Verkehrsrecht - Bremsen für Kleintiere?

13.02.2025, Redaktion Anwalt-Suchservice
Kleintier,Unfall,Haftung,Schaden Kein Gesetz schreibt vor, dass man Kleintiere überfahren muss. © Bu - Anwalt-Suchservice
Das Wichtigste in Kürze

1. Grundsatz: Wer plötzlich für ein Kleintier (z. B. Eichhörnchen, Katze) bremst und dadurch einen Auffahrunfall mit dem hinterherfahrenden Fahrzeug verursacht, trägt zumindest eine Mithaftung.

2. Interessenabwägung: Das Leben und die Gesundheit von Menschen haben im Straßenverkehr Vorrang. Bei Gefahr für nachfolgende Fahrzeuge sollte deshalb keine Notbremsung gemacht werden.

3. Mithaftung des Auffahrenden: Der Fahrer des hinterherfahrenden Fahrzeugs ist verpflichtet, einen Sicherheitsabstand einzuhalten, der gewährleistet, dass bei einer Notbremsung des vorausfahrenden Fahrzeugs nicht auffährt. Vertößt er gegen diese Regel, trifft ihn in der Regel eine Mithaftung.
Viele Verkehrsteilnehmer wissen nicht genau, wie sie mit Kleintieren im Straßenverkehr umgehen sollen. So mancher bremst für sie – manch anderer ist aber der Ansicht, dass es eine regelrechte Pflicht gibt, sie zu überfahren, wenn sie einem vor das Auto laufen. Tatsächlich ist die Rechtslage nicht ganz so einfach. Grundsätzlich gilt zuerst: Es gibt kein Gesetz, das vorschreibt, Tiere zu überfahren. Allerdings können sich Autofahrer einer Mithaftung aussetzen, wenn sie ruckartig bremsen und ihnen deswegen ein anderes Fahrzeug hinten auffährt.

Warum besser nicht für Kleintiere bremsen?


Legt man im Straßenverkehr plötzlich eine Vollbremsung hin, besteht oft das Risiko, dass einem ein anderes Fahrzeug auffährt. So kann es zu einem erheblichen Sachschaden kommen. Auch können Menschen zu Schaden kommen. Daher schreibt die Straßenverkehrsordnung vor, dass ein Fahrzeug, dem ein anderes folgt, nicht ohne zwingenden Grund stark bremsen darf. Ein nicht erforderliches Bremsmanöver ist eine Ordnungswidrigkeit. In Wirklichkeit ist jedoch die Gefahr, deswegen ein Bußgeld zahlen zu müssen, eher gering.

Zu mehr Ärger führen kann jedoch die Haftung für einen Unfall. Zwar gehen die Gerichte bei Auffahrunfällen meist davon aus, dass der Auffahrende schuld ist. Hat jedoch das vorausfahrende Fahrzeug driftigen Grund stark gebremst, muss sich dessen Fahrer häufig ein Mitverschulden anrechnen lassen. Zum "guten Grund" kommen wir später.

Was sind eigentlich Kleintiere?


Leider gibt es keine allgemeingültige Definition, welche Tiere im Straßenverkehr als Kleintiere gelten oder wie groß ein Kleintier im Durchschnitt ist.

Vor Gericht werden meist Tiere als Kleintiere angesehen, die so klein sind, dass ihr Überfahren nur wenig Schaden am eigenen Auto verursachen würde. Dazu gehören beispielsweise:

- Tauben (OLG Köln, Urteil vom 7.7.1993, Az. 11 U 63/93),
- Wildenten (OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.7.1987, Az. 1 U 288/86)
- Eichhörnchen (AG München, Urteil vom 25.2.2014, Az. 331 C 16026/13),
- Füchse (LG Trier, Urteil vom 3.2.2010, Az. 4 O 241/09),
- Hasen (BGH, Urteil vom 18.12.1996, Az. IV ZR 321/95),
- Katzen (AG Schondorf, Urteil vom 10.11.1992, Az. 2 C 811/92).

Rehe oder Wildschweine gelten nicht mehr als Kleintiere. Bei einer Kollision mit ihnen muss mit einem schweren Unfall mit entsprechendem Schaden und erheblichen Verletzungen gerechnet werden.

Wer haftet bei einem Auffahrunfall, wenn ich für ein Tier bremse?


Bei einem Auffahrunfall spricht viel dafür, dass der Fahrer des hinteren Fahrzeugs dem vorderen aufgefahren ist. Immerhin muss der hintere Fahrer einen Sicherheitsabstand einhalten, der so groß ist, dass er auch bei einer Notbremsung des vorderen Fahrzeugs diesem gerade nicht auffährt. Dies ist in § 4 Abs. 1 Satz 1 der StVO ausdrücklich geregelt. Dabei ist die Pflicht, einen ausreichenden Sicherheitsabstand einzuhalten, jedoch gleichrangig mit der Pflicht, keine unnötige Vollbremsung vorzunehmen, wenn ein anderes Auto hinter einem fährt.

Kommt es trotz dieser Regeln zu einem Unfall, wird sich das Gericht genau ansehen, wer welchen Anteil daran hatte. Oft kommt es dann zu einer Haftungsteilung.

Beispiel: Nach einem älteren Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe hätte eine Autofahrerin nicht wegen einer Wildente bremsen dürfen. Der Schutz dieses Tieres habe weniger Gewicht gehabt als derjenige der nachfolgenden Verkehrsteilnehmer. Trotzdem spreche ein Anscheinsbeweis dafür, dass der Fahrer des nachfolgenden Autos entweder zu dicht aufgefahren sei oder nicht aufgepasst habe. Daher musste dieser trotz der unerwarteten Vollbremsung der Frau immer noch 60 Prozent des Schadens tragen (Az. 1 U 288/86).

Wann zahlt die Versicherung bei Unfällen wegen Bremsens für Kleintiere?


Nach Ansicht der Versicherungen ist eine Bremsung für Kleintiere oft grob fahrlässig. Wenn zum Beispiel durch ein Ausweichmanöver das eigene Auto beschädigt wurde, ist der Versicherungsschutz in der Kaskoversicherung gefährdet. Dann kann der Versicherer seine Leistung abhängig von der Schwere des Verschuldens seines Kunden kürzen.

Die Versicherung muss grundsätzlich auch Schäden bezahlen, die entstehen, wenn der Unfall bei einem Ausweichmanöver entsteht, das größeren Schaden verhindern sollte. Dies ist jedoch bei Kleintieren nicht der Fall – meinte zumindest der Bundesgerichtshof im Jahr 1996. Damals hatte eine Frau sich mit ihrem Auto überschlagen, als sie einem Hasen auswich (Az. IV ZR 321/95).

Wer keine Kaskoversicherung hat, muss sich allerdings auch keine Gedanken darüber machen, ob diese den Schaden am eigenen Auto zahlt. Eine Kfz-Haftpflichtversicherung hat dagegen jeder. Diese muss den Schaden bezahlen, den man jemand anderem zufügt. Grobe Fahrlässigkeit des eigenen Kunden schließt diese Zahlungspflicht nicht aus. Aber: Wenn sich der Versicherungsnehmer grob fahrlässig verhalten hat, kann seine Haftpflichtversicherung ihn unter Umständen in Regress nehmen. Das heißt: Sie kann sich das ausgezahlte Geld innerhalb bestimmter Grenzen von ihrem Versicherungsnehmer zurückholen.

Wann darf man für Tiere bremsen?


Noch einmal: Kein Gesetz verpflichtet Autofahrer, Tiere zu überfahren. Es geht hier nur um die Haftungsfrage bei einem Unfall.

Auch in Anbetracht einer möglichen Haftung darf man ohne Weiteres für ein Tier bremsen, wenn dadurch kein anderer Verkehrsteilnehmer in Gefahr gerät. Wenn man gar kein anderes Fahrzeug hinter sich hat oder das nächste Auto erst in weitem Abstand folgt, muss man auch nicht besonders vorsichtig bremsen. Zu einer Mithaftung kann es dann schon deshalb nicht kommen, weil man durch sein Verhalten überhaupt niemand anderen schädigen kann.

Allerhöchstens kann der eigene Versicherungsschutz in einer Vollkaskoversicherung leiden, wenn man beim Bremsen das eigene Auto in den Graben setzt. Kann man jedoch gefahrlos abbremsen, hat dies weiter keine Folgen.

Auch kann Verkehrsteilnehmern kein Vorwurf gemacht werden, wenn ihre Vollbremsung nicht bewusst, sondern reflexartig erfolgt ist – weil sie schlicht einen Schreck bekommen haben, dass ihnen etwas vor das Fahrzeug läuft.
Dazu gibt es ein Urteil des Landgerichts Coburg. In diesem Fall hatte ein Autofahrer das Lenkrad seines Mietwagens reflexartig herumgerissen, als ihm ein Tier in Fuchsgröße vors Auto lief. Dabei hatte er die Leitplanke gerammt. Das Gericht sah sein reflexartiges Handeln nicht als grob fahrlässig an (Az. 22 O 709/00).

Warum ist es wichtig, ob man sich innerorts befindet?


Wichtig: Nach Ansicht der meisten Gerichte gelten alle oben genannten Grundsätze über das Überfahren von Kleintieren nur außerhalb geschlossener Ortschaften.
Autofahrer haben nämlich innerhalb geschlossener Ortschaften so vorsichtig zu fahren, dass sie im Notfall auch zum Stehen kommen können, ohne etwas zu überfahren (Landgericht Paderborn, Urteil vom 7.9.2000; Az. 5 S 181/00). Schließlich könnte ihnen ja auch ein kleines Kind vor das Auto laufen.

Was müssen Zweiradfahrer beachten?


Etwas anders ist die Rechtslage bei Motorradfahrern. Für diese kann auch die Kollision mit einem Kleintier eine erhebliche Gefahr bedeuten, wenn sie zum Beispiel seitlich wegrutschen. Die Gerichte entscheiden hier nicht einheitlich.
Ein Motorradfahrer gewann vor dem Landgericht Hamburg den Prozess gegen seine Versicherung. Er war in einer Kurve einem Hasen ausgewichen und dadurch gestürzt (Urteil vom 3. August 2006, Az. 323 O 106/06). Laut Gericht war sein Ausweichmanöver nicht grob fahrlässig: Gerade beim Kurvenfahren mit dem Motorrad hätte auch bei der Kollision mit einem Hasen ein hohes Unfall- und Verletzungsrisiko bestanden. Die Kaskoversicherung musste zahlen.

Praxistipp zum Bremsen für Tiere


Kein Gesetz verpflichtet Autofahrer dazu, Tiere zu überfahren. Kann man ohne Gefahr für sich und andere für das Tier bremsen, darf man das selbstverständlich tun. Wenn es jedoch infolge eines solchen Bremsmanövers zu einem Auffahrunfall kommt, kann dem Fahrer ein Mitverschulden angerechnet werden. Unter Umständen kann seine Versicherung die Zahlung reduzieren. Aber: Innerhalb geschlossener Ortschaften darf man auch für Kleintiere bremsen. Motorradfahrer dürfen eher für Kleintiere bremsen als Autofahrer. In einem Streitfall mit Ihrer Versicherung wegen eines Verkehrsunfalls kann Sie ein Fachanwalt für Verkehrsrecht am besten beraten.

(Ma)


 Ulf Matzen
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