Was ist Scheinselbstständigkeit und welche Folgen hat sie?

05.06.2024, Redaktion Anwalt-Suchservice
Laptop,Arbeit,scheinselbstständig,freiberuflich Woher weiß man, ob man scheinselbstständig ist? © - freepik
Das Wichtigste in Kürze

1. Begriff: Scheinselbstständigkeit liegt grundsätzlich vor, wenn der Auftragnehmer weisungsgebunden und vom Auftraggeber abhängig tätig ist, z.B. in seinen Räumen arbeitet, sich an von ihm vorgegebene Arbeitszeiten halten und Urlaubsregelungen beachten muss.

2. Selbständigkeit: Wichtigstes Kriterium für ein selbstständiges Unternehmertum ist die Entscheidungsfreiheit, wie ein Auftrag bearbeitet wird, sowie, ob der Auftragnehmer über die Annahme anderer Aufträge selbst entscheiden kann.

3. Rechtliche Folgen: Wird eine Scheinselbstständigkeit festgestellt wird, sehen Finanzamt und Sozialversicherungsträger den bisherigen Auftraggeber mit allen steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen als Arbeitgeber an. Der Auftraggeber kann sich zudem strafbar gemacht haben. Der Auftragnehmer, der nunmehr Auftraggeber ist, kann seinen Arbeitnehmerstatus einklagen.
Scheinselbstständigkeit kommt oft vor, wenn Unternehmen für standardisierte Tätigkeiten keine Arbeitnehmer anstellen, sondern stattdessen Selbstständige beauftragen. Oft werden diese als freie Mitarbeiter bezeichnet. Allerdings gilt jemand nur dann tatsächlich als selbstständig, wenn er bestimmte Kriterien erfüllt. Fehlen diese, handelt es sich schlicht um einen abhängigen Arbeitnehmer ohne Arbeitsvertrag, für den niemand Beiträge in die Sozialversicherungen einzahlt oder Lohnsteuer abführt. In solchen Fällen handelt es sich aus Sicht der Sozialkassen und der Finanzbehörden häufig um Scheinselbstständigkeit. Folge für die Beteiligten sind dann hohe Nachzahlungsforderungen von Steuern und Sozialbeiträgen. Es kann auch zu einem Strafverfahren kommen.

Wann handelt es sich um Scheinselbstständigkeit?


Grundsätzlich ist scheinselbstständig, wer zwar für einen Arbeitgeber laut Vertrag selbstständige Leistungen erbringt, trotzdem aber weisungsgebunden und von diesem Arbeitgeber abhängig tätig ist. Seit 1.4.2017 gibt es eine neue Definition des Arbeitnehmers in § 611a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Danach ist Arbeitnehmer, wer "im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet" ist. Dabei kann sich das Weisungsrecht des Arbeitgebers auf Inhalt und Durchführung sowie auf Zeit und Ort der Arbeit beziehen.

Ob jemand Arbeitnehmer oder Selbstständiger ist, richtet sich heute nicht mehr nach einem festen Katalog von Kriterien, sondern nach dem Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit. Auch der Vertragsinhalt spielt eine Rolle. Wenn jedoch die Tätigkeit in Wirklichkeit ganz anders abläuft, als im Vertrag vereinbart, ist es vollkommen irrelevant, als was der Mitarbeiter im Vertrag bezeichnet wird.

Woran erkennt man, dass ich Arbeitnehmer bin und nicht scheinselbstständig?


Ein besonders wichtiges Kriterium für die Arbeitnehmereigenschaft ist die Weisungsgebundenheit. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und selbst seine Arbeitszeiten bestimmen kann (wie es ein Selbstständiger nun einmal macht).

Woran erkennt man einen Selbstständigen?


Wer tatsächlich selbstständig ist, ist nicht scheinselbstständig.
Ein Merkmal für das selbstständige Unternehmertum ist zum Beispiel die Entscheidungsfreiheit als Gegenteil der Weisungsgebundenheit. Die Behörden und Sozialversicherungsträger berücksichtigen auch, ob der Betreffende

- selbst ein Unternehmerrisiko trägt,
- wie ein Unternehmer sich bietende Chancen nutzen kann,
- selbst Werbung für seine Leistungen macht.

Auch wird ein selbstständiger Unternehmer normalerweise auf eigenen Namen und eigene Rechnung tätig und nicht auf Namen und Rechnung eines Auftraggebers. Ein Unternehmer bestellt Waren auf seinen Namen und entscheidet selbst über seine Preise. Er hat eine eigene Betriebsstätte und gestaltet seine Tätigkeit und seine Arbeitszeiten selbst. Nicht zuletzt setzt er eigenes Kapital zur Anschaffung von Betriebsmitteln wie Arbeitsgeräten oder Fahrzeugen ein. Er macht Werbung für sich, und tritt nach Außen als Selbstständiger auf. Dazu gehört ein eigener Briefkopf für Geschäftsbriefe und Rechnungen. Alle diese Punkte werden beim Gesamtbild berücksichtigt.

Wann bin ich scheinselbstständig?


Starke Indizien für eine Scheinselbstständigkeit sind zum Beispiel eine Tätigkeit in den Räumen des Auftraggebers und, dass sich der "Selbstständige" an vom Chef festgelegte Arbeitszeiten halten muss. Auch Urlaubsregelungen durch den Auftraggeber sind ein Zeichen für Scheinselbstständigkeit. Ebenso ist es, wenn eine Tätigkeit für einen anderen Arbeitgeber bzw. Auftraggeber erst einmal vom Chef genehmigt werden muss. Auch vom Betrieb gestellte Arbeitskleidung ist ein Hinweis auf Scheinselbstständigkeit, ebenso wie eine vom Auftraggeber gestellte Software, die den Mitarbeiter überwacht und Erfolgskontrollen ermöglicht. All dies blockiert die unternehmerische Entscheidungsfreiheit, die unbedingt zur Selbstständigkeit dazugehört.

Welche Berufe sind oft von Scheinselbstständigkeit betroffen?


Heute gibt es Scheinselbstständigkeit in vielen verschiedenen Branchen. Besonders häufig kommt sie bei LKW- oder Kurierfahrern vor, die nur für einen einzigen Spediteur oder Kurierdienst arbeiten, oder bei Ingenieuren, die freiberuflich für einen Auftraggeber Konstruktions- oder Überwachungstätigkeiten durchführen. Auch Honorarärzte im Krankenhaus können unter die Scheinselbstständigen fallen, aber auch freie Mitarbeiter von Immobilienmaklern, Freelancer aus der IT- oder PR-Branche wie Grafikdesigner und Programmierer sowie Bauhandwerker. Call-Center-Agents, die den ganzen Arbeitstag als "freie Mitarbeiter" im Büro des Arbeitgebers sitzen und Anrufe tätigen oder entgegennehmen, sind nach Ansicht der Deutschen Rentenversicherung Scheinselbstständige. Darüber hinaus kommt auch in der Gebäudereinigung und in der Gastronomie Scheinselbstständigkeit vor.

Wie prüfen die Behörden auf Scheinselbstständigkeit?


Eine Prüfung auf Scheinselbstständigkeit ist zunächst auf freiwilliger Basis möglich. Zuständig ist die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV). Dort können Auftragnehmer oder Auftraggeber eine Statusfeststellung beantragen. Ein solcher Antrag kann allerdings nur solange gestellt werden, wie noch keine anderweitigen Verfahren in Sachen Scheinselbstständigkeit gegen die Betreffenden laufen. Beantragen diese die Statusfeststellung im ersten Monat der Zusammenarbeit, fallen bei Feststellung der Scheinselbstständigkeit noch keine Nachzahlungen von Sozialbeiträgen an.

Die DRV führt grundsätzlich alle vier Jahre bei Unternehmen, die abhängige Mitarbeiter beschäftigen, eine Betriebsprüfung durch. Dabei wird geprüft, ob auch alle Sozialversicherungsbeiträge korrekt abgeführt wurden. Die Rentenversicherung überprüft dann aber auch Verträge mit Selbstständigen auf Scheinselbstständigkeit hin. Auch die Krankenkassen können eine Überprüfung veranlassen. Der Zoll führt Ermittlungen gegen Schwarzarbeit durch und macht zum Beispiel stichprobenartige Kontrollen auf Baustellen.

Wie kann ich selbst testen, ob ich scheinselbstständig bin?


Die Kriterien für die Scheinselbstständigkeit sind in den letzten Jahren immer schwammiger geworden. Eine Antwort bietet ein Statusfeststellungsverfahren bei der DRV. Allerdings soll diese inzwischen in fast 50 Prozent der Fälle freiwilliger Überprüfungen zu dem Ergebnis kommen, dass es sich um Scheinselbstständigkeit handelt. Immerhin wollen die Rentenkassen gefüllt sein. Daher sollte genau überlegt werden, ob man eine solche Prüfung veranlasst.

Um sich selbst darüber klar zu werden, ob man vielleicht scheinselbstständig ist, helfen folgende Fragen:

- Wie sehr bin ich von Weisungen des Auftraggebers abhängig?
- Arbeite ich in eigenen Räumen oder im Büro des Auftraggebers?
- Wer bestimmt über meine Arbeitszeiteinteilung und meinen Urlaub?
- Wird meine Bezahlung je nach Auftrag ausgehandelt oder vom Chef festgelegt?
- Kann ich, ohne irgendwen um Erlaubnis zu fragen, Verträge mit Neukunden abschließen?
- Wer hat für meine Werkzeuge, meinen Computer, meine Software oder meinen LKW bezahlt?
- Arbeite ich für mehr als einen Kunden und mache ich selber Werbung?
- Führe ich zurzeit die gleichen Tätigkeiten aus wie zuvor als Angestellter?
- Trage ich ein unternehmerisches Risiko?

Welche Strafen drohen dem Auftraggeber bei Scheinselbstständigkeit?


Wird Scheinselbstständigkeit festgestellt, sehen Finanzamt und Sozialversicherungsträger den bisherigen Auftraggeber als Arbeitgeber an. Dann muss dieser rückwirkend für bis zu vier Jahre die nicht abgeführten Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung nachzahlen. Hinzu kommen Säumniszuschläge. Das Finanzamt kann für bis zu vier Jahre Lohnsteuernachzahlungen fordern. Dabei wird immerhin die vom Mitarbeiter gezahlte Einkommenssteuer angerechnet.

Der Auftraggeber kann sich strafbar gemacht haben: Gemäß § 266a des Strafgesetzbuches (StGB) ist das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen eine Straftat. Dafür droht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe. Bedingter Vorsatz (Inkaufnehmen) ist ausreichend. Wenn eine Scheinselbstständigkeits-Konstruktion extra zur Vermeidung von Lohnsteuern gewählt wurde, kann sich der Auftraggeber auch wegen Steuerhinterziehung strafbar gemacht oder eine Ordnungswidrigkeit wegen leichtfertiger Steuerverkürzung begangen haben. Allerdings wird sich dies relativieren, wenn der Mitarbeiter selbst auf sein freiberufliches Einkommen Einkommenssteuer gezahlt hat.

Auch müssen Arbeitgeber damit rechnen, dass freie Mitarbeiter mit Feststellung ihrer Scheinselbstständigkeit versuchen, ihren Arbeitnehmerstatus einzuklagen. Damit müsste man sie dann in jeder Hinsicht wie Arbeitnehmer behandeln - von Urlaubsanspruch bis Kündigungsschutz.

Gegen einen Beitragsbescheid der Deutschen Rentenversicherung kann man innerhalb eines Monats Widerspruch einlegen. Dabei ist unbedingt anwaltliche Beratung zu empfehlen. In manchen Fällen lässt sich schließlich doch noch begründen, dass der Auftragnehmer tatsächlich selbstständig ist.

Mit welchen Folgen muss der Auftragnehmer rechnen?


Der Auftraggeber kann vom Auftragnehmer für höchstens drei Monate rückwirkend Sozialversicherungsbeiträge einbehalten. Auch kann eine Umsatzsteuerberichtigung erforderlich sein, wenn der Auftragnehmer die Umsatzsteuer auf den Rechnungen ausgewiesen hat und sich die Vorsteuer hat erstatten lassen.

Für den Auftragnehmer verändert die neue Einstufung als Arbeitnehmer die komplette steuerliche Situation. Übrigens ist das Finanzamt nicht an Entscheidungen der Deutschen Rentenversicherung gebunden. Wenn Scheinselbstständigkeit festgestellt wird, endet das Geschäftskonzept des Betreffenden und er muss sein Gewerbe abmelden. Einnahmen bleiben aus und die finanzielle Existenz ist gefährdet. Das Jobcenter wird nicht selbstverständlich sofort Arbeitslosengeld zahlen - schließlich wurde nicht in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt.

Bis zur Klärung von Nachzahlungsansprüchen gegen den Auftraggeber kann viel Zeit vergehen. Ob der bisherige Auftragnehmer eine Weiterbeschäftigung als Arbeitnehmer erzwingen kann, hängt von der Entscheidung des Arbeitsgerichts ab. Dafür muss geklagt werden. Das Gericht ist ebenfalls nicht an die Entscheidungen der Rentenversicherung gebunden. Es wird berücksichtigen, ob man irgendwelche alten Vereinbarungen als Arbeitsvertrag auslegen kann.

Praxistipp zur Scheinselbstständigkeit


Scheinselbstständigkeit lässt sich nicht vermeiden, indem man eine Tätigkeit im Vertrag einfach als freiberuflich oder selbstständig bezeichnet. Allein die reale Ausgestaltung des Auftragsverhältnisses zählt. Ist Selbstständigkeit gewollt, sollte man ein geschäftliches Konzept wählen, bei dem man tatsächlich selbstständig und eigenverantwortlich für mehrere Kunden tätig wird. Kompetente Beratung zu diesem schwierigen Thema finden Sie bei einem Fachanwalt für Arbeitsrecht und bzw. Sozialrecht.

(Bu)


 Stephan Buch
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