Arbeitsunfähigkeit – Kündigung wegen genesungswidrigem Verhalten

Autor: RAin Lejla Rudaja, Redeker Sellner Dahs, Bonn
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 07/2013
Ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer hat während seiner Ausfallzeit durch sein eigenes Verhalten dafür Sorge zu tragen, dass er die Phase der Arbeitsunfähigkeit möglichst zügig überwindet. Das bedeutet aber nicht, dass er stets nur das Bett zu hüten hat oder jedenfalls die eigene Wohnung nicht verlassen sollte. Es ist auf die jeweils vorliegende Krankheit abzustellen.

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 5.3.2013 - 5 Sa 106/12

Vorinstanz: ArbG Stralsund - 1 Ca 307/11

BGB § 626; KSchG § 1; GG Art. 12

Das Problem:

Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer wegen verhaltens-, personen- und betriebsbedingter Gründe ausgesprochenen außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung. Der Kläger hat sich aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis heraus bei einer städtischen gGmbH beworben. Er sollte sich vor der Bürgerschaft der Stadt vorstellen, was er auch tat, obwohl er an diesem Tag aufgrund einer Krankschreibung arbeitsbefreit war. Die Beklagte erfuhr davon aus der Zeitung und kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis. Sie warf dem Kläger u.a. illoyales und genesungswidriges Verhalten vor.

Die Entscheidung des Gerichts:

Das LAG hat ebenso wie das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage entsprochen. Der Auftritt des Klägers in der Bürgerschaft während seiner Arbeitsunfähigkeit könne weder als genesungswidriges Verhalten noch als Arbeitsverweigerung gewertet werden.

Der Kläger habe sich nicht pflichtwidrig verhalten. Ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer habe während seiner Ausfallzeit zwar durch sein eigenes Verhalten dafür Sorge zu tragen, dass er die Phase der Arbeitsunfähigkeit möglichst zügig überwinde. Das bedeute aber nicht, dass er stets nur das Bett zu hüten habe oder jedenfalls die eigene Wohnung nicht verlassen sollte. Es sei vielmehr auf die jeweils vorliegende Krankheit abzustellen, um ermessen zu können, welche Tätigkeiten einem Arbeitnehmer während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit untersagt seien. Im Streitfall habe der Kläger an einer Einschränkung der Bewegungsfähigkeit seines rechten Arms gelitten, die auf einen eingeklemmten Nerv zurückzuführen gewesen sei. Ihm sei ärztlicherseits nur angeraten worden, den rechten Arm nicht zu belasten, so dass der Auftritt in der Bürgerschaft nicht genesungswidrig gewesen sei.

Auch unter dem Gesichtspunkt des Abkehrwillens sei die Kündigung nicht gerechtfertigt: Solange der Arbeitnehmer seine vertraglichen Pflichten erfülle, könne es ihm grds. nicht vorgeworfen werden, dass er sich nach einem anderen Arbeitsfeld umschaue. Art. 12 GG gewähre dem Arbeitnehmer die freie Arbeitsplatzwahl. Eine Kündigung könne daher allenfalls gerechtfertigt sein,
  • wenn der Arbeitnehmer seine Pflichten im alten Arbeitsverhältnis zugunsten seiner zukünftigen Tätigkeit vernachlässige (BAG, Urt. v. 26.6.2008 – 2 AZR 190/07, ArbRB 2008, 366 [Groeger], ArbRB online) oder
  • wenn der Arbeitgeber die Chance habe, für den abkehrwilligen Arbeitnehmer eine andere Person einzustellen (BAG, Urt. v. 22.10.1964 – 2 AZR 515/63, AP Nr. 16 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung).
Auch der Umstand, dass der Kläger die Beklagte nicht vorab über den Vorstellungstermin unterrichtet habe, stelle keine Pflichtverletzung dar. Es gebe keine arbeitsvertragliche Pflicht des Arbeitnehmers, seinen Arbeitgeber darüber zu unterrichten, dass er sich anderweitig beworben habe.


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