Was bedeuten die Erst- und Zweitstimme bei Bundes- und Landtagswahlen?

10.02.2025, Redaktion Anwalt-Suchservice
Bundestagswahl,Stimmzettel,Erststimme,Zweitstimme,Landtagswahl Welche Bedeutung haben Erst- und Zweitstimme? © Rh - Anwalt-Suchservice
Das Wichtigste in Kürze

1. Erststimme: Mit der Erststimme wird ein Direktkandidat einer bestimmten Partei aus dem Wahlkreis des Wählers gewählt. Nach der Wahlrechtsreform 2023 zieht er nicht mehr garantiert ins Parlament ein.

2. Zweitstimme: Mit der Zweitstimme wählt man eine Partei. Sie entscheidet darüber, mit wie vielen Sitzen, also mit welchem prozentualem Anteil eine bestimmte Partei in ein Parlament einzieht.

3. Stimmvergabe: Wähler können ihre Erst- und Zweitstimme an unterschiedliche Parteien vergeben. Wer den größtmöglichen Erfolg der von ihm präferierten Partei will, muss beide Stimmen an diese Partei vergeben.
Jede Wählerin und jeder Wähler hat bei der Bundestagswahl und den Landtagswahlen zwei Stimmen, die in aller Regel auf einem Stimmzettel abgebildet sind: Die Erst- und die Zweitstimme. Auf dem Stimmzettel können also zwei Kreuze gemacht werden. Im Folgenden erklären wir Dir, welche Bedeutung die beiden Stimmen haben.

Bin ich zum Wählen verpflichtet?


Nein. Das deutsche Grundgesetz gewährt auch die sogenannte negative Wahlfreiheit. Es gibt also keine Wahlpflicht. Die Teilnahme an Wahlen ist freiwillig.

Wozu dient grundsätzlich die Erst- und Zweitstimme?


Mit der Erststimme wird ein Direktkandidat aus dem Wahlkreis des Wählers gewählt. Dies ist dann also möglicherweise eine Person, die der Wähler kennt und von der er sich wünscht, dass sie seinen Wahlkreis politisch vertritt. Man spricht hier auch von einer Personenwahl. Dagegen stimmt man mit der Zweitstimme für eine Partei. Die Zweitstimme entscheidet darüber, wie viele Sitze eine bestimmte Partei erhält, in welchem Verhältnis also die Sitze unter den Parteien verteilt werden. Dies nennt sich Verhältniswahlrecht. Aber: Die Zweitstimme des Wählers zählt nur, wenn die gewählte Partei über die Fünf-Prozent-Hürde kommt. Sonst kann diese nicht in den Bundestag oder den Landtag einziehen.

Ist die Erst- oder die Zweitstimme wichtiger?


Die Erststimme entscheidet darüber, ob eine bestimmte Person, die sich zur Wahl stellt, in den Bundestag oder den Landtag einzieht. Sie stellt also mehr eine Sympathiestimme dar. Die Zweitstimme beeinflusst dagegen stärker die künftige Politik, weil sie Grundlage der Sitzverteilung für die einzelnen Parteien im Bundes- oder einem Landesparlament ist. Mit ihr entscheidet der Wähler darüber, wie viele Sitze im Parlament eine Partei bekommt, wie viele Abgeordnete dieser Partei beispielsweise also in den Bundestag einziehen. Letztlich hängt davon dann ab, wie stark eine Partei ihre Politik um- und durchsetzen kann. Man könnte also sagen, dass die Zweitstimme für die Wahl einer bestimmten Partei und damit einer bestimmten Politik viel wichtiger ist als die Erststimme. Die bekannten Hochrechnungen am Wahltag beziehen sich deswegen in der Regel auf die Zweitstimmen.

Muss man mit der Erst- und Zweitstimme die gleiche Partei wählen?


Erst- und Zweitstimme können von den Wählern unabhängig voneinander vergeben werden. Hat man vom Direktkandidaten einer Partei eine besonders hohe Meinung, kann man diesen also mit der Erststimme wählen. Vielleicht bevorzugt man aber insgesamt doch eine andere Partei. Dieser kann man problemlos trotzdem die Zweitstimme geben. Insbesondere kleinere Parteien werben im Wahlkampf intensiv um die Zweitstimmen der Wähler. Die Zweitstimme entscheidet über die Stärke der Partei im Bundes- oder Landesparlament.

WICHTIG: Das Stimmensplitting, also die unterschiedliche Vergabe der Erst- und Zweitstimme, kann nach der Wahlrechtsreform dazu führen, dass der Direktkandidat, der die meisten Erststimmen erhalten hat, trotzdem nicht ins Parlament einzieht. Dieser Fall tritt ein, wenn die Partei, der er angehört, nicht genug Zweitstimmen erhält, um ins Parlament einzuziehen (5 Porzent-Hürde). Wer also seinen Teil dazu beitragen will, dass der von ihm präferierte Direktkandidat auch ins Parlament einzieht, muss auch mit der Zweitstimme die Partei wählen, welcher der Direktkandidat angehört.

Kann ich auch nur bei einer Stimme ein Kreuz machen?


Ja, das ist rechtlich zulässig. Man kann also nur einen Direktkanidaten mit der Erststimme oder nur eine Partei mit der Zweitstimme wählen. Allerdings besteht damit die Möglichkeit, dass das andere Kreuz durch jemand anderen "ergänzt" wird - möglicherweise nicht im eigenen Sinne.
Außerdem trägt man so möglicherweise dazu bei, dass der Direktkandidat trotz der meisten Erststimmen nicht ins Parlament einzieht. Siehe dazu bei der vorherigen Frage.

Wann wird ein Stimmzettel ungültig?


Wähler dürfen für die Erst- und Zweitstimme jeweils ein Kreuz machen – entweder auf dem gleichen Stimmzettel oder, wie bei manchen Landtagswahlen, auf zwei Stimmzetteln. Natürlich muss das Kreuz an der dafür vorgesehenen Stelle sitzen. Wenn der Wähler die Kreise hinter den Namen von Abgeordneten und Partei mit einem einzelnen Strich oder Haken versehen, geht dies auch in Ordnung.

Wichtig ist jedoch, dass sich eindeutig aus dem Wahlzettel ergibt, wie der Wähler die zwei Stimmen vergeben will. Im Prinzip darf man auch zusätzlich zum Ankreuzen den Namen der gewünschten Partei mit Blockbuchstaben daneben schreiben, die eigene Ankreuz-Entscheidung positiv kommentieren oder auch alle Wahlvorschläge bis auf einen streichen. Wenn die Auszähler allerdings nicht eindeutig erkennen können, wen der Wähler denn eigentlich wählen wollte, ist der Stimmzettel ungültig. Passieren kann dies etwa bei handschriftlichen negativen Kommentaren zur selbst getroffenen Wahl, bei einem Ankreuzen von mehr als zwei Kreisen oder bei einer Streichung einzelner Kandidaten. Es ist daher zu empfehlen, schlicht ein deutlich erkennbares Kreuz bei der Erst- und Zweitstimme zu machen.

Wie erfolgt die Verteilung der Sitze im Bundestag?


Auch nach der Wahlrechtsreform 2023 gibt es in Deutschland 299 Wahlkreise. Neu ist, dass die Gesamtzahl der Sitze im Bundestag auf 630 festgelegt wurde. Die Zweitstimme bestimmt die Sitzverteilung – nicht die Anzahl der Wahlkreise.

WICHTIG: Nach der Wahlrechtsreform zieht nicht mehr jeder der 299 mittels der Erststimme direkt gewählten Kandidaten garantiert in den Bundestag ein. Direktmandate zählen nur, wenn sie in das Zweitstimmen-Verhältnis der Partei passen. Dadurch kann es passieren, dass ein Wahlkreissieger keinen Sitz bekommt, wenn seine Partei insgesamt zu wenige Zweitstimmen hat. In diesem Fall ziehen dann nur die Listenkandidaten ins Parlament ein. Auf deren Auswahl haben die Wähler aber keinen Einfluss, sondern nur die Parteien selbst.

Was sind die sogenannten Listenkandidaten?


Listenkandidaten sind Politiker, die über die Landesliste einer Partei für ein Parlament kandidieren. Sie werden nicht direkt in einem Wahlkreis aufgestellt und gewählt, sondern ziehen in den Bundestag oder Landtag ein, wenn ihre Partei genügend Zweitstimmen erhält.

- Direktkandidaten werden mit der Erststimme gewählt, Listenkandidaten über die Zweitstimme.

- Auf die Listenkandidaten und deren Reihenfolge auf der Wahlliste haben die Wähler keinen Einfluss, einzig die jeweilige Partei entscheidet hierrüber. Wer ganz vorne in der Liste steht, hat die besten Chancen auf den Einzug ins Parlament.

- Wahlrechtsreform 2023: Durch die neue Regelung kann es passieren, dass ein Direktkandidat nicht ins Parlament einzieht, wenn seine Partei nicht genug Zweitstimmen erhält. Die Listenkandidaten und -plätze, auf die der Wähler keine Einfluss hat, haben deshalb für die Parteien an Bedeutung gewonnen.

Was bedeutet die 5-Prozent-Hürde?


Die 5-Prozent-Hürde ist eine Regel im deutschen Wahlrecht, die besagt, dass eine Partei mindestens 5 % der Zweitstimmen erhalten muss, um in den Bundestag oder in ein Landesparlament einzuziehen. Diese Regel soll verhindern, dass zu viele kleine Parteien ins Parlament kommen, was die Regierungsbildung erschweren könnte (Argument "Zersplitterung"). Parteien, die diese Hürde nicht überwinden, erhalten keine Sitze im Parlament, sind also draußen. Es gibt allerdings eine Ausnahme, nämlich die sogenannte Grundmandatsklausel.

Was bedeutet die Grundmandatsklausel?


Vor der Wahlrechtsreform 2023 galt: Erzielte eine Partei, die die 5 Prozent-Hürde nicht schaffte, bei der Bundestagswahl mindestens drei Direktmandate, griff die sogenannte Grundmandatsklausel. Das bedeutete, dass die Partei trotz Nichterreichens der 5-Prozent-Hürde ins Parlament einziehen konnte.

Nach der Wahlrechtsreform aus dem Jahr 2023 sollte die Grundmandatsklausel wegfallen. Parteien, die bundesweit nicht auf mindestens 5 Prozent der Zweitstimmen kommen, sollten nicht mehr ins Parlament einziehen.

Das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 30.7.2024, Az. 2 BvF 1/23 u.a.) hat die Streichung der Grundmandatsklausel allerdings im Jahr 2024 für verfassungswidrig erklärt. Das bedeutet, dass die alte Regelung, die es Parteien ermöglichte, trotz Unterschreitens der 5 %-Hürde durch das Gewinnen von Direktmandaten in den Bundestag einzuziehen, wieder in Kraft tritt.

Was sind sogenannte Überhangmandate?


Vor der Wahlrechtsreform 2023 galt: Die Zweitstimmen entscheiden darüber, wie viele Sitze eine Partei insgesamt im Bundestag bekommt. Waren nach Abzug der Sitze der Direktkandidaten noch Sitze übrig, wurden diese an Kandidaten von den Landeslisten der Partei vergeben. Nun konnte es aber passieren, dass mittels der Erststimmen mehr Direktkandidaten einer Partei gewählt wurden, als der Partei insgesamt Sitze zustanden. Da aber jeder Direktkandidat das garantierte Anrecht auf einen Sitz hatte, musste man diese als zusätzliche Abgeordnete in den Bundestag aufnehmen. Diese zusätzlichen Sitze wurden als Überhangmandate bezeichnet. Eine entscheidende Folge von ihnen war, dass sie den Anteil der Sitze der Parteien, der mittels der Zweitstimmen erreicht wurden, verzerrten.

Nach der Wahlrechtsreform aus dem Jahr 2023 gilt: Es werden nur noch so viele Direktmandate vergeben, wie der Partei nach ihrem Zweitstimmenanteil zustehen. Es gibt deshalb keine Überhangmandate mehr.

Was sind sogenannte Ausgleichsmandate?


Vor der Wahlrechtsreform 2023 galt: Damit es bei der prozentualen Verteilung der Sitzplätze der Parteien, die mittels der Zweitstimmen erreicht wurde, blieb, wurden diesen seit dem Jahr 2013 sogenannte Ausgleichsmandate zugestanden. Jede Partei erhielt so viele Ausgleichsmandate, bis ihr mittels der Zweitstimmen erzielter prozentualer Sitzanteil im Parlament wieder hergestellt war.
Die Folge der Überhang- und Ausgleichsmandate war, dass die Anzahl der Bundestagsabgeordneten weit über die grundgesetzlich geregelte Anzahl in Höhe von 598 Sitzen stieg. So wurden bei der Bundestagswahl 2021 gesamt 736 Mandate vergeben.

Nach der Wahlrechtsreform aus dem Jahr 2023 gilt: Alle verfügbaren Mandate werden streng nach dem Zweitstimmenanteil vergeben – mit der Erststimme erzielte Direktmandate zählen nur noch, wenn sie ins Gesamtbild der Sitzverteilung passen. Es gibt deshalb keine Überhangmandate und auch keine Ausgleichsmandate mehr.

Welche Besonderheiten gibt es bei Landtagswahlen – etwa in Bayern?


Bei den Landtagswahlen werden die Erst- und Zweitstimmen in den meisten Bundesländern ebenso behandelt wie bei der Bundestagswahl. Eine Ausnahme ist zum Beispiel Bayern:

Zwar geht auch hier die Erststimme auf dem Stimmzettel A an einen Direktkandidaten aus dem eigenen Wahlkreis. Mit der Zweitstimme auf dem Stimmzettel B wählen die Bürger eine Partei und gleichzeitig wieder einen Kandidaten.

Ein wichtiger Unterschied ist jedoch, dass die Erst- und Zweitstimmen in Bayern addiert werden. Sie werden also zu Gesamtstimmen zusammengezählt, welche dann darüber entscheiden, wie viele Sitze eine Partei im Landtag erhält. Hier ist es für die Partei also nicht „egal“, welcher Direktkandidat die Erststimme bekommt.

Auch für den Kandidaten sind jedoch beide Stimmen wichtig. Die Zweitstimmen, die für einen Kandidaten auf seinem Listenplatz abgegeben werden, werden nämlich mit seinen Erststimmen addiert. Sein endgültiger Platz auf der Liste hängt von der Gesamtzahl ab - und damit auch seine Chance, in den Landtag zu kommen. Dies stellt einen Unterschied zur Bundestagswahl dar: Dort entscheiden die Parteien über den Listenplatz eines Kandidaten und die Wähler können die Rangfolge nicht beeinflussen. Eine Folge ist, dass in Bayern auch ein „Spitzenkandidat“ am Ende ohne Sitz dastehen kann, während sich ein bis dahin unbekannter Neuling durch intensiven Wahlkampf einen Sitz erobert.

Eine weitere Besonderheit in Bayern ist, dass es keine Listen für ganz Bayern gibt. Stattdessen werden die Kandidaten jeweils in sieben Regierungsbezirken gewählt.

Praxistipp zur Erst- und Zweitstimme bei Wahlen


Sowohl die Erst- als auch die Zweitstimme sind wichtig. Im Bundestag und den meisten Landtagen (= Parlamente der Bundesländer) entscheidet die Zweitstimme über die Stärke einer Partei im Parlament, also die Anzahl der Sitze. In Bayern entscheiden beide Stimmen zusammen über die Stärke einer Partei im Landesparlament.

(Ma)


 Ulf Matzen
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