Wann ist ein Erbverzicht sittenwidrig?

13.10.2023, Redaktion Anwalt-Suchservice
Sportwagen,Abfindung,Erbverzicht,Erblasser Oft soll ein nettes Geschenk einen Erbverzicht versüßen. Ist das immer zulässig? © Bu - Anwalt-Suchservice
Das Wichtigste in Kürze

1. Benachteiligung: Ein Erbverzicht kann sittenwidrig sein, wenn er dazu führt, dass der Verzichtende in eine existenzbedrohliche finanzielle Lage gerät oder durch den Verzicht unverhältnismäßig benachteiligt wird.

2. Unzulässiger Druck: Wenn der Erblasser den Verzichtenden durch Nötigung, Drohung oder Ausnutzung seiner körperlichen oder geistigen Schwäche zum Erbverzicht drängt, kann dies als sittenwidrig angesehen werden.

3. Rechtsfolge: Ein wegen Sittenwidrigkeit unwirksamer Erbverzicht hat zur Folge, dass der verzichtende Erbe voll erbberechtigt bleibt, die vom Erblasser gewollte Rechtsfolge also nicht eintritt.
Jedes Jahr werden dreistellige Milliardenbeträge an Euro vererbt. Die Gerichte müssen sich natürlich sehr oft mit Erbschaftsstreitigkeiten auseinandersetzen. Häufig geht es dabei um die Wirksamkeit von letztwilligen Verfügungen wie Testament oder Erbvertrag oder um den Pflichtteil. Aber auch ein Erbverzicht kann ungeahnte rechtliche Probleme schaffen.

Was ist ein Erbverzicht?


Ein Erbverzicht ist eine Vereinbarung zwischen dem noch lebenden Erblasser und einem gesetzlichen Erben. Mit diesem Erbverzichtsvertrag verzichtet der Erbe auf seine Erbschaft. Manchmal erhält er dafür eine Gegenleistung, wie etwa eine Schenkung zu Lebzeiten. Nur Verwandte und der Ehepartner des Erblassers können einen solchen Erbverzicht unterschreiben. Damit verlieren sie nicht nur ihren Erbteil, sondern auch das Recht auf ihren gesetzlichen Pflichtteil. Sie werden erbrechtlich behandelt, als gäbe es sie nicht. Allerdings kann sich der Verzicht auch auf das Pflichtteilsrecht allein beschränken. Gesetzlich geregelt ist all dies in § 2346 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Damit ein Erbverzichtsvertrag rechtsgültig ist, muss er von einem Notar beurkundet werden.

Welchen Zweck hat ein Erbverzicht?


Mit Hilfe eines Erbverzichtsvertrages lässt sich das Erbe bzw. der Nachlass besser zusammenhalten. Sinnvoll kann dies zum Beispiel sein, wenn ein Unternehmen zur Erbmasse gehört. Sind mehrere Erben vorhanden, müsste sonst der Betrieb zerschlagen werden, damit jeder seinen Erbanteil bekommen kann. Verzichten jedoch alle bis auf einen gegen eine Abfindung auf ihr Erbe, kann der Betrieb weiter existieren.

Wann ist ein Erbverzicht sittenwidrig?


Wenn ein Erbverzicht sittenwidrig ist, ist die vertragliche Absprache unwirksam. Das Oberlandesgericht Hamm befasste sich mit einem solchen Fall. Ein Zahnarzt aus Detmold hatte seinem Sohn kurz nach dessen 18. Geburtstag einen Sportwagen im Wert von 100.000 Euro versprochen, den er sich selbst kurz zuvor gekauft hatte. Der Sohn verzichtete im Gegenzug umfassend auf sein Erb- und Pflichtteil. Die Abfindung war außerdem an die Bedingung geknüpft, dass der Sohn den Sportwagen erst nach Vollendung seines 25. Lebensjahres bekommen sollte – und auch nur dann, wenn er bis dahin eine Ausbildung zum Zahntechnikergesellen und Zahntechnikermeister mit der Bestnote abgeschlossen hatte. Der Vater ließ diesen Erbverzichtsvertrag vorschriftsmäßig notariell beurkunden. Wenig später bereute der Sohn seinen Verzicht und zog vor Gericht.

Wie schon die Vorinstanz entschied das Oberlandesgericht Hamm, dass der Vater hier zu weit gegangen sei. Der Erbverzichtsvertrag sei sittenwidrig und deswegen unwirksam. Bereits der Inhalt der Absprache enthalte ein erhebliches Ungleichgewicht zulasten des Sohnes. Auch sei zu berücksichtigen, dass der junge Mann das Auto erst im Alter von 25 Jahren erhalten sollte. Bis dahin könne der Sportwagen altersbedingt schon deutlich an Wert verloren haben.

Das Gericht kritisierte auch die Vorgabe der erfolgreich zu absolvierenden Ausbildung. Diese Bedingung schränke den Sohn unangemessen in seiner Berufswahl ein. Die Vorgabe, obendrein noch die Bestnote erzielen zu müssen, verstärke den Druck noch. Der Vater behauptete zwar, dass er seinen Sohn nur zu einer zügigen und erfolgsorientierten Ausbildung habe motivieren wollen. Das Gericht sah dieses Argument jedoch als vorgeschoben an. Ihm sei es wohl eher darum gegangen, die jugendliche Unerfahrenheit seines Sohnes zu seinem Vorteil auszunutzen (Urteil vom 8.11.2016, Az. 10 U 36/15).

Wann kann man eine unklare Formulierung als Erbverzicht auslegen?


Das Oberlandesgericht Hamm hatte in einem anderen Fall darüber zu entscheiden, ob eine Vereinbarung überhaupt als Erbverzicht anzusehen sei. Die Beteiligten hatten notariell vereinbart, dass einer von ihnen mit der Zahlung eines Betrages "unter Lebenden und von Todes wegen ein für alle Male abgefunden sei". Diese Vereinbarung betrachtete das OLG als wirksamen Erbverzichtsvertrag. Auch einem juristischen Laien müsse in Anbetracht der gewählten – eher laienhaften – Formulierung klar gewesen sein, dass er bei Abgabe dieser Erklärung beim Tode des Erblassers nichts mehr bekommen würde (Urteil vom 22.7.2014, Az. I-15 W 92/14). Solange der Sinn also klar ist, kommt es auf die juristisch korrekte Ausdrucksweise weniger an.

Welche Folgen hat ein Erbverzicht für die Erbanteile der verbleibenden Erben?


Nach Abschluss eines Erbverzichtsvertrages kann der Erblasser grundsätzlich frei darüber entscheiden, wer erben soll. Er braucht also nicht zu befürchten, dass der verzichtende gesetzliche Erbe vom testamentarischen Erben nach dem Tod des Erblassers seinen Pflichtteil einfordert. So manche unerwünschten Folgen zeigen sich jedoch erst, wenn der Erblasser stirbt. Dann lässt sich am Erbverzicht allerdings nichts mehr ändern.

So verändert sich durch den Erbverzicht die Erbquote der noch vorhandenen Erben. Der Verzichtende wird schließlich nicht mehr mitgezählt, er gilt als nicht vorhanden. Damit steigt die Erbquote der anderen Erben.

Dies wirkt sich auch auf Pflichtteile aus. Beispiel: Der Erblasser hat drei erwachsene Kinder und will seine Ehefrau besser absichern, indem er sie testamentarisch zur Alleinerbin macht. Eines der Kinder unterschreibt einen Erbverzicht. Die anderen sollen laut Testament nichts erben. Tatsächlich bekommt dadurch die Ehefrau aber nicht mehr Geld: Der Pflichtteil der beiden anderen Kinder steigt.

Verwandte erben bei gesetzlicher Erbfolge nach ihrem jeweiligen Rang. Kinder sind Erben 1. Ordnung. Solange noch ein Kind vorhanden ist, erben die Erben 2. Ordnung – die Eltern und Geschwister des Erblassers – nichts. Der Ehepartner erbt neben den Erben 1. Ordnung ein Viertel, neben Verwandten 2. Ordnung sowie Großeltern des Verstorbenen die Hälfte.

Vielleicht möchte nun der Erblasser seinen Ehepartner bzw. seine Ehepartnerin besser versorgen und überredet daher sein einziges Kind, einen Erbverzichtsvertrag zu unterschreiben. Damit wird das Kind zwar erbrechtlich als nicht vorhanden behandelt. Aber: Die Erben 2. Ordnung, etwa die Geschwister, rücken nach. Der überlebende Ehepartner erbt also nur die Hälfte.

Selbst, wenn die Geschwister testamentarisch enterbt würden, hätten sie hier immer noch ein Anrecht auf ihren Pflichtteil (die Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils).

Wenn ein Kind einen Erbverzicht unterschreibt, erstreckt sich die Wirkung des Verzichts auch auf seine eigenen Nachkommen, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart wurde.

Statt Erbverzicht besser Pflichtteilsverzicht wählen?


In vielen Fällen ist ein reiner Pflichtteilsverzicht in Kombination mit einem Testament, das die Erben bestimmt, günstiger als ein Erbverzicht. In einem Pflichtteilsverzichtsvertrag verzichtet der Pflichtteilsberechtigte nämlich nur darauf, nach dem Ableben des Erblassers seinen Pflichtteil einzufordern. Er wird aber weiter als gesetzlicher Erbe mitgezählt. Die Pflichtteilsquoten bleiben dadurch unverändert.

Praxistipp zum Erbverzichtsvertrag


Bei einem Erbverzicht lauern insbesondere die Fallstricke "Unwirksamkeit wegen Sittenwidrigkeit" und "Auswirkung auf die verbleibenden Erben". Möglicherweise ist ein Pflichtteilsverzicht die bessere Alternative. Das lässt sich am besten in einer Beratung mit einem Fachanwalt für Erbrecht klären.

(Ma)


 Ulf Matzen
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