Schlechte Gehwege: Wer haftet bei Sturz eines Fußgängers?
26.08.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice
© - freepik Schnell ist es passiert: Ein Fußgänger nimmt einen Niveauunterschied auf dem gepflasterten Gehweg oder zur Bordsteinkante nicht wahr oder übersieht ein durch Frost verursachtes Schlagloch. Und schon stürzt der Passant und verletzt sich. Dann stellt sich die Frage nach der Haftung. Die Gemeinde hat an ihren öffentlichen Wegen eine sogenannte Verkehrssicherungspflicht. Sie muss so gut wie möglich und soweit zumutbar dafür sorgen, dass der Zustand ihrer Wege nicht zu Unfällen führt. Allerdings muss die Gemeinde auch nicht jegliche denkbare Gefahr beseitigen. Etwas Eigenverantwortung wird nämlich auch von den Passanten erwartet.
Eine Frau war am Übergang eines Fußgängerwegs zu einer Zufahrtsstraße über einen gelockerten Bordstein gestolpert und gestürzt. Sie verklagte die Gemeinde auf Schmerzensgeld und Schadensersatz. Denn: Diese habe ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt.
Das Landgericht Coburg konnte jedoch keine Pflichtverletzung der beklagten Kommune feststellen. Aus den vorgelegten Fotos sei ersichtlich, dass der hochstehende, lockere Bordstein deutlich zu erkennen gewesen sei. Auch lag die Stolperstelle nicht in einer Gehfläche, sondern an der Kante des Gehwegs zur Straße. In diesem Bereich hätte sich nach Ansicht des Gerichts ein umsichtiger Fußgänger ohnehin auf einen Höhenunterschied einstellen müssen. Der Bordstein an der Sturzstelle sei optisch abgegrenzt und der Höhenunterschied gut zu erkennen gewesen. Die Fußgängerin trage daher die Verantwortung für ihren Sturz selbst. Ihre Klage blieb erfolglos (Urteil vom 30.5.2014, Az. 22 O 458/13).
In einem anderen Fall war ein Fußgänger auf einem Fußweg gestürzt, der mit Waschbetonplatten ausgelegt war. Diese wiesen nach seinen Angaben einen Niveauunterschied von bis zu 5 cm auf. Der Mann erlitt Aufschürfungen an Knie und Ellenbogen und ein Hämatom am Knie. Er verklagte daraufhin die Stadt. Diese habe in Bezug auf den Gehweg ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt. Der Fußgänger verlangte Schadensersatz in Höhe von rund 1.500 Euro.
Das Landgericht Coburg veranstaltete einen Ortstermin an der Unfallstelle. Dabei stellte das Gericht fest, dass der Niveauunterschied zwischen den Waschbetonplatten auf dem Fußweg in Wahrheit höchstens 1,5 cm betrug. Die gängige Rechtsprechung besagt: Straßenbenutzer müssen die Straße grundsätzlich so hinzunehmen, wie sie sich ihnen darbietet. Die verkehrssicherungspflichtige Stadt muss Passanten nur vor solchen Gefahren warnen, die für einen sorgfältigen Benutzer nicht erkennbar sind und auf die er sich nicht einstellen kann. Ein sorgfältiger Fußgänger muss dem Gericht zufolge auf Gehwegen mit Bodenunebenheiten von bis zu 2,5 cm rechnen. Generell müssten Fußgänger bei der Benutzung eines Gehwegs immer gewisse Unebenheiten einkalkulieren. Vor Gefahren, die man selbst erkennen kann, müsse man nicht gewarnt werden. Daher wurde auch diese Klage abgewiesen (Urteil vom 23.8.2013, Az. 41 O 271/13).
Eine Frau in Berlin stürzte auf einem Gehweg, der aus stark verwitterten Betonplatten bestand, die keine ebene Fläche mehr aufwiesen. Die letzte Kontrolle durch einen Mitarbeiter des Bezirksamts hatte vor mehreren Jahren stattgefunden. Die Frau blieb trotz festem Schuhwerk mit einem Fuß in einem 2 bis 2,5 cm tiefen Loch hängen und fiel zu Boden. Dabei erlitt sie schwere Verletzungen im Gesicht, Prellungen im Arm- und Brustbereich und verstauchte sich das rechte Handgelenk.
Der Prozess wanderte durch die Instanzen bis zum Bundesgerichtshof. Dieser bestätigte die Meinung der Vorinstanz: Hier lag eine Pflichtverletzung des Landes Berlin vor.
Zum einen verwiesen die Richter auf eine landesrechtliche Regelung in Berlin, nach der das Land verpflichtet sei, bei solchen Schäden für eine zeitnahe Wiederherstellung der Verkehrssicherheit des Gehwegs zu sorgen. Stattdessen sei der Gehweg hier schon seit Jahren in einem desolaten Zustand gewesen, ohne dass Abhilfe erfolgt sei.
Zum anderen treffe es zwar zu, dass der Verkehrssicherungspflichtige nur vor Gefahren warnen müsse, die Passanten nicht selbst erkennen könnten. Aber: Dieses Argument greife nur, wenn die Passanten dann auch die Möglichkeit hätten, sich auf die Gefahr einzustellen. Genau dies sei nicht möglich, wenn sich der komplette Weg in desolatem Zustand befinde. Es sei hier nicht möglich gewesen, der Gefahr auszuweichen. Das Land könne sich nicht auf die Ansicht zurückziehen, dass die Klägerin stattdessen die anliegende Grünfläche hätte benutzen müssen. Fußgänger seien grundsätzlich nicht gehalten, auf unbefestigte Flächen auszuweichen. Die beengten finanziellen Verhältnisse des Landes seien kein Grund, dessen Verkehrssicherungspflichten zu vernachlässigen.
Daher blieb es hier beim Urteil der Vorinstanz: Das Land musste für den Schaden haften. Der Klägerin wurde eine Mithaftung von zehn Prozent auferlegt, weil sie etwas vorsichtiger hätte sein können (Urteil vom 5.7.2012, Az. III ZR 240/11).
Die Rechtsprechung fällt oft zu Gunsten der Gemeinden aus - aber nicht immer. Gute Chancen haben Geschädigte, wenn die Gefahrenstelle nicht ohne weiteres erkennbar war - oder, wenn ein Ausweichen durch den Zustand des Gesamtweges nicht möglich war. Letztlich kommt es für den Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld immer auf den Einzelfall an. Geschädigte wenden sich am besten an einen auf das Zivilrecht spezialisierten Anwalt. Dieser kennt sich mit den Verkehrssicherungspflichten der Kommunen und Städte aus.
Gehwege und Straßen sind häufig in schlechtem Zustand. Dadurch kann es schnell zum Sturz eines Fußgängers mit Verletzungen kommen. Haftet in diesem Fall die Gemeinde für Folgeschäden und Schmerzensgeld?
Dieser Rechtstipp behandelt folgende Themen:
Wer haftet beim Sturz an einer Bordsteinkante? Wer haftet für Niveauunterschiede auf dem Gehweg? Was gilt, wenn der Weg völlig vernachlässigt und uneben ist? Praxistipp zur Verkehrssicherungspflicht der Gemeinden Wer haftet beim Sturz an einer Bordsteinkante?
Eine Frau war am Übergang eines Fußgängerwegs zu einer Zufahrtsstraße über einen gelockerten Bordstein gestolpert und gestürzt. Sie verklagte die Gemeinde auf Schmerzensgeld und Schadensersatz. Denn: Diese habe ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt.
Das Landgericht Coburg konnte jedoch keine Pflichtverletzung der beklagten Kommune feststellen. Aus den vorgelegten Fotos sei ersichtlich, dass der hochstehende, lockere Bordstein deutlich zu erkennen gewesen sei. Auch lag die Stolperstelle nicht in einer Gehfläche, sondern an der Kante des Gehwegs zur Straße. In diesem Bereich hätte sich nach Ansicht des Gerichts ein umsichtiger Fußgänger ohnehin auf einen Höhenunterschied einstellen müssen. Der Bordstein an der Sturzstelle sei optisch abgegrenzt und der Höhenunterschied gut zu erkennen gewesen. Die Fußgängerin trage daher die Verantwortung für ihren Sturz selbst. Ihre Klage blieb erfolglos (Urteil vom 30.5.2014, Az. 22 O 458/13).
Wer haftet für Niveauunterschiede auf dem Gehweg?
In einem anderen Fall war ein Fußgänger auf einem Fußweg gestürzt, der mit Waschbetonplatten ausgelegt war. Diese wiesen nach seinen Angaben einen Niveauunterschied von bis zu 5 cm auf. Der Mann erlitt Aufschürfungen an Knie und Ellenbogen und ein Hämatom am Knie. Er verklagte daraufhin die Stadt. Diese habe in Bezug auf den Gehweg ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt. Der Fußgänger verlangte Schadensersatz in Höhe von rund 1.500 Euro.
Das Landgericht Coburg veranstaltete einen Ortstermin an der Unfallstelle. Dabei stellte das Gericht fest, dass der Niveauunterschied zwischen den Waschbetonplatten auf dem Fußweg in Wahrheit höchstens 1,5 cm betrug. Die gängige Rechtsprechung besagt: Straßenbenutzer müssen die Straße grundsätzlich so hinzunehmen, wie sie sich ihnen darbietet. Die verkehrssicherungspflichtige Stadt muss Passanten nur vor solchen Gefahren warnen, die für einen sorgfältigen Benutzer nicht erkennbar sind und auf die er sich nicht einstellen kann. Ein sorgfältiger Fußgänger muss dem Gericht zufolge auf Gehwegen mit Bodenunebenheiten von bis zu 2,5 cm rechnen. Generell müssten Fußgänger bei der Benutzung eines Gehwegs immer gewisse Unebenheiten einkalkulieren. Vor Gefahren, die man selbst erkennen kann, müsse man nicht gewarnt werden. Daher wurde auch diese Klage abgewiesen (Urteil vom 23.8.2013, Az. 41 O 271/13).
Was gilt, wenn der Weg völlig vernachlässigt und uneben ist?
Eine Frau in Berlin stürzte auf einem Gehweg, der aus stark verwitterten Betonplatten bestand, die keine ebene Fläche mehr aufwiesen. Die letzte Kontrolle durch einen Mitarbeiter des Bezirksamts hatte vor mehreren Jahren stattgefunden. Die Frau blieb trotz festem Schuhwerk mit einem Fuß in einem 2 bis 2,5 cm tiefen Loch hängen und fiel zu Boden. Dabei erlitt sie schwere Verletzungen im Gesicht, Prellungen im Arm- und Brustbereich und verstauchte sich das rechte Handgelenk.
Der Prozess wanderte durch die Instanzen bis zum Bundesgerichtshof. Dieser bestätigte die Meinung der Vorinstanz: Hier lag eine Pflichtverletzung des Landes Berlin vor.
Zum einen verwiesen die Richter auf eine landesrechtliche Regelung in Berlin, nach der das Land verpflichtet sei, bei solchen Schäden für eine zeitnahe Wiederherstellung der Verkehrssicherheit des Gehwegs zu sorgen. Stattdessen sei der Gehweg hier schon seit Jahren in einem desolaten Zustand gewesen, ohne dass Abhilfe erfolgt sei.
Zum anderen treffe es zwar zu, dass der Verkehrssicherungspflichtige nur vor Gefahren warnen müsse, die Passanten nicht selbst erkennen könnten. Aber: Dieses Argument greife nur, wenn die Passanten dann auch die Möglichkeit hätten, sich auf die Gefahr einzustellen. Genau dies sei nicht möglich, wenn sich der komplette Weg in desolatem Zustand befinde. Es sei hier nicht möglich gewesen, der Gefahr auszuweichen. Das Land könne sich nicht auf die Ansicht zurückziehen, dass die Klägerin stattdessen die anliegende Grünfläche hätte benutzen müssen. Fußgänger seien grundsätzlich nicht gehalten, auf unbefestigte Flächen auszuweichen. Die beengten finanziellen Verhältnisse des Landes seien kein Grund, dessen Verkehrssicherungspflichten zu vernachlässigen.
Daher blieb es hier beim Urteil der Vorinstanz: Das Land musste für den Schaden haften. Der Klägerin wurde eine Mithaftung von zehn Prozent auferlegt, weil sie etwas vorsichtiger hätte sein können (Urteil vom 5.7.2012, Az. III ZR 240/11).
Praxistipp zur Verkehrssicherungspflicht der Gemeinden
Die Rechtsprechung fällt oft zu Gunsten der Gemeinden aus - aber nicht immer. Gute Chancen haben Geschädigte, wenn die Gefahrenstelle nicht ohne weiteres erkennbar war - oder, wenn ein Ausweichen durch den Zustand des Gesamtweges nicht möglich war. Letztlich kommt es für den Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld immer auf den Einzelfall an. Geschädigte wenden sich am besten an einen auf das Zivilrecht spezialisierten Anwalt. Dieser kennt sich mit den Verkehrssicherungspflichten der Kommunen und Städte aus.
(Wk)