Unter Verdacht – wieviel Überwachung ist erlaubt?

20.09.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice
Mann,Auto,Kamera,Überwachung Was darf der Staat zum Zwecke der Überwachung? © - freepik

Gegen mögliche Straftäter wird auch mit Hilfe von Überwachung ermittelt. Aber: Was genau darf der Staat eigentlich unternehmen, um potenzielle Straftäter zu überführen?

Der Staat hat verschiedene Möglichkeiten, mögliche Straftäter zu überwachen. Die meisten Bürger wissen jedoch nicht genau, was die Staatsorgane wirklich dürfen – und was nicht.

Welche Maßnahmen sieht die Strafprozessordnung vor?


Das Strafrecht bzw. Strafprozessrecht gibt den Strafverfolgungsbehörden mehrere Überwachungsmaßnahmen an die Hand, die diese ergreifen können, um eine Straftat aufzuklären. Dies sind beispielsweise die Beschlagnahme möglicher Beweismittel, Hausdurchsuchungen und die Telefon-Überwachung.

Was versteht man unter der Beschlagnahme?


In § 94 der Strafprozessordnung (StPO) ist die Sicherstellung oder Beschlagnahme möglicher Beweismittel und die Einziehung von Führerscheinen geregelt. Die §§ 96 ff. enthalten jedoch Einschränkungen dazu. So dürfen zum Beispiel schriftliche Mitteilungen zwischen einem Beschuldigten und einer Person, die ein Zeugnisverweigerungsrecht hat, bei letzterer nicht beschlagnahmt werden. Dies wären zum Beispiel ein Rechtsanwalt, ein anerkannter Drogenberater oder eine Schwangerschaftskonflikt-Beratungsstelle.

Angeordnet werden darf eine Beschlagnahme nur durch ein Gericht, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen. Soll eine Beschlagnahme in den Räumen einer Redaktion, eines Verlages, einer Druckerei oder einer Rundfunkanstalt stattfinden, muss diese vorher zwingend durch ein Gericht angeordnet werden.

Wann darf eine Beschlagnahme von Postsendungen stattfinden?


Die Ermittlungsbehörden dürfen Postsendungen beim Versandunternehmen beschlagnahmen, wenn ein Gericht oder (nur bei Gefahr im Verzug) die Staatsanwaltschaft dies angeordnet hat.
Die Öffnung der ausgelieferten Postsendungen wird durch das Gericht durchgeführt. Aber: Dieses kann seine Befugnis zur Postöffnung auf die Staatsanwaltschaft übertragen, soweit dies erforderlich ist, um den Untersuchungserfolg nicht durch Verzögerungen zu gefährden.

Wie erfolgt eine Überwachung der Telekommunikation?


Gibt es einen begründeten Verdacht, dass der Betroffene eine schwere Straftat verübt hat, darf seine Telekommunikation heimlich abgehört und aufgezeichnet werden. Zusätzliche Voraussetzungen: Die Tat muss auch im Einzelfall schwerwiegend sein und eine Aufklärung würde ohne Telefonüberwachung zumindest deutlich erschwert werden.

§ 100a StPO führt einen Katalog der schweren Straftaten auf, bei denen dies zulässig ist. Dazu gehören zum Beispiel Geldfälschung, Sexualdelikte, Mord und Totschlag oder Kriegsverbrechen. Dazu gehören aber auch Verleitung zur missbräuchlichen Asylantragstellung, Vorenthalten von Arbeitsentgelt, Bankrott, Wettbewerbsstraftaten, schwere Steuerhinterziehung und verschiedene Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz.

Auch hier ist eine Anordnung durch das Gericht oder – bei Gefahr im Verzug – durch die Staatsanwaltschaft Voraussetzung. Nicht zulässig ist eine solche Abhöraktion, wenn Tatsachen die Annahme begründen, dass dabei nur Erkenntnisse über die private Lebensgestaltung des Betroffenen herauskommen werden. Unter bestimmten Voraussetzungen ist nach § 100i StPO außerdem der Abruf von bestimmten Mobilfunkdaten einschließlich des Standorts des Handys zulässig.

Wann dürfen Nutzungsdaten von Onlinemedien erhoben werden?


§ 100k StPO erlaubt die Überwachung durch eine Erhebung von Nutzerdaten bei Telemediendiensten. Darunter fallen praktisch alle Onlineangebote, wie etwa Social Media oder Messenger-Dienste. Voraussetzung ist ein begründeter Verdacht, dass der Betroffene als Täter oder Teilnehmer eine Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere eine in § 100a Absatz 2 bezeichnete Straftat, begangen oder vorbereitet hat. Zusätzlich muss es sich um eine Straftat handeln, bei der der Versuch strafbar ist. Auch muss die Datenabschöpfung für die Erforschung des Sachverhalts erforderlich sein und in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache stehen.
Auch diese Maßnahme darf nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch das Gericht angeordnet werden oder bei Gefahr im Verzug durch die Staatsanwaltschaft selbst (§ 101a Abs. 1a StPO).

Was ist mit dem sogenannten Großen Lauschangriff?


Das heimliche Abhören und Aufzeichnen von Gesprächen in einer Privatwohnung ist nach § 100c StPO zulässig, wenn der Verdacht auf schwere Straftaten besteht – hier gilt die Liste des § 100b Abs. 2 StPO. Abgehört werden dürfen nur Wohnungen des Beschuldigten und unter bestimmten Voraussetzungen andere Wohnungen, in denen sich dieser aufhält.

Eine Einschränkung besteht darin, dass eine Abhöraktion nur angeordnet werden darf, soweit es Anhaltspunkte dafür gibt, dass keine Äußerungen aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erfasst werden. Erkenntnisse aus diesem Bereich dürfen nicht verwertet werden, die Aufzeichnungen müssen gelöscht werden.

Nie als privat gelten Gespräche in Betriebs- oder Geschäftsräumen. Das Abhören muss bei Aufzeichnung privater Gespräche unterbrochen werden. Das Abhören einer Wohnung darf nur eine besondere Kammer des Landgerichts anordnen, bei Gefahr im Verzug dessen Vorsitzender. Die Kammer muss dann die Anordnung innerhalb von drei Werktagen bestätigen. Die Abhöraktion darf höchstens einen Monat dauern, kann aber unter bestimmten Voraussetzungen um einen Monat verlängert werden. Solche Abhörmaßnahmen nennt man umgangssprachlich den "großen Lauschangriff." Seine Voraussetzungen wurden nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2004 gesetzlich festgelegt.

Kleiner Lauschangriff: Überwachung durch Beschattung und Observieren


Auch außerhalb einer Wohnung darf durch Ermittler gelauscht, mitgeschnitten, fotografiert und gefilmt werden. Möglich sind auch andere "technische Mittel" der Observation – etwa das Anbringen eines GPS-Senders an einem Auto. Dafür muss es allerdings um eine Straftat von erheblicher Bedeutung gehen (§ 100h StPO). Auch muss "die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten" auf andere Weise weniger erfolgversprechend oder schwieriger sein. Das Abhören und Aufzeichnen von nichtöffentlichen Gesprächen außerhalb der Wohnung bezeichnet man auch als "kleinen Lauschangriff". Die Voraussetzungen regelt § 100f StPO.

Wann ist eine Haus- bzw. Wohnungsdurchsuchung zulässig?


Die Einzelheiten einer Durchsuchung sind in den §§ 102 ff. StPO festgelegt. Eine Durchsuchung der Wohnung, anderer Räume oder einer Person ist erlaubt, wenn der Betreffende verdächtigt wird, Täter oder Teilnehmer einer Straftat, Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei zu sein.

Darüber hinaus gehende Durchsuchungen setzen voraus, dass es Anhaltspunkte dafür gibt, dass sich eine festzunehmende Person oder ein bestimmtes Beweismittel in den Räumen befindet. Weitere Einschränkungen bestehen für das Betreten von Räumen bei Nacht (also von 21 bis 6 Uhr).

Was ist die Anti-Terrordatei?


Die gesetzlichen Grundlagen für die sogenannte Anti-Terrordatei sind seit Anfang 2007 in Kraft. Dabei handelt es sich um ein System, mit dessen Hilfe 38 deutsche Sicherheitsbehörden von der Polizei bis zum Auslandsgeheimdienst ihre Informationen abgleichen, um Terrorverdächtige zu identifizieren. In dieser Datei werden sehr weitgehend die Datenbanken aller Dienste vereint. Gesetzlich geregelt ist sie im Antiterrordateigesetz (ATDG). Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2013 musste ihre Rechtsgrundlage bis 2015 in mehreren Punkten geändert werden.

Staatstrojaner: Wann kommt es zur Online-Durchsuchung von PCs?


Unter der sogenannten "Online-Durchsuchung" versteht man das Einschleusen eines Trojaners auf den heimischen PC eines Verdächtigen. Dieser soll dort abgespeicherte Daten ausforschen und die Internetnutzung überwachen. Das umstrittene Verfahren war Gegenstand von Gerichtsverfahren.

Rechtsgrundlage ist § 100b StPO. Voraussetzung ist der Verdacht, dass der Betroffene eine besonders schwere Straftat nach § 100b StPO Abs. 2 begangen oder zu begehen versucht hat.

Hier sind nach § 101 StPO die Zielperson bzw. mögliche Mitbetroffene über die Überwachungsmaßnahme zu informieren und auf die Möglichkeit eines nachträglichen Rechtsschutzes hinzuweisen. Aber: Die Benachrichtigung erfolgt erst, wenn dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks, des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit und der persönlichen Freiheit einer Person und von bedeutenden Vermögenswerten oder auch der Möglichkeit der weiteren Verwendung eines verdeckten Ermittlers möglich ist.

Vorratsdatenspeicherung 2022: Nach EuGH unzulässig


Die deutsche Regelung zur Vorratsdatenspeicherung ist umstritten. Bisher wurde davon kein Gebrauch gemacht. So sollte noch auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes gewartet werden. Dieses ist heute (20.9.2022) erfolgt. Demnach ist die deutsche Regelung im Telekommunikationsgesetz (TKG) nicht mit dem EU-Recht vereinbar. Dieses untersagt eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten, es sei denn, es besteht eine ernste Bedrohung für die nationale Sicherheit. Kritisiert wurde, dass nach dem TKG Verkehrs- und Standortdaten, die zehn bzw. vier Wochen lang gespeichert werden dürfen, äußerst genaue Rückschlüsse auf das Privatleben zulassen - wie etwa auf persönliche Gewohnheiten, Aufenthaltsorte, Tätigkeiten und soziale Beziehungen. So werde es möglich, ein genaues Profil der überwachten Personen anzufertigen. Eine gesetzliche Neuregelung ist somit erforderlich (Urteil vom 20.9.2022, Az. Rs. C-793/19, C-794/19).

Praxistipp zu Überwachungsmaßnahmen des Staates


Bei der Überwachung von Personen zu Ermittlungszwecken handelt es sich um ein probates Mittel der Strafverfolgungsbehörden, das gesetzlich genau geregelt ist. Fühlen Sie sich zu Unrecht von Überwachungsmaßen betroffen, sollten Sie sich dringend mit einem Anwalt, der sich auf das Strafrecht spezialisiert hat, in Verbindung setzen, um ihre Rechte zu wahren.

(Bu)


 Stephan Buch
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