Schadensersatz nach Unfall: Was gilt bei Vorschäden am geschädigten Fahrzeug?
12.07.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
© Bu - Anwalt-Suchservice Nicht selten kommt es nach einem Autounfall erst zum Streit um die Schuldfrage und dann zum Rechtsstreit. Wer schuld am Unfall war, zahlt schließlich auch den Schaden. Vor Gericht enden solche Streitigkeiten allerdings oft damit, dass jeder der Beteiligten einen Teil des Schadens zu tragen hat. In sehr vielen Fällen ist nicht eine Partei allein schuld am Unfall. Auch die sogenannte Betriebsgefahr eines Fahrzeugs wird häufig mit in die Erwägung einbezogen - das ist die Gefahr, die theoretisch entsteht, nur weil ein Fahrzeug überhaupt am Straßenverkehr teilnimmt. Die Höhe des Schadens ermittelt in der Regel ein KfZ-Sachverständiger. Dieser kann leicht erkennen, ob ein Geschädigter versucht, einen überhöhten Schaden geltend zu machen. Besonders oft werden Vorschäden am Unfallfahrzeug verschwiegen. Dies kann jedoch zur Folge haben, dass der Geschädigte vor Gericht jeglichen Anspruch auf Schadensersatz verliert.
Vor dem Landgericht Münster wurde ein Verkehrsunfall verhandelt, der Richtern und Versicherung mit Blick auf die Vorschäden merkwürdig vorkam. Der Kläger hatte mit seinem PKW vorfahrtsberechtigt eine Kreuzung überquert. Er wich dabei wegen eines im Kreuzungsbereich auf seiner Fahrbahn geparkten Autos auf die Gegenfahrbahn aus. Dann kam von links ein anderes Auto, dessen Fahrer das Stoppschild missachtet und den Kläger auf der Fahrerseite rammte. Der Fahrer unterschrieb ein Schuldanerkenntnis. Der Geschädigte forderte nun die gegnerische Versicherung dazu auf, ihm beide Türen auf der linken Fahrzeugseite zu ersetzen.
Merkwürdig war nur, dass dies nicht der erste Unfall des Klägers auf ebendieser Kreuzung war. Schon mehrfach war ihm dort Ähnliches passiert, zuletzt vor wenigen Wochen. Die Fahrer- und Fondtür auf der linken Seite waren schon bei einem vorherigen Unfall beschädigt worden. Danach hatte nur eine provisorische Reparatur stattgefunden. Die gegnerische Versicherung ging davon aus, dass er den Unfall absichtlich herbeigeführt hatte, um Schadenersatz zu kassieren. Sie bezahlte den verlangten Betrag nicht. Es kam zum Prozess.
Der Geschädigte bestand vor Gericht darauf, dass die linke Seite seines Autos keine nicht reparierten Vorschäden aufgewiesen habe. Allerdings konnte er keinerlei Rechnungen über erfolgte Reparaturen vorzeigen. Das Landgericht Lüneburg sah den Unfallgegner als allein schuldig am Unfall an. Er habe die Vorfahrt missachtet und der Geschädigte habe keine Chance gehabt, den Unfall zu verhindern. Das Gericht ging nicht von einem absichtlichen Verursachen des Unfalls aus. Die Gegenseite konnte dies auch nicht beweisen. Der Unfallgegner habe durch seine Missachtung der Verkehrsregeln den Unfall verursacht. Dem Gericht zufolge ist eine Serie von Unfällen – auch wenn sie auf der gleichen Kreuzung stattfinden – nicht ausreichend, um von Absicht auszugehen. Dafür müsse es schon konkrete Beweise geben.
Das Gericht erläuterte die Voraussetzungen, unter denen von einem provozierten Unfall ausgegangen wird. Dies sei der Fall, wenn der Geschädigte vorsätzlich einen Unfall verursache, um von einem nicht eingeweihten und meist schuldlosen oder zumindest nicht vorsätzlich handelnden Unfallgegner Schadensersatz zu verlangen. Dem angeblich Geschädigten komme es dabei gerade darauf an, dass sein eigenes Fahrzeug beschädigt werde. Da er mit diesem Schaden einverstanden sei und dies selbst herbeiführe, finde kein rechtswidriger Eingriff in sein Eigentum statt und er habe keinen Anspruch auf Schadensersatz. Aber: Die Beweislast für einen solchen provozierten Unfall liege beim Unfallgegner und dessen Versicherung. Ausreichend sei der Nachweis einer erheblichen Wahrscheinlichkeit für ein unredliches Verhalten. Ohne Rechnung reparierte Vorschäden reichen für eine solche Wahrscheinlichkeit nicht aus.
Im Ergebnis gestand das Gericht dem Kläger allerdings aus einem anderen Grund keinen Schadensersatz zu. Er habe seine Pflicht aus § 138 Absatz 1 der Zivilprozessordnung verletzt, wahrheitsgemäße Angaben zum Schaden zu machen. Er habe die Vorschäden gleich nach deren erster Entstehung durch einen Sachverständigen begutachten lassen, um Schadensersatz zu verlangen. Dabei seien an beiden linken Türen Schäden festgestellt und die Kosten für deren Austausch ermittelt worden. Dieser habe aber nie stattgefunden. Zwar bleibe es dem Kläger selbst überlassen, ob er eine Entschädigung tatsächlich für eine Reparatur verwende. Lasse er aber die Türen in ihrem beschädigten Zustand, könne er nicht nach einem zweiten Unfall wieder die volle Entschädigung für deren Austausch verlangen.
Der Kläger habe außerdem keine klaren Angaben zu den Vorschäden gemacht. Er habe nach Ansicht des Gerichts vorsätzlich versucht, vollkommen überhöhte Reparaturkosten in Ansatz zu bringen. Daher sei ihm nach § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (Grundsatz von Treu und Glauben) kein Schadensersatz zu gewähren (Landgericht Münster, Urteil vom 8.8.2014, Az. 011 O 279/11).
Ein Autofahrer war 2016 in Düsseldorf beim rückwärts Ausparken mit einem vorbeifahrenden Volvo V70 Baujahr 2002 kollidiert. Dieser wurde auf der linken Seite beschädigt, unter anderem durch die Anhängerkupplung des Unfallgegners. Die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers zahlte rund 730 Euro. Sie ging von einem wirtschaftlichen Totalschaden aus und betrachtete diesen Betrag als den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs.
Der Volvofahrer war anderer Meinung: Der Wiederbeschaffungswert seines Autos liege wegen des guten Zustands und verschiedener Aufarbeitungen bei rund 6.500 Euro. Er wollte aber nicht den Wiederbeschaffungswert, sondern die Reparaturkosten ersetzt haben - nach einem Kostenvoranschlag rund 3.100 Euro plus 96 Euro für den Voranschlag. Der Volvofahrer sagte vor Gericht aus, dass Vorschäden von einem früheren Unfall ein Jahr zuvor sachgerecht repariert worden seien. Danach habe es keinen weiteren Unfall gegeben - bis zu dem aktuellen.
Eine Begutachtung durch einen vom Gericht bestellten Sachverständigen ergab jedoch, dass sich die Vorschäden von dem früheren Unfall teilweise mit den neuen Schäden überlappten. Auch waren zusätzliche Schäden zu erkennen, die sich weder mit dem bekannten Vorschaden, noch mit dem neuen Unfall in Einklang bringen ließen. Der Sachverständige meinte, dass sich allenfalls Schäden im Wert von 1.800 Euro tatsächlich auf den neuen Unfall zurückführen ließen.
Im Ergebnis bekam der Kläger nichts. Das Gericht ging nämlich davon aus, dass er erhebliche, nicht reparierte Vorschäden verschwiegen hatte. Dies sei ein grober Treueverstoß, sodass ihm kein Schadensersatz zustünde. Nicht einmal die Kosten des Kostenvoranschlages wurden ihm erstattet, da dieser insgesamt nicht verwendbar gewesen sei (AG Düsseldorf, Urteil vom 22.5.2018, Az. 55 C 240/16).
Nach einem Verkehrsunfall sollte man Vorschäden akribisch auflisten und mitteilen. Ansonsten hat die Gegenseite gute Argumente, um jede Zahlung von Schadensersatz zu vermeiden. Der beste Ansprechpartner bei einem Streit um Unfallschäden ist ein Rechtsanwalt für Zivilrecht.
Das Wichtigste in Kürze
1. Häufige Autounfälle: Der Umstand, dass ein Autofahrer, dessen Kfz Vorschäden aufweist, zeitlich mehrmals dicht hintereinander verunfallt, reicht allein noch nicht dafür aus, ihm eine Mitschuld an einem weiteren Verkehrsunfall zu geben.
2. Unreparierte Vorschäden: Werden Vorschäden aus einem früheren Unfall nicht repariert, kann ein bei einem nachfolgenden Unfall Geschädigter nicht die volle Entschädigung für eine Reparatur des neuen Schadens an derselben Stelle verlangen.
3. Verschweigen von Vorschäden: Verschweigt ein Versicherter erhebliche, nicht reparierte Vorschäden, kann dies dazu führen, dass er gar keinen Schadensersatz erhält.
1. Häufige Autounfälle: Der Umstand, dass ein Autofahrer, dessen Kfz Vorschäden aufweist, zeitlich mehrmals dicht hintereinander verunfallt, reicht allein noch nicht dafür aus, ihm eine Mitschuld an einem weiteren Verkehrsunfall zu geben.
2. Unreparierte Vorschäden: Werden Vorschäden aus einem früheren Unfall nicht repariert, kann ein bei einem nachfolgenden Unfall Geschädigter nicht die volle Entschädigung für eine Reparatur des neuen Schadens an derselben Stelle verlangen.
3. Verschweigen von Vorschäden: Verschweigt ein Versicherter erhebliche, nicht reparierte Vorschäden, kann dies dazu führen, dass er gar keinen Schadensersatz erhält.
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Ändert verdächtiges Unfallgeschehen etwas an der Schuldfrage? Reichen ohne Rechnung reparierte Vorschäden als Indiz für eine Mitschuld? Wann geht man von einem provozierten Unfall aus? Erhält man für Vorschäden nach einem weiteren Unfall nochmal Schadensersatz? Gibt es Schadensersatz trotz Verschweigens von nicht reparierten Vorschäden? Praxistipp zum Schadensersatz bei Vorschäden beim Autounfall Ändert verdächtiges Unfallgeschehen etwas an der Schuldfrage?
Vor dem Landgericht Münster wurde ein Verkehrsunfall verhandelt, der Richtern und Versicherung mit Blick auf die Vorschäden merkwürdig vorkam. Der Kläger hatte mit seinem PKW vorfahrtsberechtigt eine Kreuzung überquert. Er wich dabei wegen eines im Kreuzungsbereich auf seiner Fahrbahn geparkten Autos auf die Gegenfahrbahn aus. Dann kam von links ein anderes Auto, dessen Fahrer das Stoppschild missachtet und den Kläger auf der Fahrerseite rammte. Der Fahrer unterschrieb ein Schuldanerkenntnis. Der Geschädigte forderte nun die gegnerische Versicherung dazu auf, ihm beide Türen auf der linken Fahrzeugseite zu ersetzen.
Merkwürdig war nur, dass dies nicht der erste Unfall des Klägers auf ebendieser Kreuzung war. Schon mehrfach war ihm dort Ähnliches passiert, zuletzt vor wenigen Wochen. Die Fahrer- und Fondtür auf der linken Seite waren schon bei einem vorherigen Unfall beschädigt worden. Danach hatte nur eine provisorische Reparatur stattgefunden. Die gegnerische Versicherung ging davon aus, dass er den Unfall absichtlich herbeigeführt hatte, um Schadenersatz zu kassieren. Sie bezahlte den verlangten Betrag nicht. Es kam zum Prozess.
Reichen ohne Rechnung reparierte Vorschäden als Indiz für eine Mitschuld?
Der Geschädigte bestand vor Gericht darauf, dass die linke Seite seines Autos keine nicht reparierten Vorschäden aufgewiesen habe. Allerdings konnte er keinerlei Rechnungen über erfolgte Reparaturen vorzeigen. Das Landgericht Lüneburg sah den Unfallgegner als allein schuldig am Unfall an. Er habe die Vorfahrt missachtet und der Geschädigte habe keine Chance gehabt, den Unfall zu verhindern. Das Gericht ging nicht von einem absichtlichen Verursachen des Unfalls aus. Die Gegenseite konnte dies auch nicht beweisen. Der Unfallgegner habe durch seine Missachtung der Verkehrsregeln den Unfall verursacht. Dem Gericht zufolge ist eine Serie von Unfällen – auch wenn sie auf der gleichen Kreuzung stattfinden – nicht ausreichend, um von Absicht auszugehen. Dafür müsse es schon konkrete Beweise geben.
Wann geht man von einem provozierten Unfall aus?
Das Gericht erläuterte die Voraussetzungen, unter denen von einem provozierten Unfall ausgegangen wird. Dies sei der Fall, wenn der Geschädigte vorsätzlich einen Unfall verursache, um von einem nicht eingeweihten und meist schuldlosen oder zumindest nicht vorsätzlich handelnden Unfallgegner Schadensersatz zu verlangen. Dem angeblich Geschädigten komme es dabei gerade darauf an, dass sein eigenes Fahrzeug beschädigt werde. Da er mit diesem Schaden einverstanden sei und dies selbst herbeiführe, finde kein rechtswidriger Eingriff in sein Eigentum statt und er habe keinen Anspruch auf Schadensersatz. Aber: Die Beweislast für einen solchen provozierten Unfall liege beim Unfallgegner und dessen Versicherung. Ausreichend sei der Nachweis einer erheblichen Wahrscheinlichkeit für ein unredliches Verhalten. Ohne Rechnung reparierte Vorschäden reichen für eine solche Wahrscheinlichkeit nicht aus.
Erhält man für Vorschäden nach einem weiteren Unfall nochmal Schadensersatz?
Im Ergebnis gestand das Gericht dem Kläger allerdings aus einem anderen Grund keinen Schadensersatz zu. Er habe seine Pflicht aus § 138 Absatz 1 der Zivilprozessordnung verletzt, wahrheitsgemäße Angaben zum Schaden zu machen. Er habe die Vorschäden gleich nach deren erster Entstehung durch einen Sachverständigen begutachten lassen, um Schadensersatz zu verlangen. Dabei seien an beiden linken Türen Schäden festgestellt und die Kosten für deren Austausch ermittelt worden. Dieser habe aber nie stattgefunden. Zwar bleibe es dem Kläger selbst überlassen, ob er eine Entschädigung tatsächlich für eine Reparatur verwende. Lasse er aber die Türen in ihrem beschädigten Zustand, könne er nicht nach einem zweiten Unfall wieder die volle Entschädigung für deren Austausch verlangen.
Der Kläger habe außerdem keine klaren Angaben zu den Vorschäden gemacht. Er habe nach Ansicht des Gerichts vorsätzlich versucht, vollkommen überhöhte Reparaturkosten in Ansatz zu bringen. Daher sei ihm nach § 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (Grundsatz von Treu und Glauben) kein Schadensersatz zu gewähren (Landgericht Münster, Urteil vom 8.8.2014, Az. 011 O 279/11).
Gibt es Schadensersatz trotz Verschweigens von nicht reparierten Vorschäden?
Ein Autofahrer war 2016 in Düsseldorf beim rückwärts Ausparken mit einem vorbeifahrenden Volvo V70 Baujahr 2002 kollidiert. Dieser wurde auf der linken Seite beschädigt, unter anderem durch die Anhängerkupplung des Unfallgegners. Die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers zahlte rund 730 Euro. Sie ging von einem wirtschaftlichen Totalschaden aus und betrachtete diesen Betrag als den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs.
Der Volvofahrer war anderer Meinung: Der Wiederbeschaffungswert seines Autos liege wegen des guten Zustands und verschiedener Aufarbeitungen bei rund 6.500 Euro. Er wollte aber nicht den Wiederbeschaffungswert, sondern die Reparaturkosten ersetzt haben - nach einem Kostenvoranschlag rund 3.100 Euro plus 96 Euro für den Voranschlag. Der Volvofahrer sagte vor Gericht aus, dass Vorschäden von einem früheren Unfall ein Jahr zuvor sachgerecht repariert worden seien. Danach habe es keinen weiteren Unfall gegeben - bis zu dem aktuellen.
Eine Begutachtung durch einen vom Gericht bestellten Sachverständigen ergab jedoch, dass sich die Vorschäden von dem früheren Unfall teilweise mit den neuen Schäden überlappten. Auch waren zusätzliche Schäden zu erkennen, die sich weder mit dem bekannten Vorschaden, noch mit dem neuen Unfall in Einklang bringen ließen. Der Sachverständige meinte, dass sich allenfalls Schäden im Wert von 1.800 Euro tatsächlich auf den neuen Unfall zurückführen ließen.
Im Ergebnis bekam der Kläger nichts. Das Gericht ging nämlich davon aus, dass er erhebliche, nicht reparierte Vorschäden verschwiegen hatte. Dies sei ein grober Treueverstoß, sodass ihm kein Schadensersatz zustünde. Nicht einmal die Kosten des Kostenvoranschlages wurden ihm erstattet, da dieser insgesamt nicht verwendbar gewesen sei (AG Düsseldorf, Urteil vom 22.5.2018, Az. 55 C 240/16).
Praxistipp zum Schadensersatz bei Vorschäden beim Autounfall
Nach einem Verkehrsunfall sollte man Vorschäden akribisch auflisten und mitteilen. Ansonsten hat die Gegenseite gute Argumente, um jede Zahlung von Schadensersatz zu vermeiden. Der beste Ansprechpartner bei einem Streit um Unfallschäden ist ein Rechtsanwalt für Zivilrecht.
(Ma)