Wann verjähren Schmerzensgeldansprüche und Straftaten bei sexuellem Missbrauch?

15.07.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
Mädchen,weinend,Missbrauch,Verjährung Opfer von sexuellem Missbrauch können Schmerzensgeldansprüche haben. © - freepik
Das Wichtigste in Kürze

1. Zivilrechtliche Ansprüche: Seit dem 30.6.2013 liegt die Verjährungsfrist für Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche wegen sexuellem Missbrauch bei 30 Jahren. Dies gilt für Taten, die am 30.6.2013 noch nicht verjährt waren.

2. Hemmung der Verjährungsfrist: Die Verjährung von Schadensersatz- oder Schmerzensgeldansprüchen wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung ist bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs des Gläubigers (des Tatopfers) gehemmt, beginnt also erst zu diesem Zeitpunkt zu laufen. Die Hemmung gilt zudem, solange Täter und Opfer in häuslicher Gemeinschaft leben.

3. Strafrechtliche Verjährung: In den vergangenen Jahren wurden die strafrechtlichen Verjährungsfristen für sexuellen Missbrauch mehrmals geändert. Welche Verjährungsfrist für eine Straftat gilt, hängt davon ab, welche Frist bei Begehung der Tat gegolten hat.
Bei sexuellem Missbrauch ist es besonders wichtig, die Täter auch noch nach langer Zeit zur Rechenschaft ziehen zu können. Denn: Häufig ringen sich die Geschädigten erst nach Jahren oder nach dem Erwachsenwerden dazu durch, über die Tat zu sprechen. Heutzutage kann ein Anspruch auf Schmerzensgeld auch noch lange nach der Tat geltend gemacht werden. Dies war nicht immer so. Dabei ist es wichtig, strafrechtliche und zivilrechtliche Verfahren auseinander zu halten. Beim Strafverfahren geht es um die Bestrafung des Täters, vor dem Zivilgericht um Zahlungsansprüche auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld. Eine Klage auf Schmerzensgeld kann unabhängig von einem Strafverfahren stattfinden, obwohl natürlich eine Verurteilung im Strafverfahren die Beweisführung erleichtert.

Was hat sich 2013 bei der Verjährung von sexuellem Missbrauch geändert?


2013 waren immer mehr Fälle von sexuellem Missbrauch, etwa in Internaten, bekannt geworden. Damals zeigte sich, dass sich missbrauchte Kinder oft erst Jahre später nach Ende ihrer Schulzeit meldeten oder Anzeige erstatteten. Und es wurden auch Fälle sexuellen Missbrauchs innerhalb von Familien bekannt. Dabei dauerte es oft besonders lange, bis die Opfer aktiv wurden, weil sie sich zunächst einmal weit genug von ihrer Familie lösen mussten. Die damaligen Gesetze zur Verjährung schienen weder im strafrechtlichen, noch im zivilrechtlichen Bereich auszureichen. Dazu gehörte auch, dass die zivilrechtliche Verjährungsfrist für Schadensersatz und Schmerzensgeldansprüche gerade einmal bei drei Jahren lag.

Also wurden die Vorschriften geändert. Seit dem 30.6.2013 liegt die zivilrechtliche Verjährungsfrist für Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche wegen sexuellem Missbrauch bei 30 Jahren. Eine Einschränkung gibt es: Dies gilt nur für Taten, die am 30.6.2013, dem Tag des Inkrafttretens der neuen Verjährungsfrist, noch nicht verjährt waren.

Heute gilt außerdem: Die Verjährung von Schadensersatz- oder Schmerzensgeldansprüchen wegen Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung ist bis zur Vollendung des 21. Lebensjahrs des Gläubigers (des Tatopfers) gehemmt. Das bedeutet: Sie kann erst an dessen 21. Geburtstag überhaupt zu laufen beginnen. Dies steht in § 208 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

Was gilt für die Hemmung der Verjährung bei häuslicher Gemeinschaft?


Die Verjährung von Ansprüchen auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld wegen sexuellem Missbrauch kann auch noch aus einem anderen Grund gehemmt, also vorläufig angehalten sein: Wenn Täter und Opfer miteinander in häuslicher Gemeinschaft leben. Dies führt häufig zu einem Abhängigkeitsverhältnis. Daher lässt das Gesetz die Verjährung von Ansprüchen wegen einer Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung erst mit dem Tag beginnen, an dem die häusliche Gemeinschaft endet, zum Beispiel, indem das Opfer aus der Wohnung auszieht. Die entsprechende Vorschrift ist § 208 S.2 BGB.

Verhindern posttraumatische Störungen wegen sexuellem Missbrauch die Verjährung


Der Bundesgerichtshof entschied am 4.12.2012 zum Thema Verjährung von zivilrechtlichen Schmerzensgeldansprüchen von Opfern sexuellen Missbrauchs. Dabei ging es um einen Kindesmissbrauch in den Jahren 1988 und 1990. Der Anspruch auf Schmerzensgeld wäre hier im Normalfall längst verjährt gewesen, denn damals betrug die Verjährungsfrist nur drei Jahre.

Dem Bundesgerichtshof zufolge lag allerdings ein Sonderfall vor: Das Opfer hatte wegen einer posttraumatischen Störung die Tat lange Zeit vollkommen verdrängt. Eine Verjährungsfrist fängt jedoch erst dann zu laufen an, wenn der Anspruchsinhaber die anspruchsbegründenden Tatsachen kennt. Dies war aus Sicht des Gerichtshofes hier lange Zeit überhaupt nicht der Fall gewesen. Daher ließ der BGH die Verjährung später beginnen. Dem mittlerweile erwachsenen Kind wurde ein Schmerzensgeld zugesprochen (Urteil vom 4.12.2012, Az. VI ZR 217/11).

Wie funktioniert die Verjährung im Strafrecht?


Die Dauer der Verjährungsfristen im Strafrecht hängt von der begangenen Tat ab und von der Höhe der Strafandrohung. Unter dem Begriff des sexuellen Missbrauchs werden verschiedene Straftatbestände mit unterschiedlich hohen Strafen zusammengefasst. Man findet diese Vorschriften in den §§ 174 ff. des Strafgesetzbuches (StGB). Die Verjährungsregeln finden sich in § 78 StGB. Die Verjährung kann je nach Delikt generell zwischen drei Jahren und dreißig Jahren dauern.

In den vergangenen Jahren wurden die strafrechtlichen Verjährungsfristen mehrmals geändert. Aber: Welche Verjährungsfrist für eine Straftat gilt, hängt davon ab, welche Frist bei Begehung der Tat gegolten hat. So verjährt zum Beispiel der schwere sexuelle Missbrauch von Kindern nach § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB in 20 Jahren. Dieses Delikt ist jedoch überhaupt erst seit 1998 ein eigener Straftatbestand. Daher gilt die 20-jährige Verjährungsfrist erst für Taten ab 1998. Für vorher begangene Taten gilt eine zehnjährige Frist.

Die Verjährungsfrist für einfachen sexuellen Missbrauch von Kindern liegt heute bei zehn Jahren, die für Vergewaltigung beträgt 20 Jahre.

Bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gilt außerdem: Die Verjährung ruht bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres des Opfers (§ 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB). Diese Vorschrift gilt für Straftaten, die nach dem 27. Januar 2015 begangen wurden oder die zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt waren. Dadurch ist es zum Beispiel möglich, eine Vergewaltigung in jungen Jahren noch bis zum 50. Lebensjahr des Tatopfers strafrechtlich zu verfolgen, da die 20-jährige Verjährungsfrist erst mit Vollendung seines 30. Lebensjahres zu laufen beginnt.

Wichtig ist hier jedoch auch, dass sich die Regelung im Laufe der Zeit mehrmals geändert hat. Daher ist für ältere Fälle die alte Rechtslage maßgeblich. So beginnt die Verjährung bei Straftaten, die zwischen dem 30. Juni 2013 und dem 27. Januar 2015 begangen wurden oder die am 30. Juni 2013 noch nicht verjährt waren, erst bei Vollendung des 21. Lebensjahres des Tatopfers.

Bei Straftaten, die zwischen dem 5. Juli 1997 und dem 30. Juni 2013 begangen wurden oder die am 5. Juli 1997 noch nicht verjährt waren, fängt die Verjährung bei Vollendung des 18. Lebensjahres an, zu laufen.

BGH zur strafrechtlichen Verjährung bei sexuellem Missbrauch


Mit Beschluss vom 8.1.2014 hat der Bundesgerichtshof über die Verjährung mehrerer Taten des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen entschieden. Dabei war die alte Rechtslage maßgeblich. Damals gab es eine fünfjährige Verjährungsfrist, die am 18. Geburtstag der Opfer begann. In diesem Fall war die Bestrafung einiger Taten wegen des Eintritts der Verjährung nicht mehr möglich. Auch eine Unterbrechung der Verjährung kam nicht in Betracht (Az. 5 StR 534/13).

Praxistipp zur Verjährung bei sexuellem Missbrauch


Durch die langen Verjährungsfristen bei vielen Missbrauchsdelikten können sich Tatopfer ihr Vorgehen in vielen Fällen in Ruhe überlegen und rechtlichen Beistand suchen. Ein im Zivilrecht tätiger Rechtsanwalt kann Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld durchsetzen. Ein Fachanwalt für Strafrecht kann Verbrechensopfer als Nebenkläger im Strafverfahren gegen den Täter vertreten.

(Bu)


 Stephan Buch
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