AG Bad Urach, Urt. 5.10.2016 - 1 C 229/16
Rauchen auf dem Balkon: Kein „Aufschlag” auf angemessene Regelung
Autor: RiOLG Wolfgang Dötsch, Brühl
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 07/2017
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 07/2017
Enthält die Hausordnung bzw. eine Anordnung des Vermieters eine angemessene Regelung zu rauchfreien Zeiten auf Balkonen oder Terrassen eines Mehrfamilienhauses, können einzelne Mieter von ihren Nachbarn keine darüber hinausgehenden „rauchfreien” Zeiten verlangen. Eine angemessene Regelung kann der Vermieter auch einseitig festsetzen.
AG Bad Urach, Urt. v. 5.10.2016 - 1 C 229/16
BGB §§ 315, 535, 858 Abs. 1, 862 Abs. 1
Wie weit der Mietgebrauch bzw. die Freiheit des einzelnen Mieters reicht, ergibt sich in erster Linie aus vertraglichen Vereinbarungen mit dem Vermieter, in zweiter Linie aus der Hausordnung, die die Rücksichtnahmepflichten konkretisiert, und, falls eine solche Regelung fehlt, aus einer im Einzelfall durch das Gericht vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Interessen (BGH, a.a.O., Rz. 8 u. 18).
Im vorliegenden Fall existiert nach Ansicht des AG bereits eine wirksame Regelung. Eine darüber hinausgehende Regelung durch das Gericht kann daher nicht verlangt werden. Zwar ist das Rauchen im Mietvertrag und in der Hausordnung nicht geregelt, aber trotzdem durch den Vermieter bindend geordnet. Denn eine Hausordnung ist nicht statisch und kann bzw. muss bei Bedarf angepasst werden, insbesondere wenn sie lediglich vertragliche und gesetzliche Pflichten – wie das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme – konkretisiert. In die Hausordnung und die von Vermieterseite festgelegten rauchfreien Zeiten könnte das Gericht nur eingreifen, wenn die Festlegungen Vermieterseite ermessensfehlerhaft wären (§ 315 BGB), was hier nicht der Fall sei.
Es ist nicht ersichtlich, dass die festgelegten rauchfreien Zeiten willkürlich wären oder die Interessen der Kläger überhaupt nicht oder völlig unzureichend berücksichtigten. Die Regelung sei ersichtlich darum bemüht, vor allem während der Freizeit der erwerbstätigen Bevölkerung jeder Mietpartei „ihren” Zeitraum zu sichern. Eine mathematische Gleichheit der rauchfreien Zeiten muss es nicht geben, vor allem, weil die Kläger nicht in jeder Minute der „Raucherzeit” mit erheblichem Rauch auf ihrem Balkon rechnen müssen. Hinzu kommt, dass es von subjektiven Einschätzungen und der jeweiligen Situation im Haus abhängt, wieviel Zeit welcher Interessengruppe zuzugestehen ist. Es gibt kein objektives „richtig” oder „falsch” bzw. „ausreichend” oder „ungenügend”. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob das Gericht dieselben Zeiträume gewählt hätte. Dem Vermieter steht ein nicht zu enger Beurteilungsspielraum zu. Dass es zunächst dem Vermieter vorbehalten bleiben muss, das Zusammenleben zu regeln, ehe die Gerichte bemüht werden, ergibt sich auch daraus, dass die Hausordnung flexibel bleiben und auf geänderte Zusammensetzungen und Bedürfnisse der Hausgemeinschaft reagieren können muss. Der Vermieter muss prüfen und abwägen können, ob neue Regelungen nötig sind, ob sich einmal getroffene Regelungen bewähren oder ob sie angepasst werden müssen, um den Hausfrieden zu wahren.
Ein Unterlassungsanspruch wegen drohender gesundheitlicher Beeinträchtigung aus §§ 1004 analog, 823 Abs. 1 BGB scheitert an ausreichenden Darlegungen dazu, dass ausnahmsweise Rauchen im Freien zu Schäden führen kann (BGH, a.a.O., Rz. 25 ff.). Allgemeine Untersuchungen zum Passivrauchen genügen nicht. Bei dieser Sachlage ein Sachverständigengutachten einzuholen hieße, von Amts wegen nach einer Gesundheitsgefahr zu forschen. Das verbietet sich im Zivilprozess von selbst.
AG Bad Urach, Urt. v. 5.10.2016 - 1 C 229/16
BGB §§ 315, 535, 858 Abs. 1, 862 Abs. 1
Das Problem
Die Kläger sind Mieter einer Wohnung im 1. Stock eines Mehrfamilienhauses und nehmen die darunter wohnenden Mieter, die auf dem Balkon rauchen, auf Unterlassung in Anspruch. Zwar haben die Vermieter einseitig rauchfreie Zeiten festgelegt, nämlich montags bis freitags sieben Stunden verteilt rund um die Uhr und an Wochenenden und Feiertagen neun Stunden, doch sei dies – so die Kläger – nicht ausreichend. Nachdem man in einem Ortstermin einen Teilvergleich erreicht hat, mit differenzierten rauchfreien Zeiten über die vermieterseits festgelegten Zeiten hinaus (werktags neun Stunden über den Tag verteilt und an Wochenenden bzw. Feiertagen neuneinhalb Stunden), verlangen die Kläger noch weitergehend Unterlassung in den Zeiten von 02:00 bis 5:00 Uhr, 06:00 bis 07:00 Uhr, 10:00 bis 12:00 Uhr, 14:00 bis 16:00 Uhr, 18:00 bis 20:00 Uhr, 22:00 bis 24:00 Uhr.Die Entscheidung des Gerichts
Ohne Erfolg! Ein Anspruch aus §§ 862 Abs. 1, 858 Abs. 1 BGB besteht nicht. Zwar beeinträchtigt das Rauchen im Freien den Besitz der Kläger sowohl auf ihrem Balkon als auch in der Wohnung, soweit Rauch in nicht ganz unerheblichem Maß auf den Balkon oder in die Wohnung dringt (BGH v. 16.1.2015 – V ZR 110/14 Rz. 13, MietRB 2015, 197 = MDR 2015, 638). Allerdings reicht das Recht der Kläger, ihre Wohnung und Balkon nach Belieben zu nutzen, nicht weiter als das Recht der Beklagten, dasselbe mit ihrer Wohnung und ihrem Balkon zu tun. Es ist ebenso legitim, Wohnung und Balkon möglichst von Rauchgeruch freizuhalten, wie auf dem Balkon zu rauchen, insbesondere, wenn der Vermieter – wie hier – Rauchen innerhalb der Wohnung untersagt hat. Diese Freiheiten sind insbesondere bei Zusammenleben auf engem Raum nur miteinander in Einklang zu bringen, wenn alle Mieter auf die Bedürfnisse der anderen Rücksicht nehmen.Wie weit der Mietgebrauch bzw. die Freiheit des einzelnen Mieters reicht, ergibt sich in erster Linie aus vertraglichen Vereinbarungen mit dem Vermieter, in zweiter Linie aus der Hausordnung, die die Rücksichtnahmepflichten konkretisiert, und, falls eine solche Regelung fehlt, aus einer im Einzelfall durch das Gericht vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Interessen (BGH, a.a.O., Rz. 8 u. 18).
Im vorliegenden Fall existiert nach Ansicht des AG bereits eine wirksame Regelung. Eine darüber hinausgehende Regelung durch das Gericht kann daher nicht verlangt werden. Zwar ist das Rauchen im Mietvertrag und in der Hausordnung nicht geregelt, aber trotzdem durch den Vermieter bindend geordnet. Denn eine Hausordnung ist nicht statisch und kann bzw. muss bei Bedarf angepasst werden, insbesondere wenn sie lediglich vertragliche und gesetzliche Pflichten – wie das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme – konkretisiert. In die Hausordnung und die von Vermieterseite festgelegten rauchfreien Zeiten könnte das Gericht nur eingreifen, wenn die Festlegungen Vermieterseite ermessensfehlerhaft wären (§ 315 BGB), was hier nicht der Fall sei.
Es ist nicht ersichtlich, dass die festgelegten rauchfreien Zeiten willkürlich wären oder die Interessen der Kläger überhaupt nicht oder völlig unzureichend berücksichtigten. Die Regelung sei ersichtlich darum bemüht, vor allem während der Freizeit der erwerbstätigen Bevölkerung jeder Mietpartei „ihren” Zeitraum zu sichern. Eine mathematische Gleichheit der rauchfreien Zeiten muss es nicht geben, vor allem, weil die Kläger nicht in jeder Minute der „Raucherzeit” mit erheblichem Rauch auf ihrem Balkon rechnen müssen. Hinzu kommt, dass es von subjektiven Einschätzungen und der jeweiligen Situation im Haus abhängt, wieviel Zeit welcher Interessengruppe zuzugestehen ist. Es gibt kein objektives „richtig” oder „falsch” bzw. „ausreichend” oder „ungenügend”. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob das Gericht dieselben Zeiträume gewählt hätte. Dem Vermieter steht ein nicht zu enger Beurteilungsspielraum zu. Dass es zunächst dem Vermieter vorbehalten bleiben muss, das Zusammenleben zu regeln, ehe die Gerichte bemüht werden, ergibt sich auch daraus, dass die Hausordnung flexibel bleiben und auf geänderte Zusammensetzungen und Bedürfnisse der Hausgemeinschaft reagieren können muss. Der Vermieter muss prüfen und abwägen können, ob neue Regelungen nötig sind, ob sich einmal getroffene Regelungen bewähren oder ob sie angepasst werden müssen, um den Hausfrieden zu wahren.
Ein Unterlassungsanspruch wegen drohender gesundheitlicher Beeinträchtigung aus §§ 1004 analog, 823 Abs. 1 BGB scheitert an ausreichenden Darlegungen dazu, dass ausnahmsweise Rauchen im Freien zu Schäden führen kann (BGH, a.a.O., Rz. 25 ff.). Allgemeine Untersuchungen zum Passivrauchen genügen nicht. Bei dieser Sachlage ein Sachverständigengutachten einzuholen hieße, von Amts wegen nach einer Gesundheitsgefahr zu forschen. Das verbietet sich im Zivilprozess von selbst.