Prospektaushändigung und Risikoaufklärung bei Vermittlung atypisch stiller Gesellschaftsbeteiligungen
18.04.2007, Autor: Herr Markus Wollin / Lesedauer ca. 3 Min. (4106 mal gelesen)
Anleger der umstrittenen atypisch stillen Beteiligungsmodelle haben mit Vertragsschluss in der Regel auch eine Bestätigung unterzeichnen müssen, dass ihnen der Emissionsprospekt bei Anlagezeichnung übergeben worden sei.
Tatsächlich haben viele Anleger den Prospekt jedoch entweder gar nicht oder erst nach Vertragsschluss ausgehändigt erhalten. Ihnen wurde deshalb nicht die Gelegenheit gegeben, die im Prospekt enthaltenen Risikohinweise vor Anlagezeichnung zu lesen.
Aktuelle Gerichtsentscheidungen eröffnen den betroffenen Anlegern die Möglichkeit, im Wege des Schadensersatzes die Rückzahlung der geleisteten Einlagen zu fordern:
1.
Nach ständiger Rechtssprechung muss einem Anleger für seine Beitrittsentscheidung ein zutreffendes Bild über das Beteiligungsobjekt vermittelt werden, d.h. er muss über alle Umstände, die für seine Anlageentscheidung von wesentlicher Bedeutung sind oder sein können, insbesondere über die mit der angebotenen speziellen Beteiligungsform verbundenen Nachteile und Risiken zutreffend, verständlich und vollständig aufgeklärt werden.
Nach einem Urteil des OLG Bremen vom 01.10.2004 (Az. 4 U 33/04) erfüllt ein Finanzdienstleister diese Aufklärungspflicht bei der Vermittlung einer Beteiligung an einer atypischen stillen Gesellschaft nicht schon dadurch, dass der Anlageberater dem Interessenten, unmittelbar bevor dieser den Anlagevertrag unterzeichnet, einen 138 Seiten langen, auch ausführliche Risikohinweise enthaltenden Prospekt über das Anlageobjekt (eine atypisch stille Beteiligung) übergibt.
Auch Aufklärungshinweise auf dem Zeichnungsschein, wonach es sich um keine festverzinsliche Kapitalanlage, sondern um eine Unternehmensbeteiligung handele und es bei Beendigung der stillen Gesellschaft zum Ausgleich eines eventuellen negativen Auseinandersetzungsguthabens und zu einer Nachschusspflicht kommen könne, reichen nach Ansicht des OLG Bremen für eine ordnungsgemäße Risikoaufklärung nicht aus.
In einem solchen Fall sei stets eine zusätzliche mündliche Aufklärung erforderlich. Das seine Aufklärungspflicht vernachlässigende Finanzdienstleistungsunternehmen sei zum Schadensersatz verpflichtet, wenn das Kapital des Kunden durch die riskante Beteiligung ganz oder teilweise verloren geht.
2.
Die übliche Vertriebspraxis einiger Strukturvertriebe atypisch stiller Beteiligungsmodelle, wenn überhaupt einen Emissionsprospekt erst unmittelbar vor Vertragsunterzeichnung oder kurz danach dem Anleger auszuhändigen, wird auch in einem aktuellen Urteil des BGH vom 21.03.2005 (Az: II ZR 310/03) als unzureichende Risikoaufklärung angesehen.
Nach Ansicht des BGH muss dem Anlageinteressenten der Emissionsprospekt so rechtzeitig vor Vertragsabschluss überlassen worden sein, dass dieser den Inhalt noch zur Kenntnis nehmen kann.
3.
In dieselbe Richtung geht ein Urteil des Landgerichtes Memmingen vom 24.05.2005 (Az. 2 O 1719/04).
Der Anleger konnte durch Zeugenaussagen belegen, dass er abweichend von seiner bei Vertragsschluss unterzeichneten Erklärung den Emissionsprospekt erst nachträglich ausgehändigt erhalten hatte.
Das Beteiligungsunternehmen berief sich nun darauf, dem Anleger nach Annahme des Beitrittsantrages zusammen mit den gegengezeichneten Vertragsunterlagen erneut einen Prospekt geschickt und ihm hierbei ein zusätzliches Widerrufsrecht eingeräumt zu haben.
Nach Ansicht des LG Memmingen ist die Pflicht zur Aufklärung über die Risiken des Anlageobjektes jedoch nicht durch eine nachträgliche Übergabe des Prospektes gewahrt, selbst wenn dem Anleger hierbei eine weitere Widerrufsfrist eingeräumt worden ist. Denn bei Vertragsunterzeichnung sei die Anlageentscheidung bereits gefallen. Eine nachträgliche Risikobelehrung durch Übergabe des Prospektes könne dem Anleger die Risiken nicht mehr so eindringlich vor Augen führen, wie dies bei einer ordnungsgemäßen Risikoaufklärung vor der Anlageentscheidung der Fall wäre.
Der Anleger konnte deshalb auch hier eine vollständige Rückzahlung seiner auf die atypisch stille Beteiligung geleisteten Einlagen von der Beteiligungsgesellschaft im Wege des Schadensersatzes verlangen und muss künftig keine weiteren Zahlungen mehr leisten.
Fazit:
Anleger atypisch stiller Beteiligungsmodelle, wie z.B. der Securenta Göttinger Immobilien und Vermögensmanagement AG (Göttinger Gruppe; „SecuRente“), der Südwest Finanz Vermittlung (Erste) AG, Südwest Finanz Vermittlung Zweite AG, Südwest Finanz Vermittlung Dritte AG („Südwestrenta plus“) oder der Frankonia Direkt AG, Frankonia Wert AG, Frankonia Sachwert AG (Frankoniawert bzw. Deltoton AG) usw., die sich von ihren Verträgen lösen wollen, sollten also genau prüfen, wann ihnen der Emissionsprospekt übergeben worden ist.
Die Aushändigung erst unmittelbar vor oder erst nach Vertragsunterzeichnung reicht nicht aus, um über die Risiken einer atypisch stillen Unternehmensbeteiligung aufzuklären.
Nachdem die von den Anlegern unterzeichneten Empfangsbescheinigungen lediglich bestätigen, dass die Prospekte bei Anlagezeichnung übergeben worden sind, können die Beteiligungsgesellschaften und deren Anlagevermittler nach neuster Rechtsprechung nicht mehr dem Vorwurf unzureichender Risikoaufklärung mit dem Hinweis auf die quittierte Übergabe des Emissionsprospektes und den darin enthaltenen Risikohinweisen entgegentreten.