Vereinbarung erbringen könne, weil er durch Versorgungsvertrag gemäß § 72 des 11. Sozialgesetzbuches (SGB XI) zugelassen sei und mit den Pflegekassen abrechnen dürfe. Der Pflegedienst habe einen Vertrag nach § 132a Abs. 2 SGB V abgeschlossen und könne daher auch mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen.
Zum Leistungsumfang und zur Vergütung besagte der Vertrag, dass der Pflegedienst Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung - soweit bewilligt - und der Pflegeversicherung oder anderer Sozialleistungsträger direkt mit diesen abrechne. Der Kunde müsse jedoch Leistungen selbst bezahlen, die nicht bewilligt worden seien. Auch dabei werde jedoch der mit den gesetzlichen Krankenkassen vereinbarte Vergütungssatz angewendet.
Nun war jedoch die Mutter nicht gesetzlich versichert. Daher schrieb der Pflegedienst Rechnungen, die sie bei ihrer privaten Krankenkasse wie üblich einreichte.
Werbeaussagen des Pflegedienstes
Auf seiner Homepage warb der Pflegedienst damit, dass das Vertrauen der Kunden durch qualifiziertes Personal zustande komme. Für dieses Unternehmen arbeiteten daher ausschließlich festangestellte examinierte Kinderkrankenpflegefachkräfte, die permanent durch Fortbildungen weitergebildet würden.
Kundin kündigt Vertrag mit Pflegedienst
Die Mutter des jungen Patienten war jedoch alles andere als zufrieden mit den Leistungen des Pflegedienstes. Sie kündigte 2012 den Vertrag und nahm einen anderen Pflegedienst in Anspruch. Die Bezahlung für das letzte halbe Jahr behielt sie ein. Daraufhin verklagte sie der gekündigte Pflegedienst auf die ausstehende Vergütung von Juni bis November in Höhe von 40.445 Euro plus Zinsen plus vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
Nun erklärte die Mutter die Aufrechnung mit eigenen Schadenersatz- bzw. Rückforderungsansprüchen: Schließlich habe der Pflegedienst gar kein ausreichend qualifiziertes Personal eingesetzt. Eine der Kinderkrankenschwestern habe ihre Ausbildung nicht in Deutschland, sondern in Bulgarien abgeleistet. Die Klage zog sich durch mehrere Instanzen. Das Landgericht und das Oberlandesgericht gaben zunächst dem Pflegedienst recht.
Privater Vertrag und gesetzliche Pflegeleistungen
Die Gerichte erläuterten, dass in der gesetzlichen Pflegeversicherung zwar das Prinzip gelte "Leistungen durch nicht qualifiziertes Personal müssen nicht vergütet werden". Dieses sei jedoch nicht auf einen privaten, zivilrechtlichen Vertrag zwischen einem Pflegedienstleister und einer Privatperson übertragbar. Hier sei nicht vereinbart worden, dass der Vergütungsanspruch bei unzureichender Qualifikation der Mitarbeiter entfallen solle. Rein rechtlich handle es sich hier um einen Dienstvertrag. Bei diesem Vertragstyp könne der Kunde nicht – wie beispielsweise bei einem Kauf- oder Werkvertrag – die Vergütung wegen mangelhafter Leistungen mindern. Der Mutter stünde hier kein Anspruch auf Schadensersatz zu, mit dem sie gegen die Vergütungsforderung des Pflegedienstes aufrechnen könne.
Bundesgerichtshof: Qualifikation ist maßgeblich
Nur: Der Rechtsstreit ging noch weiter, und der Bundesgerichtshof war grundlegend anderer Ansicht. Dem BGH zufolge spreche der Vertrag zwischen Pflegedienst und Kundin nur von den gesetzlichen Regelungen zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung und verweise einfach auf das fünfte Sozialgesetzbuch. Hier hätten die Vertragspartner die Grundsätze der gesetzlichen Regelungen als Standard vereinbart. Damit seien in diesem Fall die gleichen Maßstäbe anzuwenden, wie bei einer Abrechnung zwischen einem Pflegedienst und einer gesetzlichen Kranken- bzw. Pflegeversicherung.
Das bedeute: Es seien nur Leistungen zu bezahlen, die durch Personal mit vorschriftsmäßiger Qualifikation erbracht würden. Ob die Leistungen tatsächlich einwandfrei erbracht worden seien, sei nicht maßgeblich. Der Bundesgerichtshof verwies den Fall an die Vorinstanz zurück, um die genaue Qualifikation der eingesetzten Krankenschwestern zu klären (Urteil vom 8.10.2015, Az. III ZR 93/15).
Kommt es also in jedem Fall auf die Qualifikation an?
Darstellungen des Falles in der Presse haben zum Teil den Eindruck erweckt, dass Leistungen durch nicht (in Deutschland) qualifiziertes Pflegepersonal grundsätzlich nicht bezahlt werden müssten. Dies ist falsch. Bei privaten Pflegeverträgen kommt es sehr stark auf den Vertragsinhalt an. In diesem Fall waren die Regeln der Abrechnung mit den gesetzlichen Kassen zugrunde gelegt worden. Daher konnte die Bezahlung verweigert werden, wenn nicht ausreichend qualifiziertes Personal eingesetzt wurde. Das mag bei einem anderen Vertragsinhalt jedoch ganz anders aussehen. Besonders im Pflegebereich wird häufig osteuropäisches Personal eingesetzt – was durchaus etwas mit der Bezahlung dieser Tätigkeiten zu tun haben dürfte.
Praxistipp
Abrechnungsfragen im Zusammenhang mit Pflegeverträgen können kompliziert sein. Ein Fachanwalt für Sozialrecht kann Betroffene hier beraten und in einem Rechtsstreit mit Pflegediensten oder Versicherungen vertreten.
(Bu)