Selbstbestimmungsgesetz: Droht ein Bußgeld für Misgendern?
12.08.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
© - freepik Am 1. November 2024, zum Teil ab 1. August, tritt das neue Selbstbestimmungsgesetz in Kraft, welches das frühere Transsexuellengesetz ersetzt. Die Neuregelung soll es transgeschlechtlichen, queeren und nicht-binären Menschen einfacher machen, ihren Vornamen und ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister ändern zu lassen - bisher ein langwieriges und aufwändiges Verfahren. Eine bestimmte Regelung aus dem Gesetz sorgt jedoch für Diskussionen. Dabei geht es um das sogenannte Misgendern, das künftig mit einem Bußgeld geahndet werden soll.
Misgendern bedeutet, dass einer Person ein falsches Geschlecht zugeordnet wird oder über sie mit einer falschen Geschlechtszuordnung gesprochen oder geschrieben wird. Dies kann versehentlich oder aber auch absichtlich, mit schädigender Absicht, geschehen. Misgendern kann bedeuten, jemanden mit einem falschen Pronomen wie "er" oder "sie" anzusprechen, oder auch mit dem früheren Namen dieser Person vor einer Geschlechtsänderung ("Deadnaming"). Die Verwendung korrekter Geschlechtsbezeichnungen wird jedoch schwieriger, wenn es mehr als nur zwei Geschlechter gibt - und so sieht es das von der Ampel-Koalition beschlossene Selbstbestimmungsgesetz. Für Verwirrung sorgen auch neue Pronomen wie "dey", "xier" oder "ens". Muss künftig jeder befürchten, mit einem Bußgeld belegt zu werden oder sich gar strafbar zu machen, der eine queere Person falsch anredet?
Die entsprechende Rechtsgrundlage im neuen Selbstbestimmungsgesetz ist das sogenannte Offenbarungsverbot in § 13. Schon der Name zeigt, dass es hier eigentlich um etwas anderes als Misgendern geht. Der Gesetzgeber möchte verhindern, dass Menschen, die sich für ein neues Geschlecht entschieden haben, durch andere "zwangsgeoutet" werden, dass also andere Personen ihre frühere geschlechtliche Identität offenlegen. Anders ausgedrückt: Laut Gesetz dürfen künftig frühere Geschlechtseinträge nicht ohne Zustimmung der betreffenden Person offenbart oder ausgeforscht werden.
Ausnahme: Es gibt besondere Gründe des öffentlichen Interesses, die so etwas erfordern oder es wird ein rechtliches Interesse an diesen Informationen glaubhaft gemacht. Das öffentliche Interesse betrifft vor allem die Strafverfolgung.
Tatsächlich ist das Offenbarungsverbot an sich gar nichts Neues: Auch das alte Transsexuellengesetz enthält eine solche Vorschrift. Der Unterschied ist nur, dass das neue Selbstbestimmungsgesetz zusätzliche Regelungen darüber trifft, wie Behörden mit solchen Informationen umzugehen haben.
Neu ist allerdings auch, dass ein Verstoß künftig eine Ordnungswidrigkeit ist, die mit einem Bußgeld geahndet werden kann. Dieses kann bis zu 10.000 Euro betragen. Voraussetzung ist, dass die betroffene Person durch den Verstoß absichtlich geschädigt wird. Eine versehentliche Nennung des falschen Geschlechts führt also nicht zu einem Bußgeld.
Nein. Das neue Selbstbestimmungsgesetz enthält keine Regelung, die Misgendern allgemein bußgeldpflichtig macht.
Natürlich kann es sein, dass durch eine - auch versehentliche - falsche Anrede, Namens- oder Pronomenverwendung die frühere geschlechtliche Identität einer Person offengelegt wird. Genau deshalb wird die neue Regelung von vielen Menschen so ausgelegt, dass Misgendern künftig ein Bußgeld bis zu 10.000 Euro zur Folge haben kann.
Dafür müsste aber die für Bußgelder zuständige Behörde der betreffenden Person eine konkrete Schädigungsabsicht nachweisen. Dies kann durchaus bei gezieltem Mobbing in den sozialen Medien oder öffentlichen Kommentaren über andere Personen der Fall sein. Diese Handlungen wären dann aber in vielen Fällen auch nach bisheriger Rechtslage schon als Straftaten mit härteren Folgen bedroht (Beleidigung, § 185 StGB, Nachstellung, § 238 StGB). Bei einer versehentlichen Verwendung falscher Namen oder Pronomen besteht keine Bußgeldgefahr.
Das neue Selbstbestimmungsgesetz enthält auch eine ausdrückliche Ausnahme vom Offenbarungsverbot. Diese soll die Interessen von nahen Angehörigen wie Kindern, Eltern und Ehepartnern (auch früheren) schützen. Schließlich gehört die frühere sexuelle Identität der geschlechtsveränderten Person auch zu deren Lebensgeschichte und Identität. Daher dürfen diese Personen die frühere Geschlechtsbezeichnung und den früheren Vornamen verwenden, sofern es nicht um offizielle Register, Urkunden oder Rechtsgeschäfte wie Verträge geht. Ein Kind kann von seinem Vater also im privaten Bereich sprechen und dabei dessen alten Vornamen verwenden, auch wenn dieser inzwischen als Frau lebt.
Ob mit dem bußgeldbewehrten Offenbarungsverbot auch ein defacto-Zwang zum richtigen Gendern verbunden ist, wenn es um die Anrede von oder das Reden und Schreiben über queere und Transpersonen geht, bleibt abzuwarten. Was ist also die Folge, wenn man eine solche Person unter Berücksichtigung der amtlichen deutschen Grammatik mit den darin allein gültigen Pronomen "er" oder "sie" bzw. den Artikeln "der" oder "die" anredet bzw. beschreibt und nicht, wie gewünscht mit den neuen Worterfindungen "dey", "xier" oder "ens" (von denen man noch nicht mal weiß, welche eigentlich einschlägig ist)? Man sich also einerseits an die amtlichen grammatikalischen Regeln hält und gleichzeitig andererseits gegen das Offenbarungsverbot des Selbstbestimmungsgesetzes verstößt? Ist die Offenlegung der früheren geschlechtlichen Identität dann schon eine absichtliche Schädigung? Es bleibt abzuwarten, wie hier von den Behörden und anschließend den Verwaltungsgerichten entschieden wird.
Das Misgendern kann nicht nur an die bekannte vormalige sexuelle Identität anknüpfen (Andrea war mal Andreas), sondern auch an die neue (Andrea). Nicht-binäre, queere und Transpersonen werden nicht gegenüber Jedermann bekanntgeben, welche geschlechtliche Identität sie neu angenommen haben und ob sie mit dem Pronomen "dey", "xier" oder "ens" angesprochen werden wollen. So ist es defacto unvermeidbar, dass es in Wort und Schrift zum Misgendern kommen kann. Immerhin kann dieser Umstand nicht der misgendernden Person angelastet werden, so dass auch kein Bußgeld droht.
Laut Zahlen des Statistischen Bundesamtes, die im Rahmen des Zensus 2022 erfasst wurden, lebten zum Stichtag im Mai 2022 in Deutschland 42.044.446 Frauen und 40.672.866 Männer. Zum Geschlecht machten 1.259 Personen keine Angaben, 969 Personen bezeichneten sich amtlich als "divers". Nur die 969 diversen Personen kann das Misgendern betreffen, denn wer keine Angaben zum Geschlecht macht, kann im Geschlecht auch nicht falsch bezeichnet werden.
Misgendern wird durch das neue Selbstbestimmungsgesetz nicht allgemein bußgeldpflichtig. Nur in bestimmten Fällen und bei vorliegender Schädigungsabsicht droht ein Bußgeld bis zu 10.000 Euro. Bei einem Bußgeldverfahren ist ein Anwalt für Verwaltungsrecht der beste Ansprechpartner.
Das Wichtigste in Kürze
1. Begriff: Als Misgendern bezeichnet man die bewusst oder unbewusst falsche Anrede einer Person, die ihre geschlechtliche Identität durch Änderung ihres Geschlechtseintrags im Personenstandsregister beim Standesamt gewechselt hat.
2. Offenbarungsverbot: Sinn und Zweck der Bußgeldregelung im Selbstbestimmungsgesetz ist zu verhindern, dass die vormalige geschlechtliche Identität einer Person offengelegt wird. Innerhalb der Familie gilt das Offenbarungsverbot nicht; ebenso im Rahmen einer Strafverfolgung.
3. Bußgeld: Ein Bußgeld wegen Misgenderns setzt voraus, dass die misgendernde Person eine konkrete Schädigungsabsicht mit Blick auf die von ihr im Geschlecht falsch bezeichnete Person hat, also absichtlich handelt. Das Bußgeld kann bis zu 10.000 Euro betragen.
1. Begriff: Als Misgendern bezeichnet man die bewusst oder unbewusst falsche Anrede einer Person, die ihre geschlechtliche Identität durch Änderung ihres Geschlechtseintrags im Personenstandsregister beim Standesamt gewechselt hat.
2. Offenbarungsverbot: Sinn und Zweck der Bußgeldregelung im Selbstbestimmungsgesetz ist zu verhindern, dass die vormalige geschlechtliche Identität einer Person offengelegt wird. Innerhalb der Familie gilt das Offenbarungsverbot nicht; ebenso im Rahmen einer Strafverfolgung.
3. Bußgeld: Ein Bußgeld wegen Misgenderns setzt voraus, dass die misgendernde Person eine konkrete Schädigungsabsicht mit Blick auf die von ihr im Geschlecht falsch bezeichnete Person hat, also absichtlich handelt. Das Bußgeld kann bis zu 10.000 Euro betragen.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Was versteht man unter Misgendern? Wann wird Misgendern künftig mit einem Bußgeld bestraft? Wird durch das Offenbarungsverbot jedes Misgendern bußgeldpflichtig? Welche Ausnahme vom Offenbarungsverbot gibt es? Muss ich künftig richtig Gendern, um ein Bußgeld zu vermeiden? Ist Misgendern vermeidbar, wenn man die neue sexuelle Identität nicht kennt? Wie viele Personen kann das Misgendern in Deutschland betreffen? Praxistipp zum Bußgeld wegen Misgenderns Was versteht man unter Misgendern?
Misgendern bedeutet, dass einer Person ein falsches Geschlecht zugeordnet wird oder über sie mit einer falschen Geschlechtszuordnung gesprochen oder geschrieben wird. Dies kann versehentlich oder aber auch absichtlich, mit schädigender Absicht, geschehen. Misgendern kann bedeuten, jemanden mit einem falschen Pronomen wie "er" oder "sie" anzusprechen, oder auch mit dem früheren Namen dieser Person vor einer Geschlechtsänderung ("Deadnaming"). Die Verwendung korrekter Geschlechtsbezeichnungen wird jedoch schwieriger, wenn es mehr als nur zwei Geschlechter gibt - und so sieht es das von der Ampel-Koalition beschlossene Selbstbestimmungsgesetz. Für Verwirrung sorgen auch neue Pronomen wie "dey", "xier" oder "ens". Muss künftig jeder befürchten, mit einem Bußgeld belegt zu werden oder sich gar strafbar zu machen, der eine queere Person falsch anredet?
Wann wird Misgendern künftig mit einem Bußgeld bestraft?
Die entsprechende Rechtsgrundlage im neuen Selbstbestimmungsgesetz ist das sogenannte Offenbarungsverbot in § 13. Schon der Name zeigt, dass es hier eigentlich um etwas anderes als Misgendern geht. Der Gesetzgeber möchte verhindern, dass Menschen, die sich für ein neues Geschlecht entschieden haben, durch andere "zwangsgeoutet" werden, dass also andere Personen ihre frühere geschlechtliche Identität offenlegen. Anders ausgedrückt: Laut Gesetz dürfen künftig frühere Geschlechtseinträge nicht ohne Zustimmung der betreffenden Person offenbart oder ausgeforscht werden.
Ausnahme: Es gibt besondere Gründe des öffentlichen Interesses, die so etwas erfordern oder es wird ein rechtliches Interesse an diesen Informationen glaubhaft gemacht. Das öffentliche Interesse betrifft vor allem die Strafverfolgung.
Tatsächlich ist das Offenbarungsverbot an sich gar nichts Neues: Auch das alte Transsexuellengesetz enthält eine solche Vorschrift. Der Unterschied ist nur, dass das neue Selbstbestimmungsgesetz zusätzliche Regelungen darüber trifft, wie Behörden mit solchen Informationen umzugehen haben.
Neu ist allerdings auch, dass ein Verstoß künftig eine Ordnungswidrigkeit ist, die mit einem Bußgeld geahndet werden kann. Dieses kann bis zu 10.000 Euro betragen. Voraussetzung ist, dass die betroffene Person durch den Verstoß absichtlich geschädigt wird. Eine versehentliche Nennung des falschen Geschlechts führt also nicht zu einem Bußgeld.
Wird durch das Offenbarungsverbot jedes Misgendern bußgeldpflichtig?
Nein. Das neue Selbstbestimmungsgesetz enthält keine Regelung, die Misgendern allgemein bußgeldpflichtig macht.
Natürlich kann es sein, dass durch eine - auch versehentliche - falsche Anrede, Namens- oder Pronomenverwendung die frühere geschlechtliche Identität einer Person offengelegt wird. Genau deshalb wird die neue Regelung von vielen Menschen so ausgelegt, dass Misgendern künftig ein Bußgeld bis zu 10.000 Euro zur Folge haben kann.
Dafür müsste aber die für Bußgelder zuständige Behörde der betreffenden Person eine konkrete Schädigungsabsicht nachweisen. Dies kann durchaus bei gezieltem Mobbing in den sozialen Medien oder öffentlichen Kommentaren über andere Personen der Fall sein. Diese Handlungen wären dann aber in vielen Fällen auch nach bisheriger Rechtslage schon als Straftaten mit härteren Folgen bedroht (Beleidigung, § 185 StGB, Nachstellung, § 238 StGB). Bei einer versehentlichen Verwendung falscher Namen oder Pronomen besteht keine Bußgeldgefahr.
Welche Ausnahme vom Offenbarungsverbot gibt es?
Das neue Selbstbestimmungsgesetz enthält auch eine ausdrückliche Ausnahme vom Offenbarungsverbot. Diese soll die Interessen von nahen Angehörigen wie Kindern, Eltern und Ehepartnern (auch früheren) schützen. Schließlich gehört die frühere sexuelle Identität der geschlechtsveränderten Person auch zu deren Lebensgeschichte und Identität. Daher dürfen diese Personen die frühere Geschlechtsbezeichnung und den früheren Vornamen verwenden, sofern es nicht um offizielle Register, Urkunden oder Rechtsgeschäfte wie Verträge geht. Ein Kind kann von seinem Vater also im privaten Bereich sprechen und dabei dessen alten Vornamen verwenden, auch wenn dieser inzwischen als Frau lebt.
Muss ich künftig richtig Gendern, um ein Bußgeld zu vermeiden?
Ob mit dem bußgeldbewehrten Offenbarungsverbot auch ein defacto-Zwang zum richtigen Gendern verbunden ist, wenn es um die Anrede von oder das Reden und Schreiben über queere und Transpersonen geht, bleibt abzuwarten. Was ist also die Folge, wenn man eine solche Person unter Berücksichtigung der amtlichen deutschen Grammatik mit den darin allein gültigen Pronomen "er" oder "sie" bzw. den Artikeln "der" oder "die" anredet bzw. beschreibt und nicht, wie gewünscht mit den neuen Worterfindungen "dey", "xier" oder "ens" (von denen man noch nicht mal weiß, welche eigentlich einschlägig ist)? Man sich also einerseits an die amtlichen grammatikalischen Regeln hält und gleichzeitig andererseits gegen das Offenbarungsverbot des Selbstbestimmungsgesetzes verstößt? Ist die Offenlegung der früheren geschlechtlichen Identität dann schon eine absichtliche Schädigung? Es bleibt abzuwarten, wie hier von den Behörden und anschließend den Verwaltungsgerichten entschieden wird.
Ist Misgendern vermeidbar, wenn man die neue sexuelle Identität nicht kennt?
Das Misgendern kann nicht nur an die bekannte vormalige sexuelle Identität anknüpfen (Andrea war mal Andreas), sondern auch an die neue (Andrea). Nicht-binäre, queere und Transpersonen werden nicht gegenüber Jedermann bekanntgeben, welche geschlechtliche Identität sie neu angenommen haben und ob sie mit dem Pronomen "dey", "xier" oder "ens" angesprochen werden wollen. So ist es defacto unvermeidbar, dass es in Wort und Schrift zum Misgendern kommen kann. Immerhin kann dieser Umstand nicht der misgendernden Person angelastet werden, so dass auch kein Bußgeld droht.
Wie viele Personen kann das Misgendern in Deutschland betreffen?
Laut Zahlen des Statistischen Bundesamtes, die im Rahmen des Zensus 2022 erfasst wurden, lebten zum Stichtag im Mai 2022 in Deutschland 42.044.446 Frauen und 40.672.866 Männer. Zum Geschlecht machten 1.259 Personen keine Angaben, 969 Personen bezeichneten sich amtlich als "divers". Nur die 969 diversen Personen kann das Misgendern betreffen, denn wer keine Angaben zum Geschlecht macht, kann im Geschlecht auch nicht falsch bezeichnet werden.
Praxistipp zum Bußgeld wegen Misgenderns
Misgendern wird durch das neue Selbstbestimmungsgesetz nicht allgemein bußgeldpflichtig. Nur in bestimmten Fällen und bei vorliegender Schädigungsabsicht droht ein Bußgeld bis zu 10.000 Euro. Bei einem Bußgeldverfahren ist ein Anwalt für Verwaltungsrecht der beste Ansprechpartner.
(Bu)