Schule: Ist Nachsitzen Freiheitsberaubung?
31.01.2025, Redaktion Anwalt-Suchservice

Das Wichtigste in Kürze
1. Schulgesetze: Das Nachsitzen ist eine erzieherische Maßnahme, die in den Schulgesetzen der einzelnen Bundesländer geregelt wird – es gibt kein einheitliches Bundesgesetz dazu.
2. Verhältnismäßigkeit: Die Maßnahme muss angemessen und verhältnismäßig sein, also als Reaktion auf konkretes Fehlverhalten erfolgen und darf nicht willkürlich angewendet werden. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist Nachsitzen keine Freiheitsberaubung.
3. Rechtliche Möglichkeiten: Bei Zweifeln oder Unstimmigkeiten können Schüler und Eltern sich an die zuständige Schulaufsichtsbehörde wenden oder rechtlichen Rat einholen, um die Maßnahme überprüfen zu lassen.
1. Schulgesetze: Das Nachsitzen ist eine erzieherische Maßnahme, die in den Schulgesetzen der einzelnen Bundesländer geregelt wird – es gibt kein einheitliches Bundesgesetz dazu.
2. Verhältnismäßigkeit: Die Maßnahme muss angemessen und verhältnismäßig sein, also als Reaktion auf konkretes Fehlverhalten erfolgen und darf nicht willkürlich angewendet werden. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist Nachsitzen keine Freiheitsberaubung.
3. Rechtliche Möglichkeiten: Bei Zweifeln oder Unstimmigkeiten können Schüler und Eltern sich an die zuständige Schulaufsichtsbehörde wenden oder rechtlichen Rat einholen, um die Maßnahme überprüfen zu lassen.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Nachsitzen in Neuss: Was geschah? Wie entschied das Gericht zum Nachsitzen in der Schule? Wie entschied die zweite Instanz zum Nachsitzen als Freiheitsberaubung? Was regeln die Schulgesetze zum Nachsitzen in der Schule? Wann ist das Nachsitzen in Nordrhein-Westfalen erlaubt? Ist Nachsitzen in der Schule eine strafbare Freiheitsberaubung? Was muss man über Freiheit als Grundrecht wissen? Was können Schüler und Eltern tun, wenn sie das Nachsitzen als unrechtmäßig erachten? Muss ein Lehrer bzw. die Schule die Eltern über das Nachsitzen informieren? Praxistipp zum Nachsitzen in der Schule Nachsitzen in Neuss: Was geschah?
Vor einiger Zeit sorgte in der Presse ein Fall aus einer Realschule in Neuss für Aufsehen. Dort hatte eine sechste Klasse derartig viel Lärm veranstaltet, dass dem Musiklehrer schließlich der Geduldsfaden riss: Er ließ alle Schüler der Klasse nachsitzen. Nach Ende des Unterrichts mussten sie also im Klassenraum bleiben und einen Artikel über den Geiger Paganini abschreiben.
Der Lehrer wollte die Schüler am eigenmächtigen Verlassen des Klassenraums hindern, indem er sich mit einem Stuhl und seiner Gitarre innen vor die Tür setzte. Er selbst nutzte die Zeit, um auf die Gitarre neue Saiten aufzuziehen. Nun rief jedoch ein Schüler per Handy die Polizei. Er sprach von einem Lehrer, der Schüler schlage und gegen ihren Willen festhalte. Die Polizei rückte umgehend an, beendete das Nachsitzen und schickte die Schüler nach Hause. Eltern zeigten anschließend den Lehrer wegen Freiheitsberaubung und Körperverletzung an: Er sollte angeblich einen der Schüler mit der Faust in den Bauch gestoßen haben.
Wie entschied das Gericht zum Nachsitzen in der Schule?
Der Vorwurf der Körperverletzung ließ sich nicht lange aufrechterhalten. Der betreffende Schüler sagte nämlich aus, dass der Lehrer aus seiner Sicht gar nicht absichtlich gehandelt habe. Es habe sowieso nicht lange wehgetan.
Mit dem Vorwurf der Freiheitsberaubung wegen des angeordneten Nachsitzens sah es jedoch anders aus. Das Amtsgericht Neuss verurteilte den Lehrer in erster Instanz wegen Freiheitsberaubung. Es sprach jedoch keine Strafe aus, sondern eine "Verwarnung mit Strafvorbehalt". Das Gericht verpflichtete den Lehrer, an einer Fortbildung über den Umgang mit undisziplinierten Schülern teilzunehmen. Wenn er dieser Auflage nicht nachkomme, müsse er eine Geldstrafe von 1.000 Euro zahlen.
Wie entschied die zweite Instanz zum Nachsitzen als Freiheitsberaubung?
Im Februar 2017 sprach das Landgericht Düsseldorf den Lehrer in zweiter Instanz von allen Vorwürfen frei. Nach der Vernehmung weiterer Schüler als Zeugen kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass weder eine fahrlässige Körperverletzung noch eine Freiheitsberaubung stattgefunden habe. Die Aussagen der Schüler würden sich in vielen Punkten widersprechen. Für das Berufungsgericht stand fest, dass jeder Schüler, der dies gewollt habe, jederzeit das Klassenzimmer hätte verlassen können – und zwar auch ohne Abgabe der Arbeiten. Der Lehrer habe die Tür nicht vollständig blockiert.
Insbesondere hatte das Gericht Zweifel an den Aussagen des Schülers, der die Polizei gerufen hatte. Dieser hatte vor Gericht versucht, den Lehrer möglichst negativ darzustellen und ihn mit nicht beweisbaren Behauptungen in ein schlechtes Licht zu rücken. Dadurch wurde der Wert seiner Zeugenaussage erheblich eingeschränkt (Urteil vom 17.2.2017, Az. 5 Ns 63/16).
Was regeln die Schulgesetze zum Nachsitzen in der Schule?
Nachsitzen ist grundsätzlich weiter zulässig. Es gehört zu den milderen Erziehungs- oder Ordnungsmaßnahmen, die Lehrer verhängen dürfen. Die Einzelheiten regeln die Schulgesetze der Bundesländer. Allerdings bestehen Unterschiede zwischen den Regelungen der einzelnen Bundesländer. In Baden-Württemberg etwa darf ein Lehrer seine Schüler bis zu zwei Unterrichtsstunden nachsitzen lassen. Der Schulleiter darf dort bis zu vier Stunden Nachsitzen anordnen.
Bayern erlaubt das Nacharbeiten unter Aufsicht einer Lehrkraft. Voraussetzung ist jedoch, dass der Schüler Unterrichtsstoff versäumt hat.
Sachsen hat keine ausdrückliche gesetzliche Regelung zum Nachsitzen. Es kann dort jedoch als eine "andere Erziehungsmaßnahme" erlaubt sein.
In Rheinland-Pfalz ist das Nachsitzen zwar als reine Erziehungs- oder Ordnungsmaßnahme nicht erlaubt. Aber: Das Nacharbeiten von versäumtem Lernstoff unter Aufsicht eines Lehrers ist auch dort zulässig.
Lehrer dürfen in Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Schleswig-Holstein ihre Schüler nachsitzen lassen, um versäumten Unterrichtsstoff nachzuholen. Allerdings müssen die Lehrer vorher die Eltern benachrichtigen.
Wann ist das Nachsitzen in Nordrhein-Westfalen erlaubt?
In dem hier beschriebenen Fall galt das Schulgesetz von Nordrhein-Westfalen. Gemäß dessen § 53 Absatz 2 dürfen Lehrer erzieherische Einwirkungen und Ordnungsmaßnahmen anwenden, wenn Schüler ihre Pflichten verletzen. Allerdings muss dabei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unbedingt beachtet werden. Das Schulgesetz erlaubt ausdrücklich auch "die Nacharbeit unter Aufsicht nach vorheriger Benachrichtigung der Eltern".
Ein Nachsitzen zur Nacharbeit wäre hier also problemlos zulässig gewesen. Mit Nacharbeit ist aber das Nachholen von versäumtem Lernstoff gemeint. Nacharbeit bedeutet nicht, dass als eine Art Strafe irgendwelche Texte abgeschrieben werden müssen oder der Schüler vielleicht 100-mal "ich muss besser aufpassen" an die Tafel schreiben muss. Auch wurden hier nicht die Eltern benachrichtigt. Daher muss man davon ausgehen, dass die Maßnahme des Lehrers nicht im Einklang mit dem Schulgesetz von NRW war.
Ist Nachsitzen in der Schule eine strafbare Freiheitsberaubung?
Die Freiheitsberaubung ist nach § 239 des Strafgesetzbuches (StGB) eine Straftat. Diese Vorschrift besagt: "Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Schon ein Versuch ist strafbar. Aber: Nach Überzeugung des Gerichts wurden die Schüler im oben geschilderten Fall nicht in diesem Sinne eingesperrt, weshalb der Zwang zum Nachsitzen in der Schule keine strafbare Freiheitsberaubung war.
Was muss man über Freiheit als Grundrecht wissen?
Die persönliche Freiheit gehört zu den Grundrechten aus dem Grundgesetz. Dazu muss man jedoch wissen: Grundrechte können auch eingeschränkt werden, wenn dies erforderlich ist. Dazu ist ein Gesetz nötig, welches das jeweilige Grundrecht zudem auch beim Namen nennen muss.
Beim Schulgesetz von NRW ist dies der Fall. Dort heißt es: "Durch dieses Gesetz werden eingeschränkt: ... das Grundrecht der Freiheit der Person gemäß Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes nach Maßgabe der §§ 34 bis 41 (Schulpflicht) sowie des § 42 Abs. 1 (Allgemeine Rechte und Pflichten aus dem Schulverhältnis)."
Wenn es anders wäre, könnten einfach alle Schüler den Lehrer auf ihre Grundrechte hinweisen, mit Berufung auf ihre persönliche Freiheit nach Hause gehen und sich einer Freizeitbeschäftigung ihrer Wahl hingeben.
Was können Schüler und Eltern tun, wenn sie das Nachsitzen als unrechtmäßig erachten?
Oft lassen sich Missverständnisse durch ein direktes Gespräch mit der Lehrkraft oder der Schulleitung klären. Eltern und Schüler können die Schulgesetze einsehen, um zu prüfen, ob das Nachsitzen zulässig war. Falls die Maßnahme als unrechtmäßig erscheint, kann eine Beschwerde bei der Schulleitung oder der Schulaufsichtsbehörde eingereicht werden.
Muss ein Lehrer bzw. die Schule die Eltern über das Nachsitzen informieren?
Das hängt vom Bundesland und dem jeweiligen Schulgesetz ab. In vielen Bundesländern gilt: Kurzes Nachsitzen (bis zu einer Viertelstunde) kann oft ohne vorherige Elternbenachrichtigung erfolgen. Längeres Nachsitzen erfordert meist eine vorherige Mitteilung des Lehrers bzw. der Schule an die Eltern. Ob und wann eine Benachrichtigung nötig ist, steht im Schulgesetz des jeweiligen Bundeslandes.
Praxistipp zum Nachsitzen in der Schule
Für Lehrer ist das Urteil des Landgerichts ein Grund zum Aufatmen. Schließlich ist der Umgang mit unbotmäßigen Schülern häufig nicht einfach. Wenn der Prozess anders ausgegangen wäre, hätte dies bedeutet, dass womöglich künftig bei jeder schulischen Disziplinarmaßnahme die Polizei gerufen worden wäre. Beim Thema Nachsitzen muss jedoch immer auch das jeweilige Landesschulgesetz beachtet werden. Ein Fachanwalt für Strafrecht kann dabei helfen, ungerechtfertigte Vorwürfe wie etwa den der Freiheitsberaubung abzuwehren. Wenn es zu einem Ermittlungs- oder Strafverfahren kommt, sollte der Anwalt so früh wie möglich und am besten vor einer Aussage bei der Polizei hinzugezogen werden.
(Bu)