Skiunfall: FIS-Regeln und Pistensicherungspflicht

29.12.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice
Skiunfall,FIS-Regeln,Skipiste,Skifahren,Haftung Wer hatte Vorfahrt? Auch auf der Piste gelten Verkehrsregeln. © Rh - Anwalt-Suchservice

Wieder einmal ist Skisaison. Leider kommt es in jeder Saison zu schweren Unfällen, weil viele Skifahrer die Verkehrsregeln nicht kennen. Wer haftet, und an welche Pflichten müssen sich Skipistenbetreiber halten?

Auch auf einer Skipiste gibt es Verkehrsregeln. Wie die StVO im Straßenverkehr schreiben die sogenannten FIS-Regeln vor, dass beim Skifahren gegenseitige Rücksichtnahme gilt. Sie regeln auch Vorfahrt und Überholen. Halten sich Skifahrer nicht daran, haften sie nach einer Kollision auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Und nicht nur Skifahrer haben Pflichten: Die Betreiber der Skipisten trifft die sogenannte Pistensicherungspflicht. Diese soll sicherstellen, dass man die Skipisten ohne Gefahr benutzen kann.

Was ist der Inhalt der FIS-Regeln?


Die FIS-Regeln wurden vom Internationalen Skiverband aufgestellt. Sie sind auf Skipisten als verbindlich anzusehen. Die zehn Regeln lauten:

1. Rücksicht auf die anderen Skifahrer und Snowboarder
Jeder Skifahrer und Snowboarder muss sich so verhalten, dass er keinen anderen gefährdet, oder schädigt, oder ihn in der Ausübung seiner Tätigkeit einschränkt.

2. Beherrschung der Geschwindigkeit und der Fahrweise
Jeder Skifahrer und Snowboarder muss auf Sicht fahren. Er muss seine Geschwindigkeit und seine Fahrweise seinem Können und den Gelände-, Schnee- und Witterungsverhältnissen sowie der Verkehrsdichte anpassen.

3. Wahl der Fahrspur
Der von hinten kommende Skifahrer oder Snowboarder muss seine Fahrspur so wählen, dass er vor ihm fahrende Skifahrer und Snowboarder nicht gefährdet.

4. Überholen
Überholt werden darf von oben oder unten, von rechts oder links, aber immer nur mit einem Abstand, der dem überholten Skifahrer oder Snowboarder für alle seine Bewegungen genügend Raum lässt.

5. Einfahren und Anfahren
Jeder Skifahrer und Snowboarder, der in eine Skiabfahrt einfahren, nach einem Halt wieder anfahren oder hangaufwärts schwingen oder fahren will, muss sich nach oben und unten vergewissern, dass er dies ohne Gefahr für sich und andere tun kann.

6. Anhalten
Jeder Skifahrer und Snowboarder muss es vermeiden, sich ohne Not an engen oder unübersichtlichen Stellen einer Abfahrt aufzuhalten. Ein gestürzter Skifahrer oder Snowboarder muss eine solche Stelle so schnell wie möglich freimachen.

7. Aufstieg und Abstieg
Ein Skifahrer oder Snowboarder, der aufsteigt oder zu Fuß absteigt, muss den Rand der Abfahrt benutzen.

8. Beachten der Zeichen
Jeder Skifahrer und Snowboarder muss die Markierung und die Signalisierung beachten.

9. Hilfeleistung
Bei Unfällen ist jeder Skifahrer und Snowboarder zur Hilfeleistung verpflichtet.

10. Ausweispflicht
Jeder Skifahrer und Snowboarder, ob Zeuge oder Beteiligter, ob verantwortlich oder nicht, muss im Falle eines Unfalles seine Personalien angeben.

Wo gelten die FIS-Regeln?


Skifahrer und Snowboarder sollten besser davon ausgehen, dass die FIS-Regeln überall gelten. Ansprüche aus Skiunfällen im Ausland können auch in Deutschland geltend gemacht werden, sofern der Unfallverursacher Deutscher ist. Auch dann sind deutsche Haftungsnormen anwendbar (Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 19.4.1996, Az. 22 U 259/95).

Dies zeigt auch ein Fall, der vor dem Landgericht Frankenthal verhandelt wurde: Ein Ski- und ein Snowboardfahrer hatten an einer Skireise nach Kanada teilgenommen. Bei einem Überholmanöver des Skifahrers kollidierten beide. Der Snowboarder erlitt einen Kreuzband- und Seitenbandriss sowie eine Verletzung des Innen- und Außenmeniskus. Dies wurde erst in Deutschland festgestellt, zunächst fuhr er weiter Snowboard und nahm sogar an einem Heliskiing teil.

Das Gericht verurteilte den Skifahrer zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld. Er habe sich nicht an FIS-Regel Nr. 5 gehalten (Umschauen beim Hangaufwärts-Schwingen). Die Verletzungen seien nach einem medizinischen Gutachten allein auf den Unfall zurückzuführen. Das Gericht sprach dem Snowboarder Ersatz seines Verdienstausfalls in Höhe von 20.000 Euro plus ein Schmerzensgeld von 7.000 Euro zu (Urteil vom 27.11.2020, Az. 7 O 141/19).

Was muss man zur Hilfeleistungspflicht wissen?


Regel Nummer neun ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Auch außerhalb einer Skipiste ist nämlich bei einem Unfall jeder zur Leistung von Hilfe verpflichtet. Wer dies unterlässt, macht sich strafbar wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c Strafgesetzbuch, Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe). Wichtig: Wer nach einem Unglücksfall andere behindert, die helfen wollen – egal ob professionelle Retter oder Laien – macht sich ebenso strafbar. Im Weg herumstehen und Filmen ist also absolut tabu.

Wer trägt die Schuld an einem Unfall?


Missachtet ein Skifahrer die FIS-Regeln, muss er damit rechnen, nach einem Unfall durch eine Kollision mit anderen Skifahrern für deren Schaden zu haften. Bei einem Regelverstoß gehen Gerichte oft von einem sogenannten Anscheinsbeweis aus. Das bedeutet: Wenn es keine weiteren Beweise gibt, nimmt man einfach an, dass es ohne den Regelverstoß keinen Unfall gegeben hätte.

Das Oberlandesgericht Hamm entschied über die Kollision von zwei Mitgliedern einer deutschen Skischul-Gruppe in Österreich. Ein Teilnehmer hatte eine Skifahrerin überholen wollen, die vor ihm fuhr. Den Sicherheitsabstand hatte er dabei vernachlässigt. Das Gericht wies darauf hin, dass der Vorausfahrende nach den FIS-Regeln immer Vorrang habe. Der Überholende sei dazu verpflichtet, Vorsicht walten zu lassen. Der Überholer musste Schadensersatz und Schmerzensgeld bezahlen (Az. I-13 U 81/08).

Was ist, wenn beide mitschuldig sind?


Vor dem Landgericht Coburg ging es um eine Kollision zwischen einer Skifahrerin und einem Snowboarder. Hier hatten beide die FIS-Regeln nicht beachtet und ihr Fahrverhalten nicht an Können, Piste und Wetter angepasst. Die Frau erlitt bei dem Skiunfall mehrere Knochenbrüche. Das Gericht nahm an, dass ein Snowboard schwerer zu steuern sei und bei jedem zweiten Schwung einen toten Winkel für den Fahrer verursache. Von Snowboardern ginge deshalb eine etwas höhere Gefahr aus, als von Skifahrern. Trotz Mitverschuldens wurde der Skifahrerin daher ein Schmerzensgeld von 4.800 Euro zugesprochen. Sie hatte auf 10.000 Euro geklagt (Az. 14 O 462/06).

Um die Schuld-Verteilung ging es 2015 auch vor dem Bundesgerichtshof. Ein Skilehrer war im Gespräch mit seiner Gruppe abseits der Piste einen Schritt zurück getreten. Dabei war er in den Weg eines Skifahrers geraten, der gerade auf Skiern zurück zum Hotel fuhr. Entscheidend war für den BGH hier, ob der Geschädigte die Gefahr vorher hätte erkennen können. Der Kläger jedenfalls sei nicht zu 100 Prozent selbst schuld, nur weil er in voller Skimontur auf Skiern auf einer öffentlichen Straße gefahren sei. Das Verfahren wurde zwecks genauerer Feststellung der jeweiligen Mitverschuldensanteile zurück an die Vorinstanz verwiesen (Az. VI ZR 206/14).

Wer hat Vorfahrt?


Das Landgericht Ravensburg hat entschieden, dass bei einem Unfall auf der Skipiste allein der von oben kommende Skifahrer haftet (Az. 4 O 185/05). Dies begründete das Gericht mit den FIS-Regeln, die weltweit auf allen Pisten gelten würden. Nach diesen müsse der hintere Fahrer die Fahrspur und die Geschwindigkeit so wählen, dass der vor ihm fahrende Fahrer nicht gefährdet werde (FIS-Regel Nr. 3).

Ein Skifahrer darf auf der Skipiste stehen bleiben, um sich ein Bild über den weiteren Pistenverlauf zu machen. Wenn dann ein anderer Skifahrer in ihn hineinfährt, haftet dieser für die Unfallfolgen allein. Dies entschied das Oberlandesgericht Dresden (Az. 7 U 1994/03).

Wie haften Minderjährige bei einem Skiunfall?


Kinder vor dem vollendeten siebenten Lebensjahr haften nicht, weil sie noch nicht deliktsfähig sind. Ihre Eltern haften nur bei Verletzung der Aufsichtspflicht.

Minderjährige, die deliktsfähig sind, haften abhängig von ihrer Entwicklung. War ein Kind oder ein Jugendlicher schon von seinem Entwicklungsstand her selbst in der Lage, zu verstehen, dass seine Handlungsweise falsch war, haftet dieser auch selbst. Ein zivilrechtliches Urteil kann 30 Jahre lang vollstreckt werden. Daher kann der Geschädigte mit der Einforderung des Geldes warten, bis der Jugendliche sein eigenes Geld verdient.

Auch bei über Siebenjährigen haften die Eltern lediglich bei einer Verletzung ihrer Aufsichtspflicht. Der Umfang dieser Pflicht ist jedoch fließend und hängt davon ab, wie viel Aufsicht je nach Alter und Entwicklungsstand des Kindes notwendig ist.

Das Landgericht Ravensburg befasste sich mit dem Fall eines zwölfjährigen Skifahrers. Dieser hatte beim Überholen nicht den ausreichenden Abstand eingehalten und keine ungefährliche Fahrspur gewählt (Regeln 3 und 4). Folge war eine Kollision mit einer Skifahrerin, die er überholen wollte. Die Frau verlangte Schadensersatz und Schmerzensgeld für ihre Verletzungen. Das Gericht verurteilte den deliktsfähigen Zwölfjährigen selbst wegen seines Regelverstoßes. Sein ebenfalls auf der Piste anwesender Vater haftete nicht: Hier lag keine Verletzung der Aufsichtspflicht vor (LG Ravensburg, Urteil vom 22.3.2007, Az. 2 O 392/06).

Wie haften Skischulen?


Um die Haftung einer Skischule ging es vor dem Landgericht Deggendorf. Ein Skilehrer hatte seine Anfänger schon für ihre ersten Versuche auf eine viel befahrene blaue Piste gestellt. Er forderte eine Skischülerin zum Losfahren auf, obwohl sich von hinten andere Skifahrer näherten. Als sie der Anweisung folgte, fuhr ein fremder Skifahrer vorn über ihre Skier. Sie stürzte und erlitt Knochenbrüche und Gelenkverletzungen. Das Gericht gestand ihr ein Schmerzensgeld von 5.000 Euro zu. Die Skischule musste zahlen, weil der Skilehrer die erste Übungsstunde nach Ansicht des Gerichts auf einem völlig ungeeigneten Hang durchgeführt hatte. Anfängerübungen müsse man abseits vom normalen Sportbetrieb veranstalten. Die Schüler dürften nicht überfordert werden. Auch habe das Anfahren trotz sich nähernder Skifahrer gegen die FIS-Regel Nr. 5 verstoßen. Eine solche Anweisung habe der Skilehrer nicht erteilen dürfen (Urteil vom 12.11.2014, Az. 22 O 298/14).

Schneekanonen als Gefahrenquelle


Im Winter bleibt heute oft der Schnee aus. Dann sorgen Schneekanonen auf Skipisten für die weiße Pracht. Allerdings schaffen sie auch weitere Gefahrenquellen, wie ein Fall aus dem Skigebiet Seebruck beim Feldberg zeigt.

Zwei Skifahrer im Alter von 29 und 30 Jahren waren in mittlerem Tempo im unteren, schon einigermaßen flachen, Teil der Skipiste kollidiert. Danach prallten sie gegen den Mast einer Schneekanone. Beide starben noch an der Unfallstelle. Die Polizei vermutete, dass der Aufprall auf den Mast die tödlichen Verletzungen verursacht habe. Dieser war jedoch mit einer orangefarbenen Weichmatte ummantelt gewesen. An den Helmen der Männer waren kaum Schäden festzustellen. Hätten mehr Sicherheitsvorkehrungen den Unfall verhindern können?

Welche Pflichten haben Pistenbetreiber?


Skipistenbetreiber haben eine Pistensicherungspflicht. Sie müssen geeignete Maßnahmen ergreifen, um Skifahrer vor möglichen versteckten und untypischen Gefahren, mit denen diese nicht direkt rechnen können, zu schützen. Solche Maßnahmen müssen aber dem jeweiligen Pistenbetreiber auch tatsächlich möglich und ihm wirtschaftlich zumutbar sein. Dies entspricht der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht, die jeder Betreiber einer möglicherweise gefährlichen Anlage zu beachten hat - wie auch jeder zum Schneeräumen verpflichtete Hauseigentümer.

Einem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart gemäß müssen Skipistenbetreiber im Bereich der Piste und in deren Einzugsbereich Stützmasten und Lichtmasten mit aufpralldämpfendem Material polstern (Az. 5 U 72/09). Im oben geschilderten Fall hatte es eine solche Sicherung gegeben. Damit war also der Skipistenbetreiber seiner Pistensicherungspflicht nachgekommen. Es bleibt jedoch fraglich, ob er die Schneekanone an einem geeigneten Standort platziert hatte und ob die Schutzmaßnahmen ausreichend waren. Es hat in den letzten Jahren bereits mehrfach tödliche Skiunfälle durch Kollisionen mit Schneekanonen gegeben.

Welche Maßnahmen muss der Betreiber ergreifen?


Der Skipistenbetreiber muss etwa Hindernisse, Engstellen, Stufen im Gelände, unübersichtliche Kurven oder Steilhänge absichern. Dies gilt besonders dann, wenn diese unmittelbar am Rand der Piste liegen. Die Absicherung kann durch Warnschilder oder Absperrungen stattfinden. Feste Hindernisse wie Masten müssen gepolstert werden. Unter Umständen müssen auch Fangnetze aufgestellt werden. Herumstehende Fahrzeuge wie Pistenraupen oder Motorschlitten sind durch Warneinrichtungen abzusichern. Im Betrieb müssen die Fahrzeuge die Strecken nutzen, auf denen sie Wintersportler am wenigsten gefährden. Dies hat das Oberlandesgericht München entschieden (Urteil vom 24.4.2002, Az. 7 U 4714/01).

Praxistipp


Auch immer bessere Sicherheitsmaßnahmen garantieren keinen Schutz vor Unfällen. Viele Skifahrer beachten die FIS-Regeln nicht, und auf vielen Pisten sind Gefahrenquellen unzureichend gesichert. Ski- und Snowboardfahren ist ein riskanter Sport. Bei einem Unfall lohnt es sich, einen auf das Zivilrecht spezialisierten Rechtsanwalt zu konsultieren, der Erfahrung mit Fällen aus dem Wintersport hat.

(Bu)


 Stephan Buch
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