Autounfall: Was tun, wenn die gegnerische Haftpflichtversicherung nicht zahlt?
15.10.2025, Redaktion Anwalt-Suchservice

Das Wichtigste in Kürze
1. Schadensnachweis: Alle relevanten Beweise wie Unfallbericht, Fotos, Zeugenangaben und Gutachten sichern und der gegnerischen Versicherung vollständig vorlegen.
2. Fristsetzung: Der Versicherung schriftlich eine angemessene Frist zur Regulierung setzen und bei Untätigkeit schriftlich mahnen.
3. Rechtliche Schritte: Wenn weiterhin keine Zahlung erfolgt, einen Anwalt einschalten, der notfalls Klage einreicht oder den Anspruch direkt beim Halter bzw. Fahrer geltend macht.
1. Schadensnachweis: Alle relevanten Beweise wie Unfallbericht, Fotos, Zeugenangaben und Gutachten sichern und der gegnerischen Versicherung vollständig vorlegen.
2. Fristsetzung: Der Versicherung schriftlich eine angemessene Frist zur Regulierung setzen und bei Untätigkeit schriftlich mahnen.
3. Rechtliche Schritte: Wenn weiterhin keine Zahlung erfolgt, einen Anwalt einschalten, der notfalls Klage einreicht oder den Anspruch direkt beim Halter bzw. Fahrer geltend macht.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Trick 1: Der wirtschaftliche Totalschaden Trick 2: Die 130-Prozent-Grenze für Reparaturkosten Trick 3: Reparatur in "Partnerwerkstätten" Trick 4: Standardmäßige Kürzung der Rechnungen per Software Darf man einen eigenen Kfz-Gutachter beauftragen? Was muss man zur Nachbesichtigung wissen? Was ist ein Haushaltsführungsschaden? Was ist der merkantile Minderwert? Praxistipp zur Schadensabwicklung nach einem Verkehrsunfall Trick 1: Der wirtschaftliche Totalschaden
Ein beliebter Trick der Versicherungsgesellschaften ist es, bei der Berechnung der Schadenshöhe und des Fahrzeugwertes Beträge anzusetzen, die im Ergebnis zu einem wirtschaftlichen Totalschaden führen. Und dies, obwohl das Auto ohne Weiteres repariert werden und noch lange fahren könnte. Ausgezahlt wird dann nur noch ein minimaler Betrag. Davon wird auch noch die Summe abgezogen, die der (von der Versicherung ausgewählte) Schrotthändler für das Fahrzeug zu zahlen bereit ist – der sogenannte Restwert. Die Berechnungen erledigt ein Sachverständiger der Versicherung. Übrigens: "Sachverständiger" ist kein geschützter Begriff, jeder darf sich so nennen.
Ein wirtschaftlicher Totalschaden liegt generell vor, wenn die Reparaturkosten höher sind als der Wiederbeschaffungswert des beschädigten Fahrzeugs. Der Wiederbeschaffungswert ist die Geldsumme, die man für ein Auto desselben Typs und Alters, mit entsprechender Laufleistung und ähnlicher Ausstattung zahlen müsste. Inwieweit die Versicherungs-Sachverständigen jedoch tatsächlich alle diese Punkte berücksichtigen, ist eine andere Frage. Üblicherweise bezahlt die Kfz-Haftpflichtversicherung laut Vertrag den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwertes.
Hier sollten Unfallgeschädigte unbedingt die 130-Prozent-Regel kennen. Diese besagt: Geschädigte dürfen bei Reparaturkosten bis zur Höhe von 130 Prozent des Fahrzeugwertes von der gegnerischen Versicherung verlangen, dass ihnen die Reparatur bezahlt wird – und zwar trotz "wirtschaftlichem Totalschaden". Damit kommen wir zu Trick 2:
Trick 2: Die 130-Prozent-Grenze für Reparaturkosten
Schon mehrfach hat sich der Bundesgerichtshof mit dem Totalschaden und der 130-Prozent-Grenze beschäftigt. Ein Urteil ist besonders interessant: Der Gutachter einer Versicherung hatte die Reparaturkosten für ein Unfallfahrzeug auf über 150 Prozent des Wertes des Fahrzeugs (= sogenannter Wiederbeschaffungswert) geschätzt. Trotzdem ließ der Geschädigte sein Auto reparieren. Die Werkstatt baute gute Gebrauchtteile ein, so dass die Reparaturkosten unter 130 Prozent des Wiederbeschaffungswertes blieben. Die Versicherung des Unfallverursachers verweigerte trotzdem die Zahlung und begründete dies mit dem Gutachten des eigenen Sachverständigen. Der Bundesgerichtshof entschied: Die Versicherung musste zahlen. Die Begründung: Die Werkstatt hatte die Reparatur fachgerecht und im vollen Umfang des Gutachtens durchgeführt und die Kosten waren unter der 130-Prozent-Grenze geblieben (Urteil vom 16.11.2021, Az. VI ZR 100/20).
Trick 3: Reparatur in "Partnerwerkstätten"
Viele Unfallgeschädigte stellen erstaunt fest, dass sie die gegnerische Versicherung gleich nach dem Unfall oder schon am Unfallort anruft und anbietet, die komplette Abwicklung zu übernehmen – inklusive Abschleppen, Reparatur und Mietwagen, also einfach alles. Das sei bequem, spare Zeit und Stress. Hier lauert aber eine Falle: Das Interesse der Versicherung liegt hier darin, möglichst schnell die Zustimmung des Unfallgeschädigten für die Komplettabwicklung zu erhalten – bevor dieser sich über seine Rechte informiert oder gar auf die Idee kommt, den Schaden von einem eigenen Sachverständigen oder der eigenen Stammwerkstatt schätzen zu lassen.
Stimmt er zu, hat er diese Möglichkeit auch gar nicht mehr, denn das Fahrzeug ist weg. Es steht in einer Werkstatt, die einen Vertrag mit der Versicherung hat. Dieser enthält möglichst geringe Stundensätze und soll eine möglichst preisgünstige Reparatur sicherstellen – sofern man nicht mit der Totalschaden-Methode ganz um die Reparatur herumkommt. Als Geschädigter können Sie nicht überprüfen, ob die Reparatur fachgerecht ausgeführt wird.
Lange wurde die Komplettabwicklung unter Beteiligung von Partnerwerkstätten der Versicherung als sogenanntes "Fair-Play-Konzept" vermarktet. Dieses hatte die Allianz erfunden, während etwa bei der HUK eher von "Vertrauenswerkstätten" die Rede war. Der Begriff "Fair Play" wird heute in diesem Zusammenhang kaum noch verwendet, denn das Presseecho war schon in den ersten Jahren sehr schlecht. Allerdings kommt das Grundkonzept bei der Schadensabwicklung von Unfallschäden immer noch zur Anwendung.
Ein verwandter Trick besteht darin, dass Versicherungen gleich beim Vertragsabschluss mit dem eigenen Kunden eine Werkstattbindung vereinbaren. Dies passiert natürlich eher bei einer Kaskoversicherung, welche Schäden am eigenen Auto betrifft. Dabei wird oft eine günstigere Prämie angeboten. Diese bezahlt der Kunde dann womöglich mit schlechter und billigerer Arbeit nach einer Unfallreparatur.
Daher gilt: Betrachten Sie Rundum-Sorglos-Pakete mit gesunder Skepsis, egal, ob sie von der Versicherung oder einer Werkstatt angeboten werden. Sie haben den Zweck, für die Gegenseite Kosten zu sparen, und beruhen immer darauf, kritische Fragen und die Beteiligung von externen Sachverständigen (oder gar Anwälten) zu unterbinden. Hier kann Bequemlichkeit sehr teuer werden.
Trick 4: Standardmäßige Kürzung der Rechnungen per Software
Eine weitere beliebte Methode der Versicherungen besteht darin, die Gutachten zunächst an Spezialfirmen wie zum Beispiel Control Expert weiterzuleiten. Diese kürzen dann mit Hilfe besonderer Software standardmäßig die Beträge. Manche Schadenspositionen werden einfach gestrichen. Dies können zum Beispiel die Kosten sein, die für den Transport von der Werkstatt zum Lackierer anfallen, oder Aufschläge für Originalteile. Den Geschädigten gegenüber stellt man dies dann als Prüfung durch unabhängige Sachverständige dar. Control Expert wurde 2020 von der Allianz Versicherung übernommen.
Solche pauschalen Kürzungen sehen die Gerichte eher kritisch. Das Amtsgericht Nürnberg zum Beispiel verurteilte eine Versicherung zur Zahlung des vollen Schadens laut Gutachten. Der sogenannte Prüfbericht eines externen Unternehmens hatte diverse Kürzungen enthalten. Allerdings wurden diese weder vom Sachverständigen des Geschädigten noch vom durch das Gericht beauftragten Gutachter als sachgerecht angesehen (Urteil vom 31.3.2014, Az. 20 C 10301/12).
Das Risiko einer zu hohen Rechnung muss grundsätzlich nicht vom Geschädigten getragen werden, sondern von der gegnerischen Versicherung. Dies ergibt sich zum Beispiel aus einem Urteil des Oberlandesgerichts Celle. In diesem Fall ging es allerdings um eine Reparaturrechnung, die im Nachhinein höher ausfiel, als im Gutachten vorausgesehen. Die Versicherung musste den Mehrbetrag begleichen (Urteil vom 15.6.2017, Az. 14 U 37/17).
Darf man einen eigenen Kfz-Gutachter beauftragen?
Generell empfiehlt es sich, einen eigenen Gutachter zu beauftragen. Die Ermittlung von Schadenshöhe und Fahrzeugwert sollte man nicht der gegnerischen Versicherung überlassen. Allerdings muss man zur Beauftragung eines eigenen Gutachters nach einem Unfallschaden einiges wissen:
Wenn man selbst eine Teilschuld am Unfall trägt, wird man auch einen Teil der Gutachterkosten übernehmen müssen. Hat man keine Schuld, muss die Gegenseite diese Kosten tragen.
Die Gerichte betrachten die Beauftragung eines Gutachters erst ab einer Schadenssumme von 1.000 bis 1.500 Euro als gerechtfertigt. Immerhin hat auch der Geschädigte eine sogenannte Schadenminderungspflicht. Er darf also den Schaden nicht durch zusätzliche Maßnahmen, wie die Beauftragung eines Gutachters, noch erhöhen. Bei kleineren Schäden reicht es aus, den Kostenvoranschlag der Werkstatt einzuholen.
Die Bagatellgrenze von 1.000 bis 1.500 Euro gilt nicht mehr, sobald der Versicherer einzelne Positionen im Kostenvoranschlag kürzt. In diesem Fall darf ein eigener Gutachter eingeschaltet werden. So hat zum Beispiel das Amtsgericht Bamberg entschieden (Urteil vom 15.5.2014, Az. 0102 C 569/14).
Als Geschädigter darf man generell auch dann einen eigenen Gutachter beauftragen, wenn die Gegenseite bereits einen Sachverständigen beauftragt hat (Kammergericht Berlin, Urteil vom 1.7.1976, Az. 12 O 268/76). Dies ist höchstens dann ausgeschlossen, wenn es zwischen beiden Seiten so vereinbart wurde, zum Beispiel im Rahmen eines Stillhalteabkommens. Mit einer solchen Absprache verzichtet der Geschädigte auf die Einholung eines eigenen Sachverständigengutachtens (Amtsgericht Wuppertal, Urteil vom 1.6.2015, Az. 32 C 8/14).
Was muss man zur Nachbesichtigung wissen?
Der gegnerischen Versicherung muss man den Termin, an dem der eigene Gutachter anrückt, nicht mitteilen. Diese möchte dann allerdings oft eine eigene Nachbesichtigung des Unfallschadens vornehmen. Einen generellen Anspruch auf eine solche Nachbesichtigung hat sie jedoch nicht – zumindest nicht, solange sie nicht konkrete Zweifel am bisherigen Gutachten vorträgt (LG Berlin, Urteil vom 13.7.2011, Az. 42 O 22/10).
Was ist ein Haushaltsführungsschaden?
Wenn jemand bei einem Autounfall ernsthaft verletzt wird, kann er seinen Haushalt vielleicht nicht mehr selbst führen. Auch diesen Schaden muss die gegnerische Versicherung grundsätzlich bezahlen – sogar dann, wenn gar keine Haushaltshilfe eingestellt wurde, sondern die Verwandtschaft tätig wird. Für die Berechnung gibt es Tabellen (BGH, Urteil vom 3.2.2009, Az. VI ZR 183/08).
Was ist der merkantile Minderwert?
Als merkantilen Minderwert bezeichnet man den Betrag, um den sich der Wert des Unfallfahrzeugs verringert hat, weil es zwar fachgerecht repariert wurde, aber jetzt ein Unfallfahrzeug ist. Nach einem Verkehrsunfall muss auch dieser Betrag von der gegnerischen Versicherung ersetzt werden.
Praxistipp zur Schadensabwicklung nach einem Verkehrsunfall
Es kann sich auch bei kleineren Unfallschäden lohnen, die Hilfe eines Anwalts in Anspruch zu nehmen. Versicherungen neigen dazu, den Auszahlungsbetrag standardmäßig zu kürzen. Positionen wie ein Haushaltsführungsschaden oder eine Wertminderung werden häufig nicht berücksichtigt. Ihr bester Ansprechpartner ist ein Fachanwalt für Verkehrsrecht.
(Bu)