Pflichtteil: Benachteiligende Absprachen sind nicht ratsam!

28.10.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice
Mann,psst,Zeichen,Schweigen Wer enterbt wurde, hat Anspruch auf den Pflichtteil. © - freepik

Nahen Angehörigen garantiert der Pflichtteil auch dann einen Anteil am Nachlass, wenn der Erblasser ihnen bewusst nichts zugedacht hat. Eine Absprache über den Pflichtteil kann aber für Probleme sorgen.

Der Pflichtteil ist ein Anteil am Nachlass, der laut Gesetz bestimmten nahen Angehörigen immer zusteht. Er kann ihnen also auch nicht einfach per Testament weggenommen oder aberkannt werden. Pflichtteilsberechtigte müssen sich nach dem Erbfall an die Erben wenden. Sie haben gegen diese einen Anspruch auf Auszahlung des Pflichtteils. Dies ist in § 2303 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelt. Beanspruchen können den Pflichtteil leibliche und adoptierte Kinder und, wenn diese bereits nicht mehr da sind, auch Enkel und Urenkel. Ferner bekommen ihn der Ehepartner oder eingetragene Lebenspartner des Erblassers (nicht: Ex-Ehegatten/-Partner!) und, wenn keine Kinder existieren, die Eltern des Erblassers.

Wie hoch ist der Pflichtteil?


Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Beispiel: Ein Erblasser hat drei Kinder. Diese würden als gesetzliche Erben jeweils ein Drittel vom Nachlass bekommen. Wenn jedoch alle drei den Pflichtteil erhalten (weil der Erblasser zum Beispiel seine Pflegerin per Testament zur Alleinerbin gemacht hat) erhalten die Kinder je ein Sechstel vom Erbe.

Wie funktioniert eine Enterbung?


Mit "Enterbung" ist gemeint, dass jemand vom Erbe ausgeschlossen wird, der im Normalfall per Gesetz erben würde. Dazu muss der Erblasser lediglich in seinem Testament bestimmen, dass der/die Betreffende nichts erben soll. Alternativ kann er auch den gesamten Nachlass ausdrücklich anderen Personen hinterlassen.

Der Erblasser kann unter Umständen sogar dafür sorgen, dass der Pflichtteilsberechtigte noch nicht einmal den Pflichtteil bekommt. Eine solche Pflichtteilentziehung ist allerdings an strenge Voraussetzungen gebunden. Möglich ist sie nur bei einem erheblichen Fehlverhalten des Angehörigen – wie etwa dem Versuch, den Erbfall vorzeitig herbeizuführen (etwa mit einem stumpfen Gegenstand) oder der Verweigerung von Unterhaltszahlungen.

Fall: Aufgeschobene Pflichtteilzahlung


Aber nun zum Thema Absprachen: Vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe kam der Fall einer verstorbenen Witwe zur Verhandlung. Diese hatte einen Sohn und eine Tochter gehabt. Der Sohn war vor seiner Mutter verstorben und hinterließ selbst eine Tochter.

Alleinerbin der Witwe sollte nach dem Testament deren Tochter werden. Allerdings sprach die Tochter des Sohnes – also die Enkelin der Erblasserin – kurz nach dem Erbfall die Erbin, ihre Tante, auf das Thema "Pflichtteil" an.

Die Tante bat sie darum, vorerst auf ein Geltendmachen ihres Pflichtteils zu verzichten. Sonst müsse sie ihre Eigentumswohnung, in der sie wohnte, verkaufen. Sie versprach ihrer Nichte, sie stattdessen ihrerseits zur Alleinerbin einzusetzen. Dann bekomme sie nicht den ursprünglichen Pflichtteil, sondern alles - nur später. Die junge Frau war mit dieser Absprache einverstanden. Auch mehrere Jahre später bestätigte ihre Tante per Brief die Erbeinsetzung der Nichte.

Dieser kamen jedoch irgendwann Zweifel. 13 Jahre nach dem Erbfall fragte sie bei ihrer Tante erneut nach dem Pflichtteil und erkundigte sich auch nach dem Nachlasswert. Dies gefiel nun der Tante überhaupt nicht. Sie ließ durch ihren Anwalt brieflich erklären, dass der Anspruch der Nichte auf den Pflichtteil verjährt sei. Weitere Auskünfte verweigerte sie. Es folgte ein Rechtsstreit, in dem das Landgericht Freiburg der Tante zunächst recht gab.

Wann ist der Pflichtteilsanspruch verjährt?


Das Oberlandesgericht Karlsruhe sah die Sache in der nächsten Instanz ganz anders: Die Verjährungsfrist betrage zwar drei Jahre.

Dazu muss man wissen: Die Verjährung beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Pflichtteilsanspruch entstanden ist. Außerdem muss der oder die Pflichtteilsberechtigte Kenntnis von dem Anspruch erlangt haben. Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt also frühestens am 1. Januar des Jahres zu laufen, das auf den Todesfall folgt.

Im vorliegenden Fall sei die Verjährung jedoch zwischendurch gehemmt, also angehalten worden. Denn: Das Einverständnis der Enkelin, zunächst ihren Pflichtteil nicht einzufordern, gelte rechtlich als Stundung des Pflichtteils. Dadurch habe sie auf ihren Pflichtteil nicht endgültig verzichtet, sondern dessen Einforderung nur aufgeschoben. Eine Stundung führt aber dazu, dass der Lauf der Verjährungsfrist gehemmt bzw. angehalten wird. Aus diesem Grund war der Anspruch auf den Pflichtteil auch nach 13 Jahren noch nicht verjährt.

Der Anspruch der Enkelin auf Auskunft über ihren Pflichtteil bzw. die Höhe des Nachlasswertes war aus Sicht des Gerichts ebenso gestundet worden. Dieser Anspruch verjährt üblicherweise ebenfalls in drei Jahren. Zwar hätten Tante und Nichte hinsichtlich des Auskunftsanspruchs nicht ausdrücklich eine Stundung vereinbart. Es mache aber keinen Sinn, den Pflichtteilsanspruch zu stunden, wenn der Berechtigte die Höhe des Pflichtteils nicht kenne.

Die Enkelin konnte daher sowohl Auskunft als auch ihren Pflichtteil in Geld von ihrer Tante fordern (OLG Karlsruhe, Urteil vom 15.10.2015, Az. 9 U 149/14).

Praxistipp zu Absprachen beim Pflichtteil


Pflichtteilsberechtigte sollten nicht vergessen, dass ihr Anspruch in drei Jahren verjährt. Sie sollten also rechtzeitig die Entscheidung treffen, ob sie den Pflichtteil geltend machen wollen. Zu Rechtsfragen rund um den Pflichtteil kann Sie ein Fachanwalt für Erbrecht kompetent beraten.

(Bu)


 Stephan Buch
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