Autounfall: Muss die Versicherung fiktive Reparaturkosten einer Fachwerkstatt erstatten?
23.05.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
© - freepik Bei einer sogenannten fiktiven Abrechnung müssen Kaskoversicherungen auch die Kosten einer Reparatur erstatten, die eine Vertragswerkstatt veranschlagt. Und zwar auch ohne, dass eine Reparatur stattfindet. Dies geht aus mehreren Gerichtsentscheidungen hervor.
Zunächst besteht die Möglichkeit der Reparatur in einer Werkstatt. Dabei zahlt die Versicherung die tatsächlich angefallenen Kosten. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit einer sogenannten "fiktiven Abrechnung auf Basis eines Gutachtens". Bei dieser Variante erstellt ein Gutachter eine Aufstellung über die Kosten, die entstehen würden, wenn eine Werkstatt den Schaden beheben würde. Diesen Betrag bekommt der Geschädigte dann ausbezahlt, damit er die Reparatur in Eigenregie vornehmen kann.
Nun stellt sich aber die Frage, welcher Stundensatz bei einer solchen "fiktiven Abrechnung" zugrunde gelegt werden darf: der einer freien (Karosserie-)Werkstatt oder aber der Stundensatz einer markengebundenen Werkstatt. Dies ist besonders relevant, da diese Preise bisweilen stark voneinander abweichen können.
In einem Fall vor dem OLG Hamm forderte der Geschädigte nach einem Verkehrsunfall im Rahmen der fiktiven Abrechnung den Ersatz des Stundensatzes einer Daimler-Benz-Fachwerkstatt. Die gegnerische Versicherung wollte jedoch nur den Stundensatz einer freien Werkstatt zahlen. Hiergegen wehrte sich der Geschädigte mit dem Argument, dass sein Wagen bisher stets markengebunden gewartet und repariert worden sei und dass die für sein KFZ extra abgeschlossene 30-jährige Durchrostungsgarantie hinfällig würde, wenn er sein Fahrzeug in einer nicht markengebunden Werkstatt reparieren lassen würde.
Dem folgten die Richter des OLG Hamm. Sie sprachen dem Geschädigten unter anderem den Betrag zu, den er für die Reparatur des Autos in einer markengebundenen Werkstatt hätte bezahlen müssen. Dabei war gerade die sonst verloren gehende Garantie ein wichtiger Punkt (Az. 24 U 147/12).
Nach einem Unfall sollten sich Betroffene, die ihr Fahrzeug nicht in einer Werkstatt reparieren lassen, bei einer fiktiven Abrechnung nicht auf den Stundensatz einer markenfreien Fachwerkstatt verweisen lassen, wenn hierdurch möglicherweise ein Schaden entsteht, z. B. eine Garantie wegfällt, wie im beschriebenen Fall.
Ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) bezieht sich auf die Abrechnung von Schäden in der Kaskoversicherung – also Schäden am eigenen Auto des Unfallverursachers. Hier gelten andere Grundsätze als bei Fremdschäden. Es geht nämlich nicht um einen Schadensersatz, den ein Fremder zahlen muss, sondern um die Erstattung von Reparaturkosten nach dem Vertrag zwischen der Versicherung und ihrem Kunden.
Kasko-Versicherungsverträge enthalten meist Klauseln, nach denen die Versicherung in bestimmten Grenzen auch dann zahlt, wenn der Versicherungsnehmer sein Auto nicht wieder reparieren lässt. Dies kommt zum Beispiel vor, wenn es dem Autofahrer nichts ausmacht, bis zum Auslaufen des TÜV noch mit einem kaputten Kotflügel herumzufahren, und er das Auto dann sowieso verschrotten oder in den Export verkaufen will.
Die Kasko-Versicherungsverträge enthalten allerdings meist eine Einschränkung: Es werden nur die für die Reparatur "erforderlichen" Kosten erstattet. Was erforderlich ist, ist jedoch nicht eindeutig festgelegt. Wer sein Auto nur in die Hände einer Vertragswerkstatt geben möchte, muss mit deutlich höheren Stundensätzen rechnen als jemand anderer, der das gleiche Auto in einer freien Werkstatt zur Reparatur gibt. Dementsprechend fallen auch die Kostenvoranschläge der Werkstätten sehr unterschiedlich aus.
Ein Mercedes-Fahrer hatte sein Auto nach einem selbstverschuldeten Unfall nicht reparieren lassen. Von seiner Versicherung forderte er die Erstattung des Schadens auf Gutachtenbasis. Ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten legte die Stundensätze einer Mercedes-Fachwerkstatt zugrunde und wies voraussichtliche Reparaturkosten in Höhe von 9.400 Euro aus. Die Versicherung holte ein eigenes Gutachten ein, in dem die Preise einer örtlichen freien Werkstatt verwendet wurden. Diese hätte 6.400 Euro verlangt. Diesen Betrag zahlte die Versicherung. Der Autofahrer klagte auf die Zahlung der restlichen 3.000 Euro.
Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) 2008 zugrunde. Nach diesen sollte die Versicherung bei einer nicht durchgeführten Reparatur die erforderlichen Kosten einer vollständigen Reparatur bis zur Höhe des um den Restwert verminderten Wiederbeschaffungswerts bezahlen.
Das Amtsgericht gab zunächst der Klage statt. Dann wies das Landgericht Berlin sie in zweiter Instanz ab. Die Begründung: Soweit eine vollständige und fachgerechte Reparatur auch in einer freien Werkstatt erfolgen könne, seien (nur) die dort entstehenden Kosten erforderlich und somit zu erstatten. Die Grundsätze aus dem Haftungsrecht könne man nicht auf die Kaskoversicherung übertragen.
Der Bundesgerichtshof betonte zunächst, dass hier nur die vertragliche Vereinbarung zwischen den Beteiligten relevant sei. Die für die Schadensersatzpflicht eines Unfallgegners einschlägigen Regelungen seien nicht anwendbar. Allerdings könnten unter Umständen auch die Kosten der Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt als erforderliche Kosten im Sinne des Versicherungsvertrages gelten.
Der Versicherungsnehmer könne bei der Schadensregulierung die fiktiven Kosten für eine Reparatur in der Vertragswerkstatt verlangen, wenn
- eine vollständige und fachgerechte Instandsetzung seines Fahrzeugs nur in der Markenwerkstatt möglich sei oder
- es sich um ein neueres Fahrzeug handle oder
- das Fahrzeug bisher immer in einer Markenwerkstatt gewartet und repariert worden sei.
Im Streitfall müsse der Versicherungsnehmer beweisen können, dass einer dieser Fälle vorliege. Den konkreten Fall verwies der BGH an das Berufungsgericht zurück, da dieses bisher keine Feststellungen dazu gemacht hatte, ob eine der genannten Voraussetzungen vorlag. Diese Überlegungen müssten nachgeholt werden (Urteil vom 11.11.2015, Az. IV ZR 426/14).
Wer ein neues oder immer nur in der Vertragswerkstatt gewartetes und repariertes Auto fährt, kann durchaus von seiner Kaskoversicherung verlangen, dass sie die Reparaturkosten erstattet, die in einer Vertragswerkstatt anfallen würden. Dies gilt auch bei einer fiktiven Abrechnung, wenn tatsächlich also gar keine Reparatur durchgeführt wird. Voraussetzung sind jedoch entsprechende Versicherungsbedingungen im Versicherungsvertrag der Kaskoversicherung. Bei Problemen mit einer Unfallschadensregulierung lohnt es sich, einen auf das Verkehrsrecht spezialisierten Rechtsanwalt hinzuzuziehen.
Das Wichtigste in Kürze
1. Schadensersatz aufgrund Gutachtens: Wollen Geschädigte eines Kfz-Unfalls ihr Auto in Eigenregie oder gar nicht reparieren, bemisst sich die Höhe des von der Versicherung zu zahlenden Schadensersatzes nach einem Gutachten über die Kosten, die bei einer Reparatur in einer Werkstatt entstehenden würden.
2. Kosten einer freien oder Fachwerkstatt: Wegen der geringeren Stundensätze der Angestellten, wollen Kfz-Versicherungen oft nur die Stundenlöhne einer freien Werkstatt ersetzen, womit sie weniger Schadensersatz zahlen müssen.
3. Ersatz der Kosten einer Fachwerkstatt: Unter drei Voraussetzungen müssen Kfz-Versicherer Schadenersatz in Höhe der Kosten zahlenn, die bei einer Reparatur in einer Fachwerkstatt entstehen würden.
1. Schadensersatz aufgrund Gutachtens: Wollen Geschädigte eines Kfz-Unfalls ihr Auto in Eigenregie oder gar nicht reparieren, bemisst sich die Höhe des von der Versicherung zu zahlenden Schadensersatzes nach einem Gutachten über die Kosten, die bei einer Reparatur in einer Werkstatt entstehenden würden.
2. Kosten einer freien oder Fachwerkstatt: Wegen der geringeren Stundensätze der Angestellten, wollen Kfz-Versicherungen oft nur die Stundenlöhne einer freien Werkstatt ersetzen, womit sie weniger Schadensersatz zahlen müssen.
3. Ersatz der Kosten einer Fachwerkstatt: Unter drei Voraussetzungen müssen Kfz-Versicherer Schadenersatz in Höhe der Kosten zahlenn, die bei einer Reparatur in einer Fachwerkstatt entstehen würden.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Welche Arten der Schadensregulierung gibt es? Welcher Stundensatz darf verlangt werden? Kürzung des Stundenverrechnungssatzes durch Versicherung Abrechnung eigener Unfallschäden in der Kaskoversicherung Welche Reparaturkosten sind erforderlich? Welchen Fall hatte der BGH zu entscheiden? Was steht in den Versicherungsbedingungen? Wie haben die unteren Gerichtsinstanzen entschieden? Wie hat der Bundesgerichtshof entschieden? Praxistipp zur Abrechnung fiktiver Reparaturkosten Welche Arten der Schadensregulierung gibt es?
Zunächst besteht die Möglichkeit der Reparatur in einer Werkstatt. Dabei zahlt die Versicherung die tatsächlich angefallenen Kosten. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit einer sogenannten "fiktiven Abrechnung auf Basis eines Gutachtens". Bei dieser Variante erstellt ein Gutachter eine Aufstellung über die Kosten, die entstehen würden, wenn eine Werkstatt den Schaden beheben würde. Diesen Betrag bekommt der Geschädigte dann ausbezahlt, damit er die Reparatur in Eigenregie vornehmen kann.
Welcher Stundensatz darf verlangt werden?
Nun stellt sich aber die Frage, welcher Stundensatz bei einer solchen "fiktiven Abrechnung" zugrunde gelegt werden darf: der einer freien (Karosserie-)Werkstatt oder aber der Stundensatz einer markengebundenen Werkstatt. Dies ist besonders relevant, da diese Preise bisweilen stark voneinander abweichen können.
In einem Fall vor dem OLG Hamm forderte der Geschädigte nach einem Verkehrsunfall im Rahmen der fiktiven Abrechnung den Ersatz des Stundensatzes einer Daimler-Benz-Fachwerkstatt. Die gegnerische Versicherung wollte jedoch nur den Stundensatz einer freien Werkstatt zahlen. Hiergegen wehrte sich der Geschädigte mit dem Argument, dass sein Wagen bisher stets markengebunden gewartet und repariert worden sei und dass die für sein KFZ extra abgeschlossene 30-jährige Durchrostungsgarantie hinfällig würde, wenn er sein Fahrzeug in einer nicht markengebunden Werkstatt reparieren lassen würde.
Dem folgten die Richter des OLG Hamm. Sie sprachen dem Geschädigten unter anderem den Betrag zu, den er für die Reparatur des Autos in einer markengebundenen Werkstatt hätte bezahlen müssen. Dabei war gerade die sonst verloren gehende Garantie ein wichtiger Punkt (Az. 24 U 147/12).
Kürzung des Stundenverrechnungssatzes durch Versicherung
Nach einem Unfall sollten sich Betroffene, die ihr Fahrzeug nicht in einer Werkstatt reparieren lassen, bei einer fiktiven Abrechnung nicht auf den Stundensatz einer markenfreien Fachwerkstatt verweisen lassen, wenn hierdurch möglicherweise ein Schaden entsteht, z. B. eine Garantie wegfällt, wie im beschriebenen Fall.
Abrechnung eigener Unfallschäden in der Kaskoversicherung
Ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) bezieht sich auf die Abrechnung von Schäden in der Kaskoversicherung – also Schäden am eigenen Auto des Unfallverursachers. Hier gelten andere Grundsätze als bei Fremdschäden. Es geht nämlich nicht um einen Schadensersatz, den ein Fremder zahlen muss, sondern um die Erstattung von Reparaturkosten nach dem Vertrag zwischen der Versicherung und ihrem Kunden.
Kasko-Versicherungsverträge enthalten meist Klauseln, nach denen die Versicherung in bestimmten Grenzen auch dann zahlt, wenn der Versicherungsnehmer sein Auto nicht wieder reparieren lässt. Dies kommt zum Beispiel vor, wenn es dem Autofahrer nichts ausmacht, bis zum Auslaufen des TÜV noch mit einem kaputten Kotflügel herumzufahren, und er das Auto dann sowieso verschrotten oder in den Export verkaufen will.
Welche Reparaturkosten sind erforderlich?
Die Kasko-Versicherungsverträge enthalten allerdings meist eine Einschränkung: Es werden nur die für die Reparatur "erforderlichen" Kosten erstattet. Was erforderlich ist, ist jedoch nicht eindeutig festgelegt. Wer sein Auto nur in die Hände einer Vertragswerkstatt geben möchte, muss mit deutlich höheren Stundensätzen rechnen als jemand anderer, der das gleiche Auto in einer freien Werkstatt zur Reparatur gibt. Dementsprechend fallen auch die Kostenvoranschläge der Werkstätten sehr unterschiedlich aus.
Welchen Fall hatte der BGH zu entscheiden?
Ein Mercedes-Fahrer hatte sein Auto nach einem selbstverschuldeten Unfall nicht reparieren lassen. Von seiner Versicherung forderte er die Erstattung des Schadens auf Gutachtenbasis. Ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten legte die Stundensätze einer Mercedes-Fachwerkstatt zugrunde und wies voraussichtliche Reparaturkosten in Höhe von 9.400 Euro aus. Die Versicherung holte ein eigenes Gutachten ein, in dem die Preise einer örtlichen freien Werkstatt verwendet wurden. Diese hätte 6.400 Euro verlangt. Diesen Betrag zahlte die Versicherung. Der Autofahrer klagte auf die Zahlung der restlichen 3.000 Euro.
Was steht in den Versicherungsbedingungen?
Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) 2008 zugrunde. Nach diesen sollte die Versicherung bei einer nicht durchgeführten Reparatur die erforderlichen Kosten einer vollständigen Reparatur bis zur Höhe des um den Restwert verminderten Wiederbeschaffungswerts bezahlen.
Wie haben die unteren Gerichtsinstanzen entschieden?
Das Amtsgericht gab zunächst der Klage statt. Dann wies das Landgericht Berlin sie in zweiter Instanz ab. Die Begründung: Soweit eine vollständige und fachgerechte Reparatur auch in einer freien Werkstatt erfolgen könne, seien (nur) die dort entstehenden Kosten erforderlich und somit zu erstatten. Die Grundsätze aus dem Haftungsrecht könne man nicht auf die Kaskoversicherung übertragen.
Wie hat der Bundesgerichtshof entschieden?
Der Bundesgerichtshof betonte zunächst, dass hier nur die vertragliche Vereinbarung zwischen den Beteiligten relevant sei. Die für die Schadensersatzpflicht eines Unfallgegners einschlägigen Regelungen seien nicht anwendbar. Allerdings könnten unter Umständen auch die Kosten der Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt als erforderliche Kosten im Sinne des Versicherungsvertrages gelten.
Der Versicherungsnehmer könne bei der Schadensregulierung die fiktiven Kosten für eine Reparatur in der Vertragswerkstatt verlangen, wenn
- eine vollständige und fachgerechte Instandsetzung seines Fahrzeugs nur in der Markenwerkstatt möglich sei oder
- es sich um ein neueres Fahrzeug handle oder
- das Fahrzeug bisher immer in einer Markenwerkstatt gewartet und repariert worden sei.
Im Streitfall müsse der Versicherungsnehmer beweisen können, dass einer dieser Fälle vorliege. Den konkreten Fall verwies der BGH an das Berufungsgericht zurück, da dieses bisher keine Feststellungen dazu gemacht hatte, ob eine der genannten Voraussetzungen vorlag. Diese Überlegungen müssten nachgeholt werden (Urteil vom 11.11.2015, Az. IV ZR 426/14).
Praxistipp zur Abrechnung fiktiver Reparaturkosten
Wer ein neues oder immer nur in der Vertragswerkstatt gewartetes und repariertes Auto fährt, kann durchaus von seiner Kaskoversicherung verlangen, dass sie die Reparaturkosten erstattet, die in einer Vertragswerkstatt anfallen würden. Dies gilt auch bei einer fiktiven Abrechnung, wenn tatsächlich also gar keine Reparatur durchgeführt wird. Voraussetzung sind jedoch entsprechende Versicherungsbedingungen im Versicherungsvertrag der Kaskoversicherung. Bei Problemen mit einer Unfallschadensregulierung lohnt es sich, einen auf das Verkehrsrecht spezialisierten Rechtsanwalt hinzuzuziehen.
(Ma)