StVO-Änderung: Wie dürfen Gemeinden den Straßenverkehr einschränken?
29.10.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
© Bu - Anwalt-Suchservice Kaum eine Bundesregierung kann der Versuchung widerstehen, größere Änderungen an der Straßenverkehrsordnung vorzunehmen. Die Ampel-Regierung macht hier keine Ausnahme. Seit 11.10.2024 sind Änderungen der StVO in Kraft, die den Gemeinden erweiterte Kompetenzen geben, um Beschilderung und Verkehrsführung zu ändern sowie Tempo 30-Zonen, Radwege und Radfahrstreifen zu erweitern oder auch Fahrradstraßen einzurichten. Allerdings bleiben rechtliche Unsicherheiten bei der Umsetzung.
Die Änderung der Straßenverkehrsordnung beruht auf einer 2023 von den Ampel-Parteien beschlossenen Änderung der Prioritäten im Verkehrsrecht. Bisher durften nur dann neue Verkehrsschilder aufgestellt und bauliche Maßnahmen auf Straßen durchgeführt werden, wenn dies der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs diente. Nun dürfen Gemeinden solche Maßnahmen auch durchführen, wenn dies dem Umwelt- bzw. Klimaschutz, der städtebaulichen Entwicklung oder der Gesundheit der Bevölkerung dient. Dieses neue Ziel wurde in § 6 Abs. 4a des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) niedergelegt, der die Rechtsgrundlage für die Änderung der StVO bildet. Die Neuregelung besagt allerdings ausdrücklich, dass neben den neuen Zielen wie etwa dem Klimaschutz bei den Maßnahmen der Gemeinden auch die Leichtigkeit des Verkehrs zu berücksichtigen ist. Ferner darf dadurch die Sicherheit des Verkehrs nicht beeinträchtigt werden.
Bisher war die Einrichtung neuer Busspuren und Radwege nur "aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs" erlaubt (§ 45 Abs. 1 S. 1 StVO). Zusätzlich waren die strengen Voraussetzungen für Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nach § 45 Abs. 9 StVO zu beachten. Daher war obendrein eine erhöhte Gefahrenlage nachzuweisen.
Nun wird die Einrichtung von Sonderfahrstreifen für Linienbusse oder von neuen oder breiteren Geh- und Radwegen gegenüber anderen Verkehrszeichen bevorzugt behandelt. Sie dürfen aus allen neu ins Gesetz eingeführten Gründen angelegt werden, also "zur Verbesserung des Schutzes der Umwelt, darunter des Klimaschutzes, zum Schutz der Gesundheit oder zur Unterstützung der geordneten städtebaulichen Entwicklung". Die Leichtigkeit des Verkehrs bleibt jedoch zu berücksichtigen, und auch die Sicherheit darf nicht leiden.
Die Einrichtung neuer Busspuren und Radwege hängt nach wie vor vom Willen der jeweiligen Gemeinde ab. Völlig freie Hand hat diese auch nicht, denn die Privilegierung gegenüber anderen Verkehrszeichen gilt nur bei Verwendung "angemessener Flächen". Dieser nicht genau definierte Begriff könnte noch für Streitigkeiten vor Gericht sorgen.
Auch nach der Neuregelung bleibt die Leichtigkeit des Verkehrs ein Faktor, der immer zu berücksichtigen ist. Nur hat sich dessen Auslegung geändert. Bisher ging man davon aus, dass damit in erster Linie der Autoverkehr gemeint sei. Nun enthält die Begründung zur neuen StVO-Version den Hinweis, dass man darunter einen "ungehinderten Verkehrsfluss aller Verkehrsteilnehmer" zu verstehen hat – und, dass bestimmte Verkehrsteilnehmer unter Umständen auch Nachteile in Kauf nehmen müssen.
Bisher setzte die Einführung neuer Geschwindigkeitsbegrenzungen durch neue Beschilderung und andere Verkehrseinrichtungen voraus, dass "auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko … erheblich übersteigt". Dies schränkte auch die Einführung neuer Tempo-30-Regelungen ein. Eine Folge war, dass es auf längeren Straßenabschnitten immer wieder Teile mit Tempo 30 und Tempo 50 gab, auf denen Autofahrer abwechselnd mit Bremsen und Gasgeben beschäftigt waren. Lücken zwischen Tempo-30-Zonen durften nur geschlossen werden, wenn diese nicht länger als 300 Meter waren.
§ 45 Abs. 9 S. 4 Nr. 4 StVO legt jetzt fest, dass auch Lücken mit einer Länge bis zu 500 Metern geschlossen werden dürfen, sodass eine einheitliche Tempo-30-Zone entsteht.
Erweitert wird auch der Katalog der Ausnahmen, die es erlauben, in der Nähe von besonders schutzwürdigen Einrichtungen Tempo 30 anzuordnen. Nun ist dies nicht nur an Kitas, Schulen, Alten- und Pflegeheimen sowie Krankenhäusern möglich, sondern auch an Zebrastreifen, Spielplätzen, hochfrequentierten Schulwegen und Einrichtungen für Behinderte.
Zebrastreifen dürfen nun ebenfalls unter erleichterten Voraussetzungen angelegt werden (§ 45 Abs. 9 S. 4 Nr. 10).
All diese verkehrsregelnden Maßnahmen sind jedoch nur "zur Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs" zulässig (§ 45 Abs. 1 StVO). Sie dürfen nur dort angeordnet werden, wo dies "auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist" (§ 45 Abs. 9 S. 1 StVO). Es ist also im Prinzip immer noch eine Gefahrenlage erforderlich, nur eben keine außergewöhnliche mehr. Diese Einschränkung werden Gerichte bei künftigen Verfahren berücksichtigen müssen.
Die Einrichtung von Anwohnerparkzonen oder kostenpflichtigen Parkplätzen ist für die Gemeinden einfacher geworden. Bisher musste dafür ein erheblicher Parkplatzmangel vor Ort bestehen. Jetzt reicht ein drohender erheblicher Parkplatzmangel als Begründung aus (§ 45 Abs. 1b Nr. 2a StVO).
Auch dürfen Gemeinden nun eine Parkraumbewirtschaftung auf Grundlage eines "städtebaulich-verkehrsplanerischen Konzepts" durchführen, und zwar auch ohne drohenden Parkplatzmangel. Dabei ist jedoch die Leichtigkeit des Verkehrs zu berücksichtigen.
Keine Regelungen gibt es zum Thema digitale Parkraumbewirtschaftung.
Unter blue Lanes versteht man Sonderfahrstreifen, die zum Beispiel für E-Autos, Wasserstoff-Autos oder Autos mit mehreren Insassen reserviert sind. Die Einführung solcher Fahrspuren ist jetzt nach § 45 Abs. 9 S. 4 StVO nicht mehr vom Vorliegen einer erhöhten Gefahrenlage abhängig.
Verschiedene Auslegungsspielräume können bei den Neuregelungen für rechtliche Unsicherheiten sorgen. So sind zum Beispiel die Einrichtung von Tempo 30-Zonen und von Blue Lanes sowie Zebrastreifen unter bestimmten Voraussetzungen nur vom Erfordernis einer erhöhten Gefahrenlage in § 45 Abs. 9 S. 3 StVO ausgenommen. Sie müssen jedoch weiterhin mit einer einfachen Gefahrenlage begründet werden. Unter welchen Umständen diese vorliegt, ist nicht klar definiert. Hier sind also gerichtliche Verfahren abzuwarten.
Auch die immer noch notwendige Berücksichtigung der "Leichtigkeit des Verkehrs" kann Probleme bereiten. Dazu gehört nun auch der Radverkehr. Dies heißt jedoch nicht, dass der Autoverkehr automatisch immer benachteiligt werden darf.
Fraglich ist auch, in welchem Umfang die Bereitstellung von neuen Flächen für den Fußgänger- und Fahrradverkehr "angemessen" ist. Auch dies ist ein nicht klar definierter Begriff.
Einige Klärung könnte durch neue Verwaltungsvorschriften des Bundesverkehrsministeriums zur Auslegung der StVO erfolgen. Diese sind derzeit noch nicht veröffentlicht.
In Berlin macht derzeit die Radwegeplanung in der Kantstraße im Bezirk Charlottenburg Schlagzeilen. Dort wurde mit Farbmarkierungen ein Radfahrstreifen am rechten Fahrbahnrand angelegt. Dieser wurde vom vorherigen rot-rot-grünen Senat als sogenannter Pop-up-Radweg rechtswidrig angelegt, nämlich ohne das erforderliche Genehmigungsverfahren. Links daneben gibt es einen Parkstreifen für Autos, dann folgt die Fahrbahn. Das Problem: Die Feuerwehr kann wegen des mittig angeordneten Parkstreifens mit ihrer Drehleiter die oberen Stockwerke der anliegenden Mehrfamilienhäuser nicht mehr erreichen, welche keine anderen Fluchtwege haben. Die Folge: Der Bezirk Charlottenburg erwog nicht etwa, den ohne Genehmigung eingerichteten Radfahrweg zu entfernen, sondern drohte, den Mietern und Eigentümern der anliegenden Wohnungen ab dem dritten Geschoss die Nutzung ihrer Wohnungen zu untersagen.
Inzwischen wurde angeblich eine Lösung gefunden. Der Radweg, der zur Sicherheit der Radfahrer durch den mittig angeordneten Parkstreifen abgeschirmt ist, soll nun mit dem Parkstreifen tauschen. Die Autos würden dann also wieder ganz rechts auf der Fahrbahn parken, in der Mitte sind neu die Radfahrer und links daneben der Auto und Busverkehr. Dient dies der Sicherheit der Radfahrer? Durchläuft der neue Radfahrstreifen nun das erforderliche Genehmigungsverfahren?
Vielen Bürgern sind die im Zuge der sogenannten Verkehrswende getroffenen Maßnahmen, die zumeist auf eine Einschränkung des individuellen Pkw-Verkehrs und eine Beförderung des Fahrradfahrens (Stichwort "autofreie Städte") abzielen, nicht recht. Oft kollidieren die umgesetzten Maßnahmen aber in verschiedener Hinsicht auch mit dem geltenden Recht, wie oben im Fall Berlin aufgezeigt.
Soweit es für geplante verkehrsregelnde Maßnahmen eine öffentliche Auslegung oder Anhörungsphase gibt, können Bürger und Anlieger Einsprüche und Stellungnahmen abgeben. Dabei können Argumente wie z. B. negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit vorgebracht werden.
Greifen bereits umgesetzte, verkehrsregelnde Maßnahmen direkt in Rechte von Bürgern, insbesondere Anliegern, ein, kann ein formeller Widerspruch gegen den Verwaltungsakt eingelegt werden. Falls dieser abgelehnt wird, bleibt die Möglichkeit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht.
Es gibt immer wieder Fälle, in denen Anwohner gegen verkehrsregelnde Maßnahmen von Gemeinden vor Gericht ziehen, weil zum Beispiel ihre Straße oder ihr Arbeitsweg zur reinen Fahrradstraße erklärt und für Autos gesperrt werden. In einem solchen Fall sollten sich Betroffene durch einen Rechtsanwalt für Verwaltungsrecht beraten lassen. Denn: Auch Gemeinden müssen sich bei Änderungen der Verkehrsführung, sonstigen verkehrsregelnden Maßnahmen und der Verkehrsbeschilderung nach wie vor an die Regeln halten.
Das Wichtigste in Kürze
1. Neue Gründe für verkehrsregelnde Maßnahmen: Ab Oktober 2024 dürfen Gemeinden verkehrsregelnde Maßnahmen auch mit der Begründung durchführen, dass diese dem Umwelt- bzw. Klimaschutz, der städtebaulichen Entwicklung oder der Gesundheit der Bevölkerung dienen. Bisher war allein die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs maßgebend.
2. Busspuren / Radfahrstreifen: Die Einrichtung von Busspuren oder Radwegen wird gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern, insbesondere Autos, privilegiert behandelt - Stichwort "Verkehrswende".
3. Einschränkung: Neben dem Erfordernis, dass solche verkehrsregelnden Maßnahmen auch weiterhin nur "zur Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs" zulässig sind, gilt die neue Privilegierung nur bei Verwendung "angemessener Flächen" für den angestrebten Zweck.
1. Neue Gründe für verkehrsregelnde Maßnahmen: Ab Oktober 2024 dürfen Gemeinden verkehrsregelnde Maßnahmen auch mit der Begründung durchführen, dass diese dem Umwelt- bzw. Klimaschutz, der städtebaulichen Entwicklung oder der Gesundheit der Bevölkerung dienen. Bisher war allein die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs maßgebend.
2. Busspuren / Radfahrstreifen: Die Einrichtung von Busspuren oder Radwegen wird gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern, insbesondere Autos, privilegiert behandelt - Stichwort "Verkehrswende".
3. Einschränkung: Neben dem Erfordernis, dass solche verkehrsregelnden Maßnahmen auch weiterhin nur "zur Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs" zulässig sind, gilt die neue Privilegierung nur bei Verwendung "angemessener Flächen" für den angestrebten Zweck.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Welche grundsätzliche Änderung wurde in der Straßenverkehrsordnung vorgenommen? Was hat sich bei Busspuren und Radwegen geändert? Was ist mit Leichtigkeit des Verkehrs gemeint? Was gilt für neue Geschwindigkeitsbegrenzungen und Zebrastreifen? Was hat sich beim Parken geändert? Werden "blue Lanes" möglich? Welche Probleme sind bei der Umsetzung der neuen StVO-Regeln zu erwarten? "Vorausschauende" Radwegeplanung: Beispiel Berlin Wie können sich Betroffene gegen verkehrsregelnde Maßnahmen wehren? Praxistipp zur Änderung der StVO Welche grundsätzliche Änderung wurde in der Straßenverkehrsordnung vorgenommen?
Die Änderung der Straßenverkehrsordnung beruht auf einer 2023 von den Ampel-Parteien beschlossenen Änderung der Prioritäten im Verkehrsrecht. Bisher durften nur dann neue Verkehrsschilder aufgestellt und bauliche Maßnahmen auf Straßen durchgeführt werden, wenn dies der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs diente. Nun dürfen Gemeinden solche Maßnahmen auch durchführen, wenn dies dem Umwelt- bzw. Klimaschutz, der städtebaulichen Entwicklung oder der Gesundheit der Bevölkerung dient. Dieses neue Ziel wurde in § 6 Abs. 4a des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) niedergelegt, der die Rechtsgrundlage für die Änderung der StVO bildet. Die Neuregelung besagt allerdings ausdrücklich, dass neben den neuen Zielen wie etwa dem Klimaschutz bei den Maßnahmen der Gemeinden auch die Leichtigkeit des Verkehrs zu berücksichtigen ist. Ferner darf dadurch die Sicherheit des Verkehrs nicht beeinträchtigt werden.
Was hat sich bei Busspuren und Radwegen geändert?
Bisher war die Einrichtung neuer Busspuren und Radwege nur "aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs" erlaubt (§ 45 Abs. 1 S. 1 StVO). Zusätzlich waren die strengen Voraussetzungen für Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nach § 45 Abs. 9 StVO zu beachten. Daher war obendrein eine erhöhte Gefahrenlage nachzuweisen.
Nun wird die Einrichtung von Sonderfahrstreifen für Linienbusse oder von neuen oder breiteren Geh- und Radwegen gegenüber anderen Verkehrszeichen bevorzugt behandelt. Sie dürfen aus allen neu ins Gesetz eingeführten Gründen angelegt werden, also "zur Verbesserung des Schutzes der Umwelt, darunter des Klimaschutzes, zum Schutz der Gesundheit oder zur Unterstützung der geordneten städtebaulichen Entwicklung". Die Leichtigkeit des Verkehrs bleibt jedoch zu berücksichtigen, und auch die Sicherheit darf nicht leiden.
Die Einrichtung neuer Busspuren und Radwege hängt nach wie vor vom Willen der jeweiligen Gemeinde ab. Völlig freie Hand hat diese auch nicht, denn die Privilegierung gegenüber anderen Verkehrszeichen gilt nur bei Verwendung "angemessener Flächen". Dieser nicht genau definierte Begriff könnte noch für Streitigkeiten vor Gericht sorgen.
Was ist mit Leichtigkeit des Verkehrs gemeint?
Auch nach der Neuregelung bleibt die Leichtigkeit des Verkehrs ein Faktor, der immer zu berücksichtigen ist. Nur hat sich dessen Auslegung geändert. Bisher ging man davon aus, dass damit in erster Linie der Autoverkehr gemeint sei. Nun enthält die Begründung zur neuen StVO-Version den Hinweis, dass man darunter einen "ungehinderten Verkehrsfluss aller Verkehrsteilnehmer" zu verstehen hat – und, dass bestimmte Verkehrsteilnehmer unter Umständen auch Nachteile in Kauf nehmen müssen.
Was gilt für neue Geschwindigkeitsbegrenzungen und Zebrastreifen?
Bisher setzte die Einführung neuer Geschwindigkeitsbegrenzungen durch neue Beschilderung und andere Verkehrseinrichtungen voraus, dass "auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko … erheblich übersteigt". Dies schränkte auch die Einführung neuer Tempo-30-Regelungen ein. Eine Folge war, dass es auf längeren Straßenabschnitten immer wieder Teile mit Tempo 30 und Tempo 50 gab, auf denen Autofahrer abwechselnd mit Bremsen und Gasgeben beschäftigt waren. Lücken zwischen Tempo-30-Zonen durften nur geschlossen werden, wenn diese nicht länger als 300 Meter waren.
§ 45 Abs. 9 S. 4 Nr. 4 StVO legt jetzt fest, dass auch Lücken mit einer Länge bis zu 500 Metern geschlossen werden dürfen, sodass eine einheitliche Tempo-30-Zone entsteht.
Erweitert wird auch der Katalog der Ausnahmen, die es erlauben, in der Nähe von besonders schutzwürdigen Einrichtungen Tempo 30 anzuordnen. Nun ist dies nicht nur an Kitas, Schulen, Alten- und Pflegeheimen sowie Krankenhäusern möglich, sondern auch an Zebrastreifen, Spielplätzen, hochfrequentierten Schulwegen und Einrichtungen für Behinderte.
Zebrastreifen dürfen nun ebenfalls unter erleichterten Voraussetzungen angelegt werden (§ 45 Abs. 9 S. 4 Nr. 10).
All diese verkehrsregelnden Maßnahmen sind jedoch nur "zur Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs" zulässig (§ 45 Abs. 1 StVO). Sie dürfen nur dort angeordnet werden, wo dies "auf Grund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist" (§ 45 Abs. 9 S. 1 StVO). Es ist also im Prinzip immer noch eine Gefahrenlage erforderlich, nur eben keine außergewöhnliche mehr. Diese Einschränkung werden Gerichte bei künftigen Verfahren berücksichtigen müssen.
Was hat sich beim Parken geändert?
Die Einrichtung von Anwohnerparkzonen oder kostenpflichtigen Parkplätzen ist für die Gemeinden einfacher geworden. Bisher musste dafür ein erheblicher Parkplatzmangel vor Ort bestehen. Jetzt reicht ein drohender erheblicher Parkplatzmangel als Begründung aus (§ 45 Abs. 1b Nr. 2a StVO).
Auch dürfen Gemeinden nun eine Parkraumbewirtschaftung auf Grundlage eines "städtebaulich-verkehrsplanerischen Konzepts" durchführen, und zwar auch ohne drohenden Parkplatzmangel. Dabei ist jedoch die Leichtigkeit des Verkehrs zu berücksichtigen.
Keine Regelungen gibt es zum Thema digitale Parkraumbewirtschaftung.
Werden "blue Lanes" möglich?
Unter blue Lanes versteht man Sonderfahrstreifen, die zum Beispiel für E-Autos, Wasserstoff-Autos oder Autos mit mehreren Insassen reserviert sind. Die Einführung solcher Fahrspuren ist jetzt nach § 45 Abs. 9 S. 4 StVO nicht mehr vom Vorliegen einer erhöhten Gefahrenlage abhängig.
Welche Probleme sind bei der Umsetzung der neuen StVO-Regeln zu erwarten?
Verschiedene Auslegungsspielräume können bei den Neuregelungen für rechtliche Unsicherheiten sorgen. So sind zum Beispiel die Einrichtung von Tempo 30-Zonen und von Blue Lanes sowie Zebrastreifen unter bestimmten Voraussetzungen nur vom Erfordernis einer erhöhten Gefahrenlage in § 45 Abs. 9 S. 3 StVO ausgenommen. Sie müssen jedoch weiterhin mit einer einfachen Gefahrenlage begründet werden. Unter welchen Umständen diese vorliegt, ist nicht klar definiert. Hier sind also gerichtliche Verfahren abzuwarten.
Auch die immer noch notwendige Berücksichtigung der "Leichtigkeit des Verkehrs" kann Probleme bereiten. Dazu gehört nun auch der Radverkehr. Dies heißt jedoch nicht, dass der Autoverkehr automatisch immer benachteiligt werden darf.
Fraglich ist auch, in welchem Umfang die Bereitstellung von neuen Flächen für den Fußgänger- und Fahrradverkehr "angemessen" ist. Auch dies ist ein nicht klar definierter Begriff.
Einige Klärung könnte durch neue Verwaltungsvorschriften des Bundesverkehrsministeriums zur Auslegung der StVO erfolgen. Diese sind derzeit noch nicht veröffentlicht.
"Vorausschauende" Radwegeplanung: Beispiel Berlin
In Berlin macht derzeit die Radwegeplanung in der Kantstraße im Bezirk Charlottenburg Schlagzeilen. Dort wurde mit Farbmarkierungen ein Radfahrstreifen am rechten Fahrbahnrand angelegt. Dieser wurde vom vorherigen rot-rot-grünen Senat als sogenannter Pop-up-Radweg rechtswidrig angelegt, nämlich ohne das erforderliche Genehmigungsverfahren. Links daneben gibt es einen Parkstreifen für Autos, dann folgt die Fahrbahn. Das Problem: Die Feuerwehr kann wegen des mittig angeordneten Parkstreifens mit ihrer Drehleiter die oberen Stockwerke der anliegenden Mehrfamilienhäuser nicht mehr erreichen, welche keine anderen Fluchtwege haben. Die Folge: Der Bezirk Charlottenburg erwog nicht etwa, den ohne Genehmigung eingerichteten Radfahrweg zu entfernen, sondern drohte, den Mietern und Eigentümern der anliegenden Wohnungen ab dem dritten Geschoss die Nutzung ihrer Wohnungen zu untersagen.
Inzwischen wurde angeblich eine Lösung gefunden. Der Radweg, der zur Sicherheit der Radfahrer durch den mittig angeordneten Parkstreifen abgeschirmt ist, soll nun mit dem Parkstreifen tauschen. Die Autos würden dann also wieder ganz rechts auf der Fahrbahn parken, in der Mitte sind neu die Radfahrer und links daneben der Auto und Busverkehr. Dient dies der Sicherheit der Radfahrer? Durchläuft der neue Radfahrstreifen nun das erforderliche Genehmigungsverfahren?
Wie können sich Betroffene gegen verkehrsregelnde Maßnahmen wehren?
Vielen Bürgern sind die im Zuge der sogenannten Verkehrswende getroffenen Maßnahmen, die zumeist auf eine Einschränkung des individuellen Pkw-Verkehrs und eine Beförderung des Fahrradfahrens (Stichwort "autofreie Städte") abzielen, nicht recht. Oft kollidieren die umgesetzten Maßnahmen aber in verschiedener Hinsicht auch mit dem geltenden Recht, wie oben im Fall Berlin aufgezeigt.
Soweit es für geplante verkehrsregelnde Maßnahmen eine öffentliche Auslegung oder Anhörungsphase gibt, können Bürger und Anlieger Einsprüche und Stellungnahmen abgeben. Dabei können Argumente wie z. B. negative Auswirkungen auf die Verkehrssicherheit vorgebracht werden.
Greifen bereits umgesetzte, verkehrsregelnde Maßnahmen direkt in Rechte von Bürgern, insbesondere Anliegern, ein, kann ein formeller Widerspruch gegen den Verwaltungsakt eingelegt werden. Falls dieser abgelehnt wird, bleibt die Möglichkeit einer Klage vor dem Verwaltungsgericht.
Praxistipp zur Änderung der StVO
Es gibt immer wieder Fälle, in denen Anwohner gegen verkehrsregelnde Maßnahmen von Gemeinden vor Gericht ziehen, weil zum Beispiel ihre Straße oder ihr Arbeitsweg zur reinen Fahrradstraße erklärt und für Autos gesperrt werden. In einem solchen Fall sollten sich Betroffene durch einen Rechtsanwalt für Verwaltungsrecht beraten lassen. Denn: Auch Gemeinden müssen sich bei Änderungen der Verkehrsführung, sonstigen verkehrsregelnden Maßnahmen und der Verkehrsbeschilderung nach wie vor an die Regeln halten.
(Bu)