Unfälle bei Schnee und Glatteis: Wann haftet die Gemeinde?

03.01.2025, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Das Wichtigste in Kürze

1. Zuständigkeiten bei Schnee und Glatteis: Je nach dem, um welche Straßenklasse (Bundesstraße, Landstraße etc.) es sich handelt, sind der Bund, die Länder, die Kreise oder die Gemeinden für den Winterdienst zuständig.

2. Verkehrssicherungspflicht der Gemeinde: Für eine Gemeindestraße obliegt der Gemeinde grundsätzlich die Räum- und Streupflicht. Sie muss also im Winter Schneeräumen und gegen Glatteis streuen.

3. Schadensersatz: Verletzt die Gemeinde ihre Pflicht zum Räumen von Schnee und Eis, muss sie grundsätzlich dadurch bedingte Schäden ersetzen. Den Verkehrsteilnehmern obliegt allerdings eine eigene Sorgfaltspflicht, die einen Anspruch auf Schadensersatz mindern kann.
Schafft oder unterhält jemand eine mögliche Gefahrenquelle, muss der oder die Betreffende alles Zumutbare unternehmen, um zu verhindern, dass andere dadurch zu Schaden kommen. Dies nennt man die Verkehrssicherungspflicht. Das heißt jedoch nicht, dass jede erdenkliche Gefahr ausgeschlossen werden muss. So etwas könnte niemand leisten. Der Verpflichtete muss sich stattdessen in erster Linie um Gefahren kümmern, die er als solche erkennen kann.
Auch Gemeinden haben bei ihren öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen eine solche Verkehrssicherungspflicht. Diese kann auf andere übertragen werden – etwa auf Anlieger. Diese müssen dann die öffentlichen Gehwege vor ihrem Grundstück schnee- und eisfrei halten. Für Straßen außerorts sind andere staatliche Stellen zuständig.

Winterdienst: Bund, Land, Kreis oder Gemeinde zuständig?


Es gibt in Deutschland unterschiedliche Straßenklassen. Diese unterscheiden sich darin, wer der Träger der Straßenbaulast und damit für ihren Bau und ihre Instandhaltung zuständig ist. So ist für Bundesautobahnen und Bundesstraßen der Bund zuständig, für Landesstraßen (in Bayern und Sachsen "Staatsstraßen" genannt) das jeweilige Bundesland. Der jeweilige Kreis muss sich um seine Kreisstraßen kümmern und die Gemeinde um ihre Gemeindestraßen.

Was bedeutet die Verkehrssicherungspflicht der Gemeinde im Winter?


Für eine Gemeindestraße ist die Gemeinde grundsätzlich verkehrssicherungspflichtig. Sie muss also im Winter Schneeräumen und gegen Glatteis streuen. Diese Pflicht gilt jedoch nicht unbegrenzt. Schließlich wissen auch die Gerichte, dass nicht alle öffentlichen Straßen gleichzeitig morgens um sieben Uhr schnee- und eisfrei sein und dies den ganzen Tag auch bleiben können. Die Räumpflicht muss also für die Gemeinde praktisch durchführbar und wirtschaftlich noch zumutbar sein. Deswegen dürfen Gemeinden Prioritäten setzen und beim Winterdienst besonders verkehrsreichen Straßen und Gefahrenschwerpunkten Vorrang geben.

Wann haftet die Gemeinde nicht bei Glatteis?


Wenn die Gemeinde einen Streuplan aufgestellt hat, der ein angemessenes und rechtzeitiges Räumen und Streuen der öffentlichen Straßen sicherstellt, und sich daran hält, haftet sie bei Glatteisunfällen nicht. Dies hat das Oberlandesgericht Hamm entschieden.

In Essen war ein Mann an einem Vormittag im Dezember auf dem ungestreuten Fußgängerüberweg einer größeren Straße ausgerutscht. Dabei hatte er sich erheblich an Schulter und Arm verletzt. Er forderte von der Stadt Schadensersatz und ein fünfstelliges Schmerzensgeld. Allerdings blieb seine Klage erfolglos: Der Streuplan der Stadt sah vor, dass das gesamte Stadtgebiet innerhalb von fünf Stunden nach einem Schneefall geräumt und abgestreut werden sollte. In diesem Fall hatten die Verantwortlichen rechtzeitig Streualarm ausgelöst, sodass zügig damit begonnen worden war, die Straßen von Schnee und Eis zu befreien. Das Gericht betonte, dass man einer Gemeinde vor Streubeginn eine gewisse Zeit für organisatorische Arbeiten zubilligen müsse. Daher hafte sie nicht für Unfälle, die trotz aller Sorgfalt an einer Stelle passierten, die einfach noch nicht an der Reihe gewesen sei (Urteil vom 7.12.2011, Az. I-9 U 113/10).

Welche Orte müssen vorrangig geräumt und gestreut werden?


Verkehrsflächen von eher untergeordneter Bedeutung muss die Gemeinde nicht zwingend zeitnah streuen. Schließlich muss sie sich um ihr gesamtes Gebiet kümmern. Dabei haben viel befahrene Straßen und große Kreuzungen Vorrang. Dies bestätigte das Landgericht Coburg. Eine Frau war auf dem Parkplatz des öffentlichen Hallenbades gestürzt. Sie hätte auch einen frisch gestreuten Fußweg zum Parkplatz nutzen können. Stattdessen kürzte sie jedoch über eine ungestreute Parkfläche ab. Dabei stürzte sie und verletzte sich. Das Gericht entschied, dass für die Räum- und Streupflicht der Gemeinde die Relevanz der jeweiligen Verkehrsfläche und auch die Leistungsfähigkeit der Gemeinde entscheidend sei. Hier habe der Parkplatz des Schwimmbads nur geringe Priorität gehabt. Auch habe die Geschädigte die Möglichkeit gehabt, eine sichere Alternativroute zu wählen. Daher musste die Gemeinde nicht zahlen (Urteil vom 11.5.2011, Az. 13 O 678/10).

Muss die Gemeinde notfalls auch früher streuen als in der Satzung festgelegt?


Das Oberlandesgericht Oldenburg sprach einer Radfahrerin einen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld zu. Sie hatte morgens ihr Kind zur Schule gebracht. Auf dem Rückweg war sie dann um 7 Uhr 20 auf einem vereisten Radweg gestürzt und hatte sich den Ellbogen gebrochen.
Die Gemeinde lehnte jede Haftung ab. Sie sei laut ihrer eigenen Satzung erst ab 7 Uhr 30 zum Streuen und Schneeräumen verpflichtet. Das Gericht war jedoch der Ansicht, dass man die Zeit des Schulbeginns vor Ort – nämlich 7 Uhr 30 berücksichtigen müsse. Auch die örtlichen Discounter hätten schon ab 7 Uhr geöffnet. Unter diesen Umständen müssten die Bürger nicht damit rechnen, dass wichtige Verkehrsknotenpunkte erst um 7 Uhr 30 gestreut würden. Die Gemeinde müsse zumindest auf wichtigen Straßen und Wegen Schneeräumen und gegen Glatteis streuen – und zwar, wenn erforderlich, auch außerhalb satzungsmäßig geregelter Zeiten (Urteil vom 30.4.2010, Az. 6 U 30/10).

Haftet die Gemeinde bei einem Glätteunfall in der Nacht?


Der Bundesgerichtshof befasste sich mit dem Fall einer verletzten Zeitungsausträgerin. Die Frau war auf einer Anliegerstraße morgens um 4 Uhr 30 bei Glatteis gestürzt. Der BGH erklärte: Grundsätzlich sei die Gemeinde nicht dazu verpflichtet, vor sechs Uhr morgens zu räumen und zu streuen. Ein vorbeugendes Streuen gegen Eisglätte könne zwar auch bei Nacht ausnahmsweise an Stellen mit einem besonders hohen zu erwartenden Verkehrsaufkommen verlangt werden. Allerdings gehöre eine Anliegerstraße gerade nicht zu diesen Straßen. Wegen einzelner Personen, die außerhalb der streupflichtigen Zeiten auf der Straße unterwegs seien, müssten keine besonderen Vorsorgemaßnahmen getroffen werden (Beschluss vom 11.8.2009, Az. VI ZR 163/08).

Haftet die Gemeinde für einen Unfall beim Rodeln?


Wer im Stadtpark rodeln geht, tut dies meist auf eigene Gefahr. Denn: Die Gemeinden sind grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, vor vereisten Stellen an Hängen Warnschilder aufzustellen. Sie müssen auch keine Abhänge sperren, weil es dort gefährliche Hindernisse gibt. Dies betonte das Oberlandesgericht Hamm.
Der Fall betraf einen Mann, der in Bochum beim Rodeln gestürzt war. Er hatte übersehen, dass am unteren Ende des Hanges eine Steinmauer einen Absatz bildete. Nach Ansicht des Gerichts hätte sich der Rodler zunächst einmal vergewissern müssen, ob der Hang sicher sei. Dies gelte ganz besonders dann, wenn dort niemand anders rodelte und es sich nicht um eine "offizielle" Rodelpiste handelte (Urteil vom 3.9.2010, Az. I-9 U 81/10).

Wer haftet bei Unfällen, die außerorts passieren?


Das Oberlandesgericht Hamm hat sich auch mit der "Schneeräumpflicht auf Kreisstraßen" befasst. Dabei ging es um eine Frau aus Lünen, die im Dezember bei 3 Grad Celsius auf der Kreisstraße nach Haltern gefahren war. Nach der Durchquerung eines Waldes kam sie auf Glatteis in einer Kurve ins Schleudern. Ihr Auto kam von der Straße ab und kollidierte mit einer Baumgruppe. Dabei kippte der PKW um und die Feuerwehr musste sie und ihre Beifahrerin bergen. Beide wurden verletzt. Die Fahrerin verklagte den Kreis Recklinghausen, weil die Straße spiegelglatt und nicht gestreut gewesen sei. Sie verlangte unter anderem 2.300 Euro Schadensersatz für den Schaden am PKW, 3.900 Euro als Kosten für die Haushaltsführung während ihrer Verletzungszeit und 2.000 Euro Schmerzensgeld.

Das Gericht entschied jedoch, dass der Landkreis seine Pflichten nicht verletzt habe. An der Unfallstelle habe keine Pflicht zum Schneeräumen und Streuen bestanden. Die zuständige Behörde sei außerhalb geschlossener Ortschaften auf öffentlichen Straßen nur an besonders gefährlichen Stellen zum Streuen verpflichtet.

Was sind besondere Gefahrenstellen?


Nach dem OLG Hamm sind Verkehrsteilnehmer bei winterlichem Wetter dazu verpflichtet, den Zustand der Straße genauer zu beobachten und besondere Vorsicht walten zu lassen. Um eine besondere Gefahrenstelle handle es sich nur dann, wenn Verkehrsteilnehmer diese trotz erhöhter Aufmerksamkeit nicht rechtzeitig erkennen könnten. Wenn Autofahrer eine besondere Glättegefahr an einer bestimmten Stelle vorhersehen könnten, sei diese auch nicht als besonders gefährlich anzusehen.

Im oben beschriebenen Fall hatte sich der Glätteunfall laut Gericht nicht an einer Gefahrenstelle ereignet. An Stellen mit unterschiedlicher Sonneneinstrahlung und Bodenfeuchtigkeit bilde sich oft plötzlich Glatteis. Hier hätte der Autofahrerin klar sein müssen, dass die immer wieder neben der Straße stehenden Baumgruppen eine Verschattung der Straße bedeuten könnten, die Stellen mit Eisglätte zur Folge haben könne. Es habe hier keine weiteren Umstände gegeben, welche die Gefahr erhöhen könnten – wie zum Beispiel starkes Gefälle, seitliche Neigung oder besonders unübersichtliche Straßenführung. Es komme hinzu, dass die Kreisstraße kein so hohes Verkehrsaufkommen habe, dass sie vorrangig gestreut werden müsse (Urteil vom 12.8.2016, Az. 11 U 121/15).

Was gilt, wenn Unfälle außerorts bei Nacht passieren?


In einem anderen Fall verklagte ein Autofahrer den Freistaat Bayern. Er war nachts auf der schneebedeckten Ausfahrt einer Staatsstraße ins Schleudern geraten. Dabei kam es zu einem Unfall, bei dem er verletzt wurde. Der Mann forderte 1.500 Euro Schadenersatz plus 1.500 Euro Schmerzensgeld. Das Landgericht Coburg wies die Klage ab: Der Freistaat Bayern sei grundsätzlich für diese Straße räumpflichtig. Autofahrer dürften trotzdem nicht davon ausgehen, dass die Fahrbahn auch nachts permanent von Eis und Schnee frei gehalten würde. Eine völlige Gefahrlosigkeit der Straßen könne mit zumutbaren Mitteln im Winter nicht erreicht werden (Az. 12 O 241/09).

Haben Räumfahrzeuge beim Schneeräumen Vorfahrt?


Bei winterlichen Straßenverhältnissen sind Räumfahrzeuge Tag und Nacht unterwegs, um die Straßen von Eis und Schnee zu befreien. Allerdings werden sie immer wieder von Autofahrern behindert, die sie nicht vorbeilassen oder die nicht weit genug rechts fahren.

Hier sollten Autofahrer besonders vorsichtig sein. Einem Urteil des
Landgerichts Coburg zufolge haben Räumfahrzeuge nämlich Vorfahrt! Wenn ein PKW wegen einer unangepassten Fahrweise mit einem Schneepflug kollidiert, bleibt der Autofahrer daher unter Umständen auf seinem Schaden sitzen und haftet auch noch für den Fremdschaden.

Nach dem Urteil müssen Autofahrer bei Winterwetter damit rechnen, dass ihnen ein Schneepflug entgegenkommt oder langsam vor ihnen herfährt. Sie müssen Ihren Fahrstil dann eben anpassen. Das Gericht verurteilte einen PKW-Fahrer nach einem Unfall mit einem Schneepflug zur Zahlung von rund 12.000 Euro: Dieser war 1,5 Meter zu weit links gefahren (Az. 11 O 780/00).

Praxistipp zu Unfällen bei Schnee und Eis


Ob Verkehrsteilnehmer nach Winterunfällen Schadensersatz von Gemeinden, Landkreisen oder Bundesländern verlangen können, hängt davon ab, ob an der Unfallstelle überhaupt geräumt werden musste. Dafür ist entscheidend, wie wichtig die jeweilige Straße ist, welches Verkehrsaufkommen dort herrscht und wie die Gefahrenlage vor Ort ist. Die Erfolgschancen einer Klage kann ein Fachanwalt für Verkehrsrecht für Sie am besten beurteilen.

(Ma)


 Ulf Matzen
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