Wer haftet bei Unfällen durch Überholen in der Baustelle?
17.08.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice
© - freepik Die Fahrbahnen innerhalb von Autobahnbaustellen sind meist verengt und oft kurvig. Dies ist immer wieder ein Grund für Zusammenstöße zwischen Fahrzeugen, ganz besonders bei Überholvorgängen. Wie bei jedem Unfallschaden stellt sich auch nach einem Baustellenunfall die Frage nach der Haftung. Nur: Hier gibt es einige Besonderheiten.
Nach § 5 Abs. 4 der Straßenverkehrsordnung (StVO) müssen Autos beim Überholen einen ausreichenden Seitenabstand einhalten. In vielen Autobahnbaustellen ist dies jedoch gar nicht möglich, weil die Überholspur oft nur 2,50 Meter breit ist. Viele moderne Autos – nicht zuletzt SUVs – stoßen hier an ihre Grenzen. Und auch Kleintransporter überholen in Baustellen häufig, obwohl die Fahrzeuge kaum auf die Überholspur passen. Dadurch ist die Gefahr eines Unfalls in Baustellen oft deutlich erhöht. Schnell kommt es zu einer seitlichen Kollision, da eines der beiden Fahrzeuge nicht exakt in der Spur bleibt.
Gerade nach einem Unfall in einer Autobahnbaustelle kann es besonders schwierig sein, einem der Unfallbeteiligten eindeutig die Schuld nachzuweisen. Manchmal hört man in diesem Zusammenhang von einer gesteigerten Sorgfaltspflicht des überholenden Fahrzeugführers. Was ist damit gemeint?
Dazu ein Urteil: In einem Prozess vor dem Oberlandesgericht Oldenburg ging es um eine Kollision zwischen einem niederländischen LKW und einem überholenden PKW in einer Baustelle auf der A30. Dabei hatte das Auto den LKW mit Anhänger überholt, obwohl dieser bereits zuvor einmal auf den linken Fahrstreifen geraten war. Während des Überholens kollidierten beide seitlich. Der Sachschaden lag bei 5.000 Euro. Wer schuld gewesen war, ließ sich nicht aufklären, da es keine Zeugen gab.
Dem Gericht zufolge hatte der Autofahrer in der Baustelle überholen dürfen. Es sei kein Überholverbot ausgeschildert gewesen. Er habe im Verhältnis zum LKW keine höhere Sorgfaltspflicht gehabt. Vielmehr hätten beide, also auch der LKW-Fahrer, in der Baustelle besonders aufmerksam fahren müssen. Es ändere nichts, dass der LKW zuvor schon einmal auf den linken Fahrstreifen geraten sei. Der PKW-Fahrer habe sich durchaus darauf verlassen dürfen, dass dies nicht noch einmal passiere. Hier teilte das Gericht die Haftung hälftig zwischen den Unfallbeteiligten auf (Urteil vom 11.5.2013, Az. 6 U 64/12).
Vor dem Landgericht Osnabrück ging es um einen Baustellenunfall auf der Autobahn A1. Ein PKW hatte einen langsam fahrenden Militärsattelschlepper in einer Baustelle überholt. Die rechte Fahrbahn war 3 Meter breit, der Sattelschlepper 2,95 Meter. Beide Fahrzeuge kollidierten, der Schaden lag bei 4.100 Euro. Der PKW-Fahrer verlangte, seinen Schaden komplett ersetzt zu bekommen.
Dies lehnte das Gericht jedoch ab. Zwar hafte der Halter des LKW auch ohne ein nachweisbares Verschulden bereits wegen der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs. Damit ist die abstrakte Gefahr gemeint, die grundsätzlich immer dadurch besteht, dass man ein Fahrzeug im Straßenverkehr betreibt. Bei ihrer Berücksichtigung vor Gericht wird ein größeres Fahrzeug als gefährlicher angesehen. Dem Gericht zufolge musste sich hier jedoch der PKW-Fahrer ein Mitverschulden anrechnen lassen, da er entgegen § 5 Abs. 3 StVO bei unklarer Verkehrslage überholt hatte. Es sei offensichtlich gewesen, dass der LKW hier nach links und rechts jeweils nur ein paar Zentimeter Platz gehabt habe. Daher sei ein gefahrloses Überholen nicht möglich gewesen. Daher musste der PKW-Fahrer 1/3 seines Schadens selbst tragen (Urteil vom 2.6.2006, Az. 5 O 1098/06).
Das OLG Frankfurt a. M. beschäftigte sich mit einem Baustellenunfall auf einer Bundesstraße. Dort war wegen der Baustelle nur noch die linke Spur der Straße befahrbar. Die Fahrzeuge von der rechten Spur mussten sich per Reißverschlussverfahren einordnen. Ein LKW mit Anhänger fuhr links, der spätere Kläger mit seinem PKW rechts. Als der Kläger vor dem LKW einscheren wollte, kollidierte er mit diesem. Vor Gericht berief er sich auf sein Vorfahrtsrecht wegen des Reißverschlussverfahrens.
Das Gericht berücksichtigte, dass die Betriebsgefahr eines LKW deutlich größer ist, als die bei einem PKW. Aber: Hier habe der PKW-Fahrer den Unfall mitverursacht, weil er verpflichtet gewesen sei, seinen Richtungswechsel rechtzeitig vorher deutlich anzuzeigen. Dies könne er aber gar nicht, wenn er neben einem LKW herfahre: Dessen Fahrer habe keine Chance gehabt, den PKW blinken zu sehen. Daher hätte der PKW-Fahrer hier bremsen und sich hinter dem LKW einordnen müssen.
Aufgrund des Reißverschlussverfahrens habe man erst dann ein Vorfahrtsrecht nach § 7 Absatz 4 StVO, wenn der Abstand der auf mehreren Fahrstreifen ankommenden Fahrzeuge kein Einordnen auf den durchgehenden Fahrstreifen mit ausreichendem Abstand gemäß § 4 StVO mehr erlaube. Der PKW-Fahrer habe hier nicht nachweisen können, dass dies hier der Fall gewesen sei. Auch stand für das Gericht nicht fest, dass er überhaupt im Reißverschluss an der Reihe gewesen war. Jedenfalls habe er nicht das Recht gehabt, den Spurwechsel zu erzwingen. Daher haftete hier der PKW-Fahrer zu 70 Prozent (OLG Frankfurt, Beschluss vom 8.12.2003, Az. 16 U 173/03).
Bei Unfällen in einer Baustelle kommt es regelmäßig zur Mithaftung beider Beteiligter. Im Zweifel sollte man hier auf Sicherheit fahren. Passiert an einer engen oder unübersichtlichen Stelle ein Unfall, kann dem Überholenden leicht ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 StVO (Überholen bei unklarer Verkehrslage) vorgeworfen werden. Im Streitfall hilft ein auf das Verkehrsrecht spezialisierter Anwalt dabei, die Frage nach der Mithaftung sachgerecht zu klären.
Baustellen auf Autobahnen sind eine enge Angelegenheit. Nicht jeder Verkehrsteilnehmer passt seine Fahrweise entsprechend an. Kommt es zum Unfall, stellt sich die Frage, wer für den Schaden haftet.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Was sagt die StVO zu Autobahnbaustellen? Wann hat der überholende Autofahrer eine gesteigerte Sorgfaltspflicht? Was gilt für das Überholen bei unklarer Verkehrslage? Wer haftet bei erzwungenem Spurwechsel im Reißverschluss? Praxistipp zu Unfällen in Baustellen Was sagt die StVO zu Autobahnbaustellen?
Nach § 5 Abs. 4 der Straßenverkehrsordnung (StVO) müssen Autos beim Überholen einen ausreichenden Seitenabstand einhalten. In vielen Autobahnbaustellen ist dies jedoch gar nicht möglich, weil die Überholspur oft nur 2,50 Meter breit ist. Viele moderne Autos – nicht zuletzt SUVs – stoßen hier an ihre Grenzen. Und auch Kleintransporter überholen in Baustellen häufig, obwohl die Fahrzeuge kaum auf die Überholspur passen. Dadurch ist die Gefahr eines Unfalls in Baustellen oft deutlich erhöht. Schnell kommt es zu einer seitlichen Kollision, da eines der beiden Fahrzeuge nicht exakt in der Spur bleibt.
Wann hat der überholende Autofahrer eine gesteigerte Sorgfaltspflicht?
Gerade nach einem Unfall in einer Autobahnbaustelle kann es besonders schwierig sein, einem der Unfallbeteiligten eindeutig die Schuld nachzuweisen. Manchmal hört man in diesem Zusammenhang von einer gesteigerten Sorgfaltspflicht des überholenden Fahrzeugführers. Was ist damit gemeint?
Dazu ein Urteil: In einem Prozess vor dem Oberlandesgericht Oldenburg ging es um eine Kollision zwischen einem niederländischen LKW und einem überholenden PKW in einer Baustelle auf der A30. Dabei hatte das Auto den LKW mit Anhänger überholt, obwohl dieser bereits zuvor einmal auf den linken Fahrstreifen geraten war. Während des Überholens kollidierten beide seitlich. Der Sachschaden lag bei 5.000 Euro. Wer schuld gewesen war, ließ sich nicht aufklären, da es keine Zeugen gab.
Dem Gericht zufolge hatte der Autofahrer in der Baustelle überholen dürfen. Es sei kein Überholverbot ausgeschildert gewesen. Er habe im Verhältnis zum LKW keine höhere Sorgfaltspflicht gehabt. Vielmehr hätten beide, also auch der LKW-Fahrer, in der Baustelle besonders aufmerksam fahren müssen. Es ändere nichts, dass der LKW zuvor schon einmal auf den linken Fahrstreifen geraten sei. Der PKW-Fahrer habe sich durchaus darauf verlassen dürfen, dass dies nicht noch einmal passiere. Hier teilte das Gericht die Haftung hälftig zwischen den Unfallbeteiligten auf (Urteil vom 11.5.2013, Az. 6 U 64/12).
Was gilt für das Überholen bei unklarer Verkehrslage?
Vor dem Landgericht Osnabrück ging es um einen Baustellenunfall auf der Autobahn A1. Ein PKW hatte einen langsam fahrenden Militärsattelschlepper in einer Baustelle überholt. Die rechte Fahrbahn war 3 Meter breit, der Sattelschlepper 2,95 Meter. Beide Fahrzeuge kollidierten, der Schaden lag bei 4.100 Euro. Der PKW-Fahrer verlangte, seinen Schaden komplett ersetzt zu bekommen.
Dies lehnte das Gericht jedoch ab. Zwar hafte der Halter des LKW auch ohne ein nachweisbares Verschulden bereits wegen der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs. Damit ist die abstrakte Gefahr gemeint, die grundsätzlich immer dadurch besteht, dass man ein Fahrzeug im Straßenverkehr betreibt. Bei ihrer Berücksichtigung vor Gericht wird ein größeres Fahrzeug als gefährlicher angesehen. Dem Gericht zufolge musste sich hier jedoch der PKW-Fahrer ein Mitverschulden anrechnen lassen, da er entgegen § 5 Abs. 3 StVO bei unklarer Verkehrslage überholt hatte. Es sei offensichtlich gewesen, dass der LKW hier nach links und rechts jeweils nur ein paar Zentimeter Platz gehabt habe. Daher sei ein gefahrloses Überholen nicht möglich gewesen. Daher musste der PKW-Fahrer 1/3 seines Schadens selbst tragen (Urteil vom 2.6.2006, Az. 5 O 1098/06).
Wer haftet bei erzwungenem Spurwechsel im Reißverschluss?
Das OLG Frankfurt a. M. beschäftigte sich mit einem Baustellenunfall auf einer Bundesstraße. Dort war wegen der Baustelle nur noch die linke Spur der Straße befahrbar. Die Fahrzeuge von der rechten Spur mussten sich per Reißverschlussverfahren einordnen. Ein LKW mit Anhänger fuhr links, der spätere Kläger mit seinem PKW rechts. Als der Kläger vor dem LKW einscheren wollte, kollidierte er mit diesem. Vor Gericht berief er sich auf sein Vorfahrtsrecht wegen des Reißverschlussverfahrens.
Das Gericht berücksichtigte, dass die Betriebsgefahr eines LKW deutlich größer ist, als die bei einem PKW. Aber: Hier habe der PKW-Fahrer den Unfall mitverursacht, weil er verpflichtet gewesen sei, seinen Richtungswechsel rechtzeitig vorher deutlich anzuzeigen. Dies könne er aber gar nicht, wenn er neben einem LKW herfahre: Dessen Fahrer habe keine Chance gehabt, den PKW blinken zu sehen. Daher hätte der PKW-Fahrer hier bremsen und sich hinter dem LKW einordnen müssen.
Aufgrund des Reißverschlussverfahrens habe man erst dann ein Vorfahrtsrecht nach § 7 Absatz 4 StVO, wenn der Abstand der auf mehreren Fahrstreifen ankommenden Fahrzeuge kein Einordnen auf den durchgehenden Fahrstreifen mit ausreichendem Abstand gemäß § 4 StVO mehr erlaube. Der PKW-Fahrer habe hier nicht nachweisen können, dass dies hier der Fall gewesen sei. Auch stand für das Gericht nicht fest, dass er überhaupt im Reißverschluss an der Reihe gewesen war. Jedenfalls habe er nicht das Recht gehabt, den Spurwechsel zu erzwingen. Daher haftete hier der PKW-Fahrer zu 70 Prozent (OLG Frankfurt, Beschluss vom 8.12.2003, Az. 16 U 173/03).
Praxistipp zu Unfällen in Baustellen
Bei Unfällen in einer Baustelle kommt es regelmäßig zur Mithaftung beider Beteiligter. Im Zweifel sollte man hier auf Sicherheit fahren. Passiert an einer engen oder unübersichtlichen Stelle ein Unfall, kann dem Überholenden leicht ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 StVO (Überholen bei unklarer Verkehrslage) vorgeworfen werden. Im Streitfall hilft ein auf das Verkehrsrecht spezialisierter Anwalt dabei, die Frage nach der Mithaftung sachgerecht zu klären.
(Bu)