Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht: Die Rechte des Patienten
26.10.2023, Redaktion Anwalt-Suchservice
© - freepik Ärzte müssen den Willen ihrer Patienten respektieren. Eine Untersuchung oder Behandlung dürfen sie nur vornehmen, wenn und soweit der Patient damit einverstanden ist. Ansonsten ist die Einwilligung des Patienten in die ärztliche Maßnahme unwirksam, und ohne diese macht der Arzt sich womöglich wegen Körperverletzung strafbar.
Allerdings verfügt der "Normalpatient" gar nicht über genug Fachwissen, um seine Situation und seine Alternativen ausreichend einschätzen zu können. Daher haben Ärzte gegenüber ihren Patienten bestimmte Aufklärungspflichten. Diese beruhen einerseits auf dem Behandlungsvertrag mit dem Arzt, sind aber andererseits auch gesetzlich geregelt (§ 630c Absatz 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Auch das Berufsrecht der Ärzte enthält dazu Vorgaben: Die Berufsordnungen der Ärztekammern besagen, dass ein Arzt seinen Patienten nur mit dessen Einwilligung behandeln darf – und nach einer umfassenden Aufklärung.
Gemäß § 630c Abs. 2 BGB muss der behandelnde Arzt den Patienten in verständlicher Form über sämtliche für die Behandlung relevanten Umstände informieren. Dazu gehören insbesondere:
- die Diagnose,
- die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung,
- die Therapie,
- die dafür erforderlichen Maßnahmen,
- eine erforderliche Nachsorge.
Besonders wichtig ist auch die Aufklärung des Patienten über mögliche Risiken der Behandlung. Gibt es Anhaltspunkte für einen Behandlungsfehler, muss der Arzt den Patienten ebenfalls informieren – allerdings nur auf Nachfrage des Patienten oder zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren.
Zur Aufklärung gehört es auch, den Patienten darauf hinzuweisen, wie er sich verhalten muss, um den Behandlungsverlauf nicht zu gefährden (zum Beispiel Bettruhe, Ernährung, Verzicht auf Rauchen, Kaffee, Alkohol).
Auch in finanzieller Hinsicht gibt es eine Aufklärungspflicht. Der Arzt muss den Patienten gegebenenfalls darauf hinweisen, dass seine Krankenkasse die Kosten der vorgeschlagenen Behandlung nicht oder nur teilweise übernehmen wird. Mitzuteilen ist auch die voraussichtliche Höhe der Behandlungskosten.
Die Aufklärung muss gemäß § 630c BGB zu Beginn der Behandlung und zusätzlich, wenn nötig, auch während dieser stattfinden. Dazu haben die Gerichte Grundregeln entwickelt. Danach muss eine Aufklärung vor einer wichtigen stationären Operation mindestens einen Tag vorher stattfinden. Vor einem kleineren Routineeingriff reicht eine Aufklärung am selben Tag aus. Trotzdem muss dem Patienten unbedingt noch genug Bedenkzeit vor dem Eingriff bleiben. Er darf nicht das Gefühl haben, dass alles sowieso schon beschlossene Sache ist und er am Ablauf nichts mehr ändern kann.
Das Oberlandesgericht Köln gestand einer Patientin ein Schmerzensgeld von 10.000 Euro zu, die nach einem Unfall ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Die Ärzte hatten ihr eine Operation empfohlen, an der sie Zweifel hatte. Sie stimmte zwar zu, wollte aber eigentlich noch eine zweite Meinung einholen. Da ging es schon in den OP - die Operation war einige Stunden vorverlegt worden. Da die Frau nach der Operation unter Schmerzen litt, verklagte sie das Krankenhaus.
Das Gericht gab ihr recht: Auch bei einer dringenden, hier innerhalb von 24 Stunden gebotenen OP hätte sie zumindest unmittelbar vorher noch einmal gefragt werden müssen, wenn ihre Zweifel bekannt waren. Hier habe kein so dringender Notfall vorgelegen, dass dies hätte unterbleiben können. Ihre Einwilligung sei unwirksam (Urteil vom 16.1.2019, Az. 5 U 29/17).
Ein weiterer wichtiger Punkt lautet: Grundsätzlich muss die Aufklärung in einem Gespräch mit dem Arzt stattfinden. Es reicht nicht aus, dem Patienten im Operationssaal ein paar Formulare unter die Nase zu halten, während der Narkosearzt daneben schon seine Ausrüstung vorbereitet.
Die ärztliche Aufklärungspflicht ist Sache des Arztes, und zwar normalerweise des Arztes, der die entsprechende medizinische Maßnahme durchführen soll. Ausnahmsweise kann sie auch an einen Arzt mit gleicher Qualifikation delegiert werden. In diesem Fall hat der behandelnde Arzt aber weiter Kontrollpflichten und muss sich vergewissern, dass eine korrekte Aufklärung stattgefunden hat. Die Aufklärung darf nicht durch nichtärztliches Personal durchgeführt werden, wie Schwestern und Krankenpfleger.
Das Landgericht Dortmund hat sich mit der Frage beschäftigt, ob eine eigenverantwortlich durchgeführte Internetrecherche des Patienten eine Aufklärung durch den Arzt ersetzen kann. In dem Fall ging es um einen Patienten mit einer degerativen Wirbelsäulenerkrankung. Ein Neurochirg hatte dem Mann mit einer Nadel ein Hydrogelkissen an den Lendenwirbelkörpern 4/5 implantiert. Danach kam es jedoch zu Komplikationen und schließlich zu einem Bandscheibenvorfall. Der Patient warf dem Arzt anschließend vor, ihn nicht über die Risiken des Verfahrens aufgeklärt zu haben. Der Arzt hielt dem entgegen, dass er sich doch vor dem Eingriff selbst im Internet informiert und darüber mit dem Arzt gesprochen habe.
Das Gericht sah hier einen Aufklärungsmangel. Der Arzt habe den Patienten nicht darüber aufgeklärt, dass die Hydrogeltherapie keine Standardmethode sei, dass die Erfolgsaussichten unsicher seien und dass in den Ärzteleitlinien überwiegend davon abgeraten werde. Zwar könnten Vorkenntnisse des Patienten hinsichtlich wesentlicher Umstände der Behandlung eine Aufklärung entbehrlich machen. Aber: Eine eigeninitiativ durchgeführte Online-Recherche könne die gebotene schonungslose Aufklärung, die den Patienten in die Lage versetzen solle, sorgfältig das Für und Wider einer Behandlung abzuwägen, nicht ersetzen. Hier habe daher nicht die erforderliche Aufklärung stattgefunden. Die Behandlung sei rechtswidrig erfolgt (LG Dortmund, Urteil vom 17.8.2023, Az. 12 O 416/20).
In vielen Fällen ist schnelle Hilfe entscheidend – etwa nach einem Unfall. Unter Umständen ist ein Patient bewusstlos, verliert Blut oder hat innere Verletzungen. Ist eine Behandlung nicht aufschiebbar oder verzichtet der Patient ausdrücklich auf eine Aufklärung, kann auch der Arzt darauf verzichten.
Bei Menschen, die bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert werden, setzt man in der Regel voraus, dass diese mutmaßlich mit einer Behandlung einverstanden sind - auch ohne Aufklärung. Mehrere Gerichtsurteile beschäftigen sich mit dem richtigen Zeitpunkt für die Aufklärung. Die Grundregel lautet: Je mehr Eile geboten ist, desto geringer sind die Anforderungen an die Aufklärung.
Wer befürchtet, gegen seinen Willen behandelt zu werden, wenn er seinen Willen nicht mehr selbst äußern kann, kann seine Wünsche detailliert in einer Patientenverfügung niederlegen.
Ansonsten und insbesondere bei dauerhaft fehlender Einwilligungsfähigkeit des Patienten gilt: Der Arzt muss die Einwilligung von einer Person einholen, die für den Patienten Entscheidungen treffen darf. Dies können bei minderjährigen Kindern die sorgeberechtigten Eltern sein, bei Volljährigen ein vom Gericht bestellter Betreuer oder bei Vorliegen einer Vorsorgevollmacht auch der entsprechend Bevollmächtigte. Im Fall der Betreuung kann es vorkommen, dass für ärztliche Maßnahmen eine Einwilligung des Betreuungsgerichts erforderlich ist.
Das Oberlandesgericht Hamm verhandelte den Fall eines Kindes, dem eine Niere entfernt worden war. Zuerst war nur geplant gewesen, bei dem Achtjährigen eine neue Verbindung zwischen Nierenbecken und Harnleiter zu schaffen, um einen besseren Abfluss aus der Niere zu erreichen. Diese funktionierte nur noch zu 22 Prozent. Die Eltern des Kindes waren aufgeklärt worden, hatten Bedenkzeit gehabt und zugestimmt. Während der OP stellten die Ärzte jedoch fest, dass die Maßnahme wegen anatomischen Besonderheiten des Kindes unmöglich war. Daraufhin brach die behandelnde Ärztin die Operation ab, informierte die Eltern und empfahl ihnen die sofortige Entfernung der linken Niere. Die Eltern stimmten zu. Später stellte sich heraus, dass die Niere vielleicht doch zu retten gewesen wäre. Nun klagten die Eltern in Vertretung ihres Kindes auf Schmerzensgeld. Sie seien nicht ausreichend aufgeklärt worden; auch habe man ihnen die Entfernung der Niere als einzige Alternative dargestellt.
Nach der Beurteilung eines medizinischen Sachverständigen wäre es durchaus möglich gewesen, die Operation vorläufig zu beenden, indem man zur Ableitung eine Nieren-Haut-Fistel gesetzt hätte. Die Eltern hätten auf diese Möglichkeit hingewiesen werden müssen. So hätte man Zeit gewonnen, um Chancen und Risiken einer anderweitigen Behandlung mit den Eltern in Ruhe durchzusprechen.
Dann wäre es möglich gewesen, durch eine spätere Operation die Niere des Jungen zu erhalten – nur mit größeren Risiken und zweifelhaften Erfolgschancen. Aber: Bei Erfolg hätte die Niere zumindest zum Teil weiter funktioniert. Die behandelnden Ärzte hätten die Pflicht gehabt, die Eltern auf all dies hinzuweisen und ihnen eine Entscheidung zu ermöglichen. Stattdessen hätten sie den Eltern die sofortige Entfernung der Niere als einzige Möglichkeit genannt. Das Gericht gestand dem Kind wegen mangelhafter Aufklärung ein Schmerzensgeld von 12.500 Euro zu (OLG Hamm, Urteil vom 7.12.2016, Az. 3 U 122/15).
Das Oberlandesgericht Koblenz (Az. 5 U 41/03) gestand einem Patienten 6.000 Euro Schmerzensgeld zu. Dessen Zahnarzt hatte ihn vor einer Betäubung nicht über das Risiko einer Nervenschädigung informiert. Zwar sollte der Zahnarzt nur eine Plombe im Backenzahn erneuern. Er traf jedoch mit der Betäubungsspritze den Nerv und beschädigte diesen, was eine Lähmung der rechten Zungenhälfte auslöste.
Das Gericht erklärte, dass ein solcher Nervenschaden nur selten auftrete. Trotzdem müsse der Zahnarzt auch über ein solches Behandlungsrisiko aufklären, wenn davon erhebliche und dauerhafte Beeinträchtigungen ausgehen könnten. Die Schädigung des Nervs stelle eine dauerhafte Beeinträchtigung dar, welche sich auf die Lebensführung des Patienten erheblich auswirke.
In einem anderen Fall musste ein Zahnarzt Schadensersatz zahlen, weil er seinen Patienten nicht über die voraussichtlichen Behandlungskosten aufgeklärt hatte. Ein solcher Anspruch kann bestehen, wenn die Kosten den zuvor erstellten Heil- und Kostenplan überschreiten. Der Patient gewann vor dem Landgericht Traunstein (Az. 3 O 3429/06).
Wichtig: Der Patient muss nachweisen, dass der Zahnarzt seiner Aufklärungspflicht über die Behandlungskosten nicht nachgekommen ist (OLG Celle, Urteil vom 28.5.2001, Az. 1 U 28/00).
Folge einer Verletzung der Informationspflichten ist: Es liegt ein Behandlungsfehler vor. Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche sind möglich. Im Prozess kommt dem Patienten eine Beweislastumkehr zugute. Das bedeutet: Der Arzt muss beweisen, dass er den Patienten richtig aufgeklärt hat. Ein von diesem unterschriebener Aufklärungsbogen ist ein Indiz dafür, aber kein Beweis - schließlich sagt das noch nichts darüber aus, was dem Patienten erklärt wurde und ob er dies verstanden hat.
Wird eine der Aufklärungspflichten verletzt, macht dies die Einwilligung des Patienten in die Behandlung unwirksam. Unter Umständen hat sich der Arzt strafbar gemacht wegen eines körperlichen Eingriffs ohne Einwilligung. Zusätzlich liegt zivilrechtlich ein grober Behandlungsfehler vor, der eine unerlaubte Handlung darstellt. Kann der Patient glaubhaft machen, dass er dem Eingriff bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht zugestimmt hätte, hat er Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.
Prozesse im Bereich der Arzthaftung sind oft besonders aufwändig, weil man ohne medizinische Sachverständige meist nicht auskommt. Um so wichtiger ist es, einen erfahrenen Rechtsanwalt für Arzthaftungsrecht hinzuzuziehen, der die Erfolgschancen realistisch abschätzen kann. Empfehlenswert ist es, sich an einen Fachanwalt für Medizinrecht zu wenden.
Das Wichtigste in Kürze
1. Informationsrecht: Patienten haben das Recht auf umfassende und verständliche Aufklärung über eine beabsichtigte medizinische Behandlung. Ärzte müssen den Patienten über Diagnose, Behandlungsoptionen, Risiken und Alternativen aufklären.
2. Einwilligungsrecht: Patienten haben das Recht, informierte Entscheidungen über ihre medizinische Behandlung zu treffen. Sie können die Zustimmung zur Behandlung verweigern oder alternative Behandlungsoptionen wählen, wenn sie nicht ausreichend über die Risiken und Vorteile aufgeklärt wurden.
3. Schadensersatzrecht: Wenn ein Arzt seine Aufklärungspflicht verletzt und der Patient aufgrund mangelnder Information einen Schaden erleidet, kann der Patient Schadensersatzansprüche geltend machen.
1. Informationsrecht: Patienten haben das Recht auf umfassende und verständliche Aufklärung über eine beabsichtigte medizinische Behandlung. Ärzte müssen den Patienten über Diagnose, Behandlungsoptionen, Risiken und Alternativen aufklären.
2. Einwilligungsrecht: Patienten haben das Recht, informierte Entscheidungen über ihre medizinische Behandlung zu treffen. Sie können die Zustimmung zur Behandlung verweigern oder alternative Behandlungsoptionen wählen, wenn sie nicht ausreichend über die Risiken und Vorteile aufgeklärt wurden.
3. Schadensersatzrecht: Wenn ein Arzt seine Aufklärungspflicht verletzt und der Patient aufgrund mangelnder Information einen Schaden erleidet, kann der Patient Schadensersatzansprüche geltend machen.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Worüber muss der Arzt den Patienten informieren? Wann muss der Patient aufgeklärt werden? Wie und durch wen muss der Patient aufgeklärt werden? Update vom 26.10.2023: Aufklärung per Google: Reicht eine eigene Internetrecherche des Patienten? Wann kann auf die Aufklärung verzichtet werden? Beispiel: Nierenentfernung bei einem Kind Welche Aufklärungspflicht hat ein Zahnarzt? Aufklärungspflicht über die Behandlungskosten Was sind die Folgen einer mangelhaften Aufklärung des Patienten? Praxistipp zur ärztlichen Aufklärungspflicht Allerdings verfügt der "Normalpatient" gar nicht über genug Fachwissen, um seine Situation und seine Alternativen ausreichend einschätzen zu können. Daher haben Ärzte gegenüber ihren Patienten bestimmte Aufklärungspflichten. Diese beruhen einerseits auf dem Behandlungsvertrag mit dem Arzt, sind aber andererseits auch gesetzlich geregelt (§ 630c Absatz 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Auch das Berufsrecht der Ärzte enthält dazu Vorgaben: Die Berufsordnungen der Ärztekammern besagen, dass ein Arzt seinen Patienten nur mit dessen Einwilligung behandeln darf – und nach einer umfassenden Aufklärung.
Worüber muss der Arzt den Patienten informieren?
Gemäß § 630c Abs. 2 BGB muss der behandelnde Arzt den Patienten in verständlicher Form über sämtliche für die Behandlung relevanten Umstände informieren. Dazu gehören insbesondere:
- die Diagnose,
- die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung,
- die Therapie,
- die dafür erforderlichen Maßnahmen,
- eine erforderliche Nachsorge.
Besonders wichtig ist auch die Aufklärung des Patienten über mögliche Risiken der Behandlung. Gibt es Anhaltspunkte für einen Behandlungsfehler, muss der Arzt den Patienten ebenfalls informieren – allerdings nur auf Nachfrage des Patienten oder zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren.
Zur Aufklärung gehört es auch, den Patienten darauf hinzuweisen, wie er sich verhalten muss, um den Behandlungsverlauf nicht zu gefährden (zum Beispiel Bettruhe, Ernährung, Verzicht auf Rauchen, Kaffee, Alkohol).
Auch in finanzieller Hinsicht gibt es eine Aufklärungspflicht. Der Arzt muss den Patienten gegebenenfalls darauf hinweisen, dass seine Krankenkasse die Kosten der vorgeschlagenen Behandlung nicht oder nur teilweise übernehmen wird. Mitzuteilen ist auch die voraussichtliche Höhe der Behandlungskosten.
Wann muss der Patient aufgeklärt werden?
Die Aufklärung muss gemäß § 630c BGB zu Beginn der Behandlung und zusätzlich, wenn nötig, auch während dieser stattfinden. Dazu haben die Gerichte Grundregeln entwickelt. Danach muss eine Aufklärung vor einer wichtigen stationären Operation mindestens einen Tag vorher stattfinden. Vor einem kleineren Routineeingriff reicht eine Aufklärung am selben Tag aus. Trotzdem muss dem Patienten unbedingt noch genug Bedenkzeit vor dem Eingriff bleiben. Er darf nicht das Gefühl haben, dass alles sowieso schon beschlossene Sache ist und er am Ablauf nichts mehr ändern kann.
Das Oberlandesgericht Köln gestand einer Patientin ein Schmerzensgeld von 10.000 Euro zu, die nach einem Unfall ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Die Ärzte hatten ihr eine Operation empfohlen, an der sie Zweifel hatte. Sie stimmte zwar zu, wollte aber eigentlich noch eine zweite Meinung einholen. Da ging es schon in den OP - die Operation war einige Stunden vorverlegt worden. Da die Frau nach der Operation unter Schmerzen litt, verklagte sie das Krankenhaus.
Das Gericht gab ihr recht: Auch bei einer dringenden, hier innerhalb von 24 Stunden gebotenen OP hätte sie zumindest unmittelbar vorher noch einmal gefragt werden müssen, wenn ihre Zweifel bekannt waren. Hier habe kein so dringender Notfall vorgelegen, dass dies hätte unterbleiben können. Ihre Einwilligung sei unwirksam (Urteil vom 16.1.2019, Az. 5 U 29/17).
Wie und durch wen muss der Patient aufgeklärt werden?
Ein weiterer wichtiger Punkt lautet: Grundsätzlich muss die Aufklärung in einem Gespräch mit dem Arzt stattfinden. Es reicht nicht aus, dem Patienten im Operationssaal ein paar Formulare unter die Nase zu halten, während der Narkosearzt daneben schon seine Ausrüstung vorbereitet.
Die ärztliche Aufklärungspflicht ist Sache des Arztes, und zwar normalerweise des Arztes, der die entsprechende medizinische Maßnahme durchführen soll. Ausnahmsweise kann sie auch an einen Arzt mit gleicher Qualifikation delegiert werden. In diesem Fall hat der behandelnde Arzt aber weiter Kontrollpflichten und muss sich vergewissern, dass eine korrekte Aufklärung stattgefunden hat. Die Aufklärung darf nicht durch nichtärztliches Personal durchgeführt werden, wie Schwestern und Krankenpfleger.
Update vom 26.10.2023: Aufklärung per Google: Reicht eine eigene Internetrecherche des Patienten?
Das Landgericht Dortmund hat sich mit der Frage beschäftigt, ob eine eigenverantwortlich durchgeführte Internetrecherche des Patienten eine Aufklärung durch den Arzt ersetzen kann. In dem Fall ging es um einen Patienten mit einer degerativen Wirbelsäulenerkrankung. Ein Neurochirg hatte dem Mann mit einer Nadel ein Hydrogelkissen an den Lendenwirbelkörpern 4/5 implantiert. Danach kam es jedoch zu Komplikationen und schließlich zu einem Bandscheibenvorfall. Der Patient warf dem Arzt anschließend vor, ihn nicht über die Risiken des Verfahrens aufgeklärt zu haben. Der Arzt hielt dem entgegen, dass er sich doch vor dem Eingriff selbst im Internet informiert und darüber mit dem Arzt gesprochen habe.
Das Gericht sah hier einen Aufklärungsmangel. Der Arzt habe den Patienten nicht darüber aufgeklärt, dass die Hydrogeltherapie keine Standardmethode sei, dass die Erfolgsaussichten unsicher seien und dass in den Ärzteleitlinien überwiegend davon abgeraten werde. Zwar könnten Vorkenntnisse des Patienten hinsichtlich wesentlicher Umstände der Behandlung eine Aufklärung entbehrlich machen. Aber: Eine eigeninitiativ durchgeführte Online-Recherche könne die gebotene schonungslose Aufklärung, die den Patienten in die Lage versetzen solle, sorgfältig das Für und Wider einer Behandlung abzuwägen, nicht ersetzen. Hier habe daher nicht die erforderliche Aufklärung stattgefunden. Die Behandlung sei rechtswidrig erfolgt (LG Dortmund, Urteil vom 17.8.2023, Az. 12 O 416/20).
Wann kann auf die Aufklärung verzichtet werden?
In vielen Fällen ist schnelle Hilfe entscheidend – etwa nach einem Unfall. Unter Umständen ist ein Patient bewusstlos, verliert Blut oder hat innere Verletzungen. Ist eine Behandlung nicht aufschiebbar oder verzichtet der Patient ausdrücklich auf eine Aufklärung, kann auch der Arzt darauf verzichten.
Bei Menschen, die bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert werden, setzt man in der Regel voraus, dass diese mutmaßlich mit einer Behandlung einverstanden sind - auch ohne Aufklärung. Mehrere Gerichtsurteile beschäftigen sich mit dem richtigen Zeitpunkt für die Aufklärung. Die Grundregel lautet: Je mehr Eile geboten ist, desto geringer sind die Anforderungen an die Aufklärung.
Wer befürchtet, gegen seinen Willen behandelt zu werden, wenn er seinen Willen nicht mehr selbst äußern kann, kann seine Wünsche detailliert in einer Patientenverfügung niederlegen.
Ansonsten und insbesondere bei dauerhaft fehlender Einwilligungsfähigkeit des Patienten gilt: Der Arzt muss die Einwilligung von einer Person einholen, die für den Patienten Entscheidungen treffen darf. Dies können bei minderjährigen Kindern die sorgeberechtigten Eltern sein, bei Volljährigen ein vom Gericht bestellter Betreuer oder bei Vorliegen einer Vorsorgevollmacht auch der entsprechend Bevollmächtigte. Im Fall der Betreuung kann es vorkommen, dass für ärztliche Maßnahmen eine Einwilligung des Betreuungsgerichts erforderlich ist.
Beispiel: Nierenentfernung bei einem Kind
Das Oberlandesgericht Hamm verhandelte den Fall eines Kindes, dem eine Niere entfernt worden war. Zuerst war nur geplant gewesen, bei dem Achtjährigen eine neue Verbindung zwischen Nierenbecken und Harnleiter zu schaffen, um einen besseren Abfluss aus der Niere zu erreichen. Diese funktionierte nur noch zu 22 Prozent. Die Eltern des Kindes waren aufgeklärt worden, hatten Bedenkzeit gehabt und zugestimmt. Während der OP stellten die Ärzte jedoch fest, dass die Maßnahme wegen anatomischen Besonderheiten des Kindes unmöglich war. Daraufhin brach die behandelnde Ärztin die Operation ab, informierte die Eltern und empfahl ihnen die sofortige Entfernung der linken Niere. Die Eltern stimmten zu. Später stellte sich heraus, dass die Niere vielleicht doch zu retten gewesen wäre. Nun klagten die Eltern in Vertretung ihres Kindes auf Schmerzensgeld. Sie seien nicht ausreichend aufgeklärt worden; auch habe man ihnen die Entfernung der Niere als einzige Alternative dargestellt.
Nach der Beurteilung eines medizinischen Sachverständigen wäre es durchaus möglich gewesen, die Operation vorläufig zu beenden, indem man zur Ableitung eine Nieren-Haut-Fistel gesetzt hätte. Die Eltern hätten auf diese Möglichkeit hingewiesen werden müssen. So hätte man Zeit gewonnen, um Chancen und Risiken einer anderweitigen Behandlung mit den Eltern in Ruhe durchzusprechen.
Dann wäre es möglich gewesen, durch eine spätere Operation die Niere des Jungen zu erhalten – nur mit größeren Risiken und zweifelhaften Erfolgschancen. Aber: Bei Erfolg hätte die Niere zumindest zum Teil weiter funktioniert. Die behandelnden Ärzte hätten die Pflicht gehabt, die Eltern auf all dies hinzuweisen und ihnen eine Entscheidung zu ermöglichen. Stattdessen hätten sie den Eltern die sofortige Entfernung der Niere als einzige Möglichkeit genannt. Das Gericht gestand dem Kind wegen mangelhafter Aufklärung ein Schmerzensgeld von 12.500 Euro zu (OLG Hamm, Urteil vom 7.12.2016, Az. 3 U 122/15).
Welche Aufklärungspflicht hat ein Zahnarzt?
Das Oberlandesgericht Koblenz (Az. 5 U 41/03) gestand einem Patienten 6.000 Euro Schmerzensgeld zu. Dessen Zahnarzt hatte ihn vor einer Betäubung nicht über das Risiko einer Nervenschädigung informiert. Zwar sollte der Zahnarzt nur eine Plombe im Backenzahn erneuern. Er traf jedoch mit der Betäubungsspritze den Nerv und beschädigte diesen, was eine Lähmung der rechten Zungenhälfte auslöste.
Das Gericht erklärte, dass ein solcher Nervenschaden nur selten auftrete. Trotzdem müsse der Zahnarzt auch über ein solches Behandlungsrisiko aufklären, wenn davon erhebliche und dauerhafte Beeinträchtigungen ausgehen könnten. Die Schädigung des Nervs stelle eine dauerhafte Beeinträchtigung dar, welche sich auf die Lebensführung des Patienten erheblich auswirke.
Aufklärungspflicht über die Behandlungskosten
In einem anderen Fall musste ein Zahnarzt Schadensersatz zahlen, weil er seinen Patienten nicht über die voraussichtlichen Behandlungskosten aufgeklärt hatte. Ein solcher Anspruch kann bestehen, wenn die Kosten den zuvor erstellten Heil- und Kostenplan überschreiten. Der Patient gewann vor dem Landgericht Traunstein (Az. 3 O 3429/06).
Wichtig: Der Patient muss nachweisen, dass der Zahnarzt seiner Aufklärungspflicht über die Behandlungskosten nicht nachgekommen ist (OLG Celle, Urteil vom 28.5.2001, Az. 1 U 28/00).
Was sind die Folgen einer mangelhaften Aufklärung des Patienten?
Folge einer Verletzung der Informationspflichten ist: Es liegt ein Behandlungsfehler vor. Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche sind möglich. Im Prozess kommt dem Patienten eine Beweislastumkehr zugute. Das bedeutet: Der Arzt muss beweisen, dass er den Patienten richtig aufgeklärt hat. Ein von diesem unterschriebener Aufklärungsbogen ist ein Indiz dafür, aber kein Beweis - schließlich sagt das noch nichts darüber aus, was dem Patienten erklärt wurde und ob er dies verstanden hat.
Wird eine der Aufklärungspflichten verletzt, macht dies die Einwilligung des Patienten in die Behandlung unwirksam. Unter Umständen hat sich der Arzt strafbar gemacht wegen eines körperlichen Eingriffs ohne Einwilligung. Zusätzlich liegt zivilrechtlich ein grober Behandlungsfehler vor, der eine unerlaubte Handlung darstellt. Kann der Patient glaubhaft machen, dass er dem Eingriff bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht zugestimmt hätte, hat er Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.
Praxistipp zur ärztlichen Aufklärungspflicht
Prozesse im Bereich der Arzthaftung sind oft besonders aufwändig, weil man ohne medizinische Sachverständige meist nicht auskommt. Um so wichtiger ist es, einen erfahrenen Rechtsanwalt für Arzthaftungsrecht hinzuzuziehen, der die Erfolgschancen realistisch abschätzen kann. Empfehlenswert ist es, sich an einen Fachanwalt für Medizinrecht zu wenden.
(Ma)