Homeoffice: Zahlt die gesetzliche Unfallversicherung bei einem Arbeitsunfall?

25.07.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
Laptop,Verbandsmaterial Wann schützt die gesetzliche Unfallversicherung bei Unfällen im Homeoffice? © - freepik
Das Wichtigste in Kürze

1. Grundsatz: Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung greift immer dann ein, wenn sich ein Unfall im Zusammenhang mit der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit ereignet.

2. Arbeitsweg im Homeoffice: Erledigt der Arbeitnehmer zu Hause einen Weg, der im direkten Zusammenhang mit seiner arbeitsvertraglich vereinbarten Tätigkeit steht und erleidet dabei einen Unfall, ist er gesetzlich unfallversichert.

3. Wege außerhalb: Anders, als bei Ausübung der Tätigkeit im Betrieb, sind Wege außerhalb der Wohnung bzw. des Hauses beim Arbeiten im Homeoffice nicht gesetzlich unfallversichert. So insbesondere auch der Weg zur Kita.
Durch die gesetzliche Unfallversicherung sind Arbeitnehmer bei Unfällen während der Arbeit und auf dem Arbeitsweg geschützt. Getragen wird diese Versicherung von den Berufsgenossenschaften, welche durch Beiträge der Arbeitgeber finanziert wird. Allerdings gibt es zwischen versicherten Arbeitnehmern und Unfallversicherung immer wieder Streit darüber, ob ein Unfall als Arbeitsunfall einzustufen ist. Im Homeoffice kommt die Besonderheit hinzu, dass sich der private und der berufliche Bereich vermischen. Es stellt sich also die Frage, bei welchen Unfällen im Homeoffice die gesetzliche Unfallversicherung greift.

Wann greift die gesetzliche Unfallversicherung im Homeoffice?


Grundsätzlich greift der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung immer, wenn sich ein Arbeitsunfall im Zusammenhang mit der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit ereignet. Das heißt: Fällt einem Arbeitnehmer beim Verfassen einer beruflichen E-Mail der Laptop auf den Fuß und er bricht sich den großen Zeh, ist dies ein Fall für die gesetzliche Unfallversicherung.

Nun kann ein Unfall natürlich auch dann stattfinden, wenn sich der Arbeitnehmer im Homeoffice schnell einen Kaffee aus seiner Küche holt oder die Toilette aufsucht. Im Betrieb wäre dies kein Problem - der Weg zur Kantine oder zur Toilette steht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Beides befindet sich schließlich im Betriebsgebäude. Es gibt jedoch eine Ausnahme: Ein Unfall auf der Toilette oder im Toilettenraum selbst wird oft - nicht immer - als Privatsache angesehen (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 6.5.2003, Az. L 3 U 323/01).

Nun verhält es sich im Homeoffice mit den Wegen zur Küche oder zur Toilette jedoch anders als im Betrieb. Unfallversicherungen und Gerichte argumentieren hier damit, dass es sich um Verrichtungen handelt, die man nicht in vollem Umfang der Berufstätigkeit zuordnen kann und die sich auch nicht in den Räumen des Betriebes abspielen.

Dementsprechend hat das Bundessozialgericht schon vor vielen Jahren entschieden: Im Homeoffice gelten Wege zur Toilette oder zur Nahrungsaufnahme in die Küche als sogenannte eigenwirtschaftliche Tätigkeiten. Damit besteht kein Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung (Urteil vom 6.12.1989, Az. 2 RU 5/89).

Ganz anders sieht die Sache aus, wenn ein Arbeitnehmer den eigentlichen Arbeitsraum im Zusammenhang mit der Arbeit verlässt.
Beispiel: Eine Sachbearbeiterin im Homeoffice verlässt ihr Arbeitszimmer, weil die Internetverbindung streikt, um im Wohnzimmer den Router zu überprüfen. Dabei stürzt sie im Flur über ein Kinderspielzeug. Dieser Fall dürfte als Arbeitsunfall durchgehen.

Verlässt die gleiche Arbeitnehmerin ihr Arbeitszimmer, um ein Paket anzunehmen, hängt es davon ab, ob es sich um eine berufliche oder private Zusendung gehandelt hat. In derartigen Fällen ist damit zu rechnen, dass sich die Unfallversicherung erst einmal gegen eine Anerkennung sperrt. Dann ist fachkundige Rechtsberatung und unter Umständen eine Klage notwendig.

Ist der Arbeitsweg im Homeoffice gesetzlich unfallversichert?


Der Arbeitsweg zum Betrieb steht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Aber: Wie sieht es bei Arbeitsunfällen zu Hause aus? Ist man auch auf dem Weg zum Homeoffice unfallversichert? Auf Treppen soll ja schon mancher gestürzt sein ....

Vor einiger Zeit hat das Bayerische Landessozialgericht entschieden, dass Arbeitswege innerhalb der eigenen Wohnung keine Arbeitswege im Sinne der Unfallversicherung seien. Arbeitnehmer, die auf dem Weg ins Homeoffice auf der eigenen Treppe ausrutschen und sich verletzen, wären demnach nicht gesetzlich unfallversichert. Das Bundessozialgericht sah dies jedoch in einem konkreten Fall anders.

Homeoffice: Greift die Unfallversicherung beim Sturz auf der Kellertreppe?


Dort wurde über den Unfall einer Key-Account-Managerin verhandelt, die laut Arbeitsvertrag eine 40-Stunden-Woche hatte und ausschließlich von zu Hause aus arbeiten sollte. Genauere Angaben zum Arbeitsplatz enthielt ihr Arbeitsvertrag nicht. Die Frau hatte sich im Keller ihres Hauses ein Arbeitszimmer eingerichtet. Eines Tages hatte sie eine Messe besucht, um Kunden zu gewinnen. Eine Mitarbeiterin aus dem Unternehmen rief sie an und forderte sie auf, um 16.30 Uhr den Chef anzurufen. Die Arbeitnehmerin fuhr also nach Hause und wollte in ihr Kellerbüro gehen, um dort den Laptop anzuschließen, über den sie üblicherweise telefonierte. Sie trug den Laptop und weiteres Arbeitsmaterial in den Keller, stürzte auf der Treppe und erlitt eine Verletzung an der Wirbelsäule.

Die gesetzliche Unfallversicherung verweigerte eine Anerkennung des Sturzes als Arbeitsunfall. Die Treppe habe den privaten und den beruflichen Bereich miteinander verbunden. Derartige Räume unterlägen nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Wie hat das BSG zum Arbeitsweg im Homeoffice entschieden?


Das Bundessozialgericht (BSG) entschied: Hier handelte es sich um einen versicherten Arbeitsunfall. Schließlich war im Arbeitsvertrag als Arbeitsort die Wohnung der Arbeitnehmerin vereinbart worden. Und diese war in den Keller gegangen, um einer direkten dienstlichen Weisung des Geschäftsführers nachzukommen.

Im Homeoffice sei die Faustregel "der Arbeitsweg beginnt an der Außentür der Privatwohnung" nicht anwendbar. Auch sei das Telefonat mit dem Geschäftsführer eine Aufgabe im Interesse des Unternehmens gewesen (Urteil vom 27.11.2018, Az. B 2 U 28/17 R).

Anmerkung: Wenn der Klägerin auf dem Weg zur Messe auf der Straße ein Unfall passiert wäre, hätte die Unfallversicherung diesen sehr wahrscheinlich auch abgedeckt. In diesem Fall wäre sie in Ausführung ihrer arbeitsvertraglichen Tätigkeiten (Vertrieb) unterwegs gewesen. Insoweit kommt es aber immer auf den Einzelfall an.

Ist der Weg zur Kita auch im Homeoffice gesetzlich unfallversichert?


Arbeitet man in einem Betrieb, zählt zum Arbeitsweg auch der Umweg zur Kita. Auf dem Arbeitsweg ist der Elternteil dann gesetzlich unfallversichert - immerhin befindet er oder sie sich auf dem Weg zur Arbeit. Der Umweg zur Kita ist als Teil des Arbeitsweges anerkannt. Nicht unfallversichert sind hingegen vollkommen private Umwege, etwa zur Besorgung des Frühstücks (Sozialgericht Wiesbaden, Az. S 1 U 99/08) oder zur Bank.

Arbeitnehmer, die im Homeoffice arbeiten, haben jedoch keinen Arbeitsweg außerhalb der Wohnung. Also kann ein Umweg zur Kita auch nicht in den Arbeitsweg einbezogen werden. Daher sind Arbeitnehmer im Homeoffice auf dem Weg in die Kita nicht gesetzlich unfallversichert. Dies hat das Sozialgericht Hannover entschieden. Hier war eine Mutter, die im Homeoffice arbeitete, auf dem Rückweg von der Kita mit dem Fahrrad auf Blitzeis ausgerutscht und hatte sich den Ellbogen gebrochen. Das Landessozialgericht Niedersachsen bestätigte das Urteil. Zuletzt lehnte auch das Bundessozialgericht eine Anerkennung als Arbeitsunfall ab (30.1.2020, Az. B 2 U 19/18 R). In solchen Fällen ist Arbeitnehmern im Homeoffice der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung also versagt.

Welche Versicherung zahlt, wenn die gesetzliche Unfallversicherung nicht greift?


Wenn die gesetzliche Unfallversicherung bei einem Arbeitsunfall nicht zahlt, greift zunächst die gesetzliche oder private Krankenversicherung ein und deckt die Kosten für medizinische Behandlungen und Rehabilitationsmaßnahmen.

Hat der von einem Arbeitsunfall betroffene Arbeitnehmer eine private Unfallversicherung abgeschlossen, so kann er auch daraus Leistungen erhalten, wenn es die Versicherungsbedingungen hergeben. Einen zusätzlichen Schutz bietet gegebenenfalls eine Betriebshaftpflichtversicherung des Arbeitgebers, wenn diese auch Schäden abdeckt, die Mitarbeiter bei Unfällen am Arbeitsplatz zugefügt werden.

Update vom 15.7.2024: Gleichbehandlung von Unfällen im Homeoffice und im Betrieb?


Seit dem 18.6.2021 gibt es eine Neufassung des § 8 Abs. 1 S. 3 SGB VII. Diese besagt, dass in der gesetzlichern Unfallversicherung Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei einer Tätigkeit im Unternehmen besteht, wenn die Arbeit "im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt wird." Damit sind der erste Weg vom Wohnbereich zum Arbeitszimmer und der Betriebsweg innerhalb der Wohnung (etwa bei einem Treppensturz) vom Schutz umfasst. Problematisch bleibt jedoch die Abgrenzung zwischen privaten und beruflichen Tätigkeiten. Beispiel: Der Arbeitnehmer reagiert auf die Türklingel und stürzt dabei. Er weiß nicht, ob beruflich oder privat geklingelt wurde. Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt hat hier einen inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit und damit einen Arbeitsunfall bestätigt (BeckRS 2018, 28689). Wer dagegen im Restaurant beim Warten auf sein Essen eine Rede für einen beruflichen Anlass schreibt und ein berufliches Telefonat führt, handelt privat. Wird er bei einem Raubüberfall auf dem Rückweg verletzt, ist dies laut Bundessozialgericht kein Arbeitsunfall (NJOZ 2014, 311). Ein besonderes Problem bei Unfällen im Homeoffice ist die Beweislage, denn hier stehen nicht die Arbeitskollegen als Zeugen daneben.

Praxistipp zum Arbeitsunfall im Homeoffice


Bei Arbeitnehmern im Homeoffice können Unfälle auf Wegen innerhalb der Wohnung im Ausnahmefall gesetzlich unfallversichert sein. Voraussetzung: Sie sind notwendig, um etwas für den Beruf zu erledigen. Dies gilt nicht für private Wege zum Kühlschrank, zur Kaffeemaschine oder zur Toilette. Wege außerhalb der Wohnung werden in der Regel nicht von der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst. Lehnt die gesetzliche Unfallversicherung die Anerkennung Ihres Arbeitsunfalls ab, sollten Sie sich von einem Fachanwalt für Sozialrecht beraten lassen. Dieser kann Ihren individuellen Arbeitsunfall prüfen und Ihnen ein passendes Vorgehen vorschlagen.

(Ma)


 Ulf Matzen
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Juristische Redaktion
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