Darf die Haftpflicht gegen den Willen des Versicherten einen Schaden regulieren?
10.05.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
© Bu - Anwalt-Suchservice Schnell ist es passiert: ein kleiner Auffahrunfall oder eine Berührung zweier Fahrzeuge beim Rangieren in der Tiefgarage. Die Beteiligten informieren ihre Versicherungen. Einer der Haftpflichtversicherer - beim Auffahrunfall meist der des hinteren Fahrzeugs - begleicht den Schaden. Allerdings ist der Versicherungskunde nicht glücklich. Denn: Sein Schadensfreiheitsrabatt sinkt, seine Versicherungsprämien steigen. Hätte seine Versicherung nicht zunächst genau prüfen müssen, ob er wirklich allein für den Schaden verantwortlich war? Hatte nicht der Vordermann vor dem Unfall plötzlich gebremst? Und: Ist die Versicherung nicht laut Vertrag auch zur "Abwehr unberechtigter Ansprüche" verpflichtet?
In München kam es zu einem Auffahrunfall. Der Geschädigte bat die KfZ-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners, der ihm aufgefahren war, um die Regulierung des Schadens. Die Versicherung prüfte den Vorgang und bezahlte den Betrag von 1.285 Euro. Dann stufte sie ihren Versicherungsnehmer von Schadensklasse 35 auf Schadensklasse 50 hoch. Dessen jährlicher Versicherungsbeitrag stieg um 170 Euro.
Der Versicherte wehrte sich gegen die Schadensregulierung und reichte schließlich Klage gegen seine Versicherung ein. Er verlangte eine Rückstufung in die Schadenklasse 35 und die Erstattung der erhöhten Beiträge. Seiner Meinung nach hätte die Versicherung den Schaden gar nicht bezahlen dürfen. Die Kratzer an der Stoßstange des anderen Wagens seien nicht von ihm verursacht worden, sondern bereits vor dem Unfall vorhanden gewesen. Es habe überhaupt kein Anspruch auf Schadensersatz bestanden.
Zu den Pflichten der Versicherung erklärte das Amtsgericht München: Der Haftpflichtversicherer habe im Rahmen seiner Pflicht aus dem Versicherungsvertrag nach Eintritt des Versicherungsfalls begründete Schadensansprüche zu befriedigen und unbegründete abzuwehren. Dabei liege es grundsätzlich im Ermessen des Versicherers, ob er freiwillig zahle oder die Zahlung ablehne und es darauf ankommen lasse, dass der geschädigte Dritte seine Ansprüche vor Gericht einklage.
Im Versicherungsvertrag bevollmächtige der Kunde seinen Versicherer, in seinem Namen Ansprüche des Unfallgegners zu erfüllen oder abzulehnen und alle notwendigen Erklärungen dafür abzugeben. In diesem Fall habe die Versicherung die entsprechenden Erklärungen abgeben dürfen.
Grenzen seien dem Ermessen des KfZ-Haftpflichtversicherers lediglich dort gesetzt, wo die Interessen des Versicherungsnehmers berührt würden, sodass eine Rücksichtnahme des Versicherers erforderlich sei. Dies sei insbesondere der Fall, wenn ein Schadensfreiheitsrabatt des Versicherten auf dem Spiel stehe.
Der Versicherer sei in einem solchen Fall dazu verpflichtet, sich ein hinreichend genaues, umfassendes Bild über die Umstände des Schadensfalles zu verschaffen. Er müsse die Rechtslage sorgfältig prüfen. Dabei habe er möglichst genau einzuschätzen, welche Aussichten auf eine Abwehr der Ansprüche des Unfallgegners bestünden.
Die auf dem Versicherungsvertrag beruhende Rücksichtnahmepflicht verletze der Haftpflichtversicherer nur, wenn er eine vollkommen unsachgemäße Schadensregulierung durchführe. Vornehmlich bei zweifelhafter Sach- oder Rechtslage habe er einen gewissen Ermessensspielraum. Nur ein offensichtlicher Ermessensmissbrauch sei unzulässig.
Beim Ermessensspielraum der Versicherung komme es nicht nur auf den tatsächlichen Unfallhergang an. Der Haftpflichtversicherer dürfe durchaus auch die Prozessökonomie in den Vordergrund stellen und in Anbetracht der Schadenshöhe wirtschaftliche Erwägungen einbeziehen. Er dürfe also die möglichen Kosten eines verlorenen Prozesses gegen die Kosten abwägen, die ihm bei schneller Bezahlung des Schadens entstünden.
Obendrein müsse sich der Versicherer nicht auf einen Prozess mit ungewissem Ausgang einlassen. Er habe sein Ermessen nur dann offensichtlich falsch ausgeübt, wenn man die Zahlung an den Unfallgegner von vornherein als völlig unvernünftig ansehen müsse.
Das Gericht konnte im vorliegenden Fall keine Pflichtverletzung der Haftpflichtversicherung durch fehlerhafte Ermessensausübung feststellen. Die Versicherung habe für die Schadensregulierung gut fünf Monate benötigt. Die Aufklärung des Sachverhalts habe ergeben, dass der Versicherte mit seinem Auto hinter dem des Geschädigten fuhr und so stark bremsen musste, dass sein ABS reagierte. Die Polizei habe nach dem Unfall an beiden Fahrzeugen in gleicher Höhe Kratzer gesehen. Aus Sicht der Versicherung sei eine Regulierung des Schadens unter diesen Umständen nicht völlig unangemessen gewesen. Ihr könne auch nicht vorgeworfen werden, dass sie kein teures Sachverständigengutachten eingeholt habe. Schließlich sei der Schaden mit 1.285 Euro relativ niedrig ausgefallen (Amtsgericht München, Urteil vom 4.9.2012, Az. 333 C 4271/12).
Das Amtsgericht München hatte bereits 2010 ähnlich entschieden. Damals ging es um einen Autofahrer, der beim Ausfahren aus einer Tiefgarage versucht hatte, sich beim Passieren der Schranke dicht an das vordere Fahrzeug anzuhängen. Damit wollte er die Parkgebühr einsparen. Dabei kam es zu einem Auffahrunfall. Die Versicherung bezahlte den Schaden von 988 Euro am vorderen Fahrzeug. Der Versicherungsnehmer und Fahrer des hinteren Fahrzeugs hielt jedoch den Vordermann für den Unfallverursacher. Dieser habe unerwartet gebremst. Das Amtsgericht kam auch hier zu dem Ergebnis, dass die Versicherung ihr Ermessen korrekt ausgeübt habe. Der Ausgang eines Prozesses um den Schaden sei äußerst ungewiss gewesen. Mit ziemlicher Sicherheit wäre der Versicherungsnehmer zu einer Mithaftung verurteilt worden (Amtsgericht München, Urteil vom 27.1.2010, Az. 343 C 27107/09).
Eine Kfz-Haftpflichtversicherung ist durchaus dazu berechtigt, den Schadensersatzanspruch eines Unfallgegners gegen ihren Kunden auch ohne dessen Zustimmung zu erfüllen. Dass dessen Schadenfreiheitsrabatt auf dem Spiel steht, ändert nichts. Nur vollkommen unsachgemäß darf die Schadensregulierung nicht sein. Sind Sie sich nicht sicher, ob Ihre KfZ-Haftpflichtversicherung bei der Schadensabwicklung korrekt vorgeht? Ein Fachanwalt für Versicherungsrecht kann Sie zu Ihrem Fall kompetent beraten.
Das Wichtigste in Kürze
1. Pflicht zur Schadensregulierung: Der Kfz-Haftpflichtversicherung hat die ihm aus dem Versicherungsvertrag obliegende Pflicht, nach Eintritt eines Versicherungsfalls begründete Schadensersatzansprüche zu befriedigen bzw. unbegründete abzuwehren.
2. Ermessensspielraum: Der Kfz-Haftpflichtversicherer hat grundsätzlich ein Ermessen, ob er einen Versicherungsfall freiwillig reguliert oder eine Zahlung ablehnt und es darauf ankommen lässt, dass der Geschädigte seine Ansprüche vor Gericht einklagt.
3. Grenzen des Ermessens: Der Ermessensspielraum des KfZ-Haftpflichtversicherers hinsichtlich des Ob der Schadensregulierung ist dort begrenzt, wo die Interessen des Versicherungsnehmers berührt werden. Zum Beispiel, wenn der Schadensfreiheitsrabatt des Versicherten auf dem Spiel steht.
1. Pflicht zur Schadensregulierung: Der Kfz-Haftpflichtversicherung hat die ihm aus dem Versicherungsvertrag obliegende Pflicht, nach Eintritt eines Versicherungsfalls begründete Schadensersatzansprüche zu befriedigen bzw. unbegründete abzuwehren.
2. Ermessensspielraum: Der Kfz-Haftpflichtversicherer hat grundsätzlich ein Ermessen, ob er einen Versicherungsfall freiwillig reguliert oder eine Zahlung ablehnt und es darauf ankommen lässt, dass der Geschädigte seine Ansprüche vor Gericht einklagt.
3. Grenzen des Ermessens: Der Ermessensspielraum des KfZ-Haftpflichtversicherers hinsichtlich des Ob der Schadensregulierung ist dort begrenzt, wo die Interessen des Versicherungsnehmers berührt werden. Zum Beispiel, wenn der Schadensfreiheitsrabatt des Versicherten auf dem Spiel steht.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Fall: Auffahrunfall in München Unfallschaden: Wozu ist die Versicherung verpflichtet? Wo liegen die Grenzen der Entscheidungsfreiheit des Versicherers? Schadensregulierung: Welche Rolle spielen wirtschaftliche Erwägungen? Wie hat das Gericht entschieden? Wie hat das Gericht in einem früheren Fall entschieden? Praxistipp zur Schadensregulierung der KfZ-Haftpflicht Fall: Auffahrunfall in München
In München kam es zu einem Auffahrunfall. Der Geschädigte bat die KfZ-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners, der ihm aufgefahren war, um die Regulierung des Schadens. Die Versicherung prüfte den Vorgang und bezahlte den Betrag von 1.285 Euro. Dann stufte sie ihren Versicherungsnehmer von Schadensklasse 35 auf Schadensklasse 50 hoch. Dessen jährlicher Versicherungsbeitrag stieg um 170 Euro.
Der Versicherte wehrte sich gegen die Schadensregulierung und reichte schließlich Klage gegen seine Versicherung ein. Er verlangte eine Rückstufung in die Schadenklasse 35 und die Erstattung der erhöhten Beiträge. Seiner Meinung nach hätte die Versicherung den Schaden gar nicht bezahlen dürfen. Die Kratzer an der Stoßstange des anderen Wagens seien nicht von ihm verursacht worden, sondern bereits vor dem Unfall vorhanden gewesen. Es habe überhaupt kein Anspruch auf Schadensersatz bestanden.
Unfallschaden: Wozu ist die Versicherung verpflichtet?
Zu den Pflichten der Versicherung erklärte das Amtsgericht München: Der Haftpflichtversicherer habe im Rahmen seiner Pflicht aus dem Versicherungsvertrag nach Eintritt des Versicherungsfalls begründete Schadensansprüche zu befriedigen und unbegründete abzuwehren. Dabei liege es grundsätzlich im Ermessen des Versicherers, ob er freiwillig zahle oder die Zahlung ablehne und es darauf ankommen lasse, dass der geschädigte Dritte seine Ansprüche vor Gericht einklage.
Im Versicherungsvertrag bevollmächtige der Kunde seinen Versicherer, in seinem Namen Ansprüche des Unfallgegners zu erfüllen oder abzulehnen und alle notwendigen Erklärungen dafür abzugeben. In diesem Fall habe die Versicherung die entsprechenden Erklärungen abgeben dürfen.
Wo liegen die Grenzen der Entscheidungsfreiheit des Versicherers?
Grenzen seien dem Ermessen des KfZ-Haftpflichtversicherers lediglich dort gesetzt, wo die Interessen des Versicherungsnehmers berührt würden, sodass eine Rücksichtnahme des Versicherers erforderlich sei. Dies sei insbesondere der Fall, wenn ein Schadensfreiheitsrabatt des Versicherten auf dem Spiel stehe.
Der Versicherer sei in einem solchen Fall dazu verpflichtet, sich ein hinreichend genaues, umfassendes Bild über die Umstände des Schadensfalles zu verschaffen. Er müsse die Rechtslage sorgfältig prüfen. Dabei habe er möglichst genau einzuschätzen, welche Aussichten auf eine Abwehr der Ansprüche des Unfallgegners bestünden.
Die auf dem Versicherungsvertrag beruhende Rücksichtnahmepflicht verletze der Haftpflichtversicherer nur, wenn er eine vollkommen unsachgemäße Schadensregulierung durchführe. Vornehmlich bei zweifelhafter Sach- oder Rechtslage habe er einen gewissen Ermessensspielraum. Nur ein offensichtlicher Ermessensmissbrauch sei unzulässig.
Schadensregulierung: Welche Rolle spielen wirtschaftliche Erwägungen?
Beim Ermessensspielraum der Versicherung komme es nicht nur auf den tatsächlichen Unfallhergang an. Der Haftpflichtversicherer dürfe durchaus auch die Prozessökonomie in den Vordergrund stellen und in Anbetracht der Schadenshöhe wirtschaftliche Erwägungen einbeziehen. Er dürfe also die möglichen Kosten eines verlorenen Prozesses gegen die Kosten abwägen, die ihm bei schneller Bezahlung des Schadens entstünden.
Obendrein müsse sich der Versicherer nicht auf einen Prozess mit ungewissem Ausgang einlassen. Er habe sein Ermessen nur dann offensichtlich falsch ausgeübt, wenn man die Zahlung an den Unfallgegner von vornherein als völlig unvernünftig ansehen müsse.
Wie hat das Gericht entschieden?
Das Gericht konnte im vorliegenden Fall keine Pflichtverletzung der Haftpflichtversicherung durch fehlerhafte Ermessensausübung feststellen. Die Versicherung habe für die Schadensregulierung gut fünf Monate benötigt. Die Aufklärung des Sachverhalts habe ergeben, dass der Versicherte mit seinem Auto hinter dem des Geschädigten fuhr und so stark bremsen musste, dass sein ABS reagierte. Die Polizei habe nach dem Unfall an beiden Fahrzeugen in gleicher Höhe Kratzer gesehen. Aus Sicht der Versicherung sei eine Regulierung des Schadens unter diesen Umständen nicht völlig unangemessen gewesen. Ihr könne auch nicht vorgeworfen werden, dass sie kein teures Sachverständigengutachten eingeholt habe. Schließlich sei der Schaden mit 1.285 Euro relativ niedrig ausgefallen (Amtsgericht München, Urteil vom 4.9.2012, Az. 333 C 4271/12).
Wie hat das Gericht in einem früheren Fall entschieden?
Das Amtsgericht München hatte bereits 2010 ähnlich entschieden. Damals ging es um einen Autofahrer, der beim Ausfahren aus einer Tiefgarage versucht hatte, sich beim Passieren der Schranke dicht an das vordere Fahrzeug anzuhängen. Damit wollte er die Parkgebühr einsparen. Dabei kam es zu einem Auffahrunfall. Die Versicherung bezahlte den Schaden von 988 Euro am vorderen Fahrzeug. Der Versicherungsnehmer und Fahrer des hinteren Fahrzeugs hielt jedoch den Vordermann für den Unfallverursacher. Dieser habe unerwartet gebremst. Das Amtsgericht kam auch hier zu dem Ergebnis, dass die Versicherung ihr Ermessen korrekt ausgeübt habe. Der Ausgang eines Prozesses um den Schaden sei äußerst ungewiss gewesen. Mit ziemlicher Sicherheit wäre der Versicherungsnehmer zu einer Mithaftung verurteilt worden (Amtsgericht München, Urteil vom 27.1.2010, Az. 343 C 27107/09).
Praxistipp zur Schadensregulierung der KfZ-Haftpflicht
Eine Kfz-Haftpflichtversicherung ist durchaus dazu berechtigt, den Schadensersatzanspruch eines Unfallgegners gegen ihren Kunden auch ohne dessen Zustimmung zu erfüllen. Dass dessen Schadenfreiheitsrabatt auf dem Spiel steht, ändert nichts. Nur vollkommen unsachgemäß darf die Schadensregulierung nicht sein. Sind Sie sich nicht sicher, ob Ihre KfZ-Haftpflichtversicherung bei der Schadensabwicklung korrekt vorgeht? Ein Fachanwalt für Versicherungsrecht kann Sie zu Ihrem Fall kompetent beraten.
(Ma)